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Die
‘Werteschaffende Gesellschaft’ und Werte in unserer Gesellschaft
Grundlagen und Bedeutung
der Aktivitäten der buddhistischen Laienorganisation SGI
(Werteschaffende Gesellschaft International) und ihre Korrelationen zur Sozialpädagogik
Stefan Jürgensen
für ihre offene Einstellung dem Thema gegenüber und den Mitgliedern des Lotus-Bezirkes Hamburg für ihre vertrauensvolle Teilnahme an den Versammlungen.
Ich versichere gemäß § 21 Abs. 6 PO, diese Arbeit ohne fremde Hilfe selbständig verfaßt zu haben und nur die angegebenen Quellen benutzt zu haben.
Hamburg, den 19.11.1997
(gez. Stefan Jürgensen)
Inhalt
5.4.10 Toleranz und Solidarität ________________________________________________ 66 5.4.11 Weltbürger ___________________________________________________________ 67
Eigene Untersuchungen 68
Schlußbetrachtung 71
Glossar verschiedener Grundbegriffe 72
Literaturverzeichnis 74
Bücher: ____________________________________________________________ 74
Lexika: ____________________________________________________________ 76
Doktor-, Magister- u. Diplomarbeiten ___________________________________ 76
Anhang 77
Charta der SGI ___________________________________________________ 77
Versammlungen___________________________________________________ 78
Diskussionsversammlung der Gruppe ‘Regenbogen’ am 1.9.1997________________ 78
Diskussionsversammlung der Gruppe ‘Mond’ am 16.9.1997____________________ 84
Diskussionsversammlung der Gruppe ‘Sonnenschein’ 17.9.1997 ________________ 95
Diese Arbeit handelt von der SGI (Soka Gakkai International), einer internationalen buddhistischen Laienorganisation, die sich in den Bereichen Friedensschaffung, Erziehung und Kultur betätigt. Die Soka Gakkai International hat weltweit rund 15
Millionen Mitglieder unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen in 115 Ländern, 10 Millionen davon in Japan. Seit 1983 ist die SGI als Nichtregierungsorganisation (NGO) Mitglied der Vereinten Nationen und hat beratenden Status im UN-Economic and Social Council (ECOSOC).
Meine Ausgangsthese und quasi Berechtigung dieser Arbeit ist, daß in der SGI eine Vielzahl von im weitesten Sinne erzieherischen, sozialen Aufgaben geleistet wird. Dies hat für die Gesellschaft eine Bedeutung, da die Mitglieder sich einer intensiven Auseinandersetzung mit Werten und Grundüberzeugungen in der Gesellschaft und in ihrem Leben auseinandersetzen. Mein Anliegen ist dabei der Versuch nachvollziehbar zu machen, wie und mit welchem Hintergrund dies geschieht und warum es eine Korrelation zur Sozialpädagogik gibt. Diese Korrelation bezieht sich z.B. auf die Bereiche Kulturarbeit, interkulturelle Arbeit, psychosoziale Hilfe, Jugendarbeit, usw. Diese Bereiche stehen nicht in Konkurrenz zur professionellen Sozialpädagogik, bieten aber sicherlich einen konkreten ergänzenden Beitrag in der vielschichtigen, komplexen modernen Gesellschaft. Besonders in Japan, aber auch in anderen Ländern reicht das Spektrum institutioneller Erziehung vom Kindergarten bis zur Universität; es gibt außerdem verschiedene Institute zum kulturellen und wissenschaftlichen Austausch.
Der Verfasser dieser Arbeit ist selbst Mitglied dieser Organisation, was zweierlei Folgen hat. Erstens ist die Gefahr vorhanden, daß die notwendige Objektivität darunter leiden könnte, um eine Arbeit mit wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Auf der anderen Seite gibt es dadurch natürlich einen besonderen Zugang des Verfassers zu den behandelten Themen, der mit allzu großem Abstand nur schwer herstellbar wäre. Ich wähle also für diese Arbeit den Standpunkt der ‘teilnehmenden Beobachtung’, wobei ich mir der ersten Gefahr bewußt zu bleiben versuche, die Chance des zweiten Aspektes jedoch voll nutzen möchte.
Es gibt gegen die SGI hier und da immer wieder den Vorwurf eine ‘gefährliche Sekte’ zu sein, auf der anderen Seite gibt es große Wertschätzung und Anerkennung ihrer Bemühungen. Ich möchte einige Themen kritisch beleuchten und auch einige Einschätzungen bestimmter Beobachter und Sozialforscher über die SGI einfließen lassen. Allerdings möchte ich nicht den Eindruck erwecken, ich wolle hier den Beweis antreten, die SGI sei doch gar keine Sekte. Sicher gibt es berechtigte Kritikpunkte, viele Vorwürfe sind bei näherer Betrachtung jedoch niveau- u. haltlos. Diesen Beweis anzutreten halte ich also für überflüssig und möchte mich lieber direkt mit Inhalten beschäftigen. Eine Untersuchung, der sich auch die SGI-Deutschland unterziehen muß findet dieser Tage vor dem deutschen Bundestag statt, der eine Enquete-Kommission gebildet hat, um verschiedene sogenannte Sekten und Psychogruppen in Deutschland zu untersuchen und auf den Prüfstein zu stellen. Es gibt dazu drei Dinge zu erwähnen: 1. Es gibt bei den Mitgliedern der SGI keine Tendenz sich wegen ihrer Mitgliedschaft von früheren Freunden oder der eigenen Familie zu entfernen[^1], im Gegenteil werden oft alte, selbst schwierige Beziehungen zu Angehörigen wieder aufgenommen oder verbessert. 2.Es gibt keinerlei Druck seitens der SGI an die Mitglieder, Spenden zu machen. Diese sind auf freiwilliger Basis von Zeit zu Zeit möglich. 3.Wenn jemand die Organisation verlassen möchte, kann er das tun, ohne Repressionen oder Druck seitens der SGI erwarten zu müssen. Betrachtet man diese drei Tatsachen, gibt es eigentlich keinen Grund, eine Gemeinschaft als Sekte[^2] zu bezeichnen, bloß weil sie einen anderen philosophisch, religiösen Hintergrund hat als den jüdisch-christlichen oder weil sie auf anderer Basis als die zwei großen Kirchen steht.
Werte in der Gesellschaft ist ein Thema dieser Arbeit und wäre an sich eigentlich schon Thema genug für zahlreiche Arbeiten. Die kurze Auseinandersetzung damit soll als Anregung und Einleitung dienen, um auf das Thema ‘Werteschaffende Gesellschaft’, welches eine Übersetzung von Soka Gakkai ist, überzuleiten. Dort wird zu untersuchen sein, in welcher Weise und welche Werte entwickelt werden und wie dies schließlich eine gesellschaftliche und soziale Bedeutung erlangt.
Wir werden dabei (glücklicherweise) auch nicht darum herum kommen uns mit philosophischen und geschichtlichen Fragen zu beschäftigen, insbesondere natürlich mit der Philosophie und der Geschichte des Buddhismus, auf dem die Bewegung der SGI fußt. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit derselben ist natürlich aus Platz- u. Zeitgründen unmöglich, ein gewisses Verständnis dafür aber unumgänglich, um die Motivationen der SGI nachvollziehen zu können.
Die kurze Betrachtung gesellschaftlicher Tendenzen, die hier stattfinden soll, kann und will keine Analyse derselben bieten. Es werden eher ein paar Sichtweisen referiert bzw. angedacht werden, die als Anregung für eigene Überlegungen und Reflexionen dienen sollen. Zum Teil beziehen sie sich auf Erich Fromm, der zum einen ein weitreichendes Verständnis von Religiosität als einer menschlichen Eigenschaft, als auch einen tiefen Einblick in die unterschiedlichsten Religionen hatte. Zu dieser Beschäftigung zählte bei ihm auch der Buddhismus, von dem er eine hohe Meinung hatte und der seiner Meinung nach die Existensweise des Seins repräsentiert. Daß er soziale Gebilde auf der Grundlage verschiedener Charaktere betrachtet, kommt der weiter unten behandelten buddhistischen Auffassung, daß Veränderungen in einer Gesellschaft durch die Veränderung im Individuum stattfinden (‘‘‘Menschliche Revolution’’’), nahe. Die Frage, die später behandelt werden wird ist, welche Charaktereigenschaften in der SGI gefördert und hervorgebracht werden.
Erich Fromm unterscheidet verschiedene Gesellschaftscharaktere. Ein
Gesellschaftscharakter ist eine ‘Seele’ einer Gesellschaft, die eine bestimmte Tendenz aufweist, die nicht nur im Individuum begründet liegt sondern kollektiver Herkunft ist und Auswirkungen auf das Individuum hat. Er veranlaßt den Menschen, so zu handeln und zu denken, wie es der reibungslose, systemerhaltende Ablauf ihres gesellschaftlichen Lebens erfordert. Der Gesellschaftscharakter ist auch deshalb interessant, weil Fromm davon ausgeht, daß Ideen und Ideale, der
Gesellschaftscharakter und die ökonomische Basis sich gegenseitig beeinflussen. Der Mensch wird zum einen geformt durch gegebene Vorhandenheiten, formt andererseits die gesellschaftlichen Bedingungen durch seine Natur, seine psychologischen und physiologischen Eigenschaften mit. Fromm geht in diesem Zusammenhang davon aus, daß in der Kindererziehung nicht die Methoden und Techniken den vorrangigen Einfluß ausüben, sondern der Charakter derer, die sie anwenden.[^3] Später wird ein Zusammenhang deutlich werden zu der Erziehungslehre von Tsunesaburo Makiguchi und dem Buddhismus, wo es vorrangig um die ‘Veredelung’ des Charakters geht und der Anfang einer Veränderung der Gesellschaft als in der Veränderung im Innern des Individuums begründet gesehen wird.
####### Der autoritäre Charakter
Die Einstellung des autoritären Charakters ist geprägt von einer Bewunderung für die Autorität. Menschen diesen Gepräges neigen einerseits dazu sich der Autorität zu unterwerfen, andererseits möchten sie aber gleichzeitig selbst eine Autorität sein, der sich andere zu unterwerfen haben. Der autoritäre Charakter bildet somit die menschliche Grundlage auch für faschistische Systeme. Der Begriff Autorität bezeichnet im Allgemeinen eine Überlegenheits-Unterlegenheitsbeziehung und wird unterschieden in ‘rationale’ und ‘hemmende’ Autorität. Eine Sklaven und Sklavenhalterbeziehung wäre ein eindeutiges Beispiel einer hemmenden Autoritätsbeziehung, die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, welche auch auf einer Überlegenheit des Lehrers beruht, kann ein Beispiel für eine rationale Autoritätsbeziehung sein. Die erste Autoritätsbeziehung neigt dazu sich fortzusetzen, die zweite sich aufzulösen (indem
z.B. der Abstand zwischen Lehrer und Schüler immer geringer wird). Die Wut verbunden mit der Ohnmacht des Sklaven, der nichts gegen seine Unterdrückung zu unternehmen vermag, kann sich umwandeln in blinde Bewunderung und prägt somit den Charakter. Auch das Gewissen kann Autorität ausüben und dabei sogar noch strenger sein als äußere Autoritäten, weil die Befehle des Gewissens als eigene erfahren werden. Heute versucht man den Einfluß des Gewissens zu reduzieren, man ‘befreit sich von den Zwängen’, aber es entstand als Folge eine anonyme Autorität, die sich als Menschenverstand, Wissenschaft, psychische Gesundheit, Normalität oder öffentliche Meinung tarnen kann. Der Kampf gegen diese Autoritäten ist sogar noch schwieriger, da es keinen sichtbaren Gegner gibt.
Auf den autoritären Charakter übt die Macht eine unheimliche Faszination aus. Es stachelt ihn an, machtlose Subjekte anzugreifen und zwar immer mehr je hilfloser das Subjekt ist. (Wenn ich mir z.B. die oberflächliche Diskussion und einige Schlagzeilen heutzutage über Sozialhilfeempfänger ansehe, die angeblich die Gemeinschaft nur ausnutzen, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, darin einen gewissen Anflug dieses Charakters wiederzuerkennen.)
####### Der Marketingcharakter
Die Marketingorientierung entwickelte ihre Dominanz in der Gegenwart. Der Markt hat in der modernen Gesellschaft eine ökonomische Funktion, die als Voraussetzung für die Entwicklung des Marketingcharakters angesehen werden kann. Der moderne Markt ist kein Treffpunkt mehr für überschaubaren Tauschhandel. Der Tauschwert einer Ware wird bestimmt von Angebot und Nachfrage. Beim Marketingcharakter überträgt man diese Erfahrung auf den Menschen, der als Ware auf dem ‘Personalmarkt’ einen bestimmten, wechselnden Wert hat. Der Mensch selbst wird ‘verdinglicht’, die Marktwirtschaft wird zu einer Marktgesellschaft. Man erlernt bestimmte Fachkenntnisse und muß sich selbst auf diesem Markt verkaufen und gegenüber anderen
Persönlichkeiten durchsetzen. Dadurch erlebt man sich selbst als Ware. Die Folge ist, daß der Mensch mehr an seiner Verkäuflichkeit interessiert ist, als an seinem eigenen inneren Leben oder Glück, bzw. macht er dieses davon abhängig. Hat er, als Verkäufer und Ware, Erfolg, fühlt er sich wertvoll, wenn nicht, wertlos. Man ist dabei abhängig von bestimmten Faktoren, auf die man selbst keinen direkten Einfluß ausüben kann, was zu einer großen Unsicherheit führen kann. Nicht die eigenen menschlichen Qualitäten sind für die eigene Wertvorstellung entscheidend, sondern der Erfolg bei ständig sich ändernden Marktbedingungen. Man hat ein ständiges Bedürfnis nach Bestätigung durch andere und das Identitätsgefühl wird bestimmt von Prestige, Stellung, Erfolg, etc.. Dadurch, daß man sich selbst auf diese Weise erlebt, sieht man die anderen ebenso. Der Ausdruck Gleichheit mit den anderen bekommt die Bedeutung von Auswechselbarkeit, das ‘Selbst’ ist auf dem Markt nicht viel wert, es ist austauschbar, es entsteht eine ‘Selbstlosigkeit und innere Leere. Dies hat seine Auswirkungen auf die Beziehungen der Menschen untereinander und den Umgang miteinander. Die Beziehungen werden oberflächlicher und austauschbarer, das Einmalige und Besondere jedes einzelnen wird kaum noch wahrgenommen. In der Erziehung hat sich diese Ausprägung dahin ausgewirkt, daß die Hauptbetonung in der Vermittlung von Wissen liegt, was den Marktwert einer derart ausgestatteten Person steigern soll. Ein Streben nach Erkenntnis und Wahrheit hat dem gegenüber nur geringen Tauschwert, so daß es mit Skepsis betrachtet wird.
####### Der nekrophile Charakter
Der nekrophile Charakter ist durch das leidenschaftliche Angezogenwerden von allem was tot ist. Das was lebendig ist muß umgewandelt werden in etwas Unlebendiges. Es besteht ein ausschließliches Interesse an dem, was rein mechanisch ist und daran lebendige Zusammenhänge entzwei zu reißen. Nekrophile Persönlichkeiten träumen oft von abgeschnittenen Körperteilen und es herrscht die Überzeugung vor, daß sich Probleme nur mit Gewalt lösen lassen. Die Antwort auf Probleme des Lebens ist immer destruktiv und es gibt kein Bemühen, anderen zu helfen. Die Prognosen für die Zukunft sind immer negativ, günstige Veränderungen beeindrucken nicht. Die Unterhaltung von Nekrophilen ist unlebendig. Dabei geht es nicht darum worüber man spricht, es können durchaus interessante Themen sein. Die Art und Weise, wie die Ideen vorgebracht werden, ist jedoch steif, kalt und pedantisch. Das Leben eines Nekrophilen wird beherrscht von Unlebendigem: Institutionen, Gesetze, Eigentum, Traditionen und Besitz. Das Haben regiert das Sein, drastische Veränderungen wirken als gefährlich und müssen verhindert werden.
Die Benutzung technischer Geräte wird für den nekrophilen Charaktertyp zum Ersatz für das Interesse am Leben selbst. Das Interesse für das Tote zeigt sich nicht etwa im direktem Interesse an Leichen z.B., die immer noch viel zu viel mit dem Leben zu tun haben, sondern eher in der Vermeidung der Auseinandersetzung mit Leben und Tod überhaupt. Die Vorliebe gilt eher den glänzenden, sterilen, leblosen Fassaden und der Begeisterung für alle technischen Neuerungen, besonders für unnütze Maschinen und Roboter. Die Wirklichkeit hinter diesen Fassaden wird heutzutage immer deutlicher und zeigt sich in der Vergiftung der eigenen Umwelt, sie wird in einen leblosen, stinkenden Ort verwandelt und die Grundlage zum Weiterleben selbst wird gefährdet.
####### Der biophile Charakter
Unter Biophilie versteht man die Liebe zum Leben. Sie steht im Gegensatz zur Nekrophilie. Die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen ist für die
Biophilie kennzeichnend. Es herrscht der Wunsch vor etwas Neues aufzubauen, das Wachstum zu fördern, ob es sich um einen Menschen, eine Pflanze oder eine soziale Gruppe handelt. Für die biophile Ethik ist das gut, was dem Leben dient; böse ist das, was das Leben zerstückelt und einengt, was dem Tod dient. Siegmund Freud drückte es mit der Bezeichnung Lebenstrieb (Eros) und Todestrieb auf ähnliche Weise aus. Bei ihm waren diese beiden Kräfte jedoch gleichrangig und miteinander im Wettstreit. Erich Fromm sieht die Biophilie jedoch als biologisch normalen Impuls und die Nekrophilie als psychopathologisches Phänomen, das als Folge eines gehemmten Wachstums entsteht.
Der Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung betont, daß diese beiden Elemente ‘Technologie und Gewalt’ im Mittelpunkt unserer Gesellschaft stehen[^4]. Bei der Lösung von Konflikten zeigt sich sehr deutlich, daß diese beiden Elemente das Mittel zur Lösung angesehen werden. Gewaltfreiheit und echter Dialog werden kaum als Strategien bei Konflikten angewendet. Der Golfkrieg war wohl eines der deutlichsten Beispiele für diese Tendenz in den letzten Jahren. Kreative Lösungsmöglichkeiten haben wenig Chancen sich durchzusetzen. Ein weiteres Beispiel der jüngeren Zeit, das Johan Galtung dafür aufzeigt, ist die gewaltsame Beendigung der Geiselnahme durch die Tubac-Amaru in Lima/Peru Anfang 1997. Alle Geiselnehmer wurden dabei erschossen, technisch war der Einsatz ‘perfekt’[^5], letztendlich hat man aber keine befriedigende Lösung geschaffen, sondern nur eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, und nichts gegen das Grundproblem in Peru, der sozialen Ungleichheit und Armut, unternommen. Ein kreativer Lösungsvorschlag von Johan Galtung wurde von den entscheidenden Verantwortlichen nicht beachtet. Dieser beinhaltete Gewaltfreiheit, Dialog und die
Besinnung auf die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten, das zugrundeliegende Problem der Armut und der strukturellen Gewalt anzugehen. Gerade diese gemeinsame Verantwortung könne man, meint Galtung, aus der buddhistischen Lehre des Karmas[^6] und der ‘bedingten Entstehung’[^7] lernen.
Wir glauben im Allgemeinen an die Fortschritte und Verbesserungen unseres Lebens durch technische Errungenschaften. Obwohl man feststellen kann, daß sie in vielen Bereichen Verbesserungen geschaffen haben, ist ein gewisser Widerspruch nicht zu verkennen. Es werden z.B. Milliarden von Dollar in internationalen Projekten der Raumfahrt ausgegeben, um unseren sich ausdehnenden Wissens- und Forschungsdrang zu befriedigen. Auf der anderen Seite werden grundlegende Probleme sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Natur auf unserem Planeten aufs Gröbste vernachlässigt. Dieses Versäumnis läßt Menschen in Kriegen und Konflikten, in Hunger, Armut und mangelnder Bildung verharren. Es stellt sich folglich auch die Frage, wem bestimmte technische Errungenschaften konkret nutzen und wer von dieser
Partizipation von Anfang an ausgeschlossen ist. Neil Postman beschreibt in seinem
Buch ‘Das Technopol’ recht anschaulich, wie neue Technologien nicht nur die Lebensverhältnisse einer Gesellschaft verändern, sondern die Kultur an ihrer Basis betreffen und die Wahrnehmung der Individuen verändern. Technologien beinhalten auch bestimmte Weltbilder. Die ursprüngliche Intention einer neuen Erfindung ist meistens nicht dieselbe wie die tatsächliche Nutzung im Leben. Oft kann sich eine neue Technik völlig unkontrollier- und vorraussehbar in eine ganz eigene Richtung entwickeln. Er beschreibt den Übergang Europas von einer Werkzeugkultur im Mittelalter, in der Gegenstände als Werkzeuge zu bestimmten Zwecken verändert und verwendet werden, zu einer Technokratie ab ca. dem 17./18.Jahrhundert, in der der Drang zu neuen Erfindungen immer größer wurde. Die heutige Gesellschaft in den USA bezeichnet er als Technopol, was bedeutet, daß die Menschen inzwischen zu Dienern der Technik geworden sind. Das Technopol sei die totalitär gewordene Technokratie, in der die Alternativen zu ihr verschwunden bzw. unterdrückt seien. Kennzeichnend für diese Gesellschaft ist ebenfalls das Versinken in einer Informationsflut (wie der Zauberlehring in Goethes Gedicht), wobei auf der anderen Seite echte Orientierung immer mehr verlorengeht.
Die Wahrnehmung der Realität wird heute durch die Medien erzeugt und von der Werbung gesteuert. Das Bewußtsein wird dahingehend beeinflußt, im Sinne eines ständig sich erweiternden Marktes zu funktionieren und Kaufentscheidungen und wünsche hervorzubringen. Auch klaffen Realität und dieses vorgegaukelte Bild einer heilen Welt extrem auseinander. Als besonderes Ziel gilt es reich, gesund, schön zu sein, am besten zwischen 30 und 40 Jahren. Alle, die da zur Zeit nicht mithalten können, werden ausgegegrenzt und sind suspekt. Werbung kann bezeichnet werden als intentionale Beeinflussung mit bestimmten dahinterstehenden Interessen und ist prägend für die Menschen in unserer Gesellschaft.
Die unsere Zivilisation betreffenden Risiken werden verkannt, die Informationsflut schafft die nötige Zusammenhanglosigkeit der Ereignisse. Eine Zeitlang bestimmt dieses oder jenes Thema die Nachrichten, nur um dann genau so schnell wieder in Vergessenheit zu geraten und Platz zu machen für das nächste Ereignis. Einen konkreten Bezug zu unserem Alltag wird gar nicht erst hergestellt, geschweige denn eine konkrete Möglichkeit zum eigenen Handeln aufgezeigt.
Die bedingungslose Gläubigkeit an das alleinige Gute des technischen Fortschritts stellte auch schon Siegmund Freud in ‘Das Unbehagen in der Kultur’ in Frage. Er fragte sich was es dem menschlichen Erleben wirklich Neues zu bieten habe. Sind die technischen Errungenschaften in gewisser Weise nicht nur verbesserte Mittel zu einem unverbesserten Zweck? Der Zweck wiederum wird von unseren Wertvorstellungen, Intentionen, Charakter bestimmt, geht also zurück auf menschliche Eigenschaften und die daraus folgenden Motivationen.
„Aberglaube ist es, das Absolute als Objekt zu sehen oder ein Objekt zum Absoluten zu machen. Wir sprechen daher auch von Wissenschaftsaberglauben, wenn aufgrund
wissenschaftlicher Ergebnisse etwas als das Sein selbst aufgefaßt oder wenn von der Wissenschaft erwartet wird, daß sie alle Fragen des Menschen beantworten wird.“
(Karl Jaspers- „Nikolaus Cusanus“)[^8]
Von vielen Menschen hört man heute, sie glauben eigentlich an gar nichts. Was sie damit meinen ist, daß sie nicht an eine bestimmte Religion oder Dogma glauben möchten. Oft ist es aber auch Ausdruck einer unreflektiert übernommenen, allgemein anerkannten Vorstellung von der Welt und dem Universum. Diese Vorstellung basiert zum großen Teil auf vereinfachten, bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zudem das Bild des Lebens und des Menschen, eben um die Mehrdimensionalität des Menschlichen, reduzieren. Daß dies auch in gewisser Hinsicht ein ‘Glaube’ darstellt, ist oft nur wenig bewußt. Wissenschaftlichen Erkenntnissen wird geglaubt, obwohl bekannt ist, daß diese sich in bestimmten Zeitabständen verändern, erneuern und sogar total wenden können. In mancher Hinsicht ist dies vielleicht geschichtlich zu verstehen, da die Wissenschaft in großem Maße durch die Macht und den Dogmatismus der Kirche unterdrückt und behindert wurde. Die Ablehnung von sich selbst zu behaupten, man glaube etwas, geht in diesem Sinne zusammen mit einer Auflehnung gegen falsche Autoritäten und Dogmen. Es ist also weit verbreitet, eine Trennung zwischen Glauben einerseits und Wissen bzw. Verstehen andererseits zu machen. Das Wissen, welches erworben wird, läßt sich jedoch nicht von den intellektuellen Paradigmas seiner jeweiligen Zeit bzw. des Untersuchenden[^9] trennen. Forschungsergebnisse sind immer Antworten auf bestimmte Fragestellungen, die bestimmte Einstellungen und Werte voraussetzen. Wenn man also diese Tatsachen nicht anerkennt und nur seine Grundeinstellungen unhinterfragt gelten läßt, kann man auch von einem blinden oder fanatischem Glauben sprechen, auch wenn sich dieser hinter der Anwendung wissenschaftlicher Methoden versteckt. Heutzutage müßte man eine solche Einstellung eigentlich schon wieder als unwissenschaftlich bezeichnen. Man bezeichnet eine Einstellung, den Rationalismus als genügende Grundlage der Lebensführung zu sehen und die Tendenz, die Wissenschaften auf Kosten anderer Kulturgüter und Denkweisen überzubewerten, auch als Szientismus[^10]. Der deutsche Soziologe Theodor Geiger (1891-1952) z.B. forderte gar eine ‘planmäßige Intellektualisierung des Menschen und seine Schulung in Gefühlsaskese’ und sagte dem Glauben an sich den Kampf an.
Jede Gläubigkeit, auch die an die Autorität der Wissenschaft, kann jedoch, wenn sie blind oder fanatisch ist und nicht auf innerer, wertender Selbstreflexion beruht, ähnlich fatale Folgen haben, wie blinder Glaube, der religiös motiviert ist. Früher hat man mancherorts Hexen verbrannt, vielleicht sogar in der Überzeugung etwas Gutes zu tun. Ein Experiment, das ‘Milgram-Experiment’[^11], zeigte, daß viele Menschen im Namen der notwendigen ‘wissenschaftlichen Forschung’, was für sie eine höhere Instanz darstellte, bereit waren, anderen Menschen gefährliche, ja sogar tödliche, Schmerzen zuzufügen.
Heute gibt es die starke Tendenz, alles betriebswirtschaftlichen Beurteilungen zu unterwerfen. Im Namen der Effizienz rationalisiert man überflüssige Arbeitskräfte einfach weg. Daß diese gesamte Sichtweise oberflächlich und einseitig ist, dürfte eigentlich nicht so schwer einzusehen sein, wenn man bedenkt, daß auf der anderen Seite die Sozialausgaben für die Menschen, die von solchen Maßnahmen betroffen sind, ständig steigen und unbezahlbar werden. Trotzdem wird an dieser Ego-zentrierten[^12] Vorgehensweise festgehalten. Das Gemeinwohl spielt eine sehr untergeordnete Rolle, ebenso das Erleben des einzelnen Menschen, der schließlich das Gefühl benötigt, gebraucht zu werden und in einen ihm entsprechenden sozialen Kontext eingebunden zu
sein.
Der Wert des Menschen definiert sich nicht mehr über das Sein, die Kreativität und das
Erleben, sondern über die Produktivität für das System. Entscheidungen über Schicksale werden in erster Linie aufgrund von Zahlen, Statistiken und Prognosen getroffen, wobei der Profit im Mittelpunkt steht und nicht menschliche Bedürfnisse nach Sicherheit, Stabilität, Arbeit usw.. Alles wird dahingehend einer strengen ‘Erfolgskontrolle’ unterzogen, ob das in Angriff genommene Werk auch wirklich profitabel genug ist. Der Wert eines Prozesses der menschlichen Entwicklung eines Individuums spielt dabei keine Rolle, es sei denn die Erkenntnis setzte sich durch, daß dieser den Profit steigere. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf das Bild des Menschen. Kinder und vor allem alte Leute sind in diesem Sinne nicht produktiv, ihr Sinn hat sich nach einem solchen Maßstab entweder noch nicht erfüllt oder bereits
erschöpft.
Ich finde, eine Erfolgskontrolle an sich ist nicht schlecht, es stellt sich nur die Frage, welche Ziele und Werte dahinter stehen. Man könnte sich doch mal vorstellen, das Ziel zu setzen, ein Unternehmen dürfe sich nicht an der Gemeinschaft bereichern und habe eine soziale und kulturelle Verantwortung zu tragen. Dies sollte dann einer ernsthaften Kontrolle unterzogen werden. Am erfolgreichsten könnte sein, wer sich am Meisten für der Gemeinschaft der Umwelt und dem Menschen dienliche Zwecke eingesetzt hat, erfolglos sollte der heißen, der sich nur selbst reich macht. Die vergebenen Punktzahlen auf einem Index für derartige Bewertungen, könnte auch ich mit Begeisterung verfolgen. Die Aktionäre an den derzeitigen internationalen Börsen z.B. würden, meiner Meinung nach, trotz ihrer heute als große Erfolge bewerteten Ergebnisse, unter dieser Fragestellung größtenteils nicht besonders gut abschneiden.
Die Effizienzorientierung führt auch dazu, daß die Verantwortung des einzelnen für das Gesamtgeschehen aus den Augen verloren geht. Jeder ist nur noch dafür verantwortlich seinen kleinen Aufgabenbereich effizient auszugestalten und zu erfüllen. Es ist kaum noch möglich, ein universelles Wissen zu erlangen. Alle Aufgaben werden zunehmend von Experten erledigt, die tendenziell gesehen sich dermaßen auf ihr Gebiet spezialisieren, daß sie von anderen Gebieten meist keine Ahnung mehr haben. Auf diese Weise behauptete Eichmann, der für den Transport der Juden in die Konzentrationslager zuständig war, keine Verantwortung für die Formulierung nationalsozialistischer Ziele gehabt zu haben. Seine Aufgabe sei es gewesen, viele Menschen schnell von einem Ort zum anderen zu transportieren. Auf diese Weise hören wir von und erfahren die Zerstörung der Umwelt, haben aber das Gefühl, nicht selbst dafür verantwortlich zu sein, bzw. etwas unternehmen zu können. Ist es nicht irgendwo eine Spaltung des Bewußtseins, auf der einen Seite um die Gefahren des eigenen Überlebens bei fortschreitender Umweltzerstörung zu wissen, andererseits ständig an diesem Prozeß mitbeteiligt sein zu ‘müssen’, da man genug damit zu tun hat, die eigenen Probleme, die das Leben und Überleben an einen stellt, zu bewältigen. Für die Auseinandersetzung dafür, eine Lösung allein schon für dieses eine, die Allgemeinheit betreffendes Problem, zu finden und daran mitzuarbeiten, findet man auf diese Weise normalerweise kaum Zeit und wenig Motivation.
Es ist in den letzten Jahren viel von einem Paradigmawechsel und einem ‘neuen
Denken’, feststellend oder fordernd, gesprochen worden. Gemeint ist meist die
Überwindung des mechanischen Weltbildes durch neuere Erkenntnisse in den
Wissenschaften im 20.Jahrhundert. Als erstes muß man wohl feststellen, daß das Weltbild des Westens zum einen sehr stark vom Christentum geprägt ist und zudem ein dualistisches ist. Es wird alles aufgesplittet in ‘gut und böse’, ‘ich und die anderen’, ‘Gott und Teufel’, ‘wahr und falsch’. Die aristotelische Logik verbot ein ‘sowohl als auch’. Die Menschen sind von der übrigen Natur getrennt, die Natur sollte gemeistert werden, ‘die Erde sich untertan gemacht werden’. Die Naturwissenschaften betrachteten das Universum als eine große Maschine, deren Funktionszusammenhänge durch sorgfältige Analyse ihrer verschiedenen Teile entdeckt werden könnten. Die Sozialwissenschaften richteten sich ebenfalls nach diesem Modell aus und betrachteten den Menschen vorerst als ein von seiner Umgebung losgelöstes Objekt. Eine lineare Sicht von Zeit, Raum und Kausalität sind für diese Art der wissenschaftlichen
Betrachtungsweise charakteristisch. Diese Art der Untersuchungen waren in gewisser Hinsicht sehr fruchtbar, brachte sie doch unsere technischen Errungenschaften hervor, die unser Leben in vieler Hinsicht angenehmer gemacht haben. Heute muß man allerdings, angesichts der drohenden Selbstzerstörung durch eben diese Errungenschaften und deren Möglichkeiten, ihren Wert neu überdenken. Die Ganzheit der lebenden Organismen und ihre Einbeziehung in die Umwelt wurde vernachlässigt. Das traditionelle östliche Denken, die Kultur, Religion und Lebensstil suchten demgegenüber eher die Einheit von Mensch und Natur zu verwirklichen und nicht als Beherrscher, sondern als Teil aufzutreten. Das Bewußtsein des Menschen tritt in den östlichen Religionen, insbesondere im Buddhismus, als veränderbare Größe auf[^13]. Nicht die autonome, individuelle ‘Seele’, sondern die individuelle Beziehung zum Ganzen stellte eine, oft durch ausgefeilte Meditationstechniken, zu verwirklichende Tatsache da. Heute ist dazu natürlich zu sagen, daß dieses Denken auch im Osten nicht selbstverständlich ist, die westliche Denkart, Wissenschaft und Technik hat, samt ihren Verführungen und Gefahren, ihren Siegeszug in alle Himmelsrichtungen angetreten und überall die Gesellschaften tiefgreifend beeinflußt. Das mittelalterliche Wahrnehmung der Welt fragte bei ihren Untersuchungen noch nach Ethik und Bedeutung der Dinge in
Beziehung zu Gott oder der menschlichen Seele. Im 16. u. 17. Jahrhundert fing das Bild von der Welt als gigantischer Maschine an, sich zu etablieren. Historiker bezeichnen diese Zeit als das Zeitalter der wissenschaftlichen Revolutionen. Descartes (1596 - 1650) brachte es auf den Punkt: man solle nur an das was vollständig bekannt und zu dem wissenschaftlich erwiesen sei, glauben. Erst die Physik des 20.Jahrhundert, besonders die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, relativierte eindeutig diese Anschauung und zeigte, daß es in der Wissenschaft keine absolute Wahrheit gibt und daß alle Vorstellungen und Theorien nur begrenzt gültig sind und sich der Wirklichkeit nur annähern können. Der Subjekt-Objekt Dualismus wandelte sich hin zu Interaktionsfeldern. Biologie und Sozialwissenschaften veränderten ihr Interesse in
Richtung Ganzheitsqualitäten, in den Verhaltenswissenschaften führte dies zu Feldtheorien, der Gestalttheorie und Systemtheorien. Die Folge ist das Einbeziehen einer ‘sowohl als auch’ gegenüber der ‘entweder oder’-Sichtweise. In der Physik erkannte man, daß das mechanische Bild der Mikroebene durch die Vorstellung der energetischen Beziehungsfeldes ergänzt und relativiert wurde. In der Verhaltensforschung wird die Determiniertheit des Menschen untersucht, andererseits geht man von dem freien Willen und der autonomen Persönlichkeit aus. Die systemische Vorstellung läßt ein ‘sowohl als auch’ zu, der Mensch setzt sich selbst aus Untersystemen zusammen und ist Teil größerer Systeme.
Es bleibt jedoch die Frage offen, wie sich eigentlich neue Erkenntnisse und die Forderung nach einem neuen Denken in den Köpfen und Herzen der Menschen verankern können, so daß sie auch das tägliche Leben und den Umgang miteinander und mit der Umwelt tatsächlich bestimmen. Das geht, im weitesten Sinne, nur durch Erziehung. Wir ‘wissen’ um die Gefährdung, wir ‘wissen’ theoretisch von dem überholten Denkmodellen und es gibt sogar neue, bessere. Es gibt Lösungsmöglichkeiten, die Wissenschaft wäre durchaus in der Lage, ihren Teil zu ihrer Entwicklung beizutragen. Was aber hindert die Umsetzung? Die Einsichten sind größtenteils auf der Stufe der Erkenntnisse stehengeblieben, sie haben noch keine wirkliche Vertiefung in den Menschen gefunden und sind so noch nicht in der Lage auf ihre Charakterstrukturen einzuwirken, so daß die unbewußten negativen dadurch Tendenzen wirklich umgewandelt würden. Unsere Kultur beharrt zum größten Teil auf ihrem dualistischen Denken und hat dieses bis in die entferntesten Winkel der Welt exportiert und droht sogar daran zugrunde zu gehen. Die Menschen haben noch keine echte Möglichkeit gefunden, die so tief verwurzelte Egozentrik zu überwinden. Wir kennen z.B. die Erkenntnisse der Unermeßlichkeit des Weltalls oder der erschreckenden Leere, die sich durch die Einsicht bei der Betrachtung von Atomen auftut, daß es eigentlich nichts gibt, das als fest bezeichnet werden kann und alles flimmernde Energie ist, in der Stabilität ein dynamisches Gleichgewicht bedeutet. Wir sehen die Durchdringung und Ähnlichkeit von Mikro- und Makrokosmos. Wir kennen die Bilder unseres Planeten aus der Perspektive von Astronauten, die die Erde als einen riesigen Organismus erscheinen lassen und wissen, daß diese Wahrnehmungen für viele der Astronauten ein zutiefst spirituelles Erlebnis darstellten, das ihr Verhältnis zur Erde völlig verändert hat. Warum müssen wir ihre systematische Zerstörung im Interesse einiger weniger wahrnehmen und die andauernden, wahnsinnigen und leidvollen Kriege erleiden, obwohl doch die evolutionäre Psychologie von dem Menschen als verhandelndem Wesen ausgeht, dessen überragende Eigenschaft in seiner sozialen Intelligenz liegt. „Die evolutionäre Psychologie will nachweisen, daß die Quantensprünge der menschlichen Entwicklung vor allem deshalb möglich wurden, weil unsere Vorfahren kooperierende Wesen waren, die sich mit nicht verwandten Artgenossen zusammentaten und mit ihnen komplexe und andauernde Beziehungen aufrechterhalten konnten. Nicht im Überlisten, Verdrängen oder Vernichten von Konkurrenten bestand der evolutionäre Fortschritt unserer Urahnen....“[^14] Wie kommen wir aus der Zentriertheit auf unser Ego und der Identifikation nur mit unserer Gruppe, hin zu einer ganzheitlicheren Wahrnehmung der Welt und unserer Verantwortung in ihr? Wie kann man es schaffen, daß soziale Zusammenschlüsse nicht nur materiellen Vorteilen nacheifern und, daß es sich im Bewußtsein verankert, daß der kurzfristige Vorteil Weniger am Ende Allen schadet.
Eine wirkliche Veränderung kann nur über die Erziehung und der Änderung der grundlegenden Welt- und Wertanschauungen in den Menschen selbst realisiert werden.
Laut Wolfgang Brezinka leben wir in einer ‘wertunsicheren Gesellschaft’, die von einer Individualisierungstendenz, die zu einem Schwinden gemeinsamer Grundideale geführt hat, geprägt ist. Unsere Gesellschaft ist pluralistisch, d.h. in religiöser, weltanschaulicher, moralischer, ästhetischer und politischer Hinsicht uneinheitlich und widersprüchlich. Selbst allgemein anerkannte Werte, wie die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, die auch die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft betonen, werden heute oft sinnwidrig und individualistisch ausgelegt. Er sieht es deshalb als Aufgabe des Staates in einer pluralistischen Gesellschaft, gemeinnützige Teilgruppen, von denen sie spirituell und moralisch lebt, zu stützen und gesellschaftliche Grundideale zu verbreiten. Dem öffentlichen Erziehungswesen, aber daneben eben auch den nichtstaatlichen Organisationen, kommt bei der Stützung gemeinwohlorientierter Ideale eine besondere Bedeutung zu.[^15]
Erziehung hat immer auch etwas mit bestimmten dahinterliegenden Zielen zu tun, die die angestrebten Eigenschaften, Fähigkeiten oder Verhaltensweisen von Menschen betreffen. Sie gründen auf den Idealen, die für alle Menschen aufgestellt werden und Bestandteile der normativen Kultur einer Gruppe sind, und gelten damit für jedes ihrer Mitglieder. Sie können von sehr einfach bis äußerst komplex formuliert sein, z.B. ‘Lesefähigkeit’ bis hin zum Ideal des ‘universellen Menschen’ der italienischen Renaissance, das als Begriff eine Menge Untereigenschaften und Fähigkeiten mitimpliziert. Ideale wie z.B. die ‘Gottähnlichkeit’ bei Platon und den Stoikern oder auch die ‘Gottebenbildlichkeit’ bei den Christen haben sich in der Geschichte für die Erziehung als einflußreich und für die Anhänger dieser Lehren als interpretier- und konkretisierbar erwiesen. Solche Ideale können auch im Laufe der Zeit öffentliche Zustimmung finden und zu gesellschaftlich gebilligten oder sanktionierten Idealen werden und in Moral- und Rechtsvorstellungen Eingang finden.
Psychologisch gesehen gehören Glaubensüberzeugungen zu den Einstellungen, unter denen man psychische Dispositionen versteht, die den Erlebnisablauf steuern, die Persönlichkeit stützen und entlasten sowie das Denken, die Stellungnahmen und das Handeln bestimmen. Selbst der konsequenteste Skeptiker, der behauptet an nichts zu glauben, glaubt an seinen ‘Skeptizismus’, ohne eine Grundüberzeugung ist man im Leben letztlich handlungsunfähig.
Da Erziehungsziele Normen sind, schreiben sie etwas vor, was gesollt oder gewollt ist, und ihr Aufstellen ist immer von gewissen wertenden Stellungnahmen abhängig. Selbst der um größtmögliche Objektivität bemühte Aufsteller von solchen Zielen kommt trotz Einbeziehung von empirischen Erkenntnissen und rationalen Analysen nicht darum herum, bestimmte Wertungen und Entscheidungen zu treffen, die letztlich auf Kriterien zurückzuführen sind, die der vorherrschenden Weltanschauung entstammen. Neutralität, auch für den Staat, in der Aufstellung von Erziehungszielen ist in diesem Sinne nur begrenzt durchführbar, da alle Erziehungsziele weltanschauliche Grundlagen haben.[^16] Ein Problem heute ist, daß die Werteorientierung der Gesellschaft zu einer Überbetonung der Individualisierung neigt, ohne ein integrierendes, weltanschauliches, einbindendes Konzept anzubieten. Als Folge davon sehen wir die die starke Vereinzelung (teilweise Vereisamung), fehlende Sinnfindung und die dadurch entstehende Tendenz zum Nihilismus und zu der plumpen Suche nach Befriedigung des Hedonismus. Ohne gemeinsame Glaubensgüter, d.h. als Kulturgut zu betrachtende Glaubensüberzeugungen, gibt es keinen Zusammenhalt menschlicher Gemeinschaften.
Die weiter oben angedeutete Wissenschaftsgläubigkeit, der ohne Gegengewicht gemeinschaftsauflösend wirkende Liberalismus und die mit ihr einhergehende Kritik und das Mißtrauen gegenüber Religionen, denen früher die Aufgabe der Bildung einer verbindenden Auffassung von Moral zukam, führte schließlich zu der heute bestehenden Unsicherheit, der inneren Leere und dem Mißtrauen gegenüber jeglichem überindividuellen Ideal. Besonders auch Viktor Frankl bemerkt in seiner Arbeit diese innere Leere in den Menschen und die Einsamkeit durch die fehlende menschliche Nähe[^17]. Horst E. Richter sieht das Individuum in eine Krise geraten und die Psychoanalyse vor die Aufgabe gestellt dem zu begegnen[^18]. Ideale sind in unserer
Kultur durchaus vorhanden, nur bleiben sie überwiegend unvermittelt oder in Unkenntnis. Das schafft meiner Meinung nach Unsicherheit und führt auf unter anderem auch zu dem heute ebenfalls festzustellenden Boom von tatsächlich gefährlichen Sekten, die einfache Lösungen versprechen, sich schließlich aber als autoritär und menschenverachtend entpuppen können und denen sich auch hauptsächlich verunsicherte Menschen anschließen. Brezinka zufolge führt die individualistische Gesellschaft zu einem großen Freiraum für persönliche Entscheidungen, andererseits zu einem großen Spielraum für zufällige Einflüsse auf die individuelle Wertorientierung. Ich denke, darüber hinaus führt es zu der gesteigerten Manipulationsanfälligkeit in den Wertorientierungen, wie sie auch von der Werbung interessenmäßig ausgenutzt wird.
Inwiefern nimmt nun die SGI, eine Bewegung für Frieden, Erziehung und Kultur, Einfluß auf die Menschen in unserer Gesellschaft?
Grundlage aller Aktivitäten für Frieden, Erziehung und Kultur der Soka Gakkai International ist der Buddhismus Nichiren Daishonins. Der Buddhismus Nichirens betont im Besonderen, daß der Buddha nicht irgendein besonderes Wesen ist, sondern ein Zustand, der potentiell in jedem Menschen vorhanden ist. Außerdem hat Nichiren einen Weg aufgezeigt, der dieses Potential durch das Chanten des - auf dem LotosSutra basierenden - Mantras ‘Nam-Myoho-Renge-Kyo’ erfahr- und nutzbar machen soll. Da ich weder diesen Buddhismus, noch die SGI als bekannt vorrausetzen kann, und diese nur im Kontext dieser philosophischer und geschichtlicher Zusammenhänge zu verstehen sind, ist des notwendig, diesem hier einen gewissen Platz einzuräumen.
Der Abriß der Geschichte des Buddhismus wie er hier erfolgt, ist, den Umständen Rechnung tragend, daß diese Arbeit nur einen begrenzten Rahmen hat, extrem verkürzt und selektiv. Ich versuche dabei die Auswahl so vorzunehmen, daß die für die Soka Gakkai und für den ihr zugrunde liegenden Buddhismus Nichirens relevanten geschichtlichen Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt werden.
Der Buddhismus ist eine Religion[^19], die vor etwa 2500 Jahren in Indien entstanden ist.
Das Indien der damaligen Zeit bestand aus einer Gesellschaft von verschiedenen
Stammesstaaten, die immer wieder um die Vorherrschaft rungen. Begründer ist der als Sohn des Fürsten des Stammes der Shakyas, Shuddhodana, geborene Siddharta Gautama, der auch unter dem Namen Shakyamuni[^20] bekannt ist. Von seiner Mutter, der Königin Maya, wird gesagt, daß sie nach seiner Geburt verstorben ist. Shakyamuni wurde von seiner Tante mütterlicherseits großgezogen, man sagt, er habe eine sensible und introspektive Natur gehabt. Er wuchs in einer luxuriösen Umgebung auf, in der er nichts entbehren mußte. Er hatte nicht nur mehrere Paläste und Diener, sondern auch eine gute Ausbildung. In seiner Jugend heiratete er die schöne Yashodara, mit der er einen Sohn namens Rahula hatte, der später einer der wichtigsten Schüler von Shakyamuni wurde. Shakyamuni war natürlich als der Nachfolger seines Vaters für die Thronfolge vorgesehen. Was war es nun also was ihn dazu bewog, diesen Anspruch aufzugeben, und sein Leben der Suche zu widmen, wie die menschlichen Leiden zu überwinden seien. Der Legende nach waren es Begegnungen mit einem Kranken, einem Alten, einem Leichnam und einem religiösen Asketen[^21], die in ihm die Frage nach dem
Sinn des Lebens lebendig werden ließen. Diese Frage wurde schließlich so groß, daß Shakyamuni sich entschloß, seinen Anspruch auf Thron und luxuriöses Leben, auf Frau und Familie, aufzugeben und ein Leben der Meditation und Askese zu beginnen. In gewisser Hinsicht kann man diesen Aufbruch auch als eine eindeutige Absage an den reinen Hedonismus betrachten. Tiefere Werte waren es, die Shakyamuni suchte. Die Geschichte von den vier Begegnungen zeigt, daß die Motivation der Suche Shakyamunis, darin lag, einen Weg zu finden die Leiden, die mit dem menschlichen
Leben verbunden sind, zu transzendieren. In der Philosophie des Buddhismus sind diese Leiden als die vier Grundleiden von Geburt, Alter, Krankheit und Tod, denen jedes Leben zwangsläufig begegnet, bezeichnet.
Nach seinem Verlassen des heimatlichen Palastes, auf der Suche nach der Wahrheit und einer geeigneten Geistesschulung, schloß sich Shakyamuni verschiedenen Lehrern an, wo er in Philosophie, Yoga- und Meditationsübungen unterrichtet wurde. Es heißt, er erlangte schnell den gleichen Stand der Einsicht und Kontemplation wie seine Lehrer und war dennoch nicht mit diesen Stufen der Erkenntnis zufrieden, so daß er weiterzog, um sich asketischen Praktiken zu widmen. Diese Praktiken bestanden in Atemkontrolle, Fasten, Kontrolle des Geistes und anderen Übungen, mit dem Sinn, sich selbst körperliche Qualen zuzuführen, seinen Geist dadurch zu stärken und schließlich das Leiden besiegen zu können. Die Härte, mit der Shakyamuni sich jahrelang diesen Übungen unterzog übertraf die der meisten anderen Asketen und beeindruckte diese deshalb sehr. Er konnte jedoch auch dadurch nicht die letzte befriedigende Antwort auf seine Suche finden, so daß er sein Fasten aufgab und eine ihm angebotene Schale Milchreis annahm, die ihm neue Lebenskraft verlieh.
Danach zog er sich zurück an einen Platz, der heute als Bodhgaya bekannt ist, und setzte sich unter einen Pippalabaum (eine Art Feigenbaum, später Bodhibaum[^22] genannt), mit dem festen Entschluß erst wieder aus der Meditation hervorzukommen, wenn er die Erleuchtung, die Antwort auf seine Fragen, gefunden hätte. Es heißt, daß Shakyamuni im Lotussitz verharrte und es mit Mara, der als die mythische
Verkörperung des Bösen galt, aufnehmen mußte. Mara ist für das Verständnis des
Buddhismus von Bedeutung, da es erst galt seine Funktion der Angst, der
Einschüchterung und Versuchung, des Hunger, des Durstes, der Sehnsucht, des Zweifels, der Feigheit und Überheblichkeit, zu überwinden, um die Erleuchtung zu erlangen. Angesichts von Shakyamunis unerschütterlicher Entschlossenheit, gab Mara schließlich auf und Shakyamuni erlangte die Einsicht[^23] in sein eigenes Wesen, welches er als identisch mit dem Wesen des Universums erkannte. Dieses Wesen des Universums, welches Shakyamuni erkannte, ist eine Gesetzmäßigkeit, die von den
Prinzipien von Ursache und Wirkung bestimmt ist und die Phänomene wie in einem Netz miteinander in Beziehung stellt. Weiterhin erkannte er, daß die Unwissenheit über dieses Wesen letztendlich die Ursache für die verschiedenen Leiden und Qualen des Lebens und das größte Hindernis für ein glückliches Leben darstellt. Man sagt, daß Shakyamuni einen längeren Zeitraum in der Freude über seine Erkenntnis verharrte und zweifelte, ob es Sinn machen würde, anderen Menschen überhaupt etwas davon zu erzählen. Er erkannte, daß es sehr schwierig sein würde, etwas so tief- und weitreichendes zu vermitteln. Der Sage nach soll ihn der Gott Brahma überredet haben, seine Einsichten nicht für sich zu behalten, und daß es sich lohne, auch wenn vielleicht nur wenige ihn verstünden. Also entschloß sich Shakyamuni das Gesetz des Lebens weiterzugeben und zu lehren. Dieses Verhalten des Buddhas, seine Einsichten und sein Wissen nicht nur für sich selbst zu nutzen, sondern auch anderen zu vermitteln, das von Mitgefühl geprägt ist, steht also am Anfang seiner Lehrtätigkeit. Man könnte auch sagen, wenn Shakyamuni sich anders entschieden hätte, würde wohl kaum je jemand in späteren Jahrhunderten etwas von ihm gehört haben. Außerdem ist es der Beginn seiner erzieherischen Tätigkeit, mit dem Entschluß, sich der Entwicklung anderer Menschen zu widmen und sie zu der gleichen Stufe der von ihm erlangten Einsicht zu führen. Eine Bezeichnung des Buddhas ist ‘unübertroffener Menschenerzieher’.[^24]
Die Erkenntnis und Einsicht in die Realität, die Shakyamuni erlangt hatte war intuitiver Art. Man muß allerdings dazu sagen, daß sie mehr war als rein subjektive Spekulation.
Heute kann man eher andersherum feststellen, daß die Einsichten, die durch die Wissenschaften gewonnen werden, sich den Vorstellungen, die im Buddhismus gelehrt werden, immer weiter annähern[^25]. Der Buddhismus erläutert die verschiedenen Methoden und Annäherungen, die Wahrheit zu erkennen anhand des Bildes der fünf Augen. Es werden dabei unterschieden: das Auge des Menschen, das Auge des Himmels, das Auge der Weisheit, das Auge des Gesetzes und das Auge des Buddhas.
Das Auge des Menschen steht für die normale Wahrnehmung durch das Sehen. Das
Auge des Himmels beinhaltet eine Einsicht in die feinen Veränderungen im Geist des Menschen. Das Auge der Weisheit beinhaltet die wissenschaftliche Art, die Dinge zu betrachten, also die Fähigkeit zu Erkenntnisvermögen, Vernunft, Abstraktion und Entdeckung von allgemeingültigen Gesetzen. Das Auge des Gesetzes und des Buddhas verweisen auf die Fähigkeit, die Dinge von einem tieferen und humanistischeren Standpunkt wahrzunehmen und sich selbst als Teil einer alles hervorbringenden und durchdringenden Lebenskraft zu erkennen.[^26]
Shakyamuni fing also an Lehrreden zu halten und Schüler um sich zu versammeln. Diese Lehrreden wurden erst nach seinem Tode schriftlich als die sogenannten Sutras zusammengetragen. Inhaltlich kann man auch heute noch große Unterschiede erkennen, wodurch auch begründet ist, daß es verschiedene buddhistische Schulen gibt, die auf unterschiedlichen Sutras basieren. Der Grund, daß Shakyamuni unterschiedliche Lehren von sich gab, lag in seiner Methode, seine Schüler zu unterrichten, sich ihrem Auffassungsvermögen anzupassen und die jeweils richtigen Worte für die anwesenden Personen zu finden. Der Buddhismus ist nicht als ein philosophisch ausgereiftes, großartiges Gedankengebäude entstanden, sondern aus den verschiedenen mündlichen Erläuterungen vom Buddha Shakyamuni. Er sprach dabei über die Realität und Wirklichkeit des Universums und des Lebens und die Möglichkeit, Situationen verändern zu können sowie Probleme und Leiden durch die Entwicklung von Weisheit und Einsicht zu überwinden. Eine rein spekulative Auseinandersetzung über die Natur lehnte Shakyamuni dagegen ab, weil sie vom Wesentlichen, der Transformierung des tatsächlichen Leidens, nur ablenke. Die Zahl der später aufgzeichneten Sutren ist nicht völlig bekannt, aber allgemein redet man von den 84.000 Sutren[^27]. Diese Sutren sind auch von unterschiedlicher Länge, die von sehr kurzen Erläuterungen bis hin zu mehrbändigen Werken reicht. Hinzu kommen in der Geschichte des Buddhismus noch viele Kommentare und Ausführungen bekannter buddhistischer Gelehrter. Einer davon, der in der Geschichte und Entwicklung des Buddhismus eine große Rolle spielte, ist Nagarjuna, dessen Gedanken auch von Karl Jaspers in seinem Werk ‘Die großen Philosophen’, neben denen von Shakyamuni selbst, ausführlicher behandelt werden.
Shakyamunis Leben war ab seiner Entscheidung das Gesetz zu lehren davon geprägt,
Lehrreden an seine rasch anwachsende Gemeinde von Schülern zu geben und auf Wanderschaft zu leben. Shakyamuni starb im Alter von achtzig Jahren, umgeben von seinen Schülern.
Nach dem Tod Shakyamunis wurde der Buddhismus vorerst mündlich von den Schülern des Buddhas überliefert und weitergereicht. In mehreren Konzilen wurden diese Überlieferungen später zusammengetragen und aufgezeichnet. Dabei kam es auch schon zu den ersten Uneinigkeiten ob der unterschiedlichen Lehren Shakyamunis und es entwickelten sich die beiden Hauptströmungen, Theravada (auch Hinayana genannt) und Mahayana[^28]. Der Theravada-Buddhismus ging davon aus, daß die Erlangung der Buddhaschaft für normale Menschen ein unerreichbares Ziel bleiben wird und setzte als eventuell noch erreichbares Ideal den Heiligen(Arhat), der seine Verblendungen und weltliche Begierden ausgelöscht hat. Diese Art des Buddhismus entwickelte sich zu einer Art Mönchsbuddhismus, den Laien obliegt dabei als Ausübung hauptsächlich die Unterstützung der Mönche durch Gaben und Spenden. Die Ausbreitung des Hinayana-
Buddhismus erstreckte sich hauptsächlich Richtung Süden, während der MahayanaBuddhismus eher den Weg nach Norden nahm, in vielen Gegenden jedoch wurden
Hinayana und Mahayana-Sutren nebeneinander studiert und gelehrt. MahayanaBuddhismus erkennt überall, in jedem Wesen und allen Dingen, die Buddhaschaft, und räumt ein, daß es theoretisch möglich ist, diese in sich selbst zu verwirklichen. Sein Ideal ist das des Bodhisattwas, eines auf die Erleuchtung ausgerichteten Wesens, das diese zurückstellt, um sich mitfühlend der Entwicklung und Überwindung des Leidens anderer zu widmen und sie in ihrer Vervollkommnung zu unterstützen. Der MahayanaBuddhismus wurde zum großen Teil von Laien-Anhängern getragen, da diese in ihm nicht so ausgeschlossen und unterbewertet wurden wie im Hinayana-Buddhismus. Es entwickelten sich verschiedene Schulen, Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. soll es in Indien bereits 18-20 verschiedene Schulen gegeben haben[^29].
Der Buddhismus kam ca.2. im .Jahrhundert n.Chr. auch nach China, wo er auf eine, ihm gegenüber sich skeptisch verhaltende, Jahrtausende alte Kultur stieß. Es entwickelten sich in verschiedenen Gegenden unterschiedliche Schulen heraus.
Tien t’tai ist ein Berg in China, nach dem die an ihm sich entwickelnde Geschichte der Tien t’ai-Schule benannt ist. Als geistiger Vorfahr dieser Schule gilt, wie für viele andere buddhistische Schule auch, Nagarjuna, der im zweiten oder dritten Jahrhundert in Indien lebte[^30]. Im Zentrum der Tien t’ai-Schule steht das Lotos-Sutra, welches von alters her im Mahayana-Buddhismus einen herausragenden Stellenwert einnahm, da es als der vollständigste Ausdruck von Shakyamunis Erleuchtung galt. Derjenige, der, trotz einiger bedeutender Vorgänger und Nachfahren, dieser Schule die entscheidende Prägung gab, war Chi-i (sprich Tschi-i, auch Chi-che), den ich im nachfolgenden der
Einfachheit wegen Tien t’ai[^31] nenne und der von 538-597 gelebt haben soll. Er gilt als der Meisterinterpret des Lotos-Sutras, seine drei Hauptwerke, die er auf der Grundlage seiner eigenen Meditation und Erleuchtung verfaßte, sind[^32]:
♦ „Die tiefe Bedeutung des Lotos-Sutra“ (jap.: Hokke-gengi; ein Werk, das das Wesen und die Prinzipien dieses Sutra erklären will und eine Systematisierung aller Lehren des Buddhas bzw. eine Synthese aller Systeme des Buddhismus dastellt, wobei das Lotos-Sutra im Mittelpunkt steht); es enthält ebenfalls eine Erläuterung und ausführliche Interpretation jeder Silbe des Titels des Lotos-Sutras (jap.: Myo-HoRenge-Kyo), in welchem die Bedeutung des gesamten Sutras enthalten sein soll[^33].
♦ „Worte und Schätze des Lotos-Sutra“ ( jap.: Hokke-mongu; ein Textkommentar, der jedes Wort des Lotos-Sutras behandelt)
♦ „Große Konzentration und Einsicht“ (jap.: Maka-shikan, gilt als das wichtigste Werk und enthält zum einen tiefe theoretische Erörterungen (das Prinzip ‘ichinen ssansen’ - dreitausend Bereiche in einem Augenblick) und zum anderen praktische
Meditationsanleitungen, die dem sie Ausübenden ermöglichen soll, in sich selbst den Lebenszustand der Buddhaschaft zu entdecken. Er faßte die Lehren über Meditation aus dem gesamten Leben des Buddhas im Konzept ‘ichinen’ zusammen und alle lebenden Wesen und deren Umgebung in den Begriff ‘ssansen’[^34].
Das Konzept, welches Tien t’ai auf der Basis des Lotos-Sutras entwickelte, war das Prinzip von ‘ichinen ssansen’(dreitausend Lebenswelten in einem einzigen Augenblick), welches einen Versuch darstellt, die gegenseitig alles einschließende Verwandtschaft der letzten Wahrheit und der Welt der Erscheinungen, dem Absoluten und dem Relativen, zu erklären[^35]. Außerdem gab Tien t’ai eine umfassende Erläuterung darüber ab, warum Shakyamunis Lehren sich zum Teil widersprachen und teilte die Sutren ein, in bestimmte Zeitabschnitte und Perioden, wann sie von Shakyamuni gelehrt wurden, und in ihre jeweilige relative Tiefgründigkeit.
Dengyo Daishi[^36] (auch Saicho), nachfolgend Dengyo genannt, lebte von 762-822 und war derjenige, der den japanischen Zweig der Tien t’ai-Schule in Japan kreieren und etablieren sollte. Er reiste im Jahre 804 nach China, um dort die verschiedenen buddhistischen Schulen zu studieren. Er war von der Universalität der Tien t’ai-Lehren überzeugt und lehrte dessen Meditationsanweisungen. Die japanische Tien t’ai(jap.: Tendai)-Schule entwickelte im Laufe der Zeit, vor allem durch das Wirken von Dengyo, ihren eigenen Charakter. Sie vermischte sich später zum Teil mit Elementen des esoterischen Buddhismus (jap.:Shingon).
Nichiren Daishonin wurde 1222 in dem Küstenort Kominato im Osten der Provinz Awa als Sohn von Fischersleuten geboren. Er bekam den Namen Sen-nichi-maru (gute Sonne). Der Tatsache, daß er aus bescheidenen Verhältnissen und aus einer Familie stammt, die sich durch Fischfang ernährt, kommt eine besondere Bedeutung zu. Fischfang war eine Tätigkeit, die, da sie darauf aufbaut Tiere zu töten, in der Tradition des Buddhismus vermieden werden sollte und stand deswegen in geringem Ansehen. Außerdem unterscheidet sich Nichiren in seiner Herkunft deutlich von Shakyamuni, der als Sohn eines Herrschers geboren wurde. Nichiren sagt von sich selbst, er sei als „der Sohn einer Chandala-Familie“[^37] geboren worden. Die Chandala sind die niedriegste Stufe des indischen Kastensystems. Diese Aussage soll die Lehre Nichirens verdeutlichen, daß durch die korrekte Ausübung des Buddhismus jeder Mensch, egal welchen Standes, die Möglichkeit hat, die Buddhaschaft selbst zu verwirklichen. Mit 11 Jahren begann er seine buddhistische Ausbildung in einem Tendai-Tempel[^38] nahe dem Dorf Kominato und wurde von dem Abt Dozen unterrichtet. Seine Motivation
Buddhismus zu studieren beschreibt Nichiren später eindrucksvoll in einem seiner Briefe: „Seit meiner Kindheit habe ich den Buddhismus mit einem einzigen Gedanken im Sinn studiert. Das Leben eines Menschen ist auf geradezu ergreifende Weise vergänglich. Ein Mensch stößt seinen letzten Atem aus ohne die Hoffnung, einen weiteren Atemzug zu tun. Nicht einmal der Tau, getragen vom Wind, reicht aus, diese Vergänglichkeit zu beschreiben. Niemand, weise oder närrisch, jung oder alt, kann dem Tod entrinnen. Daher war es mein einziger Wunsch, dieses ewige Geheimnis zu lüften. Alles andere war zweitrangig.“ [^39]
Mit 15 Jahren wurde er ordiniert und nahm den Namen Rencho (langeblühender Lotos).
Während seiner Fortbildung wurde Rencho mit den verschiedenen buddhistischen
Richtungen und Praktiken vertraut gemacht. Bei diesem Studium kamen ihm wegen der Vielfalt buddhistischer Schulen und doktrinärer Widersprüche Bedenken, welches die korrekte Lehre und Absicht von Shakyamuni-Buddha gewesen sein mag. Er studierte in mehrere Jahre in Kamakura, hier vor allem die Jodo[^40]- und Zen-Schulen des Buddhismus. Er ging dann auch zu dem Berg Hiei, dem Mittelpunkt der Tendai-Schule, dem Berg Koya, dem Zentrum des Shingon-Buddhismus und anderen wichtigen Tempeln. Schließlich kam er zu dem Ergebnis, die wahre Lehre des Buddhismus im Lotos-Sutra, als dem Kernstück der Erleuchtung Shakyamunis, ausgedrückt zu finden. Die anderen Sutren weisen zu diesem Sutra hin und drücken Teilaspekte der in ihm dargestellten Wirklichkeit aus.
1253 kommt Nichiren zu seinem ersten Tempel zurück und hielt seine erste Lehrrede über das Lotos-Sutra und die zu ihm gehörende, für diese Zeit und die Zukunft passende Praxis des Chantens des Mantras ‘Nam-Myoho-Renge-Kyo’. Durch diese Ausübung könne jeder die in sich verborgene Kraft der Buddhaschaft hervorholen. Er fing auch an, andere buddhistische Richtungen zu kritisieren, da sie an unterlegenen Anschauungen festhielten, die die Menschen davon abhielten, ihre eigenes Potential voll zu entfalten. Wie wir später in der Beschäftigung mit der Philosophie des Buddhismus noch sehen werden, enthält die Lehre Nichirens ein hohen Maß an Verantwortung für das Individuum. Letztlich heißt es, daß die Menschen selbst verantwortlich für sich und ihre Umgebung sind, was die Verantwortung beinhaltet, diese in positiver Form zu gestalten. Besonders die Auslegung des Amida-Buddhismus kritisierte Nichiren wegen der Tendenz, diese Verantwortung nicht wahrzunehmen und in eine Art Paradies flüchten zu wollen. Der Amida-Buddhismus hatte seine Ausübung auf das Chanten des Mantras ‘Namu-Amida-Butsu’ gelegt. Durch das Anrufen des Buddhas Amida, wollte man in dessen reine Welt wiedergeboren werden, um dort dann in Ruhe das LotosSutra bis zur eigenen Erleuchtung zu praktizieren, was hier in dieser Welt als zu schwierig angesehen wurde.
Die Kritik, die Nichiren den anderen Schulen entgegnete, brachte ihn auf verschiedene Weise in bedrohliche Schwierigkeiten. Es war zu dieser Zeit in Japan überhaupt nicht üblich, die Obrigkeit zu kritisieren. Nichiren hingegen schrieb einen Brief[^41] direkt an den mächtigsten und einflußreichsten Mann seiner Zeit mit bestimmten Empfehlungen, wie man zum Wohl des Landes beitragen könnte und was dem entgegensteht. Er geht in dieser Schrift, die zu seinen wichtigsten zählt, auf die in dieser Zeit aufkommenden Hungersnöte, Dürrekatastrophen, Krankheiten und die drohende Kriegsgefahr durch die
Mongolen ein. Er erläutert, daß die Ursache für diese Schwierigkeiten in der Verwirrung der Menschen über die korrekte Lehre des Buddhismus ist, und zeigt verschiedene Beispiele aus unterschiedlichen Sutras auf, die diese Schwierigkeiten unter solchen Umständen voraussagen[^42]. Allgemein könnte man sagen, er führt die sein Land heimsuchenden Bedrohungen und Katastrophen auf eine spirituelle Krise und eine negative Orientierung und Einstellung der Menschen dem Leben gegenüber zurück. Sowohl seine Sorge für die Menschen, die Einmischung ins Geschehen der Gesellschaft und das Bemühen, zum spirituellen Wachstum und Wohergehen der Menschen beizutragen gelten auch heute als Vorbild für die Aktivitäten der SGI.
Damals wurde Nichiren Daishonin wegen seiner offenen Kritik an den verschiedenen buddhistischen Schulen und der Einstellung der Machthaber seiner Zeit verleumdet, verfolgt und schließlich mehrfach verbannt[^43]. Beinahe kam es zu einer Hinrichtung, die jedoch in letzter Minute vereitelt wurde[^44].
Nichiren verbrachte die meiste Zeit seines Lebens damit, zu studieren, seinen Buddhismus zu erläutern und Ermutigungsbriefe an seine Schüler zu schreiben. Die ständigen Anfeindungen und Verfolgungen bescherten ihm kein ruhiges Leben. Drei Jahre vor seinem Tod schrieb er den Dai-Gohonzon[^45] ein, welchen er als Objekt der Verehrung der Buddhaschaft allen Menschen nach seinem Tode widmete. Er verstarb am 13.Oktober im Jahre 1282, umgeben von seinen Schülern. Als Nachfolger bestimmte er seinen treuen, langjährigen Schüler Nikko Shonin[^46].
Nichiren schlug vor, sich selbst zusammen mit Shakyamuni, Tien t’ai und Dengyo, von denen er diese Linie des Buddhismus ererbte, als die ‘vier Meister des Buddhismus in den drei Ländern’ (Indien, China, Japan) zu nennen[^47].
Die Philosophie des Buddhismus Nichiren Daishonins wurzelt in der Tradition des Lotos-Sutras, welches auf Shakyamuni zurückgeht und der Tien t’ai-Schule, die das im Lotos-Sutra ausgedrückte Lebensgesetz durch das Prinzip ‘ichinen ssansen’ ausdrückt. Nochmals sei darauf hingewiesen, daß die Darstellung dieser umfassenden Philosophie sehr schwierig ist und hier von mir nur angerissen werden kann. Der Buddhismus Nichirens ist, ausgehend von dieser umfassenden Philosophie, eher praxisorientiert. Er ist daran interessiert die Möglichkeit, die weitreichenden Theorien durch konkrete Erfahrungen im Leben des Individuums lebendig werden zu lassen, aufzuzeigen.
Die Vorstellung vom Leben, die im Buddhismus gelehrt wird, sieht die Phänomene als
Teile und Ausdruck eines Lebensgesetzes. Das Leben selbst hat weder Anfang noch Ende, ist in diesem Sinne ewig. Die Phänomene befinden sich in einem ständigen Fluß der Veränderung, dem der Rhythmus des Gesetz des Lebens zugrunde liegt. Dieser Rhythmus besteht aus den beiden sich ständig wiederholenden Phasen der Entstehung und des Vergehens (Leben und Tod). Dies gilt für alle Phänomene, also auch das Leben eines Menschen. Das Kausalprinzip von Ursache und Wirkung besagt, daß die Taten eines Menschen eine bestimmte Kraft erzeugen, die auch über den Tod des individuellen Lebens hinaus fortbesteht und sich in der Verkörperung eines neuen Lebens zeigt. Schicksal ist deshalb nicht eine Art Vorbestimmung einer äußeren Macht, sondern etwas, das man selbst durch eigene Taten (Gedanken, Worte, Handlungen) geschaffen hat und verändern kann. Die bedeutet zum einen eine bis in die Tiefe reichende Selbstverantwortung, was die Gestaltung des eigenen Lebens betrifft und gibt einem die
Möglichkeit, durch die Veränderung der eigenen Einstellung und Taten, sein Leben umzugestalten. Dies hört sich theoretisch natürlich einfacher an als es ist, denn die Taten (Karma - siehe Glossar, S.72)) aus früheren Leben haben eine bestimmte Lebenstendenz geschaffen. So bedarf es einer enormen Energie, diese eventuell schiefliegende (also die Leiden vergrößernde) Tendenz umzuwandeln. Diese Energie wird im Buddhismus durch die Meditation versucht hervorzuholen. Sie soll einen mit tieferen, teilweise unbewußten Schichten des eigenen Selbst in Verbindung bringen und zu tieferen Einsichten der Wirkungsweise des Lebens führen.
Das Lotos-Sutra ist eine Schrift, die im 1.Jahrhundert in Indien verfaßt wurde. Sie gilt als der umfassendste Ausdruck von Shakyamunis Erleuchtung und wird oft als die ‘Bibel Ostasiens’ bezeichnet. In Sanskrit heißt dieses Sutra ‘Saddharmapundarikasutra’, im Chinesischen ‘Miao-fa Lien-hua’, im Japanischen ‘Myoho-Renge-Kyo’. Die maßgebliche Fassung Kumarajivas[^48] besteht aus 28 Kapiteln, die in 7 bzw. 8 Bücher eingeteilt sind.
Die beiden wichtigsten Kapitel für den Buddhismus Nichirens sind das 2. (HobenKapitel) und das 16.(Juryo-Kapitel). Hoben bedeutet soviel wie ‘geschicktes Mittel’. Es erklärt u.a., daß die verschiedenen Sutren und Lehren Shakyamunis als Mittel, um das Verständnis der Zuhörer zu erhöhen, dienten und erwähnt die Funktionsweise des Lebensgesetzes durch zehn Lebensfaktoren. Das Juryo-Kapitel verwirft die Vorstellung, daß Shakyamuni die Erleuchtung das erste Mal in Indien unter dem Bodhibaum erlangte und deutet die Ewigkeit des Lebens an, der Tod des Buddhas wird zum Lehrer und zum Mittel, um die Menschen auf den Weg zu bringen. Das Lotos-Sutra lehrt als einziges Sutra die Möglichkeit, daß ausnahmslos alle Menschen, selbst solche, die Schlechtes getan haben[^49] oder wegen ihrer Überheblichkeit[^50] als davon ausgeschlossen galten, die Buddhaschaft erlangen können. Im 11.Kapitel erscheint ein riesiger juwelenbesetzter
Schatzturm, der die Größe des Lebens symbolisieren soll. Im 15. Kapitel gibt es eine
Szene, in der unzählige Bodhisattwas aus der Erde erscheinen und schwören, das Lotos-Sutra zu bewahren. Diese Szene ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die Soka Gakkai-Buddhisten sich mit diesen Bodhisattwas aus der Erde identifizieren. Im weiteren Sinne bedeutet dies, die Wahrheit, daß jeder Mensch ein unbegrenztes Potential in sich trägt, zu lehren und Möglichkeiten der Realisierung dieser Tatsache aufzuzeigen.
„Ich habe gehört, was Schwätzer schwatzen, Geschwätz von Anfang und Ende, Ich aber schwatze nicht von Anfang oder vom Ende.
Niemals war mehr Anfang als jetzt,
Nie mehr Jugend und Alter als jetzt,
Nie wird mehr Vollkommenheit sein als jetzt,
Nie mehr Himmel und Hölle als jetzt...“
(Walt Whitman - Grashalme- „Gesang von mir selbt“)
‘Ein einziger Lebensaugenblick enthält dreitausend Bereiche’ ist das Prinzip, das von Tien t’ai in der Maka Shikan ausgearbeitet wurde. Petzold bezeichnete die Philosophie der Tien t’ai - Schule auch als Pantheistischen Realismus[^51]. Die dreitausend setzen sich zusammen aus der Multiplikation der zehn Welten (Hölle, Hunger, Animalität, Ärger, Menschsein, Himmel, Lernen, Teilerleuchtung, Bodhisattwa, Buddhaschaft), wobei jede alle anderen beinhaltet, mit den zehn Lebensfaktoren (die das mystische Wirken des Gesetzes des Lebens erläutern), wie sie im Hoben-Kapitel des Lotos-Sutras aufgeführt sind und mit den drei Bereichen der Existenz (Individuum, Gesellschaft, Universum). Alle diese Bereiche sind in dem einen, in jedem, Lebensaugenblick enthalten. Um eine kleine Vorstellung dieser Philosophie und ihrer Dynamik zu bekommen, sei hier kurz auf diese verschiedenen Bestandteile eingegangen.
####### 3.2.2.1 Der Lebensaugenblick (ichinen)
Das Prinzip ichinen ssansen beschreibt die Durchdringung des Mikro- und des Makrokosmos. Tien t’ai erklärte, daß der Geist und die Phänomene des Universums nicht voneinander zu trennen sind. Der ‘eine Geist’ durchdringt und umschließt das gesamte Universum.
####### 3.2.2.2 Die zehn Lebenszustände[^52] oder Welten
Die zehn Welten sind nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, als voneinander getrennte Lebensbereiche zu sehen. Sie stellen jeweils eine Beschreibung der momentanen Lebenswirklichkeit dar. Das Leben des Individuums weist zwar eine bestimmte Tendenz auf, die bewirkt, daß bestimmte Lebenszustände häufiger vorkommen, aber dies kann sich ständig verändern und ist dynamisch.
1.Hölle
Hölle ist die unterste der zehn Welten, ein Zustand des Leidens, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Es kann sich z.B. um eine schwere, schmerzhafte Krankheit handeln, die einen in ihrer Gewalt hat oder auch um das Erleben von Katastrophen oder Krieg. Ikeda sagt zu dem Zustand Hölle: „Hölle ist, kurz gesagt, ein Zustand des Zermalmt-Werdens von Qualen und der Unfähigkeit, etwas dagegen zu unternehmen. In diesem Stadium kann das Leben, gleichgültig wie lange es dauert, nicht erfüllt sein.“[^53]
2.Hunger
In diesem Zustand ist man von unersättlichen Begierden beherrscht, nicht nur nach Materiellem wie Nahrung, Kleidung und Geld, sondern auch nach Ruhm, Macht und ähnlichem.
3.Animalität
Im Zustand der Animalität ist der Mensch Sklave seiner instinktiven Begierden. Es herrscht der rücksichtslose Kampf ums Dasein, die Schwächen der Unterlegenen werden ausgenutzt, vor Stärkeren wird gekrochen. Zum Beispiel sah auch Pestalozzi im ‘Kampf aller gegen alle’ den tierischen Zustand[^54].
4.Ärger
Kimura sagt zu dieser Welt: „Im Zustand des Ärgers ist man von seinem selbstsüchtigen
Ego beherrscht, das andere verachtet und nur sich selbst anerkennt. Die zwanghafte
Vorstellung von der eigenen Überlegenheit läßt den Gedanken, anderen in irgendeiner Beziehung unterlegen zu sein, zur Unerträglichkeit werden.“[^55] Das führt dazu, daß man andere attackiert, um reale oder eingebildete Widersacher zu zerstören. Ärger zeigt sich durch Feindseligkeit, Neid und Gehässigkeit. Ärger kann auch im Inneren brodeln, ohne nach außen auf den ersten Blick sichtbar zu sein.
5.Menschsein (Ruhe)
Ein Zustand der Gelassenheit und des Friedens mit sich und der Welt, der von Intelligenz und gesundem Urteilsvermögen geprägt ist. Auch ist man in ihm in der Lage, sein triebhaftes Begehren durch Vernunft zu reflektieren und menschlich zu handeln.
6.Himmel (Entzücken)
Dieser Zustand ist geprägt von Freude aufgrund einer Hochstimmung, den die meisten Menschen als Glück empfinden. Es kann sich um die Befriedigung seiner nächstliegenden Begierden handeln oder über Freude aufgrund körperlichen Wohlergehens, Gesundheit und Vitalität. Die Freude ist jedoch vergänglich, oft dienen schon geringfügige Veränderungen der Lebensumstände als Anlaß.
Die sechs Zustände von Hölle bis Himmel werden die sechs Pfade genannt. Ihr Erscheinen und Vergehen gilt als von äußeren Umständen abhängig. Die meisten Menschen verbringen ihr Leben damit, sich in diesen Pfaden zu bewegen. Das gilt besonders für unsere extrem konsumorientierte Gesellschaft, in der es zur Methode geworden ist, sich den Zustand des Entzückens durch den Erwerb bestimmter Produkte erkaufen zu wollen. Die nachfolgenden vier Welten (Lernen, Teilerleuchtung, Bodhisattwa und Buddhaschaft) dagegen betritt man nur durch eigene Anstrengungen, die es einem ermöglichen, unabhängiger von äußeren Gegebenheiten zu werden und seinen Geist und sein Wesen emporzuheben.
7.Lernen
In diesem Zustand versucht man sich durch die Beschäftigung und Aneignung der Weisheit und des Wissens anderer, selbst zu verbessern und zu entwickeln.
8.Erkenntnis (Teilerleuchtung)
Der Zustand der Teilerleuchtung wird erlangt durch eigene Reflexionen, der Verbindung von Wissen und Intuition. Man erkennt zum Beispiel die Vergänglichkeit des Lebens anhand eines vom Baum fallenden Blattes. Auch tiefe philosophische oder wissenschaftliche Erkenntnisse und Einsichten oder die geniale Inspiration eines Künstlers gehen auf diesen Zustand zurück. Es wird auch ein größerer Grad der Unabhängigkeit, davon sich ständig beeinflussen zu lassen, erreicht.
Lernen und Erkenntnis werden auch als die zwei Pfade bezeichnet. Ihre relative Tiefe reicht jedoch noch nicht an die vollständige Erkenntnis der Buddhaschaft heran, sondern dient hauptsächlich der eigenen Vervollkommnung. Sie bergen noch immer die Gefahr zu überheblich zu sein, weil man die eigene Überlegenheit erkennt und sich deshalb für etwas besseres hält.
9..Bodhisattwa
In der Welt des Bodhisattwas überwindet man selbst die egoistischen Begierden, die nur der eigenen Entwicklung dienen wollen. Man erkennt die anderen als leidende Wesen, entwickelt Mitgefühl und den starken Wunsch, ihnen bei ihrer Entwicklung behilflich zu sein. Diese Ausübung erfordert Mut, die negativen Tendenzen in sich selbst zu konfrontieren und zu überwinden. Dieser Zustand motiviert letztlich auch die Aktivitäten der SGI und zielt gleichzeitig direkt darauf ab, den Zustand der Buddhaschaft im Leben zu erweitern.
10.Buddhaschaft
Die Buddhaschaft gilt als Zustand, der mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben ist.
Es ist ein Zustand vollkommener Freiheit und ungeheurer Lebenskraft, die aus der Erfahrung der eigenen Einheit mit dem kosmischen Leben herrühren. Daisaku Ikeda beschreibt sehr poetisch die Freude im Zustand der Buddhaschaft:
„Ihre Freude ist die Freude aller Freuden: eine unbeschreibliche Ekstase, die frei und spontan aus der innersten Essenz des Lebens hervorsprudelt. Es ist die Freude am Leben, die Freude an der Erde, die Freude an Bäumen und Blumen, die Freude an Gesichtern und Taten der Menschen - alles ist mit Freude durchdrungen. Jeder Atemzug, jede Handbewegung, jeder Schritt verursacht Freude, Dankbarkeit und Liebe für das Leben. Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind keine Leiden mehr, sondern Teil dieser Freude am Leben. Das Licht der Weisheit erhellt das ganze Universum und vernichtet die angeborene umnachtete Natur des Menschen. Der Lebensraum des Buddhas verschmilzt zu einer Einheit mit dem Universum. Das Selbst ist der Kosmos, und in einem einzigen Augenblick dehnt sich der Lebensfluß über Vergangenheit und Zukunft hinweg aus. In jedem gegenwärtigen Augenblick strömt die ewige
Lebensenergie des Kosmos wie eine gigantische Fontäne aus Energie und Stärke. Im
Leben der Buddhaschaft enthält jeder Augenblick die Ewigkeit, da die ganze Lebenskraft des Kosmos auf diesen einen Augenblick des Seins konzentriert ist. Ein Mensch im Zustand der Buddhaschaft spürt kaum, wie die physikalische Zeit vergeht, weil sein Leben in jedem Moment erfüllt und glücklich ist, als ob er die Freude am Leben bis in alle Ewigkeit erfahren würde.“[^56]
Die Erreichung der Buddhaschaft ist also, wie man sieht, kein Zustand der im Sinne eines Paradiesischen Zustandes erst nach dem Tod erlebt wird, sondern sich ganz konkret auf die jetzige, momentane Lebenswirklichkeit auswirken und diese bereichern kann.
Jede der Zehn Welten beinhaltet wiederum alle anderen neun in sich (ergibt 100 Welten). Dies deutet auf die Dynamik des Lebens hin, daß diese Zustände nichts feststehendes sind sondern sind ständiger Veränderung unterworfen und können von einem Augenblick zum anderen wechseln. Dies geschieht jedoch nicht zufällig, sondern nach einem gemeinsam zugrunde liegenden Prinzip, das in den zehn Lebensfaktoren ausgedrückt ist.
####### 3.2.2.3 Die zehn Lebensfaktoren
Die zehn Faktoren, die das Wesen des Lebens ausdrücken sollen, sind im HobenKapitel des Lotos-Sutras erwähnt. Es wird außerdem gesagt, daß das Wesen des Lebens nur von Buddhas verstanden werden kann; es geht also nicht um eine rein theoretische Erörterung einer bestimmten, gar technischen, Wirkungsweise, sondern eine auf einer tiefen Einsicht in das Leben selbst beruhende, essentierte Analyse der Wirkungsweise des Lebensgesetzes. Die zehn Faktoren sind eine Darstellung der Elemente, die uns veranlassen von einem Lebenszustand zum nächsten zu wechseln.
1.Erscheinung: beschreibt die äußere sichtbare Erscheinung eines Objektes. Auf den Menschen bezogen bedeutet deutet Erscheinung auf seine körperlichen und geistigen Anlagen hin.
2.Natur: drückt die von außen nicht wahrnehmbaren Eigenschaften aus, auf den Menschen bezogen meint dies die spirituellen Anlagen wie Geiste und Bewußtsein.
3.Wesen: es ist das Essentielle gemeint, es integriert und stützt die Natur und die
Erscheinung.
Diese drei Faktoren drücken auch die buddhistische Lehre der zeitweiligen Entstehung, des Verborgenen (oder Potentiellen) und des Mittleren Weges aus (jap.san-tai-Lehre).
4.Kraft: potentielle innere Energie, die auf die Umgebung gerichtet werden kann, die Fähigkeit zu agieren.
5.Einfluß: die konkrete Manifestation oder der sichtbare Einfluß der Kraft, bestehend aus Handlungen (geistigen u. körperlichen Aktionen).
6.innere Ursache: bedeutet die latente Voraussetzung für bestimmte Wirkungen, auch Karma genannt.
7.Beziehung: verhilft der inneren Ursache zu dessen konkreten Wirkung .
8.innere Wirkung: wird in der Tiefe des Lebens durch die innere Ursache und die Beziehung geschaffen.
9.äußere Wirkung: das konkrete wahrnehmbare Ergebnis der inneren Ursache und der verborgenen Wirkung zeigt sich - sie wird in Erfahrung umgesetzt und bringt spätere Reaktionen auf ähnliche Reize.
10.Übereinstimmung von Anfang bis Ende: Vereinigung der anderen neun Faktoren, die bei jedem und allen Dingen wirksam sind. Körperlich und geistige Aspekte sind in diesen Faktoren vereint, so daß im Buddhismus von der Einheit oder Untrennbarkeit von Körper und Geist, von Materiellem und Spirituellem, gesprochen wird.
Da die zehn Faktoren in jeder der hundert Welten wirkt, kommt man durch die Multiplikation auf 1000 Welten oder Bereiche.
####### 3.2.2.4 Die drei Bereiche der Existenz
In den drei Bereichen kommt zum Ausdruck, daß das Leben und seine Umgebung eine untrennbare Einheit bilden. Es handelt sich um:
1.Bereich des Individuums: das Subjekt als eine vorrübergehende Zusammensetzung der fünf Komponenten (Form, Wahrnehmung, Begriffsvermögen, Wille, Bewußtsein)
2.Bereich der Lebewesen: drückt aus, daß sich das ganze Individuum erst durch die Beziehung zu anderen zeigen und entfalten kann.
3.Bereich der Umgebung: Natur, Land, Lebensumgebung
Karmische Wirkungen zeigen sich sowohl in der Umgebung als auch im Leben des Menschen, weil beide derselben Wesenheit entspringen.
Die drei Bereiche der Existenz werden multipliziert mit den tausend Welten (oder
Bereichen) und man kommt auf die Zahl 3000 von ‘ichinen ssansen’ (dreitausend
Welten in einem Lebensaugenblick). ‘Ichinen ssansen’ bringt die Wahrheit zum Ausdruck, daß der menschliche Geist und das Universum ein und dieselbe Realität sind[^57]. Das Leben ist eine ständig in Bewegung befindliche, dynamische Angelegenheit. Ein Augenblick besitzt das Potential alle nur erdenklichen Lebens- und Erlebenswelten hervorzubringen. Die Buddhanatur ist kein Zustand fern der Realität des Alltags. Das Nirwana ist nicht ein Zustand des Auflösens oder der Enthebung der Notwendigkeit wiedergeboren zu werden, das ist nur eine vorläufige Vorstellung. Nirwana ist die Bezeichnung für die Freude, die im Leben erfahren werden kann, wenn man in sich die Welten des Bodhisattwas und des Buddhas aktiviert und mit dieser Kraft sowohl die unumgänglichen, zur Entwicklung benötigten existentiellen Probleme von Geburt, Alter, Krankheit und Tod überwindet als auch der Hilfe und Entwicklung anderer widmet. Materielle Dinge und spirituelle Dinge, Körper und Geist, sind nur zwei Seiten einer Medaille und in ihrem Wesen untrennbar miteinander verbunden. Es geht deshalb nicht darum Begierden auszulöschen, auch das ist eine vorläufige Ansicht, sondern sie als Antrieb für die Suche nach Erleuchtung zu nutzen. Das Leben wird durch seine Umgebung getragen und erschafft und gestaltet diese durch seine eigenen Taten und bildet ebenfalls in der Tiefe eine Einheit mit ihr. Das sind einige Aspekte, wie sie besonders in dieser buddhistischen Schule ausformuliert wurden.
Interessant ist es hier noch einen kurzen Blick auf die ‘Tiefenpsychologie’ des Buddhismus zu werfen.
Das Bewußtsein, welches wir normalerweise von uns haben, spiegelt nur einen Bruchteil dessen wider, was sich un- und unterbewußt in uns abspielt. Diese heute jedem geläufige Erkenntnis war schon von jeher das Spezialgebiet des Buddhismus. Man könnte sagen, daß in der Tradition des Buddhismus seit Hunderten von Jahren regelrecht nach den eigenen, tieferen Schichten des Bewußtseins geforscht wurde. Die Methode dafür waren die Meditationen, die zusammen mit der Reflexion und Unterstützung eines erfahreneren Lehrers ausgeübt und erlernt wurden. Die Vorstellung von den verschiedenen Bewußtseinsschichten wurde schon von Vasubandu, einem buddhistischen Gelehrten des 4.oder.5. Jahrhunderts entwickelt und später weiter ausformuliert.
Die ersten fünf Bewußtseinsarten entsprechen den Sinnen (Sehen; Hören, Schmecken, Tasten, Riechen). Die Informationen dieser Sinne, die von der Außenwelt kommen, werden gebündelt im sechste Bewußtsein, das als Bewußtseinszentrum definiert ist. Hier werden die ankommenden Informationen bearbeitet, selektiert und bewertet, bestimmte Reaktionen, positiv wie negativ, werden hevorgerufen (siehe die 5 Komponenten - 3.2.2.4-S.31). Die Komponente ‘Wille’ macht auch deutlich, daß eine Bewertung stattfindet und daß deshalb die Wahrnehmung der Welt immer auch eine wertende ist. Daraus folgen entsprechende Entscheidungen und Taten. Die fünf Komponenten machen deutlich, daß jedes Individuum seine eigene Welt erlebt, die aber in Abhängigkeit und Verbundenheit zur Umwelt steht. Diese Vorgänge sind uns zum großen Teil bewußt. Die siebte Bewußtseinsschicht wird als das Denkbewußtsein (Manas) bezeichnet. Hier ist der Ort der Erfahrungen und des Selbstbewußtseins, die Grenze zum normalerweise Unbewußten. Das Manas arbeitet ununterbrochen und ist auch oft der Kampfplatz zwischen Gefühl und Vernunft. Es entwickelt sich dort auch die Vorstellung eines ‘Ichs’. Diese Ich-Vorstellung und das Denken selbst sind aber unbeständig und werden wiederum von noch tieferen Schichten beeinflußt. Die siebte Bewußtseinsschicht ist das Alaya-Bewußtsein (Alaya: Anhäufung), das als Lagerhaus oder Schatzkammer des Karmas angesehen wird. Hier sind nicht nur die persönlich ausgeprägten Tendenzen gespeichert, sondern auch kollektive Tendenzen und schließlich die Erfahrungen der gesamten Menschheit. Noch tiefer als das AlayaBewußtsein liegt die neunte Bewußtseinsschicht, das Amala-Bewußtsein. Es ist der Urgrund des Lebens und wird verglichen mit dem Meer auf dem sich Wellen bilden, das aber in der Tiefe ruhig bleibt. Diese neunte Bewußtseinsschicht ist die inhärente Buddhanatur, die immer da war und unbeeindruckt von den Wechselspielen des Lebens
bleibt.
Das ‘ichinen ssansen’ Tien t’ais war eine hochkomplizierte Philosophie und auch ihre
Ausübung, d.h. ihre wirkliche innere Erkenntnis, erforderte viel Aufwand und Begabung. Es war nur möglich, die entsprechenden Ausübungen zu machen, wenn man sein ganzes Leben darauf ausrichtete. In er Tien t’ai- Schule wird die Erlangung der Erkenntnis des Universums ausdrücklich zu einer Sache gemacht, die alle unsere geistigen Fähigkeiten, auch das logische, diskursive, Analyse und Synthese beinhaltende Denken, in Anspruch nimmt, gemacht.[^58] Die Meditationen, die Tien t’ai neben umfangreichen Studien lehrte zielten darauf ab, in die tieferen Schichten des Bewußtseins abzutauchen und dort schließlich den Buddhazustand in sich selbst zu erkennen. Dazu bedurfte es bei ihm der Ausschaltung von störenden Sinneswahrnehmungen, um eine größere Konzentration auf die Vorgänge des eigenen Geistes zu lenken. Dann mußte man seine Konzentration immer weiter vertiefen, um die Stärke zu gewinnen, die unbewußten Triebregungen zu kontrollieren und immer weiter in die Welt der normalerweise unbewußten Schichten des eigenen Lebens abzusteigen. Wegen der eigenen Begierden und des Wirkens des Karmas war dies eine unglaublich schwierige und langwierige Prozedur. Das Ergebnis war, wenn man überhaupt in der Lage war so weit voranzuschreiten, das ‘Schauen des eigenen Herzens’[^59], die Selbsterkenntnis der Einheit mit dem Gesetz des Lebens und des Universums, der Bewußtwerdung der Buddhaschaft im eigenen Leben.
Der Buddhismus Nichirens geht, um das ‘Schauen des eigenen Herzens’ zu erreichen den umgekehrten Weg. Nichiren entwickelte eine Ausübung, die die innewohnende Buddhanatur des Menschen direkt anspricht und aktiviert. Er gibt den Menschen die Möglichkeit, diese Ausübung in ihrem persönlichen individuellen Leben durchzuführen, die daraus erwachsende Lebenskraft und Freude zu erfahren und auf konkrete Probleme anzuwenden. Begierden und Wünsche werden als Motor angesehen, um die eigene Entwicklung und die Entfaltung der Buddhanatur voranzubringen.
####### 3.2.4.1 Nam-Myoho-Renge-Kyo
Das Mantra[^60], das Nichiren entwickelte und als die passende Ausübung zur
Verwirklichung der Buddhaschaft für alle Menschen erklärte, ist ‘Nam-Myoho-RengeKyo’. In diesem Mantra, sagt er, seien alle Ausübungen und Meditationen des Buddhas vereinigt. Myoho-Renge-Kyo ist der Titel des Lotos-Sutras, der wie schon Tien t’ai ausführte, den Inhalt des gesamten Lotos-Sutras verdichtet. Nam-Myoho-Renge-Kyo ist laut Nichiren das kosmische Lebensgesetz selbst, welches durch die Rezitation dieser Formel im Leben des Ausübenden bewußt und nutzbar gemacht werden kann. Für diese Ausübung hat er ein Mandala[^61] entwickelt (Gohonzon[^62]), das dieses Gesetz und ichinen sszansen in chinesischen sowie Sanskrit - Schriftzeichen verkörpert und das sozusagen als ‘Spiegel’ der eigenen inneren Buddhaschaft fungiert, und vor dem das Nam-Myoho-Renge-Kyo rezitiert wird.
‘Nam’ ist ein Wort aus dem Sanskrit und bedeutet ‘Widmung’ oder ‘Hingabe’, diese Widmung umfaßt körperliche und geistige Aspekte, daher spricht man auch davon sich
‘mit seinem Leben’ zu widmen. ‘Nam’ beinhaltet eine Handlung von höchster Konzentration und einen meditativen Aspekt. Die Art der Meditation, die ‘Nam’ impliziert, beinhaltet zwar den Aspekt des in sich Versenkens, bedeutet aber gleichzeitig, sein Leben auf dieser Wahrheit aufzubauen und davon ausgehend zu handeln. ‘Myoho’ bedeutet ‘mystisches Gesetz’. ‘Myo’ hat die Bedeutung von a.vollkommen ausgestattet sein, b.öffnen und c.wiederbeleben. Vollkommen ausgestattet sein deutet auf die Buddhanatur des Menschen hin. Öffnen auf die Kraft und die Möglichkeit, diese in sich zu entdecken. Wiederbeleben verdeutlicht die Wirkung der Neubelebung, wenn man z.B. im Leben in eine Sackgasse geraten ist.
‘Myo’ bedeutet auch ‘wunderbar’ und beinhaltet die mystische verborgene Seite des Lebens, also auch den Tod. ‘Ho’ bedeutet ‘Gesetz’ und steht für das manifeste Leben und die Phänomene. ‘Renge’ bedeutet Lotosblume und gilt im Buddhismus als Symbol von Ursache und Wirkung, da die Lotosblume gleichzeitig die Blüte wie auch die Samen trägt, als auch der Verwirklichung der Buddhaschaft im Leben, da sie im Schlamm wächst (symbolisiert die Probleme). Diesen nutzt sie als Nahrung für ihr Wachstum und zeigt schließlich doch eine reine, unbefleckte Blüte. ‘Kyo’ bedeutet
Sutra, was auf das gesprochene Wort des Buddhas hindeutet, es hat außerdem die Bedeutung von Klang und ‘alle Phänomene des Universums’. ‘Kyo’ soll dadurch auch zum Ausdruck bringen, daß dieses Gesetz im ganzen Universum wirksam ist und die Grundlage der Dinge ist.
####### 3.2.4.2 Das Besondere an dem Buddhismus Nichirens
In Nichirens Buddhismus ist die größte Betonung darauf gelegt, daß der Mensch selbst ursprünglich eigentlich ein Buddha ist, dies aber normalerweise aufgrund seiner Verblendung nicht wahrnehmen kann. Die Auslegung der buddhistischen Sutren, die er vornahm, war immer konsequent davon geprägt, die verschiedenen Buddhas als Aspekte der innerlich, in jedem Menschen vorhandenen Buddhaschaft zu verstehen. In einer seiner Schriften sagt er dazu:
„...Sie dürfen keine Lehre Shakyamunis und keinen Buddha und Bodhisattwa des ganzen Universums außerhalb ihrer selbst suchen. Das Meistern der buddhistischen Lehren wird Sie nicht im geringsten von ihren irdischen Leiden erlösen, solange Sie nicht das Wesen ihres eigenen Lebens erkennen. Wenn Sie die Erleuchtung außerhalb ihrer selbst suchen, dann bleibt jede Anstrengung oder jede gute Tat sinnlos.... Solange jemand in Illusionen lebt, nennt man ihn einen gewöhnlichen Sterblichen, doch erst erleuchtet nennt man ihn einen Buddha“[^63]
Die Reinigung des eigenen Selbstes, die Befreiung von Illusionen durch das Hervorbringen der Buddhaschaft hat wegen der Einheit von Leben und Umgebung auch konkrete Auswirkung auf die Umwelt, die den jeweiligen Lebenszustand der in ihr Lebenden widerspiegelt.
Der Buddhismus Nichirens legt weiterhin Wert auf die drei Bestandteile des Glaubens, also der vertrauensvollen Einstellung, der Ausübung, also dem Rezitieren von NamMyoho-Renge-Kyo und des Studiums, der Vertiefung des Verständnisses der buddhistischen Lehre. Die Art der Rezitation soll direkt die Buddhaschaft, also die neunte Bewußtseinsschicht im Individuum ansprechen und aktivieren und von dort, von innen also, die Energie vergrößern. Dies führt schließlich zu der ‘Reinigung der 6 Sinne’, d.h. die Wahrnehmung der Realität wird durch das veränderte Bewußtsein im Innern erweitert und nimmt dadurch die Realität mehr und mehr so wahr wie sie ist.
Das beinhaltet eben auch die Wahrnehmung der Notwendigkeit von Problemen als Chancen zur eigenen Entwicklung (wie die Lotosblume den Schlamm braucht, um ihre reine Blüte hervorzubringen), es entsteht auf diese Weise mehr Lebensmut sowie Hoffnung und führt dadurch zu einer erhöhten Lebensqualität.
Die Gültigkeit einer Religion sollte laut Nichiren anhand von drei Beweisen, dem historischen, dem theoretischen und dem tatsächlichen Beweis, überprüft werden. Dem tatsächlichen Beweis maß er dabei die größte Bedeutung zu, d.h. die Ausübung sollte im Leben konkrete Nutzen hervorrufen. Da die Ausübung relativ schnell zu erlernen ist, ist es nicht notwendig, sich in Klöster zurückzuziehen oder andere Berufe aufzugeben.
Im Gegenteil geht es darum den Lebensalltag mit seinen Problemen und
Schwierigkeiten, die ja mit dem Karma des Einzelnen übereinstimmen, als das
Entwicklungsfeld zu nutzen, wo sich die Buddhanatur entfalten kann und auf diese Weise zur Gesellschaft positiv beizutragen. Nichiren bezeichnet seinen Buddhismus deshalb auch als ungleich größer und spricht ihm eine viel weitere Wirkung wie der Lehre von Tien t’ai zu, da er viel mehr Menschen in die Lage versetzen würde, die
Buddhaschaft zu verwirklichen. Er verglich den Buddhismus Shakyamunis mit dem Mond, der mit der Zeit von Westen (Indien) nach Osten (Japan) wandert und seine Lehre mit der Sonne, die von Osten die ganze Welt erhellen werde.
Durch die kurze Einführung in buddhistische Grundgedanken, die der Soka Gakkai
International zugrunde liegen, hat man einen Eindruck bzw. eine Vorstellung, worauf Erziehung in dieser Gesellschaft abzielt. Letztlich geht es darum, den Menschen zu ermöglichen, ihr höchstes Potential als Mensch zu entwickeln. Die Erziehung, die in der Soka Gakkai wahrgenommen werden kann, läuft darauf hinaus, die Qualitäten eines Bodhisattwas oder Buddhas in sich selbst zu entdecken und kontinuierlich zu verstärken, um dadurch das eigene Leben glücklich zu gestalten und das der Umgebung und Gesellschaft in diesem Sinne zu inspirieren und bereichern. Die Geschichte der internationalen Bewegung fußt auf der Entstehung der Soka Gakkai[^64]in Japan.
Die Geschichte der Soka Gakkai ist verknüpft mit dem Lebenslauf ihres Begründers
Tsunesaburo Makiguchi (1871-1944). Er und sein direkter Schüler Josei Toda (19001958), sowie dessen Nachfolger Daisaku Ikeda (geb.1928) sind die drei Personen, die der Entwicklung dieser Organisation die entscheidenden Impulse gaben und in Folge die Präsidentschaft der Organisation übernahmen. Der jetzige Präsident der SGI ist Daisaku Ikeda.
Makiguchi wurde am 06.06.1871 in einem Fischerdorf in Nordjapan geboren. Der Vater hatte ihn und seine Mutter verlassen und er wuchs bei seinem Onkel auf, der ihn adoptierte, seine Mutter besuchte ihn gelegentlich. Es kam zu einem Selbstmordversuch der Mutter, die sich mit ihm als kleinen Jungen versuchte zu ertränken, aber gerettet wurde. Makiguchi konnte aus finanziellen Gründen nicht die Oberschule besuchen, begann jedoch sich durch Selbststudium das erwünscht Wissen anzueignen. Er schaffte schließlich doch die Aufnahmeprüfung, um Lehrer zu werden. Ab 1893 war er Lehrer an der Grundschule. Die Erziehung in Japan betrachtete Makiguchi sehr kritisch[^65], sie zu reformieren wurde später zu einem seiner Hauptanliegen. Die Diskussion in der Erziehung des damaligen Japans drehte sich um die Frage, ob man die Menschen zu freien Bürger oder staatstreue Untertanen im konfuzianischen Sinne erziehen solle, wobei er die erste Position vertrat. Er veröffentlichte mit dreißig Jahren das Werk ‘Die Geographie des menschlichen Lebens’(jap.: Jinsei Chirigaku), indem er eins seiner
Hauptstudiengebiete, die Geographie, mit Gegebenheiten des menschlichen Lebens in Kontext setzte. Das Buch erregte Aufsehen und man wollte ihn für weitere Arbeiten gewinnen. Makiguchi wurde Herausgeber einer Zeitschrift für junge Mädchen und stellte, auf Auftrag des kaiserlichen Erziehungsministeriums, neuartige Geographiebücher zusammen. Nach acht arbeitsreichen Jahren gab er diese Tätigkeiten auf, um wieder Schullehrer zu werden und sich selbst weiterzubilden. Seine reformatorischen Ansätze und Prinzipien, die im starken Gegensatz zu der allgemein vorherrschenden autoritären Richtung standen, brachten ihm im Laufe seiner Tätigkeit in Schwierigkeiten und führten dazu, daß er des öfteren die Anstellung wechseln mußte. In dieser Zeit begegnete er auch seinem Gefährten und Schüler Josei Toda, mit dem er von dort an eng zusammenarbeitete.
In den Jahren 1928-33 gab er sein Hauptwerk ‘Soka Kyoikugaku Taikei’ (‘Die Pädagogik zur Schaffung von Werten’) heraus. 1928 war er zum Buddhismus Nichiren Daishonins übergetreten, der für ihn die Möglichkeit darstellte, sowohl individuell als auch für die Gesellschaft Werte und Glück zu schaffen. Um diese Richtung des Buddhismus weiter zu verbreiten und in der Erziehung einen Weg zu finden, diese Ideen umzusetzen, sammelte er ab 1930 eine Gruppe von Pädagogen um sich, die sich ‘Soka Kyoiku Gakkai’ nannte. Makiguchi gewann vor allem bei jungen und bei reformistisch eingestellten Pädagogen Anhänger für seine Ideen. Die offizielle Gründung der ‘Soka Kyoiku Gakkai’(‘Gesellschaft zur werteschaffenden Erziehung’), die als Vorläufer der
‘Soka Gakkai’ gilt, war 1937. Sie ging mit einer größeren Öffnung auch für Nichtpädagogen einher, die besonders an den Elementen des Buddhismus Nichirens interessiert waren. Ab 1940 war Makiguchi ihr Präsident. Zweimal im Jahr gab es Treffen, um sich über die Ergebnisse ihrer pädagogischen und persönlichen Erfahrungen auszutauschen. 1940 wurde auch die politische Achse Berlin-Rom-Tokyo gebildet. Japan begann Feindseligkeiten mit den USA und Großbritannien aufzunehmen und trat in den zweiten Weltkrieg ein. Makiguchi war sowohl gegen die Militärregierung als auch gegen den Krieg. Die von Makiguchi herausgegebene Zeitung wurde 1942 verboten. Am 6.Juli 1943 wurde Makiguchi, nachdem seine Gesellschaft schon des längeren durch die Geheimpolizei observiert worden und sich gegen eine Zwangsvereinigung verschiedener Nichiren-Schulen und Unterordnung unter den Staatsshintoismus[^66]wehrte, zusammen mit Josei Toda und ca. zwanzig anderen Mitgliedern verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Er wandte sich offen gegen den Krieg und kämpfte für die Religionsfreiheit. Die Anklage lautete ‘Blasphemie und Gefährdung der Staatssicherheit’. Makiguchi starb im Gefängnis am 18.November 1944 an den Folgen der Einzelhaft und der Unterernährung. Nur er und sein Schüler Josei Toda, die zusammen die führenden Köpfe der Soka Kyoiku Gakkai waren, widersetzten sich bis zum Ende der Staatsautorität und weigerten sich, ihre Überzeugung dem Staatsshintoismus[^67] unterzuordnen. Die anderen gaben nach und wurde entlassen.
Josei Toda wurde am 11.Februar 1900 geboren. Er mußte früh bei der Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes mitwirken, galt aber als äußerst strebsam und verwendete einen Teil seines Geldes für ein Freizeitstudium, das ihm ein Diplom als Aushilfslehrer brachte. Mit neunzehn Jahren wurde er bereits Volksschullehrer. Das Betätigungsfeld befriedigte aber nicht lange seine Bedürfnisse und er ging nach Tokyo, um dort als Lehrer tätig zu sein. Sein Vorgesetzter wurde Makiguchi, der bereits in geistige und politische Auseinandersetzungen verwickelt war und einen großen Eindruck auf Toda ausübte. Es bildete sich eine tiefe Verbundenheit zwischen diesen beiden Personen und als Makiguchi versetz wurde, folgte ihm Toda, obwohl er deswegen eine sichere Stellung als Lehrer aufgeben mußte. Er wechselte seinen Beruf und widmete sich mehr geschäftlichen Betätigungsfeldern. Früh verlor Toda seine Frau und sein Kind und wurde zudem noch lungenkrank. Eine kurze Zeit wendet sich Toda dem Christentum zu, verwirft dieses aber mit dem Eindruck, daß zu wenig nach dem gelebt werde, wovon gesprochen wird. Durch Makiguchi lernt er den Buddhismus Nichirens kennen und bekommt auch erneut Interesse für das Erziehungswesen. Er wird wieder Lehrer und beginnt mit der Herausgabe von Schulbüchern. Von einem Textbuch über Mathematik, das er selbst geschrieben hat, wurden schnell über eine Million Exemplare verkauft. Neben seinen vielfältigen Tätigkeiten beginnt er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Chuo-Universität, welches er 31jährig abschließt.
Todas Überzeugung von dem Buddhismus wuchs indes immer weiter und er unterstützte seinen Mentor Makiguchi nach besten Kräften. Er empfand es, wie er später selbst sagte, als großes Glück, Makiguchi selbst in das Gefängnis begleiten zu können. Dort hat er jeden Tag stundenlang ‘Nam-Myoho-Renge-Kyo’ rezitiert und das Lotos-Sutra studiert. Besonders die Frage was eigentlich die Buddhaschaft ist beschäftigte ihn. Ausgehend von einer bestimmten Stelle im Lotos-Sutra, die als die zweiunddreißig Verneinungen bekannt[^68], ist sollen seine Bemühungen in ihm tiefe Erlebnisse und Einsichten ausgelöst haben. Die Quintessenz seiner Erkenntnis war, daß die Buddhaschaft das gleiche wie die Lebenskraft bedeutet. Diese Erfahrungen dienten ihm später als Inspirationsquelle für seine Aktivitäten beim Aufbau der Soka Gakkai. Nachdem er zum Ende des zweiten Weltkrieges, als Japan von den Amerikanern besetzt wurde, aus dem Gefängnis entlassen wurde, widmete er sich entschlossen dieser Aufgabe. Die durch die Amerikaner eingeführte Religionsfreiheit ermöglichte die beginnende Entwicklung der Soka Gakkai zu einer großen Gemeinschaft. Die Soka Kyoiku Gakkai widmete sich eher erzieherischen Aufgaben und Fragestellungen, nun wurde das Wort Kyoiku gestrichen, die Gesellschaft bekam den Namen Soka Gakkai (werteschaffende Gesellschaft) und öffnete sich noch um ein vielfaches verschiedenen Bevölkerungsschichten. Toda starb am 2.April 1958.
Um einen kleinen Einblick in die Philosophie der Werte zu bekommen, die den SokaErziehungsinstitutionen zugrunde liegt, hier ein sehr verkürzter Versuch einer Einführung. Makiguchi war in seinen Ansichten von John Dewey und Lester Ward beeinflußt, es wurde auch gesagt, daß die Wertephilosophie ebenso bei Windelband und Rickert aus Heidelberg Ursprünge zu verzeichnen hat.[^69] Sicher ist auf jeden Fall in ihrer
Ausformulierung die Beziehung mit dem Buddhismus Nichirens, in dem Makiguchi die Bestätigung und Vertiefung seiner Theorien entdeckte. Der Buddhismus stellte für Makiguchi die Lehre dar, die den Anforderungen an eine ‘wahre Religion’ entspricht. Er sagt dazu:
„Bei einer wahren Religion entspricht die Untersuchungsmethode der der Wissenschaft, und die Ergebnisse können auf eine logische Weise systematisiert und rational bewiesen werden. Das grundlegende Prinzip und die Ausübung sollten eine universelle Gültigkeit besitzen, und die Lehre sollte ihr Ziel und das Objekt ihrer Suche klar machen. Sie sollte außerdem unveränderlich in Raum und Zeit sein. Zum Beispiel sollte sie nicht für Japan angemessen aber in Indien von geringer Bedeutung sein, oder vor hundert Jahren wirksam gewesen sein aber heute nicht mehr. .... Was ist das philosophische Objekt dieser Religion? Es ist das Leben. Im Leben sind alle Menschen, alle Phänomene, die Gesellschaft, die Länder, das gesamte Universum enthalten. Da diese Religion dem Studium der menschlichen Existenz die höchste Bedeutung zuschreibt, ist ihr Ziel dem der Wissenschaft ähnlich: ein glückliches Leben anzustreben....“[^70] (Makiguchi)
Makiguchi stellt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen den Begriff ‘Wert’. Der Sinn des Lebens lag für ihn in der Verwirklichung des Glücks, das sich durch die Schaffung von Werten ausdrückt. Ausgehend von den Werten Wahrheit, Gutes und Schönheit, postuliert schon von Platon, ersetzt er den Begriff Wahrheit durch den Begriff Nutzen. Wahrheit an sich stellt für Makiguchi keinen Wert da, erst in der Beziehung zum Leben eines Menschen erhält ein Objekt einen bestimmten Wert. Wahrheit deutet dabei nur das Vorhandensein der Realität des Objektes an und das macht allein für sich noch keine Aussage über den Wert möglich. Er schlug vor, bei der Überprüfung von Werten vom eigenen täglichen Leben zum Lernen vorzugehen und dann wieder zurück zum Leben. Er hielt nichts von ideologischer Spielerei oder Spekulation[^71], empfahl, die Wirklichkeit vom experimentellen Gesichtspunkt aus zu begreifen und dabei stets das tägliche Leben zu betrachten und zu analysieren. Dabei sollte die Analyse des inneren Lebens nicht vernachlässigt werden. Das Prinzip ‘Ichinen Ssansen’ bietet für ihn dafür ein äußerst tiefgründiges philosophisches Mittel, das sich auf das wahre Wesen des Lebens selbst
bezieht.
Der Nutzen wird durch die individuelle Beziehung eines Subjektes zum Objekt bestimmt. Positive Beziehungen ergeben Nutzen, während negative Beziehungen Schaden für das Leben bedeuten. Einen positiven Wert, der sich in Nutzen, Gutem und Schönheit ausdrücken kann, bezeichnete er als Ortho-Wert, einen negativen, der sich als
Verlust, Bösem und Häßlichkeit ausdrücken kann, als Anti-Wert. Wir haben bei der
Beurteilung von Werten also eine ästhetische, eine ökonomische und ein ethische Komponente. Etwas als gut zu bezeichnen setzt voraus, daß es der Gemeinschaft dienlich ist, und nicht das Interesse des eigenen Egoismus auf Kosten der Gemeinschaft ausgelebt wird. Was als gut bezeichnet wird kann sich zwar in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich ausdrücken, wird aber immer durch den sozialen Kontext bestimmt. Dem Guten räumt Makiguchi deswegen einen Vorrang vor den Werten Schönheit und Nützlichkeit ein, die sich auf das Individuum konzentrieren. Er sah die Gefahr, daß Menschen völlig vom individuellen Genuß in Anspruch genommen werden können, ohne das Nützliche oder das Gute in Betracht zu ziehen. Die Aufmerksamkeit des Einzelnen könne sich auch ganz auf den Egoismus und den Kult des Geldes richten, wobei die persönlichen Interessen absoluten Vorrang vor ästhetischen Gefühlen oder Erwägungen des Guten haben. Auf der anderen Seite könne eine zu starke Betonung der ethischen Werte von gut und böse wiederum zu einer illusorischen Vorstellung von diesen Werten und allmählich zur Mißachtung des individuellen Lebens führen. Die Werte der Objekte, die für verschiedene Menschen verschieden sein können, können sich auch bei konstanter Subjekt-Objekt-Beziehung im Laufe der Zeit ändern, da sich die Beziehung zu ihnen ändern kann.
Das Glück der Gesellschaft muß für Makiguchi auf dem Glück des Einzelnen aufbauen. Auch eine bloße Diskussion um Werte lehnt Makiguchi als bloßen Idealismus ab, wenn die Ebene des individuellen Lebens dabei vernachlässigt würde. Individuelle Entwicklung und Verwirklichung sei die Grundlage für Wohlstand und Gesundheit der ganzen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die das Individuum unterdrückt werde im Gegensatz dazu schwächer und zerfalle schließlich. Zu große soziale Brüche und Trennungen führe zu einer Zersetzung der Gesellschaft.
Das Gebiet der Erziehung ist dafür geeignet, den Menschen bei der Schaffung von Werten und damit bei der Verwirklichung eines glücklichen Lebens, von Bewußtsein und Vernunft zu unterstützen.
####### 4.1.4.1 lebendiges Wissen
In den Schriften Makiguchis wird oft eine kulturelle Erziehung und auch das Studium der unmittelbaren Gemeinschaft betont. Das Netzwerk an Beziehungen, das die Umgebung eines Menschen bietet, ist sehr wichtig, da es das Leben aufrechterhält und unendliche kreative Lernmöglichkeiten bietet. Schon Kinder könnten durch das Studium des örtlichen Gemeinwesens und der unmittelbaren Umgebung die Beziehungen zwischen dem Land, der Natur und der Gesellschaft lernen.
Das lebendige Wissen, das aus dem Studium des Lebens an sich gewonnen werden kann, schätzte Makiguchi hoch ein. Nur dies sei im Gegensatz zum ‘toten’- rein intellektuelles Wissen, dem bloßen Ansammeln von Kenntnissen, wirklich nützlich. Lehrer sollten die Eigenheit und Kreativität der Kinder fördern, anstatt sie mit einer möglichst großen Anhäufung von Wissen zu füllen. Sie tragen ansonsten, obwohl sie meinen am Wohlergehen des Kindes interessiert zu sein, eher dazu bei, daß diese sich unglücklich fühlen. Sie sollten Kinder ermutigen können, einen Sinn zu finden, für sich selbst zu studieren und Wissen zu suchen, um damit für sich und die Gemeinschaft Werte zu schaffen, was ein glückliches Leben ausmacht.
####### 4.1.4.2 Glück und Entwicklung
Obwohl Element wie Wohlstand oder die Erlangung einer hohen sozialen Stellung individuell Elemente des Glückes sein können, sind sie nur Teile, die es nicht mit dem eigentlichen zu verwechseln gilt. Glück ist nach Makiguchi ein fortlaufender Entwicklungsprozess und nicht etwas Festgesetztes. Diese dynamische und progressive
Natur des Glücks habe den Erzieher zu interessieren. Für ein glückliches Leben ist die Gesundheit Voraussetzung, die wiederum auch von einer positiven Tätigkeit im Leben abhängt. Den unbegrenzten Zuwachs an Privatbesitz sieht Makiguchi sehr kritisch, es entsteht eine Kluft zwischen öffentlichem und privatem Wohl und eine falsche Einschätzung (Überbewertung) von Reichtum. Um zu einer korrekten Bewertung zu kommen, ist es nötig, Zeit der spirituellen Besinnung zu widmen.
Makiguchi war der Überzeugung, daß Erziehung ein Prozeß ist, der niemals abgeschlossen ist und das ganze Leben lang andauert. Makiguchi meinte, man solle sich der Probleme, die die Welt bedrohen bewußt werden, sie allerdings als Etappen auf dem Weg zu einer gerechteren und sozialeren Ordnung begreifen. Wenn die Menschheit auf diesem Weg vorankommen will, dann geht das nur über die Erziehung. Makiguchi sieht den Wert der Kultur darin, die Illusion des Individualismus zu überwinden. Die Konkurrenz und das Ausschließlichkeitsdenken der verschiedenen Wissensgebiete gelte es zu überwinden.
####### 4.1.4.3 Charakter und ein soziales Bewußtsein
Ein wichtiges Ziel in der Erziehung und Bildung ist für Makiguchi, ein soziales
Bewußtsein zu entwickeln und zu fördern. Es beinhaltet die Ausbildung eines Bewußtseins dafür, daß sich die menschliche Existenz nur innerhalb eines sozialen Kontextes entfalten kann. Es ging Makiguchi darum dem ‘individuell bewußten Leben’ zu helfen sich zu erweitern, um zu einem ‘sozial bewußten Leben’ zu gelangen.[^72] Der Ausbildung des Charakters des Menschen wird besondere Bedeutung beigemessen. Der
Charakter werde letztlich durch die Lebensziele eines Menschen beeinflußt. Die Überzeugungen vom Lebensziel eines Menschen unterschied Makiguchi grob in solche, die gereift sind und nach und nach zu einem offenen und entwickelten Leben führen und solche, die tendenziell egozentrisch sind und letztlich dazu führen daß man sich selbst schadet. Die Zielsetzungen der Pädagogik sollten dem täglichen Leben entspringen und die Gesamtheit der menschlichen Existenz berücksichtigen. Makiguchi versuchte auch eine Analyse der unterschiedlichen Lebensweisen der Vergangenheit und der Gegenwart im Westen und Osten, um immer wiederkehrende Verhaltensweisen zu bestimmen, die unabhängig von Zeit, Ort und Nationalität ihre Gültigkeit haben. Es stellte einen Versuch dar, universelle menschliche Ziele herauszufinden, die wiederum als Grundlage für die Festsetzung der erzieherischen Ziele dienen können.
„Reife und ausgewogene Prinzipien führen, gemeinsam mit einem klaren Ziel im Leben, zur Einheit von Körper und Geist - der Harmonie jedes Teils mit dem anderen und jedes Teils mit dem Ganzen - und zu einer dauerhaften psychischen Stabilität. Wie tief diese Einheit im Leben eines bestimmten Menschen verankert ist, bestimmt den Charakter wesentlich. Ein solcher Mensch besitzt die Fähigkeit Wert zu schaffen. Es ist das Ziel der Erziehung, als Richtlinie zu dienen, um dieses Ergebnis zu erreichen.“[^73] (Makiguchi)
Die Vermittlung von Erziehungszielen sollte über die Anknüpfung an gemachte Erfahrungen des täglichen Lebens erfolgen. Auch akademische Erklärungen werden von Leuten, die nicht studiert oder in dem Bereich gearbeitet haben, nicht verstanden.
####### 4.1.4.4 Kritisches Bewußtsein
Emotionalität und Rationalität spielen bei der Suche nach der Befriedigung der Bedürfnisse eine große Rolle. Emotionalität, die ein dominierender Faktor der ersten Lebensjahre ist, wird durch den einsetzenden Reifungsprozess nach und nach gemildert. Geschieht dies nicht, so kann daraus eine Disharmonie entstehen, die sich auf die einfache soziale Interaktion bis hin zu internationalen diplomatischen Verhältnissen auswirken kann. Eine friedliche Kooperation zwischen den Menschen erfordere ein Gleichgewicht zwischen Emotionalität und Rationalität. Makiguchi teilte die
Entwicklungsphasen bei Kindern und ihren Beziehungen zu anderen Individuen und der Umgebung in die Phasen: 1.Nachahmung (Vertrauen), 2.wachsendes Selbstbewußtsein (Akzeptierung + erste Fragestellungen), 3.rationale, wissenschaftliche Phase. Dem Erzieher obliegt die Aufgabe, die Kinder von der ersten zur dritten Phase zu führen. Dieser Übergang finde jedoch zu oft nicht statt und das führe dazu, daß manche Kinder allem, was ihnen vorgegeben wird, blind folgen und sich nur den vorhandenen Normen und Modellen anpassen. Für Makiguchi war die Ausbildung eines kritischen Bewußtseins sehr wichtig. Zweifel und Skepsis bedeuteten für ihn das Übergangstadium zu einer rationellen, wissenschaftlichen Haltung. Unkritisch Ideen oder Gesichtspunkte zu übernehmen drücke eine kindliche Haltung aus. Das Kind sollte auch nicht gezwungen werden, Argumenten zu folgen, dessen Sinn es nicht wirklich begriffen hat. Diese Neigung setzt sich dann fort und wirkt sich auf entscheidende Situationen des späteren Lebens aus. Diese Haltung sollte sich sowohl der Wissenschaft als auch der Religion gegenüber ausdrücken, weder der einen noch der anderen sollte man blind glauben. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Betonung, die wissenschaftliche Haltung auch der Religion gegenüber einzunehmen. Auch sie ist sozusagen durch „try and error“ in ihrer Nützlichkeit für das eigene Leben zu überprüfen und nicht als dogmatische Bevormundung zu behandeln - nicht die Wahrheit ist der Wert, sondern der Nutzen. Das tägliche Leben ist der Ausgangs- und Zielpunkt des Lernens und dort sollte sich auch der Nutzen zeigen.
####### 4.1.4.5 eine positive Einstellung
Ein weiterer Aspekt, der für Makiguchi von Bedeutung war, ist das Verhältnis zur Zeit.
In der Kindheit nehmen die Gegenwart und unmittelbare Vergangenheit alle Aufmerksamkeit ein. In der Jugendzeit ist man oft voller Ideale und Hoffnungen, ohne jedoch über ausreichende Grundlagen zu verfügen. Im Alter gehen die materiellen Wünsche an die Zukunft zurück und die Gedanken beschäftigen sich mehr mit der Vergangenheit. Das birgt die Gefahr in sich, daß der Blick immer enger wird. Die Einstellung oder Tendenz gegenüber dem Leben kann in diesen Phasen, aufgrund von angeborenen Vorraussetzungen und auch aufgrund der Wechselwirkung zwischen dem geistigen und sozialem Leben, pessimistisch oder optimistisch sein. Makiguchi unterschied sechs verschiedene Lebenseinstellungen: 1.sofortige Handlung (Anlaß und Handlung in der Gegenwart) - a)optimistisch-b)pessimistisch, 2.Planung und
Vorbereitung für die Zukunft - a)optimistisch-b)pesssimistisch, 3 Reflektion und Schlußfolgerung bezüglich der Vergangenheit - a)optimistisch - b)pessimistisch. Die Erziehung sollte dazu verhelfen, eine optimistische Haltung dem Leben gegenüber einzunehmen und zu einem Gleichgewicht des Verhältnisses von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft führen.
Daisaku Ikeda wurde 1928 in Japan geboren. Er wuchs ebenfalls, wie Makiguchi und Toda, in einfachen Verhältnissen auf. Josei Toda lernte er auf einer Studienveranstaltung der Soka Gakkai kennen und er entschloß sich sein Schüler zu werden. Ab diesem Zeitpunkt verband diese beiden Personen ein inniges Verhältnis, Toda nahm sich des jungen Ikedas an, bildete ihn aus und unterrichtete ihn.
Daisaku Ikeda ist die Person, die, kurz nachdem er zum Präsidenten der Soka Gakkai Japan gewählt wurde, 1960 nach Übersee aufbrach und damit eine internationale Bewegung begründete. Die SGI wurde offiziell 1975 in den USA auf Hawaii gegründet. Er hat dieser Gesellschaft dazu verholfen, ihre nationalen Grenzen zu überwinden und eine internationale Organisation zu werden und gibt dieser seit nunmehr fast 40 Jahren die entscheidenden Impulse und Orientierung. Er ist Autor von vielen Büchern über Buddhismus, Dialogpartner von Wissenschaftlern und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, nicht zuletzt ist er auch als Fotograph und Dichter tätig.
Daisaku Ikedas Überzeugungen beinhalten die Vorstellung von der Notwendigkeit einer menschlichen Revolution. ‘‘Menschliche Revolution’’ ist ein von Josei Toda eingeführter Begriff, der von Ikeda aufgenommen und ausgeführt wurde. Es ist im Grunde eine andere, moderne Bezeichnung für die Verwirklichung der Buddhaschaft. Sie steht für die Transformation des individuellen Lebens, welches durch Illusionen, die laut buddhistischer Lehre von den drei Giften Habgier, Ärger und Dummheit herrühren, beschränkt ist. Die Veränderung der inneren Natur des Menschen wird dann in Folge auch eine Verbesserung der Gesellschaft herbeiführen. Die Entwicklungen von Wissenschaft und Technologie haben zwar für die Industrienationen einen Lebensstil, der von Wohlstand geprägt ist, geschaffen, auf der anderen Seite sind die Probleme, die damit einhergehen, gravierend und lebensbedrohend geworden. Reformen, die allein auf die Vernunft des Menschen abzielen, berücksichtigen nicht die tiefer liegenden seelischen Prozesse und Reaktionen, die sich normalerweise der Kontrolle entziehen. Die ‘‘Menschliche Revolution’’ setzt auch bei diesen tief im Menschen verwurzelten, unbewußten Schichten an. Es wird durch die buddhistische Ausübung die neunte Bewußtseinsschicht, das Amala-Bewußtsein[^74] aktiviert, was sich schließlich auf das gesamte Leben der Person auswirkt. Diese tiefe Bewußtseinschicht ist von Mitgefühl und Verbundenheit mit der Welt und den anderen Lebewesen geprägt, was sich schließlich auf das Verhalten im täglichen Leben auswirkt und die Kraft hat auch andere zu inspirieren. Ein weiteres Element der menschlichen Revolution bezieht sich auf die Kontakte zu anderen Menschen und der Erziehung in der Gesellschaft, die es zu reformieren gilt, damit sie menschlicher werden kann.[^75] Die gesellschaftlichen Kräfte, soziale Planung und politische Aktionen sollten sich darauf ausrichten, es dem einzelnen Mitglied der Gesellschaft zu ermöglichen, erfüllt und werteschaffend zu leben.
Die Aktivitäten, die in der SGI unternommen werden sind sehr vielfältig und erstrecken sich auf die Bereiche Frieden, Erziehung und Kultur. Es sind auf der einen Seite unzählige Möglichkeiten für Mitglieder, sich in einem Bereich ihrer Wahl einzusetzen, der sie in ihrer persönlichen Entwicklung voranbringen soll, auf der anderen Seite gibt es viele kulturelle und humanitäre Projekte, die von der SGI gefördert bzw. initiiert werden. Ich möchte nur ein paar Beispiele aufzeigen, die in diesem Zusammenhang verdeutlichen, auf welchen Ebenen sich die SGI in diesen Bereichen engagiert.
####### 4.1.7.1 Frieden
Frieden ist natürlich mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist, nach der Vorstellung der menschlichen Revolution, eine Folge der selbstmotivierten Veränderung der Menschen, so daß sie einen inneren Entwicklungstand erreichen, der es ihnen ermöglicht, ihre inneren zerstörerischen Regungen zu transformieren. Besonders unterstützt die SGI auch die Aktivitäten und Grundziele der Vereinten
Nationen.
Jedes Jahr, seit 1983, macht Daisaku Ikeda im Interesse der SGI einen Friedensvorschlag an die Vereinten Nationen. In diesen artikuliert er verschiedenartige Probleme und Analysen der gegenwärtigen Gesellschaften und ihrer Probleme. Diesen setzt er buddhistische Ideale und Philosophie gegenüber und zeigt auf, wie Lösungsmöglichkeiten auf der Grundlage humanistischer Prinzipien entwickelt werden können, die zu Frieden und Sicherheit beitragen. Immer wiederkehrende Motive der letzen Jahre waren die Notwendigkeit einer inneren ‘menschlichen’ Revolution, Toleranz, Abrüstung, Umweltschutz, Weltbürgerschaft, die Entwicklung von Mitgefühl, der Kampf gegen Armut, Schutz der Menschenrechte, die Stärkung der NGOs (Nichtregierungsorganisationen der UNO) bei der Entwicklung von kreativen Ideen für die Schaffung von Frieden und der Lösung von Problemen, usw.
1996 wurde das ‘Toda Institut für Globalen Frieden und Politikforschung’, als unabhängige, unparteiische und nicht-profitorientierte Einrichtung begründet. Die besonderen Bereiche, auf die sich die Arbeit dieses Institutes beziehen sollen sind Abrüstung, gewaltfreie Konfliktlösungen, Menschenrechte, tragbarer Fortschritt, Beschäftigung und Umwelt. Es strebt auch die Zusammenarbeit mit Projekten anderer Forschungszentren und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an. Ziel ist es, eine verbesserte Zusammenführung von Theoretikern, Politikern und Friedensaktivisten zu bewirken.
Frauen-Friedenskomitee. Von diesem Komitee werden Foren für eine vom Krieg befreite Welt organisiert. So wurden z.B. Erfahrungen von japanischen Frauen veröffentlicht, die im Zweiten Weltkrieg lebten und viele öffentliche Seminare und Symposien wurden zum Thema Frieden veranstaltet.
Es gibt viele Ausstellungen, die veranstaltet werden. Darunter z.B. die Ausstellung „Nuklearwaffen - eine Bedrohung für unsere Welt“ und „Krieg und Frieden“, die international die Botschaft der UNO für Frieden unterstützen sollen. 1994 begann z.B. die Tour der Ausstellung „Mut zur Erinnerung“, erst durch Japan und weitere 19 Länder in Amerika, Europa und Asien. Die Ausstellung wurde von der Soka Gakkai zusammen mit dem ‘Simon Wiesenthal Center’, USA, organisiert und erinnert an den Holocausts. Ein weiteres Beispiel einer Ausstellung, die international zu sehen war ist „Die Würde des Menschen ist unantastbar - Menschenrechte heute“. Diese Ausstellung war 1995 auch im Römer-Rathaus in Frankfurt/Main in Zusammenarbeit mit der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und der Hessischen Landesregierung zu sehen.
####### 4.1.7.2 Erziehung
Erziehung in der Soka Gakkai zielt wie wir schon gesehen haben immer auf die Entwicklung des ganzen Menschen ab. Die SGI veranstaltet und fördert
Diskussionsforen, Seminare und Vorträge, Asstellungen und interkulturellen Austausch.
Darüberhinaus gründete sie verschiedene, ihr angegliederte Erziehungsinstitutionen wie Kindergärten, Grundschulen, weiterführende Schulen und Universitäten, sowohl in Japan als auch in anderen Ländern.
Soka Universität zwar nicht die prestigereichste, aber die beliebteste Universität bei
Studenten sei, wenn es um Unterricht, Professoren und die Freundschaft unter den Studenten geht. Professor Yamasaki von der Soka Universität Japan erwähnte auch die Gefahr der schönen Beziehungen und der Gemeinschaft für die Studenten. Es könne auch zur Schwäche werden, wenn man sich zwar in der Gemeinschaft wohfühlt, aber später Schwierigkeiten in der harten, kalten Realität bekommt.[^76] Es gibt Austauschprogramme mit über 50 Institutionen weltweit. Außerdem bietet die Soka Universität regelmäßig auch Fernunterricht an. Es gibt neben der
Stammuniversität in Japan auch eine Soka-Uni in Carlifornien, ein FremdsprachenLernzentrum für europäiische Sprachen in Frankreich und ein Institut zum Studium der Umwelt in Brasilien.
Das Soka Schulsystem beruht auf der Wertephilosophie von Tsunesaburo Makiguchi und hat das Glück der Schüler zum Ziel. Die Schüler lernen die Welt in einer ganzheitlichen Art zu sehen und eine weite und tolerante Einstellung zum Leben zu entwickeln. Kindergärten gibt es auch in Honkong, Singapore und Malaysia.
Außerdem unterstützt die Makiguchi-Stiftung die UNESCO mit einer regelmäßigen Geldspende, die darauf verwendet werden soll, den Austausch von Studenten zwischen Israel und anderen Staaten des mittleren Ostens zu fördern.
Erziehung in der SGI bezieht sich zum einen also auf die offenen, institutionellen
Angebote. Innerhalb der Organisation gibt es aber ebenfalls für die Mitglieder viele Möglichkeiten, sich einzusetzen und dabei in Interaktion mit anderen Praktizierenden zu treten. Dies hat immer auch das Ziel, es den Menschen zu ermöglichen, ihr innewohnendes Potential als Mensch hervorzubringen. Dafür gibt es dort die Grundlage der buddhistischen Ausübung.
####### 4.1.7.3 Kultur
Während die Erziehung der Förderung der Möglichkeit des Individuums, Werte für sich und die Gesellschaft zu schaffen, gilt, ist die Kultur Ausdruck dieses einzigartigen menschlichen Potentials. Kultur kann der Förderung des Austausches zwischen den Menschen verschiedener Kulturen dienen und dem Feiern ihrer Unterschiedlichkeit. Kultur gilt als der Ausdruck der menschlichen Kreativität und hilft den Menschen ihre innere Würde zu erkennen. Die Soka Gakkai hat mehrere Ausstellungen, Austauschmöglichkeiten mit anderen Ländern und viele Kulturfeste gefördert bzw. initiiert und einige ihr angegliederte Nichtprofitorienierte Organisationen ins Leben gerufen, z.B.:
Die Min-On Konzertorganisation wurde bereits 1963 gegründet, um den internationalen Kulturaustausch zu fördern und ist inzwischen die größte ihrer Art in Japan geworden. Das Angebot reicht von internationalen Orchestern, Ballettgruppen über Pop-, Rock- und Jazzkonzerten bis hin zu kleineren Veranstaltungen.
Das Institut für orientalische Philosophie (IOP) wurde 1962 ins Leben gerufen. Es dient der Vermittlung des asiatischen philosophischen Kulturerbes. Es führt sowohl Studien zum Buddhismus als auch der vergleichenden Religionswissenschaft, der Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft und Religion und Gesellschaft durch. Seit 1989 gibt es ein europäisches IOP-Zentrum (IOPEC) in England mit Forschungsmitgliedern in Paris und Rom.
Dieses sollte einen kleinen Einblick geben über die verschiedenen, unzähligen, teilweise internationalen Aktivitäten der SGI in den Bereichen Frieden, Erziehung und Kultur. In Deutschland finden inzwischen auch regelmäßig kulturelle, überregionale Veranstaltungen statt, die von Mitgliedern der SGI-Deutschland initiiert werden. So gab es zum Beispiel 1994 die Ausstellung gegen Fremdenfeindlichkeit „Leben in Deutschland: Fremdheit-Identität-Begegnung“ im Kölner Rautenstrauch Joest Museum und 1995 die Ausstellung „Die Würde des Lebens ist unantastbar - Menschenrechte heute“ in Frankfurt.
Welcher Art sind nun eigentlich die Möglichkeiten für Mitglieder der SGI, sich einzubringen und dadurch die Art von angestrebter Entwicklungsmöglichkeit zu verwirklichen? Innerhalb der SGI ist es wichtig zu verstehen, daß die angebotenen Aktivitäten nicht getrennt zu sehen sind von der Ausübung der buddhistischen Praxis, der Entwicklung eines tieferen Verständnisses des Lebens und größeren Selbstvertrauens. Die Aktivitäten dienen dazu, sich zu trainieren, die positive Grundeinstellung zum Leben zu verstärken und die gemachten Erfahrungen auf das tägliche Leben zu übertragen. Erfahrungen der sozialen Gemeinschaft und der Unterstützung durch andere bei Problemen aller Art sind dabei ebenfalls ein wesentlicher Faktor. Dabei geht es ebenso um die Erweiterung als auch die Erfahrung von Verantwortung und Mitgefühl. Training ist ein entscheidendes Element, bei der Entwicklung der eigenen Menschlichkeit. Der Friedensforscher Johan Galtung sagte in einem Interview, daß man die Eigenschaften Mitgefühl, Wissen, Phantasie und Beharrlichkeit unbedingt trainieren müsse und daß es in unser Gesellschaft hauptsächlich und fast ausschließlich für das Wissen geeignete Institutionen gibt, für die anderen Bereiche gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten der Entwicklung.[^77]
Es gibt für junge Leute Gelegenheiten, z.B. Veranstaltungen zu planen, zu unterstützen oder auch Kulturzentren der SGI zu betreuen, um auf diese Weise in einen Austausch mit anderen Mitgliedern aus anderen Gegenden oder Ländern zu kommen. Bei solchen Aktivitäten geht es auch darum, etwas neues zu lernen und auszuprobieren, was man vorher noch nicht gemacht hat, dabei an seine Grenzen zu kommen und diese zu überwinden. Diese ‘Erfahrungen’ geben einem wiederum ein tieferes Vertrauen in sich selbst, die Erweiterung der (sozialen) Kompetenz wird mitgenommen und kann auch im Alltag, z.B. in der Berufswelt umgesetzt werden. Es gibt auch Abteilungen für Studenten, Kinder, Jugendliche, Ärzte, Erzieher, Künstler und Wissenschaftler, die ihre Erfahrungen miteinander austauschen und ihre spezifische Rolle in der Gesellschaft überdenken und definieren.
Die ausführlichere Beschäftigung mit der Geschichte des Buddhismus ist auch darin begründet, daß die Aktivitäten der SGI sich in gewissem Sinne als eine Fortsetzung dieser Geschichte verstehen. Besonders deutlich wird dies auch in den kleineren Versammlungen, die regelmäßig veranstaltet werden und Fragen zum Buddhismus, bzw. zum Leben, erörtert werden. Diese kleinen Versammlungen kennzeichneten auch schon die Aktivitäten Shakyamunis 500 v. Chr. in Indien. Heute reden wir vom ‘Buddhismus’, den es damals ja in dieser Form noch gar nicht gab. Die Motivation der Menschen zu solchen Versammlungen zu gehen war nicht der Wunsch theoretisch etwas über das ‘Gesetz des Lebens’ zu lernen sondern eher eine Suche nach Antworten zu Fragen des Lebens und der Überwindung der damit verbundenen Schwierigkeiten.
Eine in jedem Land stattfindende Möglichkeit, sich mit dem Buddhismus vertraut zu machen, sind die Diskussionsversammlungen. Sie gelten laut Daisaku Ikeda als die ‘Seele’ der Soka Gakkai- Bewegung[^78]. Veranstaltet werden diese
Diskussionsversammlungen von Kleingruppen, von Menschen, die zusammen den Buddhismus praktizieren. An ihnen können auch Gäste ungeachtet ihrer Konfession oder Glaubens teilnehmen und in einen Dialog treten und dabei ihr Verständnis der buddhistischen Philosophie und anderer Themen vertiefen. Die Verbreitung des Buddhismus geht über solche Dialoge von statten, die eine Herz zu Herz-Beziehung zwischen den Menschen ausdrücken und die Annahme oder Ablehnung des Buddhismus für sich selbst beruht auf absoluter Freiwilligkeit, manchmal gibt es auch eine temporäre Beschäftigung mit dem Buddhismus oder die Entwicklung von Freundschaften und dem Wunsch oder der Bereitschaft, die Ziele der SGI zu unterstützen. Sicher gibt es auf der anderen Seite auch eine starke Überzeugung seitens der Mitglieder, die man auch teilen möchte und durch verschiedene Erfahrungen mitzuteilen versucht. Durch die Vorbereitung von Themen können die Mitglieder in diesen Versammlungen selbst ihr
Verständnis buddhistischer und anderer Themen erweitern, Toleranz lernen und ihre Dialogfähigkeit schulen. Es kann auch die Fähigkeit eine kleine Studieneinheit oder eine Versammlung zu leiten geübt werden. Verschiedene Verantwortungen (Gruppenleitung, Pläne machen, verteilen, usw. )in einer solchen Gruppe erhöhen das
Verantwortungsgefühl und geben die Möglichkeit, sich mit einzubringen.
Erich Fromm schreibt zu einer möglichen Veränderung der Gesellschaft folgendes:
„Die Kulturrevolution muß sich auf eine radikal-humanistische Bewegung stützen, die viele verschiedene Ideologien und Sozialverbände umfaßt. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, daß sie von kleinen, unmittelbaren Gruppen ausgeht, deren Mitglieder sich gemeinsam um den neuen Menschen bemühen, die sich kennenlernen und sich nicht mehr verbergen wollen, weder vor sich selbst, noch vor den anderen.....Wir werden einen Ausweg aus der gegenwärtigen Situation nur finden, wenn Realismus und Glaube wieder miteinander verbunden werden, wie das bei einigen der großen Lehrer der Menschheit der Fall war.... Wenn solche Gruppen existierten, so würden sie auf ihre Mitbürger einen beträchtlichen Einfluß ausüben, weil sie ihnen die Kraft und Freude vor Augen führten, welche Menschen erfüllt, die tiefe Überzeugungen besitzen, ohne Fanatiker zu sein, die lieben, ohne sentimental zu sein, die Phantasie haben, ohne unrealistisch zu sein, die furchtlos sind, ohne das Leben geringzuachten, und die diszipliniert sind, ohne unterwürfig zu sein. Im Laufe der Geschichte haben wichtige Bewegungen stets in kleinen Gruppen ihren Anfang genommen, ob wir nun an die ersten Christen, die ersten Quäker oder die ersten Freimaurer denken. Ich möchte damit sagen, daß Gruppen, die eine Idee in voller Reinheit und ohne Kompromisse vertreten, die Saatbeete der Geschichte sind. ...“[^79]
Daisaku Ikeda sagt im Zusammenhang mit den Diskussionsversammlungen:
„Von einem gesellschaftlichen Standpunkt aus gesehen ist die Zahl der Menschen, die an solchen Versammlungen teilnehmen, nicht groß. Diesen Versammlungen wird auch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Keine Versammlung von Menschen ist einfacher und natürlicher. Aber Diskussionsversammlungen beruhen auf einer Philosophie, die vollständig das Gesetz erklärt, das das Universum durchdringt. Sie bringen eine nährende ‘Feuchtigkeit’ hervor, die das Leben der Menschen aus allen Bereichen des Lebens nährt und öffnet. Sie sind erfüllt von Hoffnung, die die Menschen, egal wie überwältigt sie von ihrem Schicksal sein mögen, mit dem Geist erfüllt, aufzustehen und es noch einmal zu versuchen.“[^80]
Es sollte hier nicht der Eindruck vermittelt werden, ich wolle damit sagen, daß allein die SGI die Gesellschaft verändern kann. Aber sie trägt auf ihre Weise ihren Teil dazu bei, unter anderem auch mit der Entwicklung dieser kleinen Gruppen von Menschen, die eine rakikal-humanistische Einstellung zum Leben lernen und teilen. Dabei ist die Erfahrung, und nicht das Dogma das wichtigste bei der Entwicklung des Menschen und jede Änderung der Gesellschaft geht von der Änderung im Innern des Individuums aus. Gerade Werte und Normen lernt und übernimmt der Mensch aus Gruppensituationen, aus der Einbindung in kleinere Gruppen, daher ist es nur naheliegend, daß auch in der SGI ein großer Schwerpunkt in der Bildung solcher Gruppen liegt. Sicher könnte man auch Parallelen zur sozialen Gruppenarbeit aufzeigen, oder die verschiedenen gruppendynamischen Entwicklungsstufen herausarbeiten. Dies sind zwar Prozesse, die wie in jeder Gruppe auch in den SGI-Kleinguppen ablaufen, werden auf der anderen Seite aber nicht im Sinne z.B. der ‘sozialen Gruppenarbeit’ professionell eingesetzt. Auf der anderen Seite haben diejenigen, die schon länger in der SGI aktiv sind oft einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit Menschen und Gruppen. Probleme und Konflikte werden aus der buddhistischen Philosophie heraus betrachtet, immer als ‘Nahrung’ für weiteres Wachstum angesehen.
Es gibt in der SGI eine Reihe von hauptsächlich ehrenamtlich übernommenen Verantwortungen. Eine solche zu übernehmen zielt darauf ab, sich der Entwicklung anderer Mitglieder zu widmen und dadurch eigene verborgene Fähigkeiten und Mitgefühl zu entwickeln. Nach meinen Beobachtungen, die ich Laufe meiner Erfahrungen in und mit der SGI gemacht habe, ist allerdings auch der teilweise unreflektierte Umgang mit Leitung und Führung in organisierten Gruppenstrukturen auch oft kritisch zu beleuchten. Das hat, wenn es vorkommt, aber meist mit den spezifischen Charakterstrukturen der Träger dieser Aufgaben zu tun, als mit den Zielen der SGI selbst. Trotzdem könnte innerhalb der Organisation noch mehr Wert auf die Bewußtmachung von Gefahren und negativen Tendenzen, die durch die oberflächliche oder mißverstandene Übernahme solcher Aufgaben entstehen, gelegt werden. Dies geschieht doch in gewisser Hinsicht oft nur oberflächlich oder plakativ, indem man z.B. die Warnungen von Daisaku Ikeda in seinen Reden wiederholt. Hier könnte meiner Meinung nach noch mehr auf eine Unterstützung im Sinne von Ausbildung oder
Einbeziehung fundierter Erkenntnisse zu diesem Thema hilfreich sein für die Entwicklung und Umsetzung der angestrebten Werte. Die Gruppen der SGI sind offen, d.h. es gibt immer die Möglichkeit, daß neue Menschen hinzukommen, um sich zu informieren, zu diskutieren oder auch die Praxis des Buddhismus kennenzulernen und auszuprobieren.
Betrachtet man die Einblicke in Aktivitäten und theoretische Fundierung der SGI, sind die vielfachen Korrelationen zur Sozialpädagogik nicht zu übersehen. Da die SGI in Deutschland relativ klein ist und auch wenig bekannt, war es notwendig einen globaleren theoretischen Überblick zu verschaffen über Historie, Ziele und Grundsätze, auf denen diese buddhistische Bewegung basiert. Da dazu die Philosophie des Buddhismus gehört, muß hier nochmals erwähnt werden, daß diese Einführung in diese Lehre hier nur angerissen werden konnte. Hätte die SGI einen christlichen Hintergrund oder wäre sie in Europa entstanden, wäre die oftmals anfänglich auftretende Fremdheit wohl nicht so groß.
Die Bedeutung, die der Erziehung in der SGI beigemessen wird, wird in einem
Gespräch Daisaku Ikedas mit Vertretern der SGI deutlich, wo er ein Zitat von Professor Robert Thurman aus den USA zitiert: „Wie sehen Sie die Rolle der Erziehung in der menschlichen Gesellschaft...? - Ich denke, die Frage sollte eher lauten ‘Was ist die Rolle der Gesellschaft in der Erziehung?’, denn nach meiner Ansicht ist Erziehung der Sinn menschlichen Lebens.“[^81] Erziehung wird in einem weiteren und tieferen Sinne verstanden, als nur auf Institutionen oder ein bestimmtes System beschränkt. Es geht darum, den Menschen zu verhelfen, ihr Potential voll zu öffnen. Die buddhistische Ausübung ist ein Teil des erzieherischen Prozesses, die Selbsterziehung, der dieses ermöglicht. Die dadurch geöffnete Weisheit läßt neue Ideen entstehen und aufkommen, wie es möglich wird auch anderen zu helfen, ihr Leben reicher und bewußter zu leben und ihre schlummernden Fähigkeiten zu erweitern und zu entfalten. Die Ausrichtung der Erziehung wird deutlich, wenn man sich die zehn Lebenszustände (siehe S.28) ansieht.
Nicht Bildung oder die Erlangung von Erkenntnissen, repräsentiert durch die Welt des
Lernens und der Teilerleuchtung, stehen im Mittelpunkt, sondern das Glück des Menschen und sein Potential für seine Entwicklung und die der anderen tätig zu sein, repräsentiert durch die Welt des Bodhisattwas und der Buddhaschaft. Dabei werden die Welten des Lernens und der Erkenntnis nicht abgelehnt oder gering bewertet, sie bekommen nur ihren Stellenwert und Bedeutung, innerhalb des Sinns des menschlichen Lebens. Hieraus könnte man auch wertvolle Einsichten oder ethische Maßstäbe ableiten, die z.B. in der Diskussion um Verantwortung in der Wissenschaft von Bedeutung sein könnten. Diesem Ziel widmet sich im übrigen auch die Europäische Akademie der Wissenschaften, die Daisaku Ikeda dieses Jahr zum Ehrensenator ernannte. Diese Akademie hat sich die Aufgabe gestellt, das Selbstverständnis der Wissenschaften und der Künste dahingehend zu verändern, sich nicht als Selbstzweck zu verstehen, sondern sich in den Dienst der Menschheit zu stellen. Zu ähnlichen Folgerungen würde man auch mit der Wertephilosophie Makiguchis kommen, die das Wahre allein, z.B. die wissenschaftliche Erkenntnis, noch nicht als Wert sieht, sondern erst die Beziehung zur Umwelt und Nutzung des als wahr Erkanntem ergeben einen Wert. Dieser kann dann positiv oder negativ sein.
Die Betonung auf das soziale Element in der Wertepädagogik Makiguchis und im Buddhismus zeigt eigentlich ziemlich deutlich, daß es sich um eine soziale Pädagogik handelt. Folgt man der Definition für Sozialpädagogik von Hansjosef Buchkremer ‘Sozialpädagogik ist der Bereich von Erziehung und Erziehungswissenschaft, der in besonderer Weise an (pro)sozialem Verhalten orientiert ist. Zum einen sind Prosozialität und Solidarität die Ziele der Sozialpädagogik. Diese sucht sie mit erziehlichen Mitteln bei Individuen, menschlichen Gemeinschaften und Gesellschaften zu entwickeln. Zum anderen sind Prosozialität und Solidarität die von der Sozialpädagogik vorausgesetzten und eingeforderten Motive der Gesellschaft und Politik.’[^82], kann man sagen, daß in der SGI eigentlich praktische Sozialpädagogik per Definition geleistet wird. Dahinter steht eine bestimmte Philosophie, der Buddhismus Nichiren Daishonins, sozusagen als theoretischer Entwurf und Hintergrund ihrer Aktivitäten und Handlungen. Nimmt man als Ziele der Sozialpädagogik ‘Aufhebung von Benachteiligung’, ‘Emanzipation’, ‘Partizipation’ und ‘Gegenseitigkeit’, so kann man ebenfalls sagen, daß die Ziele der SGI sich mit diesen überschneiden. Auch die der Sozialpädagogik zugewiesene Aufgabe der Gesellschaftskritik findet ihren Ausdruck in den Bemühungen der SGI (z.B. Friedensvorschläge an UNO). Diese hat auch in Nichiren Daishonins Leben, der sich ungewöhnlicherweise schon damals mit der Obrigkeit seines Landes, um der Entwicklungmöglichkeiten der Menschen willen, anlegte, ein historisches Vorbild und Ausgangspunkt[^83]. Auch schon Shakyamuni übte eine starke Gesellschaftskritik im damaligen Indien, in dem er z.B. das vorherrschende Kastensystem ablehnte und als falsch bezeichnete. Auch die Welt der verschiedenen Götter holte er von ihrem Thron, stellte den Menschen in den Mittelpunkt und in die Verantwortung für den Zustand der Welt. Der Buddha gilt als der Lehrer von Göttern und Menschen. Er war aber so geschickt, die Götter in ihrer Relativität, als Teilfunktionen des allumfassenden Lebensgesetzes, z.B. als schützende Kräfte des Universums, anzuerkennen und bestehen zu lassen. Dies zeigt den tiefen Respekt vor der jeweiligen Kultur mit der der Buddhismus in Berührung kommt und die er zu befruchten und zu entwickeln versucht. Dieser Respekt zieht sich bis heute durch und gilt auch für unsere Kultur und
Gesellschaft.
Sozialpädagogik steht laut Buchkremer in der historischen Erbfolge der Aufklärung, die Staat und Kirche das Recht der Bevormundung absprach, dem Bürger jedoch die Pflicht von Bildung und Reflexion auferlegte, um aus selbstverschuldeter Unmündigkeit und Hörigkeit aufzubrechen[^84]. Hier ließe sich noch eine interessante Betrachtung der jüngeren Geschichte der SGI anführen, die bewußt eine Laienorganisation, nicht in dem Sinne von ‘Laie steht unter dem Profi’, sondern im Sinne von Unabhängigkeit von dogmatischer Bevormundung und auch von priesterlichem, autoritärem Verhalten, ist.[^85]
Allerdings kann man die Aktivitäten der SGI nicht als ‘Nothilfepädagogik’ in Bezug auf das Eingreifen bei der Überforderung oder dem Versagen herkömmlicher pädagogischer Sozialeinheiten oder Institutionen bezeichnen, wie es anfänglich schon Gertrud Bäumer 1929 formuliert hat. Die Erziehung der SGI richtet sich also nicht nach dem
Subsidiaritätsprinzip[^86]. Sieht man dieses Prinzip als Voraussetzung, um von Sozialpädagogik zu sprechen, trifft dies für die SGI nicht zu. Es geht in der SGI nicht darum, hilfreiche Erziehung zu leisten, um ungenügende oder versagende Erziehungsvorgänge auszugleichen. Das Ziel ist weiter gefaßt, betrifft den ganzen Menschen und dabei nicht nur den Benachteiligten, Vernachlässigten oder augenscheinlich Hilfsbedürftigen. Auf der anderen Seite ist z.B. die Soka Gakkai in Japan oft als ‘Gesellschaft der Armen und Kranken’ verspottet worden, da viele, die nach dem Krieg verarmt oder krank waren, sich in dieser Bewegung zusammenfanden, lernten wieder Kraft aus sich selbst zu schöpfen, ihr Leben neu aufzubauen und durch die Aktivierung von Selbstheilungskräften auch Krankheiten zu überwinden. Die Kräfte im Inneren des Menschen sind durch die Überwindung von momentanen Schwierigkeiten und Bedarfssituationen nicht erschöpft, sondern unbegrenzt ausdehnbar, so daß das weitere Arbeiten an sich in diesem Sinne nicht überflüssig wird. Gibt sich Sozialpädagogik also die Aufgabe, sich durch ihre Arbeit selbst überflüssig zu machen, trifft dies für die SGI im Prinzip nicht zu, da ihr eine Weltanschauung, die die Entwicklung des Menschen, die niemals abgeschossen ist und sich auf das ständig sich erweiternde Buddha-Sein ausrichtet, zu Grunde liegt. Temporäre Hilfeformen gibt es aber auch zu Hauf in Form von Unterstützung, Freundschaft und Ermutigung in Krisensituationen, mit dem Ziel, die Krise als ‘Sprungbrett’ zu nutzen für eine weitere Entwicklung des eigenen Lebens. Auch habe ich in Deutschland immer wieder temporäre Gruppenzusammenschlüsse bemerkt, wo sich Mitglieder mit bestimmten Themen, wie z.B. sexueller Mißbrauch oder Schwul-sein zusammenfanden, meist hielten diese Bemühungen aber nicht sehr lange an.
Angesprochen ist der Mensch, der auf der Suche nach Sinn ist und danach, weitere
Bereiche des eigenen Seins zu erschließen. Es geht um die Veränderung oder Entwicklung des eigenen Selbst und die Etablierung einer, sucht man einen Vergleich, nach Erich Fromm ‘biophilen’ (siehe: S.9) zu bezeichnenden Charakterstruktur. Diese bezieht sich eben nach buddhistischer Philosophie nicht nur auf bestimmte Menschen, sondern schlummert zumindest potentiell in jedem Individuum.
Auch die Produktivität des Menschen für die Gesellschaft ist, wenn, dann nur zweitrangig von Bedeutung, in dem Sinne, daß dies selbst zum Glück des Individuums beiträgt. Nichtsdestotrotz ist auch der gesellschaftliche Bezug von großer Bedeutung für die Mitglieder der SGI. Punkt 5 der Charta der SGI spricht von der Ermutigung an die Mitglieder, als gute Bürger zum Gedeihen der jeweiligen Gesellschaft beizutragen. Die gesellschaftlichen Grundideale moderner, auf den Menschenrechten beruhender, Gesellschaften gelten der SGI als Teilbereiche ihrer noch weiterführenden Ideale und werden deshalb voll unterstützt. Bei einer Zielvorstellung, die in ihrer Formulierung die Produktivität des Menschen für die Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt, ist der Ausgangspunkt allerdings wieder die Gesellschaft und nicht der Einzelne. Die übermäßige Betonung auf ‘Produktivität’ ist deshalb meiner Meinung nach kritisch zu sehen, produziert sie doch die heute sichtbare, wertende Unterteilung in produktive und unproduktive Individuen, wobei der Maßstab immer enger und angesichts z.B. der Massenarbeitslosigkeit und der prozentualen Verschiebung der Anzahl an Menschen im Rentenalter absurd und veränderungsbedürftig geworden ist.
Die Komponente der sozialen Erziehung hat oft nur das eigene Land oder Volk/Nation zum Ausgangspunkt, was geschichtliche und meiner Meinung nach heute überholte Gründe hat. Bei der Betonung auf ‘gelungene Sozialisation’ oder ‘soziale Funktionsfähigkeit’ findet man meiner Meinung nach, in abgeschwächter Form, eine ähnliche Tendenz.
Karl Mager (1810-58), der ja auch den Begriff Sozialpädagogik prägte, formulierte als Ziel derselben, den Einseitigkeiten von Individual- und Kollektiv-/Staatspädagogik entgegenzuwirken. Friedrich Nartrop (1854-1924) sieht diese Trennung einer individuellen und einer sozialen Erziehung, wegen der engen Wechselwirkungen zwischen beiden, als sinnlos an.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann nur in Austausch mit anderen seine Entfaltung voranbringen. Das buddhistische Prinzip, das dahintersteht, heißt ‘bedingte Entstehung’ und gilt für alle Phänomene und lebende Wesen: nichts entsteht allein aus sich selbst heraus, sondern nur in Wechselwirkung zu anderen Dingen bzw. Lebewesen. Nach E. Bornemann deutet der Bedeutungsinhalt des Wortes ‘sozial’ auf genau diese Tatsache hin: „Im Wort ‘sozial’ liegt ... die ... Bedeutung, daß der Mensch ein ens sociale, ein Sozialwesen ist, das seiner ganzen Natur nach auf Gemeinschaft angelegt ist. Das Wort ‘Mensch’ schließt zugleich Mitmensch ein. ... Der Mensch wird durch seine Beziehung zum Mitmenschen in seinem eigenen Menschsein geprägt. Es ist für die menschliche Bildung von wesentlicher Bedeutung, wie der Mensch zu seinem Mitmenschen steht.“[^87] Andererseits hat eben die Veränderung eines Individuums
Auswirkungen auf die Umgebung und die Gesellschaft, in der es lebt. Dies ist die
Grundlage der Veränderung der Gesellschaft durch die ‘‘Menschliche Revolution’’ im Innern von Individuen. Hier sehe ich auch die Parallelität zu den Ausführungen Erich Fromms über die Veränderung der Gesellschaft durch die Veränderung des ihr zugrunde liegenden Charakters, angefangen bei Individuen.
Die Geschichte hat gezeigt, daß Bewegungen, Organisationen oder Impulse, die als sozialpädagogisch einzustufen sind, oft einen religiösen Hintergrund hatten bzw. daraus hervorgegangen sind. Deshalb ist eine Beschäftigung mit der Sozialpädagogik und deren Bedeutung auch nicht ohne Verständnis geschichtlicher Hintergründe denkbar oder muß oberflächlich bleiben. Selbst staatliche Maßnahmen und Wertmaßstäbe und ihre gesetzlichen Grundlagen haben schließlich, verfolgt man ihre Entstehung, meist eindeutig religiös motivierte, humanistische Wurzeln. Auch in dieser Arbeit wird ein Blick geworfen auf einen längeren Zeitraum der Geschichte und wie sie zu der behandelten Organisation, der SGI, geführt hat. Nur in diesem Zusammenhang wird nachvollziehbar, welche Quellen in ihr wirksam sind und was die Mitglieder motiviert.
Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) sah es als Naturbestimmung des Menschen, zur Entwicklung des gesamten Menschheitsgeschlecht beizutragen. Friedrich Fröbel (17821852) sah den Menschen von Natur aus als gut an, erst durch Erziehung könne er schlecht werden. Schlechtigkeit galt ihm als zerdrückte oder verrückte, als mißverstandene und mißgeleitete gute Eigenschaft. Es gelte die ursprünglich gute Quelle des menschlichen Wesens aufzuspüren und in ihrem Wachstum zu fördern. Bei Johann Hinrich Wichern (1808-1881) war es ein theologisches Gedankengebäude, das ihm für seine sozialpädagogische Arbeit eine metatheoretische Fundierung bot. Die Ausbildungsstellen für Familienbrüder, die er auf dieser Grundlage errichtete, gelten als Vorläufer von sozialpädagogischen Ausbildungs- und Qualifizierungsmodellen.
Dasgleiche kann man von Adolf Kolping (1813-1865) behaupten. Sein theoretisches
Konzept und seinen konsequenten Respekt vor dem Menschen leitete er ab aus der ‘Gottebenbildlichkeit des Menschen’. Bildung galt ihm als die schrittweise Verwirklichung in Richtung dieser Gottebenbildlichkeit. Ähnlich wie Makiguchi, ähnlich wie in der Reformpädagogik Kerschensteiners oder bei Anton Heinen (1869-1934) betonte er auch die Bedeutung das Lernen und Wissen mit den Lebenswelten und Erfahrungen der Lernenden zu verknüpfen. Otto Willmann (1839-1920), der zu seiner Zeit einen definitorischen Beitrag für die Sozialpädagogik leistete, war stark an dem theologischen Naturrecht orientiert und sah es als eine Aufgabe der Sozialpädagogik, die konstante, von kulturellen und geschichtlichen Veränderungen unbeeinflußte Wesenbeschaffenheit des Menschen auszulegen. Nach Hermann Nohl (1879-1960) hat die Sozialpädagogik für das Individuum und sein Wohl, sein Recht auf irdisches Glück sowie die Entfaltung der Kräfte einzutreten, die ein Leben lebenswert machen. Die Befriedigung des Subjekts gehöre in den Sinn des Lebens, keine Ethik oder Religion könne auf sie verzichten. Für ihn war auch die Betonung auf Prophylaxe wichtiger als nur Therapie bei schon ausgebrochenen Problemen und Notlagen. Die Sozialpädagogik habe ‘Erziehung zur Kraft und zum Mut der Selbsthilfe in der Gemeinschaft’ zu betreiben. Aloys Fischer (1880-1937) sah die Sozialpädagogik dem Leitbild eines sozialen Humanismus verpflichtet. Carl A. Mennicke (1887-1959) unterteilte verschiedene Methoden nach weltanschaulichen Herkünften. Sozialpädagogik galt ihm als eine Antwort auf die Bedarfslage der Moderne mit ihrem Autoritätsverlust der Ideologien und der zunehmenden Verwissenschaftlichung. Er erwartete die Herstellung einer Synthese widerstreitender Weltanschauungen von der Sozialpädagogik. Die Frage nach der Situation des Menschen in der Welt im Verhältnis zum Ganzen ist für ihn bedeutend, und die Sozialpädagogik habe dazu beizutragen, Menschen Orientierung zu bieten und zu verantwortlichen Subjekten der Gesellschaft zu erziehen. Dazu habe sie sich nicht nur kognitiver, sondern auch gefühlsadressierter, suggestiver Erziehungsmethoden und emotions- und gemeinschaftsbildender Symbolik zu bedienen, was aber in dem Sinne von der Sozialpädagogik, im Gegensatz zu rechten politischen Gruppen oder der Werbung, nie konsequent verfolgt wurde.
Das „Lifemodel“ der sozialen Arbeit von Carel B. Germain und Alex Gitterman sieht den Menschen in bestimmten Lebenssituationen einem ‘Life-stress’ ausgesetzt, dem er unter Umständen nicht mehr gewachsen ist, was zu ernsthaften Problemen führt. Dem Sozialarbeiter obliegt die Rolle des Lehrers, des Motivators oder des Anwalts, je nach besonderer Situation, um den Klienten in der Bewältigung der Krise zu helfen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Steigerung des Kompetenzbewußtseins, des Selbstachtungsgrades und der Selbstbestimmungsmöglichkeiten des Klienten. Als Hintergrund dieses Ansatzes dienen systemtheoretische Ansätze aus denen eine ‘ökologische’ Perspektive entwickelt wird, aus der praktische Methoden für die soziale Arbeit abgeleitet werden. Es geht ihnen darum, das Anpassungsverhalten der Menschen zu stärken sowie die Umweltbedingungen, zu denen auch die Umweltverschmutzung als Folge von Machtmißbrauch durch dominierende Gruppen gehört, die gegenseitig aufeinander einwirken, zu verbessern. Individuelles Wachstum, Entwicklung und Umweltstrukturen sollen dabei gleichzeitig verbessert werden. Dieser Ansatz versucht das rationalistische, herkömmliche wissenschaftliche Denkmodel mit seiner anthropozentrischen Orientierung, durch eine ganzheitlichere Sichtweise, die die vielfältigen Wechselwirkungen der lebenden Organismen zu ihrer Umgebung miteinbezieht, zu erweitern. Diese ganzheitliche Sichtweise, die eher eine Harmonie von Mensch und Natur anstrebt, finden sie auch in Religion und Kunst des traditionell östlichen Denkens, sehen sie aber auch durch die Entwicklung und Entdeckungen der jüngeren Naturwissenschaften bestätigt.[^88]
Dieter Wartenweiler (geb. 1945)[^89], der sich in seiner sozialarbeiterischen Tätigkeit als von C.G.Jung, Carlos Castaneda, einigen christlichen Mystikern und schließlich vom Zen-Buddhismus beeinflußt darstellt, sieht den Sozialarbeiter in seiner Arbeit mit Menschen konfrontiert, die die von der Gemeinschaft verdrängten Anteile der Seele repräsentieren. Für ihn gilt es, sich einem Prozeß zu widmen, der eine Überwindung des trennenden, dualen Bewußstseins zu einer erweiterten Form der Welterfassung, die er nach Jean Gebser das ‘integrale Bewußtsein’[^90] nennt. Dazu gehört die Aufgabe des bewußten Ich auf seine Führungsrolle und die Anerkennung der Bedeutung der umfassenden Gesamtheit des Selbstes. Die Ausweitung von Bewußtseinspositionen gelten ihm sowohl für den Klienten als auch für den Sozialarbeiter als Voraussetzung für eine Problembewältigung, die nicht nur Symptombekämpfung sein will. Die Überwindung des dualen Bewußtseins bedeute nicht ins magisch Irrationale abzudriften, sondern ‘arational’, d.h. zu einer Haltung vorzustoßen, welche verschiedene Bewußtseinsmöglichkeiten zur Verfügung hat und damit das dualistische Bewußtsein in seiner Relativität zu erkennen.[^91]
Heute sind wir in einer Situation, in der die traditionell christlichen Gemeinschaftssinn schaffenden Wertvorstellungen in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr den einst eingenommenen, unangefochtenen Platz einnehmen und entsprechende neue entweder fehlen oder sich noch herausbilden müssen. Man könnte also auch feststellen, daß die SGI an der Erschaffung einer neuen metatheoretischen Fundierung zur Entwicklung von Prosozialität und Solidarität unter den Menschen mitbeteiligt ist. So machte auf globaler, internationaler Ebene Daisaku Ikeda der UNO in dem diesjährigen Friedensvorschlag, eine Erdcharta für das dritte Jahrtausend zu erstellen, die von Menschen aus aller Welt entwickelt werden und von Solidarität geprägt sein sollte, um globale Probleme der Umwelt und der Vernichtungswaffen anzugehen und zu überwinden[^92].
Sozialpädagogik ist, nach Mollenhauer, als solche in ihren Ausprägungen eine Antwort auf Probleme der Gesellschaft, die der Sozialpädagoge zu Erziehungsaufgaben umformuliert[^93]. Man könnte dabei allerdings auch fragen, ob die Spezialisierung auf dieses Gebiet auf diese Weise nicht ein Kampf gegen Windmühlen bleibt, wenn nicht die grundlegenden Probleme, zu denen auch die Zersplitterung in immer weitere Einzeldisziplinen und Spezialisierungen und das Fehlen einer integrierenden Weisheit selbst gehört, angegangen werden. Kann man eine solche Aufgabe einem bestimmten Berufszweig aufbürden, wenn gesellschaftlich noch nicht einmal Konsens über die zu behandelnden Probleme, bzw. das Bewußtsein diese anzugehen, besteht? Diese Frage bezieht sich aber eher auf die Berufswahl, Kompetenz und Identität von Sozialpädagogen und das Selbstverständnis der Sozialpädagogik.
In diesem Sinne finde ich auch den Vorschlag von Buchkremer interessant : „Die Sozialpädagogik sollte sich - orientiert an Mager - wieder mehr als Anwalt der gesamten Gesellschaft sehen. Sie könnte einen anthropologischen und ethischen Diskurs moderieren, bei dem es darum ginge, die Gesellschaft als ganze vom gegenwärtigen in einen besseren Zustand zu befördern.“[^94] Er sieht folgendes ebenfalls als Teil einer Auftragslage der Sozialpädagogik für die Zukunft: „ Es steht aus eine Theorie des
Gemeinsinns der Lebenden, die das Erbe der Toten aller Kulturen achtet und sich den Nachgeborenen verpflichtet weiß als Teil eines alle verbindenden Kosmos! Ich wüßte keine andere Disziplin, die einer solchen Theorie und Ethik näherstünde und die prosozialen und prokosmischen Kräfte der Menschheit weltanschauungs- und religionsübergreifend besser verstehen, deuten und unterstützen könnten als die Sozialpädagogik.“[^95] Auch schon Mennicke wies der Sozialpädagogik die Aufgabe zu, das einigende Band für eine plurale Gesellschaft herzustellen. Gesellschaftliche Unterstützung für eine solche Aufgabe zu bekommen und konkret daran zu arbeiten, empfände ich als interessante Aufgabe und lohnende Angelegenheit, an der sich die Sozialpädagogik beteiligen könnte.
Zum einen ist die SGI natürlich eine ‘religiöse’ Bewegung, zum anderen gibt es viele von ihr initiierte Aktivitäten, die sich klar mit Bereichen der Sozialpädagogik überschneiden. Es gibt viele Übereinstimmungen des Buddhismus mit psychologischen Erkenntnissen, besonders den Ansichten der humanistischen Psychologie steht er sehr nahe, da sie, obwohl sie eine Wissenschaft ist, bestimmte philosophische Theorien für den Menschen für bedeutsam hält[^96]: dem Menschen gilt es zu helfen, seine Existenz real und als Ganzheit zu erleben, es wird von einem Vorhandensein eines positiven Potentials im Menschen ausgegangen, der Selbstverwirklichung wird eine naturgegebene Berechtigung, die aber nur in einer sozialen, auf die Mitmenschen ausgerichteten Einstellung voll verwirklicht werden kann, zugesprochen. Schließlich zählt auch die Wertorientierung und Sinnhaftigkeit des Lebens zu den Fragen der Humanistischen Psychologie und sie versteht sich als existentielles Orientierungsangebot in einer Zeit des allgemeinen Wertverlustes. Die zahlreichen Überschneidungen liegen auf der Hand.
Die religiöse Seite des Buddhismus in ihrer historischen Wirkung auf die Gesellschaft zu bewerten würde eine Diplomarbeit für Sozialpädagogik überfordern. Dies ist für Europa und Deutschland gesehen zur Zeit eine Frage der Rezeptionsgeschichte buddhistischen Gedankengutes[^97], die sicherlich nicht oberflächlich abgetan werden kann. In diesem
Sinne gibt es auch Aktivitäten z.B. des Instituts für Orientalische Philosophie mit der Fragestellung was eine solche Rezeption in einer Kultur wie der unseren, in beiden Richtungen, für den Buddhismus wie für die Gesellschaft, bewirkt und verändert.
Der Anspruch, den die SGI meiner Meinung nach stellen darf, in gewissem Sinne
‘sozialpädagogische’ Arbeit zu leisten, leitet sich daraus ab, daß der Mensch im Mittelpunkt stehen soll. Das heißt, nicht die Bekehrung von möglichst vielen Menschen zu einer Religion ist ihr Ziel, die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft steht im Mittelpunkt, die Religion ist für den Menschen da. Das Religiöse des Menschen wird so nicht ausgeklammert und findet in der SGI seinen Ausdruck in der Philosophie und der Praxis des Buddhismus Nichiren Daishonins. Zu diesem gibt es einerseits eine starke Überzeugung mit dem inhärenten Anspruch, nicht blind zu vertrauen, sondern für sich selbst die Bedeutung und Wirkung desselben zu überprüfen, andererseits gibt es das Bekenntnis zu Toleranz und dem Wunsch mit anderen Gemeinschaften zur Lösung grundlegender humanitärer Probleme zusammenzuarbeiten (siehe Punkt 7. der Charta der SGI - S.77). Der Mensch soll in der Lage sein, Religion oder Philosophie für sich und seine Entwicklung selbstbestimmt zu nutzen.
„Liebe ist ein Akt des Glaubens, und wer nur wenig Glauben hat, der hat auch nur wenig Liebe.“
(Erich Fromm[^98])
„Ich will des Menschen Blume und Frucht. Es soll ein Wohlgeruch von ihm zu mir herüberwehen, eine Reife unserm Verkehr die Würze geben. Seine Güte muß nicht ein vorübergehendes Stückwerk sein, sondern ein beständiges Überfließen, das ihn nichts kostet und dessen er sich nicht bewußt ist.“
(H.D. Thoreau)[^99]
Der pädagogische Bezugspunkt ist das Individuum, welches lernen kann, neue vorher verschlossene Bereiche in sich selbst zu erkennen und sein Leben darauf aufbauend sinnvoller und erfüllter zu gestalten. Die Basis dafür ist der Glaube, die Ausübung der buddhistischen Praxis und das Studium der buddhistischen Lehren. Glaube bedeutet dabei nicht das bloße Annehmen von einem Dogma, sondern ist als die Entwicklung einer inneren Einstellung von Vertrauen und Mut durch die Handlung der Ausübung zu verstehen, die sich im täglichen Leben als konkreter Nutzen erweisen und auch daran überprüft werden soll. Viktor Frankl sieht in dem ‘Einstellungswert’ die Möglichkeit den höchsten Wert zu verwirklichen und dem Leben, den größten Schwierigkeiten zum Trotz, einen Sinn zu verleihen.
Die Öffnung der tieferen Schichten des eigenen Seins emöglicht die Überwindung von rein egoistischen Begierden und führt im Innern zu der Erkenntnis, daß man für sich und seine Umgebung eine Verantwortung trägt und daß es zum eigenen Glück beiträgt, sich auch für andere einzusetzen (Welt des Bodhisattwas ). Eigene überwundene Schwierigkeiten und Leiden bekommen einen erweiterten Sinn, da man dadurch in der Lage ist, anderen in ähnlichen Situationen beizustehen und sie zu ermutigen. Diese Einstellung des Mitgefühls gilt für alle Menschen als erstrebenswert und nicht nur als Voraussetzung, sozusagen als Berufsethos, für helfende Berufe. Wartenweiler z.B. benutzt als archetypisches Bild für die Sozialarbeit den Schamanen, der in der Lage ist verschiedene Fähigkeiten und Qualitäten, der jeweiligen Situation entsprechend, hervorzubringen. Das Lifemodel sieht als Aufgabe des Sozialarbeiters entweder den Lehrer, den Motivator oder den Anwalt. Das altruistische Ideal des Bodhisattwas ist keine Sitten- oder Morallehre, das Aufstellen von Regeln und Geboten wird als vorläufiges Hilfsmittel verstanden.[^100] Im Buddhismus gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Bodhisattwas mit unterschiedlichen Qualitäten. Diese sind nicht als Eigenschaften irgendwelcher außergewöhnlicher Wesen zu verstehen[^101] sondern gelten als potentielle Eigenschaften im Leben eines jeden einzelnen, natürlich mehr oder weniger entfaltet. Dem Buddha (auch in uns) werden die Tugenden der Eltern, des Lehrers und des Herrschers zugesprochen. Der Buddha ist also eine Art Vermittler des Lebensgesetzes, liebt die Menschen und bietet ihnen Schutz für ihr Wachstum. Diese Funktionen werden auch durch die SGI verwirklicht.
„..........gäbe es gar keinen Tod, wäre das Leben also überhaupt endlos, so wäre es eben darum auch schon sinnlos.“
(Viktor E. Frankl)[^102]
„Ihr möchtet das Geheimnis des Todes kennenlernen. Aber wie werdet ihr es finden, wenn ihr es nicht im Herzen des Lebens sucht“
Khalil Gibran[^103]
Leben und Tod sind die Grunderfahrungen des menschlichen Lebens und können im Buddhismus nicht nur nicht ausgeklammert werden, sondern stellen die Grundfragen dar, von denen alle anderen Fragen abgeleitet werden. Nichiren Daishonins Grundmotivation, den Buddhismus zu studieren, war es, sich als erstes mit der Frage des Todes auseinanderzusetzen. Unsere Gesellschaft hat das Thema Tod zum großen Teil tabuisiert. Auf der anderen Seite gibt es die Tendenz des nekrophilen Charakters, wie ihn E. Fromm beschrieben hat (siehe S.8). Ist unsere Angst, unser Ausklammern der Frage des Todes, eigentlich eine Angst vor dem Leben? Die soziale Arbeit ist in vielen Bereichen mit dem Thema Tod konfrontiert. Elisabeth Kübler Ross beschrieb die Auseinandersetzung von todkranken Menschen mit ihrem Tod und teilte sie in verschiedene Phasen der Realisation ein. Erst die letzte Phase der Akzeptanz, nachdem verschiedene Phasen der Abwehr und Depression durchlaufen sind, führt dazu, daß sie in Frieden und Ausgeglichenheit dem was kommt entgegensehen können. Diese Phase wird meist auch nur mit der Unterstützung und liebevollen Betreuung anderer Menschen erreicht. Isolation und kalte Krankenhausatmosphäre führen eher zur Depression. Die Ausübung und das Studium des Buddhismus ist eine tiefgreifende
Auseinandersetzung mit dem Leben und daher auch mit dem Tod. Manifestation und Rückzug in die Latenz wechseln sich beständig ab und bilden zusammen die beiden Phasen des Lebens selbst. Alle Phänomene, einschließlich Planeten und Sonnensysteme durchlaufen in ständiger Wiederholung die Phasen von Entstehen, Reife, Niedergang und Vergehen. Fritjof Capra schreibt: „Wir haben gesehen, daß Selbsterneuerung - der Zerfall und der Wiederaufbau von Strukturen in ständigen Zyklen - ein wesentlicher Aspekt aller lebenden Systeme ist. Doch sind die Strukturen, die immer wieder ersetzt werden, ihrerseits lebende Organismen. Aus ihrer Sicht ist die Selbsterneuerung des größeren Systems ihr eigener Kreislauf von Geburt und Tod. Werden und Vergehen erscheinen daher als ein zentraler Aspekt der Selbstorganisation, als das eigentliche Wesen des Lebens.“[^104] Der Tod wird im Buddhismus nicht als etwas negatives gesehen, sondern positiv bewertet, indem er, ähnlich der Funktion des Schlafes, auf neue Aktivitäten vorbereitet. Die Vorstellung im Buddhismus ist, daß die individuell im
Leben gesetzten Ursachen sich im Alaya-Bewußtsein (siehe S.32) sammeln und sich unter gegebenen, passenden Umständen erneut manifestieren. Ein wahrhaft erfülltes Leben ist dann möglich, wenn man das Leben in seiner ganzen Größe, mit seinen beiden Phasen begreift. Man sollte im Angesichts des Todes leben, so als ob dies der erste und letzte Tag sei. Für den Buddha (für Menschen, die den Lebenszustand der Buddhaschaft aktivieren können) ist der Wechsel von Leben und Tod das Nirwana, d.h. die höchste Freude.[^105]
Die Gottebenbildlichkeit, die Kolping als Annahme zu sozialpädagogischer und erzieherischer Tätigkeit motivierte, ist im Buddhismus des Lotos-Sutras, Tien t’ais und Nichirens sogar zu einer tiefen, in sich selbst zu entdeckenden Identität mit der letztendlichen Realität erweitert. Das ist was die SGI vermitteln will - wir sind es, die unser Schicksal, kollektiv wie individuell, formen. Die Vorstellung eines außerhalb, alles bestimmenden Gottes, gibt es nicht. Aus psychologischer Sicht formulierte Fritz Riemann das Schicksal als das ‘Zusammentreffen unserer Anlage mit der Umwelt, in die wir hineingeboren werden’[^106]. Aus buddhistischer Sicht formt man sein Schicksal selbst durch Gedanken, Worte und Handlungen, welche als Ursachen - dem Gesetz des Karmas zufolge - entsprechende Wirkungen nach sich ziehen und so auch eine Kraft und Lebenstendenz erzeugen, die den Verlauf des Lebens bestimmen. Der Buddhismus sieht das Leben als den ständig sich wiederholenden Wechsel von Phasen des Lebens und Phasen des Todes.[^107] Das Prinzip des Karmas und damit der Verantwortung gilt sowohl für das, was wir in diesem Leben an Gutem und Schlechtem erleben als auch für das was wir in Zukunft erleben werden durch die Ursachen, die wir in der Gegenwart setzen. Man könnte in diesem Sinne von einem beeinflußbaren Determinismus sprechen. Das heißt es gibt etwas Vorherbestimmtes, durch eigene Taten geformtes, das Schicksal ist aber veränderbar durch die Handlungen, die wir ausführen, es gibt einen ‘freien Willen’ darauf einzuwirken, der aber erstmal entwickelt und hervorgebracht werden muß. Das geschieht durch die Aktivierung von Lebenskraft, die uns diese innere Freiheit gibt. Die Auseinandersetzung mit den negativen, problematischen Aspekten unseres Lebens soll uns dahin führen, die beschränkte Sichtweise von uns selbst zu überwinden und das kleine Ego in ein großes Selbst zu verwandeln, das in der Lage ist die Probleme des Lebens in Wachstum für sich und andere zu nutzen (die Lotosblume braucht den Schlamm, um zu wachsen). Ansonsten bleibt unsere Willenskraft, wie auch unsere Wahrnehmung vom Karma gefärbt und eingeschränkt. Freier Wille ist also der sich seiner Verantwortung des Handelns bewußte Wille. Viktor Fankl drückte es so aus: „es ist etwas Furchtbares um die Verantwortung des Menschen - doch zugleich etwas Herrliches! Furchtbar ist es: zu wissen, daß ich jedem Augenblick die Verantwortung trage für den nächsten; daß jede Entscheidung, die kleinste wie die größte, eine Entscheidung ist ‘für alle Ewigkeit’; daß ich in jedem Augenblick eine Möglichkeit, die Möglichkeit eben des einen Augenblicks, verwirkliche oder verwirke. .... Doch herrlich ist es: zu wissen, daß die Zukunft, meine eigene und mit ihr die Zukunft der Dinge, der Menschen um mich, irgendwie - wenn auch in noch so geringem Maße - abhängig ist von meiner Entscheidung in jedem Augenblick. ....“[^108]
Der Buddhismus postuliert auch die Einheit von Leben und seiner Umgebung, beide wurzeln in demselben Wesen, dem Lebensgesetz. Die Umgebung spiegelt also auch die innere Realität der in ihr lebenden Wesen wider. Eine lebensfeindliche, verschmutzte Umgebung ist daher in der Tiefe betrachtet der Spiegel eines ebenso verunreinigten, selbstsüchtigen Geistes, der nicht in der Lage ist die drei Gifte Habgier, Ärger und Dummheit zu überwinden, der sich selbst als von der Umwelt getrennt erlebt und die Verantwortung für sie nicht erkennt. Dazwischen wirken natürlich unendlich viele zu betrachtende Faktoren, wie es zu der Verschmutzung unserer natürlichen Lebenswelt gekommen ist. Was ich damit andeuten will ist nur, was ja eigentlich theoretisch auch jedem klar sein sollte, daß es wohl eines tiefgreifenden Umdenkens bedarf, was das Umgehen mit der Natur angeht. Hier ist auch wieder die Erziehung gefragt, die die erkannten Veränderungsnotwendigkeiten und Paradigmawechsel auch im individuellen menschlichen Bewußtsein verankern muß, um sie dann in neue Konzepte umzusetzen. Auch im Lifemodel wird die Umweltverschmutzung als streßauslösender Faktor grundsätzlich auch für den Bereich der Sozialarbeit bedeutungsvoll. Dort geht es auch darum, Veränderungen der Öffentlichkeit in Politik, Einstellungen und Wertorientierungen zu bewirken.[^109] Systemisch betrachtet üben destruktiv behandelte Umweltsysteme, auch sozialer Art, sonst einen negativen Gegen-Druck aus. Das buddhistische Prinzip der ‘Einheit von Leben und Umgebung’ und der ‘abhängigen Entstehung’ könnte also einen wertvollen Beitrag für das grundsätzliche Verständnis der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur führen und ein erweitertes Verantwortungsgefühl dafür wecken. Wir sind nicht getrennt von der Welt, wir bestehen aus den Elementen der Erde und können nur im ständigen Austauschprozeß mit bestimmten, fragilen Gegebenheiten überleben. Wir aber bilden in uns die Vorstellung eines autonomen Ichs, das sich getrennt von der Umwelt und den anderen erlebt. Die Umwandlung des kleinen Ichs in das größere Selbst würde also auch hier neue Erlebensmöglichkeiten schaffen. Es geht nicht um die Aufgabe der Individualität, sondern ihre positive, realistische volle Entfaltung im Zusammenhang mit den anderen und der Umgebung.
„Der Mensch lebt nicht von der Arbeitslosenunterstützung allein.“
(Viktor E. Fankl)[^110]
Der Buddhismus sieht die Frage, ob erst materielle, körperliche Bedürfnisse befriedigt werden müssen oder erst spirituell, geistige Entwicklung notwendig sei, als eine ‘HuhnEi-Frage’. Was war zuerst da - das Huhn oder das Ei? Das Prinzip, durch welches die Beziehung zwischen Körper und Geist erläutert wird, heißt auf japanisch shiki shin funi. Funi drückt eine Beziehung der Einheit aus, obwohl man es von verschiedenen Seiten, nämlich der körperlichen oder der geistigen, getrennt betrachten kann. Die Philosophien und die meisten psychologischen Ansätze des Westens gehen davon aus, daß erst eine bestimmte materielle Grundlage geschaffen sein muß und sich dann die geistige Entwicklung vollziehen kann. Dahinter steht natürlich auch wieder die dualistische Denkweise der Trennung von Seele und Körper. Was aber ist zu den Beispielen zu sagen, wo Menschen bewiesen, trotz extremer materieller Unterversorgung, z.B. im Gefängnis, große geistige Anstrengungen und Entwicklungen zu vollbringen. Viktor Frankl berichtet: „Ein Transport mit an die tausend jungen Menschen mußte zusammengestellt werden, und am nächsten Morgen ging es ins Lager Ausschwitz. Am selben Morgen aber mußte festgestellt werden, daß in der Nacht in die Lagerbücherei eingebrochen worden war. Jeder einzelne von den Todgeweihten hatte sich Werke seiner Lieblingsdichter, aber auch wissenschaftliche Bücher in den Rucksack gestopft. Als Reiseproviant auf der Fahrt ins (zum Glück noch) Unbekannte. Und jetzt soll mir jemand noch kommen und sagen: ‘erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral’.“[^111] Frankl deutete auch auf ein um sich greifendes Sinnlosigkeitsgefühl in unserer Zeit hin, das durch den Verlust an Traditionen bei jungen Menschen noch mehr verbreitet ist. Bei amerikanischen Studenten, die psychisch und physisch gesund und zudem gut situiert waren, rangierte der Selbstmord auf Grund von einem Sinnlosigkeitsgefühl an zweiter Stelle der Todesursachen nach Verkehrsunfällen.[^112] Obwohl die Notwendigkeit einer materiellen Grundlage nicht wegzudenken ist, ist die Wechselwirkung der einen auf die andere Seite bei dieser trennenden Vorstellung unterrepräsentiert. Das heißt also konkret für unser Thema, daß die Unterstützung von Menschen in spiritueller Hinsicht genauso hoch zu bewerten ist, wie die materielle Unterstützung. Spirituell reiche Menschen geben anläßlich widriger Umstände nicht auf und suchen selbstmotiviert nach einer Lösung ihres Problems.
Das andere Extrem wäre die Verleugnung materieller Notwendigkeiten. Die Einheit von
Körper und Geist, von Physischem und Spirituellem verdeutlicht deren wechselseitige Bezogenheit. Menschen mit Schwierigkeiten sind oft materiell und geistig in Not. Der materiellen Not sollte gesellschaftlich mit Unterstützung und dem Abbau struktureller Unterdrückungsmechanismen begegnet werden, fehlt jedoch die Möglichkeit zu lernen, die Anerkennung und hoffnungsgebende Ermutigung des spirituellen Lebens, bleibt sie oft auf der Stufe stehen, daß der Empfänger dieser Hilfe letztlich von ihr abhängig wird.
Die Leere und Einsamkeit in den Herzen der Menschen ist auf eine spirituelle Desorientierung und Leere zurückzuführen, die auch Ausdruck unserer rein materialistischen Weltanschauung ist.
(siehe auch S.43)
Wir hatten in der Geschichte wissenschaftliche Revolutionen und die Versuche sozialer
Revolutionen, initiiert durch Ideen oder ideale Gedankengebäuden, die sich oft gegen Unterdrückung richteten. Wir müssen jedoch feststellen, daß auch politische Revolutionen bis jetzt nicht in der Lage waren, die tieferen Schichten des Menschen zu revolutionieren bzw. zu verwandeln. Oft verwandelten sich diese Revolutionen tendenziell in totalitäre Systeme, die die Ideologie über den Menschen stellten, der Mensch für die Idee zu funktionieren und zu handeln hatte. In den Ländern des real existierenden Sozialismus mußten wir sehen, daß trotz der sozialistischen Idee der Gleichheit, das Fürstengehabe durch Parteibonzengehabe abgelöst und teilweise verschlimmert wurde.
Moralische Disziplin vermag dazu zu verhelfen, sich bestimmter Fehlhandlungen bewußt zu werden oder sie zu vermeiden, es ist jedoch auch keine grundlegende Änderung. Der Begriff der menschlichen Revolution bezieht die tieferen Schichten des
Lebens, des Bewußtseins, mit ein und bezeichnet die Änderung des Lebens und des Schicklsals eines Menschen, der sich seiner selbst bewußt wird und dadurch neue, vorher unerschlossene Bereiche und Kräfte in sich entdeckt.
Die Gesellschaft hat im Prinzip meist wenig Interesse an Änderungen. Nur eine innere Revolution die das Bewußtsein des Menschen einbezieht ist in der Lage, ausgehend vom Individuum, schließlich eine Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen. Durch die vergrößerte Kraft im Inneren kann über den eigenen kleinen ‘Tellerrand’ geschaut werden. Dem Individuum, das tatsächlich seine ‘Menschliche Revolution’ verwirklicht, werden dabei große Kräfte zugesprochen, es übt einen großen Einfluß auf seine Umgebung, die Familie, die Gesellschaft und die Geschichte aus.
Das Universum kann man nicht so erforschen, wie man sich selbst erforschen kann.
Erkenne dich selbst, dann erkennst du das Universum. Indes verlangt auch die
Erkenntnis des inneren Selbst ein unablässiges Streben, ja nicht nur ein unablässiges, auch ein reines Streben, und dazu gehört ein reines Herz
(Mahatma Gandhi)[^113]
Josei Toda sagte einmal, daß es einer der größten Irrtümer der Welt sei, Wissen mit
Weisheit zu verwechseln. Oft fehlt sozusagen das integrierende Bewußtsein, das in der Lage ist, die Erkenntnisse richtig einzuordnen und tatsächlich einen positiven angemessenen Stellenwert in einem größeren Ganzen zuzuordnen. Im Buddhismus wird genau dieses Bewußtsein angestrebt und durch die Ausübung versucht im Leben des Einzelnen hervorzubringen. Nichiren sagte in der Gosho: „ Solange jemand in Illusionen lebt, nennt man ihn einen gewöhnlichen Sterblichen, doch erst erleuchtet, nennt man ihn einen Buddha. Auch ein blinder Metallspiegel wird wie ein Juwel glänzen, wenn er poliert ist. Ein Herz, das gegenwärtig von Illusionen verdunkelt wird, die aus der eingeborenen Dunkelheit des Lebens stammen, gleicht einem blinden Metallspiegel, aber ist er erst poliert, so wird er klar und zeigt die Erleuchtung der unveränderlichen Wahrheit. Rufen sie tiefen Glauben in sich empor und polieren sie ihren Spiegel Tag und
Nacht. Wie sollten sie ihn polieren? Nur durch das Chanten von Nam-Myoho-RengeKyo.“[^114] Das Prinzip, das dahintersteht heißt auch auf japanisch kyo chi myogo und bedeutet die Verschmelzung der subjektiven Weisheit mit der objektiven Wirklichkeit. Da unsere Wahrnehmung der Welt subjektiv und beschränkt ist, uns die Weisheit also fehlt, die Realität so wahrzunehmen wie sie ist, wird im Buddhismus Nichirens die Ausübung des Glaubens an den Gohonzon, der das Lebensgesetz verkörpert, genutzt, um in sich dieses zu erkennen. Das veränderte Bewußtsein beginnt die Realität so wahrzunehmen wie sie ist und die Relativität und den Nutzen der jeweiligen Situationen und Anforderungen zu erkennen.
Ohne einen guten Lehrer, egal in welchem Bereich des Wissens oder der Kunst, kann man seine Fähigkeiten nicht aufs vollste entfalten. Das Erlernen und die Weitergabe und Überlieferung des Buddhismus war immer eine Sache die von Mensch zu Mensch stattfand. Die Grundlage dafür ist die Meister-Schüler Beziehung. Diese Beziehung hat nichts mit der Entstehung von Abhängigkeit zu tun, noch ist sie darauf ausgelegt, eine vertikale Machtbeziehung auszudrücken. Der Schüler sucht sich seinen Mentor, nicht umgekehrt, das Ziel ist es, daß der Schüler schließlich über den Meister hinauswächst. In ihrer vollen Reife wird diese Beziehung durch das Prinzip der ‘Einheit von Meister und Schüler’ ausgedrückt (jap.: shitei funi). Sie sind zwei unterschiedliche Personen, mit unterschiedlichen Aufgaben und Wirkungskreis, haben jedoch die gleiche Quelle der Inspiration und teilen die gleiche Vision, die sie in ihrem jeweiligen Lebensbereich umsetzen. Der Meister ist natürlich derjenige, der in dieser Aufgabe schon erheblich weiter fortgeschritten ist. Um sich einen guten Meister zu nähern, sollte man entschlossen sein, ein guter Schüler zu sein, heißt es, da das Scheitern des einen, schließlich auch dem anderen Unglück bringt. Josei Toda betrachtete sich in diesem Sinne als Schüler von Tsunesaburo Makiguchi und Daisaku Ikeda bezeichnet sich als Schüler von Josei Toda. Viele Mitglieder der SGI versuchen, eine Schüler-Beziehung zu Daisaku Ikeda aufzubauen, der in seinem Leben bereits jetzt ein tiefes Verständnis des Buddhismus für den Einzelnen und eine Vision für dessen Bedeutung für die Gesellschaft besitzt, sowie ständig die Kraft des Buddhismus beweist und zeigt, wie man auf dieser Grundlage ein höchst kreatives Leben führen kann. Daisaku Ikeda führte als Beispiel einer Meister-Schüler Beziehung einmal das Beispiel von Platon zu Sokrates an. Diese Beziehung ließ Größe entstehen, Sokrates wäre nichts ohne Platon und Platon nichts ohne Sokrates.
Die Art der Einigkeit, die in der SGI angestrebt wird drückt sich durch das Prinzip
‘viele Körper - ein Geist’ (jap.: itai doshin) aus. Die Betonung und Anerkennung der
Einzigartigkeit des Individuums steht dabei an erster Stelle. Dabei bleibt es aber nicht, der gemeinsame Geist der Ausrichtung auf die innere Welt der Buddhaschaft und der Widmung, zur Verbesserung der Gesellschaft beizutragen, bildet den zweiten Teil. Die Vision, die zu verwirklichen angestrebt wird, ist nicht von jemandem vorgegeben, sondern in der Tiefe des menschlichen Herzens zu suchen und basiert eben auf der Verwirklichung des Glücks von jedem einzelnen. Jeder einzelne hat dabei eine ganz spezifische unaustauschbare Aufgabe, die es zu verwirklichen gilt. Jemand, der sich auf der tiefen Ebene der Öffnung der eigenen Buddhanatur selbst verwirklicht, trägt auf diese Weise gleichzeitig zum kollektiven Gedeihen seiner Umwelt bei und setzt so den gemeinsamen Geist, der letztendlich den inneren Wunsch aller ausdrückt, um. Die SGI versteht sich als Gemeinschaft guter Freunde. Freundschaft hat von dem Wortursprung eine direkte Verbindung zu Freiheit und damit zur Anerkennung der Individualität des anderen. Daisaku Ikeda erläuterte, daß es nicht Freundschaft ist, die eingesetzt wird, um den Buddhismus zu verbreiten, sondern Freundschaft an sich das Ziel ist. Das bedeutet auch, daß sich diese Ausdehnung der Freundschaft auf Praktizierende als auch auf Nichtpraktizierende gleichermaßen bezieht. Ein guter Freund zu sein bedeutet im buddhistischen Sinne, dem anderen in seiner Enwicklung zu unterstützen und
voranzubringen.
In den Erziehungseinrichtungen der SGI, die auf der Wertephilosophie Makiguchis basieren und in der SGI selbst, ist die soziale Einstellung und die Zielvorstellungen des humanen Menschen sozusagen Teil des Curriculums, welches sich nicht nur auf die Ausbildung kognitiv-technischer Fähigkeiten beschränkt. Bei uns ist die Ausbildung solcher Fähigkeiten fast ausschließlich nur Teil des ‘hidden curriculums’[^115], eines ‘geheimen Lehrplanes’, sprich nicht ausfomuliert und sie werden deswegen meist nur als Nebensächlichkeit oder -effekt betrachtet und sind stärker vom Zufall abhängig.
Ein besonderes Augenmerk wird bei der Erziehung in der SGI der Entwicklung von Mitgefühl, Toleranz, dem Gefühl für Verantwortung und Gleichwertigkeit und auch Mut gegeben. Die SGI richtet verschiedene Möglichkeiten ein, in denen ‘Räume’ bzw. ‘Felder’ der Interaktion mit anderen geschafften werden, wo diese Eigenschaften trainiert und entwickelt werden können. Toleranz bedeutet dabei aktive Toleranz und nicht Gleichgültigkeit oder Apathie, d.h. verbunden mit dem Mut zum Widerstand gegen Gewalt und Ungerechtigkeit. Echte Toleranz entsteht durch Mitgefühl, der Fähigkeit die Welt mit den Augen anderer Menschen betrachten zu können, deren
Leiden und Freude wie seine eigenen empfinden zu können und wirkt darauf hin, Einfühlungsvermögen und Wertschätzung unter den Menschen zu fördern.[^116] Auch andere Kompetenzbereiche werden bei Aktivitäten der SGI angesprochen, wie das Erlernen von Organisationsabläufen oder verschiedenen technischen Fertigkeiten.
Die Ersetzung des in der Antike entstandenen und für unsere Zivilisation so prägenden
Wertes der Wahrheit durch den Nutzen hat, genauer betrachtet, eine große Auswirkung. Sieht man sich in der Geschichte die Ursachen für Kriege an, so kann man oft feststellen, daß, neben Machtansprüchen, oft Weltanschauungen aufeinanderprallten uns sich bekämpften. Auch die Auseinandersetzungen zwischen Kommunismus und Kapitalismus in unserem Jahrhundert muß man unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Fragt man einmal nach dem Nutzen derartiger Auseinandersetzungen, muß man feststellen, daß sie einen negativen Wert hervorgebracht haben. Es sollte klar werden, daß die ‘Wahrheit’ immer eine subjektive und bewertete Wahrnehmung der Realität gewesen ist. Darüber zu streiten mag unter gewissen Umständen weiterführen, ist als Selbstzweck jedoch müßig, aufreibend und unnütz. Fragt man jedoch nach dem Nutzen, kann man auch gegenüber ‘anderen Wahrheiten’ oder Wahrnehmungen Toleranz aufbringen und sie unter diesem Gesichtspunkt überprüfen. Daisaku Ikeda hat zum Beispiel in den Friedensvorschlägen an die unterschiedlichen Religionen appelliert, in einen Wettstreit zu treten, möglichst viele humane Menschen hervorzubringen, anstatt sich um das jeweilige Dogma zu streiten.
In der SGI wird Wert darauf gelegt, Weltbürger zu sein, die Identifikation geht über die mit dem eigenen Volk hinaus zur Identifikation mit der gesamten Menschheit (siehe auch Punkt 2 der Charta der SGI) und der Erde, von der wir ein Teil sind. Schließlich sieht der Buddhismus darüber hinaus auch die Identität des Menschen mit dem Universum. Erich Fromm machte deutlich, daß in dem Maße wie sich die Identifikation mit größeren Einheiten vollzieht, andere aufhören ‘Fremde’ zu sein und zu ‘Nachbarn’ werden. Er erklärt auch, daß Buddha eher ‘den Menschen’ sah, da alle Menschen eine ähnliche Struktur und ähnliche Probleme haben und unabhängig von Kultur oder Rasse, die gleichen Antworten auf diese Probleme finden müssen[^117]. Ein Freund von mir interviewte im Rahmen seiner Dissertation über die Bedeutung von Non-GovernmentalOrganisations Mitglieder der SGI in Deutschland und Amerika. Er bemerkte, daß ihm in New York im Kulturzentrum der SGI besonders aufgefallen war, daß Menschen der unterschiedlichsten kulturellen Herkünfte fröhlich miteinander kommunizierten, was für New Yorker Verhältnisse, wo zwar eine Vielfalt, aber auch die Tendenz der Gruppen, unter sich zu bleiben, vorherrsche, nicht selbstverständlich sei. Es gibt in der SGI eine Vielzahl internationaler Treffen und Austauschmöglichkeiten. Die Menschen erfahren dabei, daß sie, trotz unterschiedlicher kultureller Hintergründe, viel mehr verbindet als trennt. Auf diese Art wird ein ‘Band der Freundschaft’ unter den Menschen angestrebt, das immer weiter ausdehnt und schließlich dazu beiträgt, Feindseligkeiten und Kriege überflüssig zu machen.
6 EIGENE UNTERSUCHUNGEN
„Man möchte sich wie Bruder Bernado auf irgendeinem Marktplatz dem Gespött der
Welt aussetzen, um gleich ihm ein jegliches um Christi Liebe willen geduldig und heiter zu ertragen - und leidet vielleicht schon darunter, wenn die Schaffnerin, die das
Zimmer aufräumt, vergißt, guten Morgen zu wünschen oder wenn der Türhüter des Hauses schlecht geschlafen hat.“
(Christian Morgenstern)[^118]
Sicher kann hier auch nicht die Frage beantwortet werden, ob die Menschen in der SGI denn nun alle ihre hohen Ziele auch tatsächlich realisieren. Um eine aussagefähige Evaluation vorzunehmen bedürfte es einer viel umfassenderen, ausführlicheren Analyse und Untersuchung. Aber es kann durch diese kleine Erhebung hoffentlich einen winzigen Einblick gewährt werden, der die Vermittlung und Entwicklung der Werte für die Mitglieder, anhand einiger eigener theoretischer und erfahrungsbezogener Aussagen, betrifft.
{width="2.16in" height="1.5333333333333334in"}Der
kleine Teil, den diese Untersuchung betrifft, sind Versammlungen in
kleineren Gruppen, die einen Austausch unter den Teilnehmern
ermöglichen. Diese kleinen Gruppen sind Teil eines Bezirkes
(Zusammenfassung mehrerer Kleingruppen) in Hamburg (in Hamburg allein
gibt es viele
Bezirke), wobei man auch sagen muß, daß die Art des Umgangs miteinander von Bezirk zu Bezirk schon wieder sehr unterschiedlich sein kann. Es ist also nur ein kleiner Ausschnitt, es gibt inzwischen größere Untersuchungen der
{width="2.14in" height="1.4233333333333333in"}SGI
in anderen Ländern und international. Hinter meiner Beschränkung auf
diesen explizit kleinen Teil steht die Annahme, daß auch hier genau die
Werte deutlich werden sollten, die in der SGI gelebt und vermittelt
werden, so wie eine Zelle eines menschlichen Körpers alle Informationen
über den ganzen Menschen enthält. Es handelt sich hier also um einen
kleinen Einblick in die Interaktion von Mitgliedern der SGIDeutschland.
An diesen Versammlungen habe ich selbst teilgenommen und mich teilweise
mit eingebracht. Ich habe die Diskussionen durch eine sehr kurze
Einleitung und zwei Zettel, mit verschiedenen Begriffen angeregt. Die
Gespräche habe ich mitgeschnitten und transkribiert. Bei zwei der
Versammlungen habe ich vorher gefragt, ob ich eine Tonbandaufnahme
machen kann, eine Diskussionsversammlung und die
Studienversammlung hab ich ohne Wissen der Teilnehmer mitgeschnitten. Ich möchte hier lediglich einige aufgenommene Gedanken und Aussagen zusammenfassend wiedergeben und gebe gelegentlich in Klammern die Zeilen an, wo diese geäußerten Gedanken beispielsweise wiederzufinden sind. (siehe Anhang S78)
Es wurde sich auf den Versammlungen in intensiver Weise mit den verschiedensten Werten auseinandergesetzt. Spirituellen Werten wird, ohne die materiellen zu verleugnen, dabei besondere Bedeutung zugemessen (569). Die Würde des Menschen (120), Weltfrieden (26), Gewaltlosigkeit (250, 1575), Globalität (320), Freundschaft, ein Bewußtsein für die Menschenrechte (1717), Mitgefühl, Selbsterkenntnis, Toleranz, Respekt, Wahrhaftigkeit (1123), Zivilcourage, Autenzität (988), um nur einige
Beispiele zu nennen. Auch über Werte in unserer Gesellschaft wurde reflektiert. Der Unterschied z.B. bestimmter Werte, die in der Gesellschaft gelebt werden und welche man dagegen in der SGI lernen kann. Ein ehrlicher Umgang mit diesen Werten, sich dabei nichts vorzumachen wurde als besonders wichtig dargestellt. Selbst die eigene Kapazität als Mensch zu erweitern wird als der eigentliche Wert, den man in der SGI lernt, dargestellt. Dies beinhalte eine Erweiterung der Wahnehmung (258) und die Erfahrung durch das Chanten von Nam-Myoho-Renge-Kyo eine Kraft zu entwickeln und die eigene Trägheit, auch in den Gedanken, zu bekämpfen. Dazu sei Aufrichtigkeit und ein ‘suchender Geist’ notwendig. Die Erfahrung sei, daß man mehr man selbst werde (732) bzw. sich selbst mehr wertschätzt (138). Dies wird auch öfters als Veränderung im Gegensatz zu der Zeit vor der buddhistischen Ausübung beschrieben. Als besonders wurde auch das Erlebnis der Offenheit in der SGI erwähnt, daß man, trotz Problemen, sich aufgenommen und angenommen fühle (145). Die Praxis wurde auch als Selbsterziehung bezeichnet (676), die eigene Einstellung gegenüber bestimmten Herausforderungen wird bewußt verändert, Probleme bekommen dadurch einen tieferen Sinn und können für die eigene Entwicklung genutzt werden. Dies wirkt sich auch auf die Umgebung aus (398) und schafft schließlich auch einen Wert für die gesamte Gesellschaft (393).
Als Veränderungen, die als Auswirkung der buddhistischen Praxis im eigenen Leben auftreten, werden Veränderungen in den eigenen Maßstäben für Werte bezeichnet, z.B. die Entwicklung von Mitgefühl und die Erfüllung in der Erfahrung, jemand anderes unterstützen zu können (68,801). Es kann aber auch so sein, daß bestimmte Werte, die man als Ideal schon entwickelt hatte, sich nicht veränderten, sondern der Weg der Umsetzung sich änderte (129). Der Wunsch und die Fähigkeit, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich diese auch zuzutrauen und für die Gesellschaft etwas positives beizutragen, auch wenn Schwierigkeiten auftreten, wurde ewähnt und in Verbindung mit der Entwicklung der buddhistischen Praxis und den Aktivitäten in der SGI gebracht (812). Es wird so gesehen, daß die Entwicklung, die man in der SGI machen kann, auch der gesellschaftlichen Tendenz zu Egoismus und Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen, entgegenwirke (770). Dazu wird auch die Fähigkeit gezählt, in Konfliktsituationen mehr für sich einstehen zu können (721), sowie, daß die Mitglieder durch ihre Erfahrungen und ihr erweitertes Zutrauen zu sich selbst, gesellschaftlich nicht mehr so stark in vorgefertigte Bahnen schieben lassen, sondern mehr für ihre eigenen Ziele zu kämpfen und auch wagen, neue Dinge anzufangen (687). Auch im Umgang mit anderen Menschen, der Erziehung der eigenen Kindern z.B., ändere sich durch die veränderte Einstellung zu sich und dem Leben auch etwas. Mehr Akzeptanz und Respekt vor der Andersartigkeit des anderen sei die Folge (196).
Als besonders wichtig wird immer wieder das Zusammentreffen mit anderen
Das Lernen der buddhistischen Philosophie beschränkt sich nicht nur auf den Umgang mit rein ‘buddhistischen’ Texten, immer werden auch Vergleiche zu anderen Lehren und Erkenntnissen gezogen, bzw. diese benutzt, um den Buddhismus verständlicher und zugänglicher zu machen. Auf der Studienversammlung wurde beispielsweise eine kurze Episode des Philosophen Joh. Steward Mill erzählt, um ein bestimmtes buddhistisches
Prinzip zu verdeutlichen. Viele finden in der buddhistischen Lehre, Ausübung und ihren Erfahrungen damit, Werte und Entwicklungen bestätigt, die sie vorher schon, manchmal nicht so deutlich und intensiv, durch andere Formen von Aktivitäten, z.B. Psychotherapie, versuchten zu entwickeln (786). Besonders zur Humanistischen Psychologie wurden Parallelen entdeckt (799). Auch durch die Reden und Vorlesungen von Daisaku Ikeda, die studiert werden, lerne man immer wieder etwas Neues über Menschen aus der Geschichte oder der heutigen Gesellschaft, über Literatur oder Philosophie und anderes (708). Um das schrittweise Vorgehen in der Entwicklung des eigenen Lebens zu verdeutlichen, kam z.B. der Vergleich zum pespektivischen Inkrementalismus aus der Planungstheorie (272). Auch von Mutter Theresa wurde erzählt, daß sie das Lebensmotto habe, sich dafür zu bemühen, daß die Menschen sich nach einer Begegnung mit ihr besser fühlen sollten (914), um die Einstellung eines Bodhisattwas zu verdeutlichen.
Intention dieser Arbeit war es, zu versuchen Inhalte und Ziele von Erziehung in der SGI zu verdeutlichen und mit sozialpädagogischen Themen, Fragestellungen und Motivationen zu verbinden. Meine Ausgangsüberlegung lautete, daß die SGI in weitestem Sinne eine große Menge an sozialpädagogischen Aufgaben erfüllt. Es sollte deutlich geworden sein, daß man den buddhistischen Hintergrund, den die SGI hat und aus dem sie ihre Motivation zieht natürlich nicht auf einen sozialpädagogischen Ansatz beschränken kann. Das Ziel der Erziehung in der SGI ist weit umfassender und höher gesteckt als jeder sozialpädagogischer Ansatz. Andererseits ist das Betätigungsfeld größtenteils nicht so spezialisiert wie in der sozialpädagogischen Arbeit. Es geht, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht darum zu sagen, in der SGI werde Sozialpädagogik betrieben. Es besteht in diesem Sinne überhaupt keine Konkurrenz. Was, meine ich, klar geworden sein sollte ist, daß es eine Menge an Überschneidungen und Ähnlichkeiten gibt, was die Motivation in Aktion zu treten angeht und daß die ‘Arbeit’ der SGI letztlich auch eine gesellschaftliche Bedeutung hat, die mit der der Sozialpädagogik korreliert. Es besteht meiner Meinung nach eine sinnvolle Ergänzung zwischen ihnen. Speziell sähe das im Falle einer Scheidung beispielsweise so aus, daß die SGI ihren Mitgliedern und Freunden konkrete Unterstützung, in Form von Beratung und Beistand besonders zur Entwicklung einer starken Motivation, Verantwortung für das Problem zu übernehmen, bietet. Dazu gehört dann auch, dazu zu motivieren, sich eventuell eine gute, kompetente Unterstützung, in Form von Familienberatung, Rechtsberatung oder Mediation zu suchen und diese bestmöglich zu nutzen. Im Falle von anderen Problemen, z.B. Sucht gilt dann ähnliches. Eine offizielle Vernetzung gibt es derzeit natürlich noch nicht, ist aber denke ich durchaus nicht ausgeschlossen.
Eine weiterer interessanter Aspekt wäre für mich die Möglichkeit, den Bodhisattwa als Identifikationsfigur für soziale Arbeit zu nutzen. Im Buddhismus gibt es in aufsteigender Reihenfolge drei Arten von guten Taten: a)materielle Dinge zu geben, b)jemandem etwas zu lehren, so daß er sich selbst helfen kann und c)anderen dazu zu verhelfen, die Buddhaschaft zu erlangen. Das Letztere wird wohl nicht die Aufgabe sozialer Arbeit bzw. von Sozialpädagogik sein können, die beiden ersten überschneiden sich jedoch genau mit diesem Ressort.
Bodhisattwa: (Sanskrit) ‘auf die Erleuchtung ausgerichtetes Lebewesen’, das Streben nach der Erleuchtung ist nicht mehr nur auf sich selbst bezogen sondern beinhaltet die Vorstellung, seine eigene Erleuchtung zurückzustellen und alle Lebewesen bei der Suche nach ihrem Glück zu unterstützen.
Buddha: (Sanskrit, Pali) ein Mensch, der seine innewohnende Buddhaschaft erkannt und vollständig verwirklicht hat.
Buddhaschaft: Ausdruck für das höchste Potential im Menschen, zeigt sich in Weisheit, Mitgefühl, Lebenskraft und dem Wunsch andere bei ihrer eigenen Suche nach dem Glück zu unterstützen.
Chanten: Eindeutschung aus dem Englischen (to chant), bedeutet soviel wie ‘rezitieren’, siehe auch ‘Nam-Myoho-Renge-Kyo’ u. ‘Daimoku’
Daimoku: (Japanisch) wörtlich ‘großer Titel’ - das Rezitieren von ‘Nam-MyohoRenge-Kyo’.
Gohonzon: (Japanisch) wörtlich ‘das was zutiefst verehrt werden sollte’; mit
Gohonzon ist sowohl die Verkörperung der Buddhaschaft Nichiren Daishonins in Form einer Schriftrolle, als auch die Buddhaschaft, die allem Leben, also auch dem eigenen, innewohnt, gemeint. Durch die buddhistische Praxis - dem Chanten zum Gohonzon - wird die innewohnende Buddhaschaft aktiviert und zeigt sich als vermehrte Lebenskraft, Hoffnung, usw. im Leben des Ausübenden.
Gosho: (Japanisch) wörtlich: ‘verehrenswerte Schrift’, unter diesem Begriff werden Nichiren Daishonins Abhandlungen und zahlreiche Briefe an seine Anhänger zusammengefaßt.
Karma: (Sanskrit) wörtlich: Tat; Taten in Form von Gedanken, Worten und Handlungen bilden Ursachen, die als Wirkung wieder im eigenen Leben und in der Umgebung erscheinen. Diese Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung beschränkt sich nach buddhistischer Vorstellung nicht allein auf dieses Leben, sondern zieht sich durch alle Inkarnationen. Es bedeutet also nicht etwa Schicksal in dem Sinne, daß etwas vorgegeben und unabänderlich ist, sondern die Lebensumstände werden selbst durch die eigenen Taten erschaffen und können durch diese verändert werden.
Lotos-Sutra: (Sanskrit: Saddharmapundarika -Sutra) Die Lehre Shakyamunis, die er einer Einteilung der Tie’tai-Schule zufolge in seinen letzen Lebensjahren gelehrt haben soll. Im Lotos-Sutra wird die gesamte Lehre des Buddhismus in ihrer Essenz wiedergegeben. Es wird erklärt, warum es unterschiedliche Lehren von Shakyamuni gab (sie dienten als Hilfsmittel, um das Verständnis der Schüler zu erweitern) und es wird gesagt, daß es die letztendliche Absicht des Buddhas ist, jedem Mensch die innewohnende Möglichkeit selbst die Buddhaschaft zu verwirklichen, zu eröffnen. Es ist das Sutra, welches den Unterschied zwischen einem Buddha und einem gewöhnlichen Sterblichen auflöst, indem es lehrt, daß der einzige Unterschied zwischen ihnen darin bestehe, daß ein gewöhnlicher Mensch in Illusionen über die letztendlich Realität lebe und ein Buddha dazu erleuchtet sei.
Mantra: (Sanskrit) ‘Wahre Wörter’; Formeln, bestehend aus einer bestimmten Zusammensetzung von Silben oder Wörtern, von denen man annimmt, daß sie bestimmte Kräfte beinhalten und freisetzen können.
‘Menschliche Revolution’: Von Josei Toda geprägter und von Daisaku Ikeda übernommener Ausdruck für die schrittweise Verwirklichung des höchsten menschlichen Potentials, des Buddhazustandes.
Nam-Myoho-Renge-Kyo: Nam-Myoho-Renge-Kyo gilt als das grundlegende Gesetz des Lebens, das alle Phänomene des Universums durchdringt und hervorbringt. Myoho-Renge-Kyo ist auch die japanische Aussprache des chinesischen Titels des Lotos-Sutras. Jede Silbe hat, versucht man diesen Satz zu übersetzen, viele verschiedene Bedeutungen. In vereinfachender Kurzform könnte man sagen er bedeutet: ‘Ich widme mich dem Gesetz des Lebens (von Leben und Tod- Myoho), das durch die Lotosblume (Ursache und Wirkung - Renge) symbolisiert wird und sich durch alle Phänomene offenbart (Kyo)’.
Nichiren Daishonin: Daishonin bedeutet soviel wie ‘großer weiser Mensch’ und ist eine Ehrenbezeichnung von Nichiren. Nichiren (1222-1282) ist der Begründer der buddhistischen Schule und Ausübung, die in der Soka Gakkai praktiziert und gelehrt wird. Diese Schule steht in der Tradition des Lotos-Sutras von Shakyamuni, der Tien’tai-Schule Chinas ( siehe ichinen ssansen) und Dengyo in Japan. Nichiren ist der Begründer des Mantras ‘Nam-Myoho-Renge-Kyo’, das er als die Ausübung des Lotos-Sutras für die Menschen des Späten Tages des Gesetzes (heutige Zeit) deklarierte und die direkt die Verwirklichung der Buddhaschaft in diesem Leben ermöglichen soll.
Shakyamuni: (Sanskrit) wörtlich: ‘der Weise aus dem Geschlecht der Shakyas’, gebräuchlicher Name von Siddharta Gautama, dem Begründer des Buddhismus und historischem Buddha in Indien (ca. 4.-5.Jahrh. vor Chr.)
9.1 Bücher:
Anderson, Walt: „Das offene Geheimnis - der tibetische Buddhismus als Religion und Psychologie - eine Einführung aus westlicher Sicht“, Goldmann Verlag, München 1988
Baumann, Martin: „Deutsche Buddhisten - Geschichte und Gemeinschaften“, diagonal-Verlag, Marburg 1993
Bethel, M. Dayle: „Makiguchi the value creator. Revolutionary Japanese Educator and
Founder of Soka Gakkai“, Weatherhill Inc, New York-Tokyo, 1994 (1973)
Borsig, Margareta von: „Leben aus der Lotos Blüte“, Aurum Verlag, Freiburg 1976
Broch, Hermann: „Geist und Zeitgeist“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 1997
Buchkremer, Hansjosef: „Handbuch der Sozialpädagogik - Dimensionen sozialer und gesellschaftlicher Entwicklungen durch Erziehung“, Wissenschaftl. Buchgesellschaft Darmstadt, 1995
Capra, Fritjof: „Wendezeit - Bausteine für ein neues Weltbild“, dtv, München, 1991 ( Scherz 1983)
Dürr, Hans-Peter + Zimmerli, Walther Ch. (Herausgeber): „Geist und Natur - Über den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung“, Scherz Verlag, Bern-München-Wien, 1991
Frankl, Viktor E.: „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, Piper, München, 1996 ( 1979)
Fromm, Erich:
„Das Erich Fromm - Lesebuch“, (Herausgeber: Rainer Funk) DTV, München, 1993 ( 1985)
„Erich Fromm: Gesamtausgabe“, (Herausgeber: Rainer Funk), DTV, München 1989
„Haben oder Sein - die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“, DTV, München, 1991 (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1976)
Fromm, Erich + Suzuki, Daisetz Teitaro + Martino, Richard de: „Zen-Buddhismus und Psychoanalyse“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 1971 ( Szcesny Verlag, München, 1963)
Freud, Siegmund: „Abriss der Psychoanalyse - Das Unbehagen in der Kultur“, Fischer TB, Frankfurt/M., 1993 (1972)
Gandhi, Mahatma: „Worte des Friedens“, Herder Verlag, Freiburg, 1984
Gebser, Jean: „Asien lächelt anders -Kleine Schriften“, Gesamtausgabe Bd.VI, Novalis Verlag, Schaffhausen, 1986
Germain, Carel B. + Gitterman, Alex: „Praktische Sozialarbeit - Das ‘Life Model’ der sozialen Arbeit“, Enke-Verlag, Stuttgart 1988 (1983)
Gibran, Khalil: „Der Prophet“, Walter-Verlag, Olten 1986 (1973)
Glasenapp, Helmuth von: „Die fünf Weltreligionen: Hinduismus, Buddhismus, Chinesischer Universalismus, Christentum, Islam“, Eugen Dietrichs Verlag, München 1996 (1963)
Ikeda, Daisaku:
I. „A New Humanism - the University Adresses of Daisaku Ikeda“,Weatherhill Inc., New York-Tokyo, 1996
II. „Buddhismus - das erste Jahrtausend“, Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München 1986
III.„Das Rätsel des Lebens“, Ullstein Sachbuch, Berlin 1996 (Nymphenburger ; München 1994)
IV.„Der Buddha lebt - eine interpretierende Biographie“, Ullstein Sachbuch, Frankfurt/M - Berlin, 1988
V. „Der chinesische Buddhismus“, Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München 1987
Ikeda, Daisaku + Derbolav, Josef: „Auf der Suche nach einer neuen Humanität“, Ullstein, Frankfurt/M., Berlin, 1991
Italiaander, Rolf: „SOKA GAKKAI - Japans neue Buddhisten“, Verlag der Ev.Luth.Mission, Erlangen 1973
Jaspers, Karl: „Die großen Philosophen“, Piper, München-Zürich, 1988 ( R.Piper & Co. Verlag München 1957)
Jung, Carl Gustav: „Bewusstes und Unbewusstes“, Fischer TB, Frankfurt/M, 1985 ( Walter Verlag, Olten, 1971)
Kirimura, Yasuji: „Grundzüge des Buddhismus“, Herausgeber: SGI-D, WalldorfMörfelden, 1988
Maburger, Helga: „Entwicklung und Konzepte der Sozialpädagogik“, Juventa-Verlag München, 1981 (2.Auflage)
Mollenhauer, Klaus: „Einführung in die Sozialpädagogik: Probleme und Begriffe der Jugendhilfe“, Beltz-Verlag, Weinheim u. Basel, 1988 (8.Aufl.)
Nichiren Daishonin: „Die Gosho Nichiren Daishonins“, auf deutsch bisher erschienen
Band 1-3, Herausgeber: SGI-Deutschland e.V., Walldorf/Hessen
Peccei, Aurelio + Ikeda, Daisaku: „Noch ist es nicht zu spät“, Verlag MoldenS.Seewald, München, 1984
Petzold, Bruno: „Goethe und der Mahayana Buddhismus“, Octopus Verlag Wien, 1982
Postman, Neil: „Das Technopol - die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft“, Fischer TB, Frankfurt/M., 1992
Richter, H.E.: „Die Gruppe-Hoffnung auf einen neuen Weg, sich selbst und andere zu befreien“, Rowohlt Verlag, Hamburg 1972
Schütz, Klaus-Volker: „Gruppenforschung und Gruppenarbeit - theoretische Grundlagen und Praxismodelle“, Mattias Grünewald Verlag, Mainz, 1989
Thoreau, H.D.: „Walden oder ein Leben in den Wäldern“, Diogenes Verlag, Zürich 1979
Toynbee, Arnold + Ikeda, Daisaku: „Wähle das Leben - ein Dialog“, claassen Verlag GmbH, Düsseldorf 1982
Wartenweiler, Dieter: „Sozialarbeit-Seelenarbeit“, Haupt-Verlag, Bern, Stuttgart, 1989
Whitman, Walt: „Grashalme“, Diogenes Verlag, Zürich 1985
Wilson, Bryan + Dobbelaere, Karel: „A Time to Chant - The Soka Gakkai Buddhists in Britain“, Oxford University Press, Oxford, 1994
9.2 Lexika:
„A Dictionary of Buddhist Terms and Concepts“, Nichiren Shoshu International Center, Tokyo 1993 (Erstauflage 1983)
„Das Lexikon des Buddhismus“, Goldmann Verlag, München 1995 (1986 Scherz Verlag - Bern/München/Wien)
Barkmeyer, Silvia: „Sinn und Werte in der Pädagogik - Die Sinnfrage des Psychologen
Viktor E. Frankl und ihre Bedeutung für die Pädagogik im Zusammenhang mit der
Wertetheorie des Pädagogen Tsunesaburo Makiguchi und ihre Umsetzung in den Erziehungseinrichtungen der Soka Gakkai“, Bremen 1995
Schäfer, Roland: „Der Buddhismus Nichiren Daishonins unter Berücksichtigung der Entwicklung des Buddhismus in Japan bis Nichiren und der Wirkungsgeschichte des
Nichiren-Buddhismus bis zur Gegenwart“, Diplomarbeit Theologie, Humbold Universität, Berlin 1994
9.4 Zeitschriften:
„FORUM- Buddhistische Zeitschrift für Frieden, Erziehung und Kultur“, Herausgeber : SGI-Deutschland e.V., Walldorf - Mörfelden
„EXPRESS - Informationsblatt der Soka Gakkai Internationale - Deutschland
e.V.“, Herausgeber : SGI-Deutschland e.V., Walldorf - Mörfelden
„Psyhologie heute“
10 ANHANG
Präambel:
Wir, die konstituierenden Organisationen und Mitglieder der Soka Gakkai International (SGI), bekennen uns zu dem grundlegenden Ziel und der lebenslangen Aufgabe, auf der Basis der Philosophie und der Ideale des Buddhismus Nichiren Daishonins zur Entwicklung von Frieden, Kultur und Erziehung beizutragen. Wir sind uns bewußt,
daß die Menschheit zu keinem anderen Zeitpunkt der Geschichte ein vergleichbar intensives Nebeneinander von Krieg und Frieden, Diskriminierung und Gleichheit, Armut und Überfluß erlebt hat wie im 20.Jahrhundert;
daß die Entwicklung einer ständig verfeinerten Militärtechnologie, deutlich sichtbar am Beispiel der Nuklearwaffen, zu einer Situation geführt hat, in der das bloße Überleben der menschlichen Rasse in Frage gestellt ist;
daß die Realität gewalttätiger ethnischer und religiöser Diskriminierung zu einem endlosen Kreislauf von Konflikten führt;
daß der Egoismus und die Maßlosigkeit der Menschheit globale Probleme verursacht haben, unter anderem den Raubbau an der Natur und die Vertiefung der ökonomischen Kluft zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die gemeinsame Zukunft der Menschheit.
Wir sind überzeugt, daß der Buddhismus Nichiren Daishonins, eine humanistische Philosophie des grenzenlosen Respekts gegenüber der Unverletzlichkeit des Lebens und des allumfassenden Mitgefühls, den Menschen befähigt, seine ihm innewohnende Weisheit fördern und zu entfalten, und durch die Förderung der Kreativität des menschlichen Geistes die Schwierigkeiten und Krisen, denen sich die Menschheit gegenübersieht zu überwinden um eine Gesellschaft der friedlichen Koexistenz zu verwirklichen.
Wir, die konstituierenden Organisationen und Mitglieder der SGI, sind deshalb fest entschlossen, das
Ideal der Weltbürgerschaft zu verwirklichen, im Geist der Toleranz und des Respektes für die Menschenrechte auf der Grundlage des humanistischen Geistes des Buddhismus. Weiter sind wir entschlossen, die globalen Probleme, denen sich die Menschheit gegenübersieht, durch den Dialog und praktische Bemühungen, basierend auf der tiefen Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit, herauszufordern und zu überwinden. Wir nehmen hiermit diese Charta an und bekräftigen die folgenden Zielsetzungen und Grundsätze:
Die SGI ist fest entschlossen
auf der Basis des buddhistischen Respektes vor der Unverletzlichkeit des Lebens und vor dem Glück und dem Wohlergehen der gesamten Menschheit zum Frieden, zur Kultur und zur Erziehung beizutragen.
ausgehend von dem Ideal der Weltbürgerschaft grundlegende Menschenrechte sicherszustellen und niemand aus irgendeinem Grund zu diskriminieren.
die Freiheit der Religion und der religiösen Äußerung zu respektieren und zu beschützen.
das Verständnis des Buddhismus Nichiren Daishonins durch Dialog zu fördern und dadurch zum Glück des Einzelnen beizutragen.
durch die sie konstituierenden Organisationen ihre Mitglieder zu ermutigen, als gute Bürger zum Wohlergehen ihres Landes beizutragen.
die Unabhängigkeit und Autonomie ihrer konstituierenden Oraganisationen in Übereinstimmung mit den in jedem Land vorherrschenden Bedingungen anzuerkennen.
begründet auf dem buddhistischen Geist der Toleranz, andere Religionen zu respektieren, mit ihnen in Dialog zu treten und für eine Lösung grundlegender, humanitärer Probleme zusammenzuarbeiten.
kulturelle Unterschiede zu respektieren und den Kulturaustausch zu fördern, um auf diese Weise die Entwicklung einer internationalen Gesellschaft, basierend auf gegenseitigem Verständnis und Übereinstimmung, zu fördern.
begründet auf dem buddhistischen Ideal der gegenseitigen Bedingtheit den Schutz der Natur und der Umwelt voranzubringen.
Ich habe bei der Transkribtion der Versammlungen die Namen der Teilnehmer verändert. Die Versammlungen fanden alle in Privatwohnungen statt und begannen mit einem Gongio (siehe Glossar S.72), bei den Diskussionsversammlungen folgte jeweils eine Vorstellungsrunde der Teilnehmer, die ich aber nicht mit aufgenommen habe.
Teilnehmer:
Marion, Dipl.Sozialwirtin, 35 Jahre
Rudi, Bankwirt, jetzt Student für Stadtplanung, 37 Jahre
Marius, EDV-Systemberater, 29 Jahre
Annemarie, Heilpraktikerin, 50 Jahre
Katarina, Sekretärin und Pro-familia-Beraterin, 55 Jahre
Stefan (Ich)
Stefan: Ich finde es sehr nett, daß ihr mit mir und auch untereinander über die von mir vorgeschlagenen Themen reden wollt. Meine Frage ist, warum die SGI eigentlich ‘werteschaffende Gesellschaft’ heißt und warum ist es eine Gesellschaft für Erziehung mit den drei Bereichen Frieden, Erziehung und Kultur. Welcher Art ist diese Erziehung eigentlich, die in der SGI wahrgenommen werden kann. Ich weiß nicht wie wir genau anfangen wollen, ich hab einfach mal ein paar Stichworte aufgeschrieben. (zwei Zettel mit den Begriffen ‘Werte’, ‘Gesellschaft’,’Soka Gakkai International’, ‘werteschaffende Gesellschaft’, ‘Erziehung’, ‘Frieden’, ‘Kultur’.
Rudi: Hübsch.
Stefan: Die können ja als Anregung dienen, sich z.B. über Werte Gedanken zu machen, was wir für Werte in der Gesellschaft haben, was dem zu Grunde liegt.
Annemarie: Mir sind dazu einige Gedanken vorbeigezogen. Zum Beispiel die Frage, was den Werte in der Gesellschaft sind. Wir unterscheiden ja materielle Werte und ideelle Werte. Ich bin bei der Definition von Werten immer kleiner geworden. Zu Anfang fielen mir die ideellen Werte ein, wie z.B. ‘Weltfrieden’, die wir ja auch haben, ein. Letztlich ist für mich alles was wir tun und was wir sagen ein Wert. Alles also was irgendwie Energie ist und was auf dieser Erde und in dieser Existenz, vielleicht könnte man auch sagen im Kosmos, irgendwelche Spuren hinterläßt. Wir können natürlich von den ganz großen Werten oder Zielen ausgehen, die wir in der SGI auch haben, z.B. Weltfrieden, die Frage ist jedoch, ob nicht alles was wir bewegen, sei es durch einen Gedanken, ein Wort oder eine Handlung oder auch einer Berührung, auch ein Wert ist, denn es hinterläßt im Leben oder im Kosmos eine Spur. Das waren meine ersten Gedanken zum Begriff ‘Werte’.
Rudi: Aber muß man dann nicht auch unterscheiden, daß es vielleicht positive oder negative Werte gibt, wenn Du sagst, daß alles was man tut oder sagt einen Werte darstellt?
Annemarie: Natürlich liegt in dem Wort ‘Wert’ auch die ‘Bewertung’. Und wer setzt den Maßstab für diese Bewertung? Vielleicht könnte man es sich an einer x-Achse vorstellen, daß es einmal in die negative und einmal in die positive Richtung gehen kann. Wer steht denn auf dem Nullpunkt und sagt, dies gehört auf die linke Seite und dies auf die rechte?
Marius: Man kann es natürlich auch so sehen, daß je mehr Wert Du schaffst, je weiter rutscht die Marke auf der x-Achse nach rechts, als Menge sozusagen, viel Wert-viel Plus.
Annemarie: Viel Wert - viel Plus, aber Rudi fragte ja nach der Bewertung des Begriffes Wert, ob positiv oder negativ, ich weiß allerdings nicht, ob der Begriff Wert dann noch gilt.
Marius: Vielleicht sollte man statt positiv und negativ einfach hoher und niedriger Wert unterscheiden.
Annemarie: Aber wer setzt den Maßstab?
Marion: Setzen wir dieses positiv oder negativ, gut oder schlecht, diese Werte die wir schaffen, wenn wir auf der Erde sind, werten wir die nicht selber?
Annemarie: Das ist ja meine Frage. Wer steht auf dem Nullpunkt und sagt in welche Richtung das einzuordnen ist? Wer bestimmt, was ein Wert ist? Geht Deine Frage dahin oder habe ich Dich mißverstanden?
Marion: Ne, ich denke es gibt keinen, der irgendwie bestimmt, ob das gut oder schlecht ist. Ich denke, daß wir das eigentlich selber bestimmen und zwar in der Zeit in der wir uns gerade nicht in einem Leben befinden. Ich stell es mir so vor: das eine Leben endet und bevor das nächste anfängt, keine Ahnung wo wir da sind, findet eine Bilanz statt. Eine Bilanz darüber, was ich in dem Leben, das ich beendet habe, eigentlich gemacht habe. Ich schaue mir bestimmte Sachen an, ich sehe die Sachen , die ich gemacht habe und nicht gemacht habe, was hab ich für mich richtig gemacht, was habe ich in meinem Leben vor und wo habe ich Fehler gemacht, wo hab ich Bockmist gebaut, wo hab ich meine Aufgabe nicht so gelöst, wie ich es mir vorgenommen habe? Ich denke daraus entscheidet sich, wann ich das nächste Mal auf die Erde gehe, um mir bestimmt Dinge vorzunehmen. Aber ich denke, es gibt niemanden, der sagt ‘dies war richtig und das falsch’, ich glaube das machen wir selbst.
Annemarie: Da würde ich Dir eigentlich zustimmen, wenn Du sagst, es gibt keinen Übergeordneten.
Marius: Zu den Maßstäben oder dem Einordnen des ‘Stellenwertes des Wertes’ fällt mir gerade ein, mir den Begriff Werteschaffende Gesellschaft mal auf der Zunge zergehen zu lassen. Ich frage mich , was hat den diese Gesellschaft für mich oder in meinem Leben für Werte geschaffen? Ich stelle fest, daß sich die Maßstäbe für meine Bewertungen verschoben haben. Ganz konkret fällt mir die Anfangszeit ein, als Du, Marion, angefangen hast zu praktizieren, ich sehr viel mit Dir zu tun gehabt habe. Wir haben viel zusammen gemacht, wir haben zusammen gechantet, ich hab Dir Gongyo beigebracht. Dadurch, daß ich an Deinem Leben teilhaben konnte, habe ich plötzlich erkannt, daß ich mein Leben ganz anders zu bewerten habe. Ich habe mich gefragt, worüber ich mich eigentlich beklage, was in meinem Leben nicht klappt. Ich habe gesehen mit was für Problemen Du konfrontiert warst, besonders auch im wirtschaftlichen Bereich. Ich habe gesehen, daß ich eigentlich, obwohl ich auch permanent jammere, doch in einer sehr stabilen und wertvollen Position bin. Plötzlich konnte ich meine Situation neu schätzen und aus dieser Stabilität heraus, Dich ganz anders unterstützen.
Marion: Dann hab ich Dir sogar etwas geben können.
Annemarie: Das führt wieder zu der Frage, die ich am Anfang hatte: Kann man allein für sich, isoliert oder als Eremit oder so, Werte schaffen oder sind wir nicht alle miteinander verbunden und es nur möglich im Zusammenhang und miteinander, mit uns allen und im Austausch , wie Du und Marion, die auch mir sehr viel gegeben hat, in diesem Austausch Werte schaffen. Ist es möglich, daß ein Mensch sich zurückzieht, um meinetwegen in einer ‘Erdmeditation’ Werte zu schaffen oder nur im Miteinander und im sich Austauschen?
Marion: Ich denke beides ist möglich. Es könnte ja sein, daß ich feststelle, daß ich an einem bestimmten Punkt angelangt bin, an dem ich beschließe, zwei Jahre in die Wüste zu gehen oder sonstwo ganz zurückgezogen zu leben. Ich glaube, daß man dadurch auch Werte schaffen kann. Ich glaube aber, daß, wenn ich es alleine schaffen will , ich schon einen bestimmten Punkt des Bewußtseins erreicht haben muß, wie ich das mache. Dieses Bewußtsein, wie ich Werte schaffen kann, das kann ich persönlich nur mit anderen erarbeiten. Das hätte ich nicht alleine gepackt. Ich denke auch, daß die Werte , die ich mit anderen zusammen schaffe, etwas ganz anderes sind.
Annemarie: Du hast jetzt auch eine Wertung mit eingebracht. Ich merke gerade, wir bewegen uns immer noch um den Begriff Werte herum. Wir arbeiten mit dem Begriff Wert, wir benutzen ihn, wir fühlen irgend etwas dabei, aber es ist schwierig das zu definieren.
Rudi: Wir haben eigentlich immer noch nicht geklärt, was Werte sind und ob es positive und negative Werte gibt. So wie ihr das definiert, indem ihr sagt, daß jeder das nur selbst festlegt, könnte man ja auch behaupten, andere zu ärgern oder gar totzuschlagen sei für mich ein Wert. Wo ist der Meßpunkt? Strengglaübige Islamisten könnten beispielsweise sagen, man solle die Ungläubigen töten, und für sie ist das ein Wert.
Marion: Warum sind sie in dieses Leben geboren, um so zu handeln. Hat das nicht auch mit Karma zu tun?
Katarina: Ich denke das hat auch noch mit etwas anderem zu tun. Ihr fragt ja die ganze Zeit, wie man denn die Dinge bewertet, wo der negative und wo der positive Maßstab ist. Jeder für sich bewertet die Dinge schon, die er für wertvoll hält positiv oder negativ. Ich würde das gar nicht so tun, positiv und negativ reinbringen. Jeder hat seine eigene Vorstellung von Wertschätzung. Mir fällt dazu zum Beispiel ein, daß ich früher die Musik , die ich jetzt gut finde, nicht wertgeschätzt habe. Früher waren es vielleicht Schlager, die ich toll fand, heute liebe ich klassische Musik. Das ist auch schon eine Wandlung von Werten und Bewertung, die man sich im Laufe des Lebens schafft.
Stefan: Ich hab mal eine Frage. Das ganze ist ja ziemlich abstrakt, jeder hat so seine Vorstellung davon. Kann man konkret sagen, was sich vielleicht verändert hat, indem man z.B. die SGI kennengelernt hat? Was herrschen für Werte vor, was hat sich verändert und wie ist das passiert? Als Beispiel fällt mir dieses Mitgefühl ein, von dem Du Marius vorhin erzählt hast, das auf einmal ganz wertvoll für Dich war.
Marius: Mich springen jetzt gerade diese Stichworte Werte und Gesellschaft an. Ich sehe jetzt rückblickend, wenn ich an die letzten sechs oder sieben Jahre denke, daß eigentlich diese Gesellschaft (die SGI) für mich zu einem Wert geworden ist. Mich hat das aus meinem etwas begrenzten Horizont herausgerissen. Ich habe mich dadurch etwas ‘erheben’ können. Vorher habe ich mich sehr in Schwulenkreisen bewegt und über den Tellerrand gar nicht so hinüberblicken können. Ich bin in diesen Jahren im ganzen wesentlich offener geworden. Schließlich, um den Kreis zu schließen, hat mich das dahin gebracht, fähig zu sein, jemandem wie Marion in bestimmten Zeiten zur Seite zu stehen.
Rudi: Mir fällt noch ein anderer Aspekt ein. Ich habe damals in der Schule schon von unserem Grundgesetz gehört, in dem ja auch verschiedene Grundwerte verankert sind. In den ersten Artikeln stehen diese Grundwerte, nur hat mir das nie besonders viel gesagt. Im Kontakt mit der Soka Gakkai ist mir klar geworden wie wichtig das ist und wie klug es war, diese damals mit aufzunehmen. Zum Beispiel der Artikel ‘Die Würde des Menschen ist unantastbar’ drückt für mich auch schon so ziemlich den höchsten Wert aus. Für mich sind ganz wichtige Werte schon in unserem obersten Gesetz verankert und ich finde das stimmt ziemlich mit buddhistischen Aussagen überein. Das hat für mich das auch bestätigt und veranlaßt mir Gesetze mal näher anzusehen und zu fragen, was dort eigentlich wirklich drinne steht und was sie bezwecken.
Annemarie: Für mich hat sich seit ich die Soka Gakkai kenne an den Wertvorstellungen und auch an der Art diese umzusetzen gar nicht so sehr viel geändert. Ich bin nur in der Umsetzung vielleicht etwas leiser geworden. Ich gehörte früher absolut zur linken Szene und zwar zu den sehr lauten. Ich hab zwar versucht auch gewaltfrei zu leben, aber das ist mir zumindest in Gedanken nicht immer gelungen. Ich bin jedoch in der Umsetzung der Werte, die ich auch früher hatte und im Zusammenleben mit anderen versucht habe zu verwirklichen, ein ganzes Stück differenzierter geworden. An den Wertvorstellungen selbst und auch an dem Versuch, meine Wertvorstellungen, und ich kann nur von meinen sprechen, umzusetzen, hat sich eigentlich nicht viel verändert. Ich kann nicht großartig sagen vorher und nachher.
Marion: Ich kann schon vorher und nachher sagen. Ich bin mir wertvoller geworden. Seit ich praktiziere bin ich mir selbst wertvoller geworden. Ich sehe mich ganz anders als früher. Früher hab ich mich ständig kritisiert und war mit mir unzufrieden, hab mich eigentlich ständig selber an die Wand gestellt und an mir rumgenörgelt. Heute erkenne ich, daß ich etwas wert bin. Ich merke, daß , wenn ich erkenne, daß ich etwas wert bin, ich daraus den Schluß ziehe, daß auch andere Menschen etwas wert sind. Der erste Schritt ist, mich selbst zu akzeptieren. Dann erst kann ich andere akzeptieren und wertschätzen. Das ging eigentlich ziemlich gleichzeitig miteinander einher. Ich hab in der SGI zum ersten Mal in meinem Leben Menschen kennen gelernt, zu denen ich hinkommen konnte, auch wenn es mir absolut ‘Scheiße’ ging und ich mich nicht verstecken mußte. So nach dem Motto ‘die ist doof drauf, der geht’s scheiße’ oder ‘ich schäme mich - das darf mir ja nicht passieren’. Es war Ok. Ich wurde genauso mit offenen Armen empfangen, genauso wie anders auch. Ich durfte da sein, egal wie ich war. Darüber habe ich gelernt ‘ich bin etwas wert’ und ‘ich darf das ja’. Darüber habe ich dann gelernt, daß die Menschen mich begleiten und ganz viel wert sind, weil sie mich das auch wert sein lassen. Hat man das verstanden?
Rudi: Dem kann ich mich eigentlich ziemlich gut anschließen.
Katarina: Das ist wirklich ein ganz wichtiger Punkt, und wo Du das jetzt so klar sagst, kann ich sagen, für mich stimmt das auch irgendwo. Ich glaube das stimmt für ganz viele Menschen, die eigene Wertschätzung haben die meisten nicht gelernt. Im Alltagsleben geht es meist andersherum. Ich denke deshalb auch, daß das ein ganz wichtiges Potential ist, was wir haben in der SGI. Daß wir nämlich jeden so wertschätzen wie er ist, mit seinen Begabungen, seinen Fähigkeiten und auch sogar mit seinen negativen Seiten.
Marion: Ich merke aber auch seit dem, daß ich mir nicht mehr so viel gefallen lasse. Das heißt ich werde sensibler dafür was Kritik ist und was das Gefühl ‘so wie Du jetzt bist will ich Dich nicht’, wenn es mir entgegengebracht wird. Wenn jemand mich umkrempeln will, will daß ich anders bin, mich ändern will und meint ich müsse anders werden, bin ich dafür sensibler geworden. Ich lasse nicht mehr so viel mit mir machen wie vorher. Ich habe es jetzt anders kennengelernt, ich weiß daß es anders geht und ich das anders will, und darüber gehe ich mit mir anders um. Für mich ist das ein ganz wichtiger Punkt. Ich kann mit mir lieber, netter und geduldiger umgehen und muß nicht ständig auf die anderen hören, die rumkritisieren. Ich denke, daß ist ein ganz großer Wert, den ich damit geschaffen habe - in mir, für mich und damit auch für andere. Ich glaube auch ganz einfach, daß ich besser auszuhalten bin als früher.
Annemarie: Das stimmt absolut. Was möchtest Du jetzt hören?
Marion: Das was Du gesagt hast.
Stefan: Dieser Punkt (Erziehung) fehlt mir noch. Wie lernt man das denn? Wie kommt das zustande, kann man dazu etwas sagen?
Annemarie: Mir fällt dazu ein, daß man um ein Gefühl für Werte zu bekommen, man ja eine gewisse Wertvorstellung gebraucht. Ich kann mir vorstellen, daß Wertvorstellungen sehr früh schon, vielleicht schon im Mutterleib oder als ganz kleines Baby, angefangen vermittelt zu werden. Die Summe der Erfahrungen oder Prägungen, die man macht bzw. erfährt, kann auch negative oder positive Werte setzen. Erziehung ist nicht nur etwas, was wir unseren Kindern antun, auch im Umgang und auch in der Auseinandersetzung miteinander geschieht etwas neues. Vielleicht werden so Wertvorstellungen, die wir in unserer frühesten Prägephase mitbekommen haben, sogar negative Werte, im Umgang miteinander in der Soka Gakkai zurechtgerückt. Das können wir dann wieder an andere, wenn wir Glück haben an unsere Kinder, oder auch an andere Menschen weitergeben, indem wir miteinander gehen und uns gegenseitig korrigieren und spiegeln. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß wir hier Wertvorstellungen, die wir ganz früh mitbekommen haben oder an die wir uns lange haben klammern müssen, abgeben können und durch etwas anderes ersetzen können. Ich glaube nicht, daß Erziehung etwas ist, daß von oben nach unten geht, sondern auf einer gleichberechtigten Basis erfolgen kann. Ich glaube auch Eltern, die ja von ihrer staturischen Größe her schon so unterschiedlich sind, sollten vermeiden von oben nach unten zu erziehen. Das Kind müßte im besten Falle ein gleichberechtigter Partner sein. Erziehung beschränkt sich eben nicht nur auf Kindererziehung, sondern erweitert sich auf das , was wir miteinander machen. Vielleicht ist der Begriff Erziehung manchmal auch nicht der richtige. Ich reagiere jedenfalls gelegentlich etwas übersensibel auf diesen Ausdruck. Sich gegenseitig korrigieren, sich miteinander auseinanderzusetzen, sich zu akzeptieren und sich zu spiegeln, sich aber auch zu lassen und zu sagen, in diesem Punkt bist Du eben anders und das ist OK - auch das ist in weitestem Sinne Erziehung. Ich möchte heute aber keinem mehr das Recht geben , mich von oben nach unten, ich in der unteren Situation, zu erziehen. Dagegen würde ich mich wehren.
Marion: Ich muß sagen, daß ich diese gleichberechtigte Ebene mit meinem Sohn nicht immer finde. Aber es hat sich eine Menge geändert in der Erziehung meines Sohnes seit ich Buddhismus praktiziere. Ich hab früher immer versucht durchzusetzen, daß das was ich für richtig halte auch gemacht wird. Dabei habe ich auch mit Druck gearbeitet unter dem Motto ‘ich weiß was richtig ist, das was du machst ist falsch, also läßt du das gefälligst’. Das hab ich zwar nicht so gesagt, aber in meiner Art, wie ich mich ihm gegenüber verhalten habe, zu verstehen gegeben. Ich habe gemerkt, daß ein wahnsinniger Druck auf mich zurückkommt. Je mehr Druck ich eingesetzt habe, desto schwieriger wurde es und irgendwann knallten wir beide nur noch aufeinander. Das Ende vom Lied war, daß ich irgendwann auf dem Boden lag, heulte und sagte, mir wüchse es alles über den Kopf und ‘ich kann nicht das mehr’. Ich hab in der Erziehung gelernt, mit mehr Verständnis auf ihn zuzugehen und ihn wirklich so zu akzeptieren, wie er ist. In ganz vielen Punkten ist er ganz anders als ich. Einige Sachen bringen mich heute noch zur Raserei, aber ich habe gelernt mich hinzusetzen und zu sagen OK. -das ist sein Weg, er ist ein eigenständiges Wesen. Ich kann ihm jetzt vermitteln, daß das OK ist, daß das eben er ist, ein Teil von ihm. Vielleicht ist es seine Träumerei, seine Langsamkeit -alles über den Kopf zu machen und keine Spontaneität zu haben. Vielleicht ist das ein Wert von ihm, genauso wie mein Wert genau das Gegenteil ist. Ich denke das ist ein wichtiger Punkt in der Erziehung, den Du ja auch schon angesprochen hast. Zu akzeptieren, daß das Kind, auch wenn es aus meinem Bauch kommt und ich meine ich habe ihm ganz viel mitgegeben, daß sich wenn er groß wird, die Unterschiede, die man sich ja gar nicht erträumt hat, da man ja immer so ein Stück Ebenbild von sich selbst erwünscht, zeigen. Man muß davon loslassen und ihm vermitteln , daß das sein Weg ist und daß es OK ist. Ändern kann ich es eh nicht.
Annemarie: Ich kenne diese verschiedenen Muster: 1. ich bin OK- Du bist nicht Ok. 2.Ich bin nicht OK - Du bist OK. (den anderen erheben), es gibt aber auch das Bild 3.ich bin OK - Du bist OK. Das bedeutet, nicht Verhaltensweisen beim Kind blind zu tolerieren, sondern auch zu vermitteln ‘Du bist OK, aber was Du jetzt gemacht hast ist nicht OK. Du bist OK, aber Dein Verhalten ist nicht OK. Dies ist auch etwas was wir in der Soka Gakkai lernen können: ich bin OK - Du bist OK, und trotzdem die Ehrlichkeit aufrecht zu erhalten. Ich glaube es gehört zur Erziehung, den anderen in seiner Persönlichkeit zu akzeptieren und zu respektieren. Das heißt nicht , jede Verhaltensweise zu tolerieren. Aber man kann davon ausgehen, um mal dieses schöne hohe Wort zu nehmen, daß jeder die Buddhaschaft hat, auch wenn sie manchmal arg versteckt ist, auch bei mir selber.
Rudi: Aber gerade bei Kindern ist es doch schon so, daß man ihnen sagen muß, wenn etwas nicht OK ist. Man muß ihnen auch Grenzen setzen. Darüber wird auch in der Gesellschaft sehr viel diskutiert, ob man Kindern Grenzen setzen muß und wie man das macht. Ich denke man muß das schon, bin mir aber auch nicht ganz sicher.
Marion: Es ist wichtig zu sagen, was man nicht gut findet, aber auch zu zeigen, daß man jmd. als Mensch mag. Einen Teil nicht richtig zu finden , ist etwas anderes als die ganze Person abzulehnen. Nicht das ganze Puzzlebild ist schlecht, sondern vielleicht ein paar Teile, und trotzdem ist das Bild schön.
Rudi: Genau das wird oft nicht gemacht.
Katarina: Deswegen ist auch ganz wichtig, daß wir uns immer wieder sehen und treffen und daß wir uns in dieser ganzen Vielfalt an Menschen, die da zusammenkommt, uns gegenseitig ermutigen oder auch kritisieren, aber nicht in der Art, daß wir jemanden runtermachen. Wir sprechen Dinge an, von denen wir meinen, daß sie nicht in Ordnung sind. Die Art wie man das sagt ist auch ganz wichtig. Das bedeutet nicht, daß wir uns gegenseitig ‘erziehen’, indem wir uns runtermachen und nur sagen ‘so geht das nicht’. Das kann man zwar auch mal sagen, aber gleichzeitig ist es wichtig zu vermitteln ‘das ist Dein Verhalten, aber Du als Mensch bist wertvoll’.
Annemarie: Ich weiß es nicht genau, aber es gibt glaube ich nur in der deutschen Sprache dieses Wort ‘Erziehungsgewalt’.
Katarina: Das geht mir überhaupt nicht gut über die Lippen, dieses Wort.
Annemarie: Ich denke es ist wichtig, daß in der Soka Gakkai jeder einzelne sich selbst immer wieder überprüft, in dieser Auseinandersetzung, in dieser Spiegelung miteinander und auch in dem Umgang mit unseren Kindern, wieviel Gewaltpotential da eigentlich drinne ist und wieviel Gewalt, auch verbale Gewalt, benutze ich im Moment. Für mich ist wichtig, durchaus in der Reaktion oder auch im Umgang miteinander, ich vermeide jetzt das Wort Erziehung, spontan zu sein und auch Reaktion zu zeigen und dabei wirklich präsent zu sein, von verbaler Gewalt dabei, ohne jedoch halbseiden zu werden, runterzukommen. Das ist für mich sehr wichtig, durchaus auch mit Emotionen zu reagieren, die gehören zu mir - das bin ich, aber mich selbst zu korrigieren und zu überprüfen, wo auch in meinen Gedanken und in meinen Worten Gewalt ist. Gewalt zerstört im schlimmsten Fall, im weniger schlimmen Fall manipuliert sie nur, wo ist Gewalt bei mir selber drinne? Das Wort ‘Erziehungsgewalt’ in der deutschen Sprache finde ich grausig.
Marion: Aber auch wenn die Gewalt in mir selber, sprich in meinen Gedanken ist, ist es wichtig sie sich anzusehen und sagen zu können ‘sie ist da’. Ich kann mich nicht hinstellen und sagen, sie soll jetzt weg sein.
Annemarie: Hingucken und es sich bewußt machen, mitkriegen was das ist. Werte zu erkennen und letztlich auch zu schaffen gelingt mir dann, wenn ich mein Bewußtsein immer mehr schärfe und besser sensibilisiere. Es geht nicht darum sofort einen globalen Wert oder einen kleinen Wert zu schaffen, sondern erstmal mitzukriegen, es ist ein Wert oder es ist Gewalt. Bewußt die Dinge wahrzunehmen, d.h. auch sehr präsent in jedem Augenblick zu sein. Werte können wir schaffen, nicht im großen Fernziel wie ‘wir schaffen jetzt den Weltfrieden’, oder auch in abstrakter Erziehung ‘wir spiegeln und korrigieren uns’, sondern der erste Schritt heißt ‘wirklich’ zu leben und das heißt, in jeder Sekunde da zu sein.
Rudi: Ich möchte schon die großen Visionen haben für mich und in meinem Leben. Ich hab mich ja gerade mit Planungstheorie beschäftigt. Da gibt es seit einigen Jahren eine Entwicklung, daß man so plant ,indem man sagt, man macht nur kleine Schritte, auch weil man gar nicht mehr Geld hat. In den 60ern wollte man alles ganz groß, die ganze Gesellschaft auf einmal verändern. Man macht jetzt also kleine Schritte, aber man hat doch eine Vision und ein Ziel dabei. Diese kleinen Schritte nennt man Inkrementalismus, weil es immer nur ganz kleine Verbesserungen sind, aber es ist gleichzeitig ein perspektivischer Inkrementalismus, denn er hat eine Perspektive und weiß in welche Richtung diese kleinen Schritte gehen sollen. Ich finde es ganz wichtig, trotzdem diese große Vision von Weltfrieden zu haben und von Frieden in der Gesellschaft, und andererseits zu gucken, ich in meinem kleinen Umkreis, auf den ich ja einen viel direkteren Einfluß habe, immer wieder zu überprüfen, ob das damit auch übereinstimmt.
Annemarie: Da stimme ich Dir absolut zu. Ich meinte nur, es bringt nichts nur dieses große Fernziel zu haben, und zu denken, da ich es nicht erreichen kann, tue ich gar nichts.
Katarina: Ohne ein Ziel kann man gar nichts beginnen. Ohne die kleinen Schritt zu machen und dabei auch wertvoll zu sein , schafft man auch kein großes Ziel.
Annemarie: Ich glaube ich brauche auch das große Ziel, um mich zu begeistern und diese Begeisterung dann aufrecht zu erhalten.
Rudi: Es gibt einem neue Triebkraft. Und die Vision hat auch Auswirkungen auf unsere Werte. Es stellt sich die Frage, was denn diese Werte sind, die sollen ja auch darauf hinweisen.
Marion: Und dafür brauche ich wiederum die anderen, die Gemeinschaft, um diese große Vision am Leben zu erhalten. Sonst geht sie mir im Alltag, in meinen kleinen Schritten, verloren. Ich persönlich brauche immer wieder die anderen Menschen, um mit denen darüber zu reden und ein Stück weit gemeinsam daran festzuhalten. Sonst sitze ich irgendwann in der Ecke und sage zu mir ‘ach Du Träumerin- Du bekommst doch noch nicht mal deinen Tag so geschafft wie du es willst’.
Katarina: Der Austausch, das gegenseitige Vermitteln, sich gegenseitig zu ermutigen und zu unterstützen.
Marion: Und zu merken, daß man nicht allein diesen Glauben an das große Ziel hat, sondern daß es noch ganz viele gibt, die es eigentlich auch wollen. Dadurch wird es greifbarer für mich und rückt näher.
Stefan: Es ist für mich jetzt bei diesem Gespräch rübergekommen, daß der Austausch, daß man in der Gruppe zusammen ist, mit allem was da passiert, ein ganz wesentliches Element ist in der Soka Gakkai. Auf der einen Seite die Klärung für sich selbst , durch die buddhistische Praxis klarer werden und den Wert Buddhaschaft zu erkennen und in sich selbst zu finden, und auf der anderen Seite das mit anderen zu teilen, sich auszutauschen, zu korrigieren und zu unterstützen.
10.2.2 Diskussionsversammlung der Gruppe ‘Mond’ am
Die Versammlung begann mit der gemeinsamen Praxis der buddhistischen Ausübung, an der man sich beteiligen oder zuhören konnte. Es folgte eine Vorstellungsrunde der Teilnehmer und dann fragte ich, ob ich das Gespräch an diesem Abend mitschneiden dürfe, um es für meine Arbeit auszuwerten. Alle waren einverstanden.
Teilnehmer: Nina (ca. 30 Jahre/4 Jahre buddh. Praxis), Heinrich (ca. 38 Jahre/ Schauspieler/12 Jahre buddh. Praxis), Sabiene (Gast/ Psychotherapeutin/ ca 40 Jahre), Martin (30 Jahre/Schauspieler u. Musicaldarsteller/6 Jahre buddh. Praxis), Klaus (Kommunikationsdesigner/ca. 40 Jahre/1 Jahr buddh.
Praxis), Katrin (selbstständig/ca. 40 Jahre/4 Jahre buddh. Praxis), Annemarie (ca. 40 Jahre/ Krankenschwester-Ausbildung zur Heilpraktikerin/3 Mon. buddh. Praxis), Franz (ca. 40 Jahre/Heilpraktiker / 15 Jahre buddh. Praxis), Stefan (ich).
Stefan: Ich hab ein paar Zettel vorbereitet, auf denen die Themen, die mich besonders interessieren, aufgeschrieben sind. Ich möchte gar nicht so viel Theorie einbringen über Buddhismus oder Soka Gakkai oder Makiguchi. Was mich besonders interessiert ist, wie die Leute, die schon länger dabei sind, wie sie das erleben, wieso das eine Gesellschaft für Erziehung ist und wieso sie Werteschaffende Gesellschaft heißt. Andererseits ist alles was mit dem Thema Werte zusammenhängt interessant, egal ob man schon länger dabei ist oder nicht oder auch Gast ist heute abend, es ist ja ein Thema, das alle angeht.
Heinrich: Im neuen Forum gibt es einen Bericht des Präsidenten dieser Laienorganisation (die
Priesterschaft und Laien haben sich getrennt), indem er davon spricht, daß es nicht nur um Soka
Gakkai International geht, weil das eher zwischen den Nationen bedeutet, sondern um Globalität und Transnationalität. Es geht um die Erschaffung von Solidarität unter den Menschen und zwischen
Individuen über Landesgrenzen hinweg. Und das unabhängig von Regierungen , Staaten und Verwaltungsformen. Ein besonderer Wert , der dabei angestrebt wird, ist Freundschaft. Das ist natürlich leichter gesagt als getan mit der Freundschaft. Es gibt aber bereits viele Freunde des Mystischen Gesetzes auf der ganzen Welt.
Martin: Ich hab dazu zwei Sachen in der letzten Zeit erlebt, die mir dazu einfallen. Ich bin privat im Moment in einer ziemlich komplizierten Situation. Ich hab ein Kind mit meiner Frau, habe mich aber vor ca. 8 Wochen von ihr getrennt. Das Verhältnis ist sehr kompliziert und auch traurig zum Teil. Ich bin eigentlich noch nie in einer solchen Phase gewesen, daß ich Sachen, die so lange für mich klar waren, so tief hinterfrage, wie im Moment. Neulich war ich auf einer Versammlung in einem Zentrum, welches wir am Rhein in Bingen haben. Dort haben wir uns auch in einer kleinen Gruppe ausgetauscht und ich hab so erzählt, daß alles im Moment irgendwie anders ist bei mir und sich so vieles verändert hat. Es war einer dabei, ein Japaner, der schon lange praktiziert und der fragte mich: „Du machst doch bestimmt auch eine Erfahrung damit, die irgendwie ermutigend ist.“ Daraufhin habe ich darüber nachgedacht und bemerkt, daß ich die letzten zwei, drei Monate immer sehr viel über meine Schwierigkeiten gesprochen habe, aber sehr wenig darüber was ich dadurch gewinne. In dem Moment, wo ich mir darüber Gedanken gemacht habe, ist mir total viel aufgefallen, was ich dadurch gewinne, was an Freiheit für mich entsteht, was neues daraus entsteht, was für eine Art neuer Sicherheit auch daraus entsteht in meinem Leben. Ich merke, ganz viele Dinge um mich herum geraten ins Schwanken, aber ich verliere nicht mein Zutrauen zum Leben, ich kann dadurch weiterkommen. Wenn ich vor sechs oder sieben Jahren in eine solche Situation gekommen wäre, wäre ich, glaube ich, ziemlich baden gegangen. Und nun schaffe ich es doch immerhin meinen Beruf weiter auszuüben, versuche zumindest, mit meinen Freunden in Kontakt zu bleiben, was manchmal auch nicht so leicht ist. Meine Tendenz ist es , nur das zu sehen, was mir schwer fällt, womit ich Schwierigkeiten und Mühe habe. Schwieriger ist es, aber viel schöner, wenn man sich daran erinnert, was eigentlich ein Wert ist im Leben, was aus der Situation neues entsteht, was einem selbst Kraft gibt und was vielleicht auch anderen, wenn man es mit ihnen teilt, Kraft geben kann.
Katrin: Meinst Du den Wert in Dir selbst finden, nicht im Außen?
Martin: Ja, und daß in dem Moment ein Wert daraus entsteht, wenn man versucht die Sache von einer anderen Seite zu sehen. Auch eine schwierige Situation kann wertvoll sein, wenn man sie daraufhin untersucht, was daran gut ist und nicht nur daraufhin, was daran schwer ist. Daß das Leben schwer ist, weiß doch sowieso schon jeder irgendwie.
Katrin: Mir fällt dazu ein, daß Präsident Ikeda, ich kann jetzt den Wortlaut nicht wiedergeben, sagt, man solle eine Säule des Selbstvertrauens in sich errichten durch das Chanten. Deswegen meinte ich den Wert in sich selbst sehen. Daß einen die äußeren Bedingungen des Lebens gar nicht mehr so aus der Bahn werfen können. So geht er ja mit den Schwierigkeiten in Japan auch relativ gelassen um. Ich finde das ein schönes Bild, die Säule in Verbindung mit dem eigenen Rückrad.
Heinrich: (erklärend) Das ist ein Ziel. Das erreicht man, wenn man viel chantet. Irgendwann entsteht dann wieder Mut. Zwischendurch hat man alle Phasen, Verzweiflung, Angst, Eingeschüchtertsein, Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, doch wenn man viel chantet kann man, durch die Entschlossenheit sein Problem zu überwinden und durch die innere Einstellung, die man dann ändert, sein Problem überwinden. Mit Hilfe des Daimoku, dem Rezitieren von Nam-Myoho-Renge-Kyo kann man in sich selbst einen neuen Weg öffnen. Das ist auch die tiefe Bedeutung davon, daß man, egal wie schwierig die Situation ist, immer wieder Hoffnung in sich selbst hervorbringen kann. Das ist eigentlich auch schon die Philosophie, die dahinter steckt, immer Hoffnung geben, nicht irreal oder mystisch oder so, sondern ganz konkret. Das muß man erkämpfen, das wird einem nicht geschenkt.
Franz: Was mir mal klar geworden ist zum Thema wieso Buddhismus eigentlich zum Frieden beiträgt, ist, daß der Grund eigentlich darin zu suchen ist, daß man sein Denken umerziehen muß. Man fängt an, anders zu denken. Wenn man jemanden als Buddha respektiert, und die Grundlage ist ja, daß jeder Buddha ist, kann man eigentlich keinen mehr ablehnen. Das ist wie eine grundlegende Übung, vielleicht so wie es im Christentum heißt ‘Liebe Deine Feinde’. So ist es im Buddhismus erklärt, man sagt, daß jeder eigentlich Buddha ist, dann kann man keinen mehr ablehnen, jeder hat auch die besten Qualitäten in sich und man muß sie nur bei vielen suchen, bei sich selbst natürlich auch. Ich hab mal ein Beispiel gehört von einem Buddhisten, der bei der amerikanischen Armee war. Er war Panzerfahrer im Golfkrieg. Als Buddhist Soldat zu sein ist ja erstmal ein Widerspruch und er hat sich, als sie in den Golfkrieg ziehen sollten, Rat geholt. Der buddhistische Rat , der ihm gegeben wurde, war: „Mach Dir eins klar, wenn Du einen anderen tötest, tötest Du einen Buddha.“ Das war eine ganz grundlegende Sache, daß jeder Mensch eigentlich Buddha ist, ob er Buddhismus praktiziert oder nicht, das ist ganz egal. Er hat auch eine Erfahrung gemacht, die er in dem Europazentrum in Trets erzählt hat. Er hat im Panzer gesessen und gechantet, er war der Panzerkommandant, und sie hatten den Auftrag, ein bestimmtes Ziel zu vernichten. Er hat also innerlich sozusagen das mystische Gesetz in Anspruch genommen und gesagt, er möchte keinen Buddha töten, er möchte eigentlich keinen Menschen umbringen, weder einen Iraker noch sonst einen. Es kam dann aber der Befehl und sie sollten dieses Ziel abschießen. Hinterher haben sie dann festgestellt, daß in der Zeitspanne, wo sie sich etwas Zeit gelassen hatten, die Leute alle abgehauen waren. Sie haben also nur Material zerstört. Ich denke, daß der Sinn für Frieden darin liegt, daß man anfängt umzudenken. Daß man in der Welt mit den Leuten mit denen man zu tun hat, sich zwingen muß, die anders zu sehen, auch wenn das schwer ist. Man muß im Prinzip anfangen zu fragen, wo denn der Wert des anderen ist und anfangen, diesen Wert auch ‘rauszukitzeln’. Das ist glaube ich eine große Bemühung für einen selber, in seinem Umfeld anzufangen zu fragen, wo der Wert des anderen eigentlich ist, und diesen ‘rauszukitzeln’ und nicht nur immer das Negative zu sehen. Das ist meiner Meinung nach auch eine totale Qualitätserhöhung der gesamten Gesellschaft, wenn man anfängt, auf diese Weise für alle umzudenken.
Sabiene: Daß man erstmal chantet, bevor man jemanden verurteilt?
Franz: Genau.
Heinrich: Wenn man in der Situation dann dazu kommt.
Katrin: Na ja , aber eigentlich ist die Erfahrung ja auch, bei mir jedenfalls, wenn ich chante, daß mein Lebenszustand höher ist. Ich bin besser gelaunt, bin besser drauf und dann auch nicht so negativ anderen gegenüber. Das ist eigentlich eine direkte Folge kann man sagen, ich muß mich da manchmal gar nicht so bemühen. Ich halte auch nicht so viel davon von dieser Überbetonung des Bemühens. Ich finde es besser, wenn es entsteht.
Heinrich: Wir haben früher sehr viel darüber diskutiert, schon vor einigen Jahren, über Bezeichnungen. Wir haben uns immer darüber aufgeregt, daß etwas als Kampf bezeichnet wurde.
Sabiene: Was ist ein Kampf?
Heinrich: Na ja , daß das Leben eben ein Kampf ist. Man spricht auch von dem Kampf zwischen Buddha und Teufel. Buddha steht dabei für die positiven Lebensenergien und Tendenzen und Teufel für das Zerstörerische, für die Destruktivität. Im Buddhismus ist das aber nicht so schwarz-weiß dualistisch wie in der evangelischen oder katholischen Religion. Man spricht aber dennoch von der stärksten positiven und der stärksten negativen Kraft als extreme Polaritäten.
Katrin: Es gibt diese doch ganz einfach , nicht wahr?
Heinrich: Die gibt es, sie beinhalten sich aber auch gegenseitig, auch in der niedrigsten Form von Leben gibt es die Buddhaschaft, aber auch den Teufel des sechsten Himmels. Damit ist die Inkarnation des absoluten Destruktiven gemeint, die Atombombe zum Beispiel. Es gibt also auch immer einen Kampf zwischen Buddha und Teufel. Und es wird oft betont, daß wenn man in diesem Kampf nachläßt, die dämonischeren Kräfte des Lebens, ohne jetzt hier so eine komische schwarz- weiß Geschichte zu meinen, die Überhand an sich nehmen. Diesen Kampf muß man selber in sich austragen. Natürlich ist es schöner und angenehmer, wenn einem das alles zufliegt und man auf Wolke 7 schwebt.
Katrin: Das meine ich aber auch nicht.
Heinrich: Das ist das was wir versuchen. Ich bin da auch nicht immer so konsequent. Was mir oft fehlt, ist eine Kontinuität zu schaffen, morgens und abends, das Regelmäßige. Es wird ja auch immer wieder gesagt, daß das Vertrauen eine Basis für das ganze Leben schafft. Dann, kann man sagen, ist es vielleicht nicht mehr so extrem. Wenn man diese Basis vernachlässigt, geht die Waage rauf oder runter. Damit diese Praxis funktioniert, ist es auch wichtig, Schriften zu studieren, anderen davon zu erzählen und diese Ausübung korrekt zu machen. Wenn man sie nicht korrekt macht, bekommt man auch entsprechende Resultate.
Sabiene: Dazu hab ich eine Frage , zu den Teufeln. Was ich darunter verstehe, wenn ich das so höre, dann sind das erstmal die Ego-Kräfte, wenn ich denen zu viel Gehöhr schenke. Dann komme ich in eine Sackgasse. Ist das auch so gemeint?
Heinrich: Könnte man vielleicht auch so verstehen. Wenn es nur noch um einen selbst geht.
Sabiene: Manchmal merkt man das ja auch gar nicht. Man ist in guter Absicht und es geht doch um etwas anderes.
Franz: Man kann das auch üben, und das gehört auch zur buddhistischen Ausübung, sich um andere zu kümmern, theoretisch sag ich jetzt mal. So einfach ist das nicht. Da hat man große Widerstände, sich um andere zu kümmern, weil man hat da eigentlich gar keinen Bock drauf. Das Tolle an der Sache ist aber, daß, wenn man diesen Punkt knackt bei sich, mal von sich wegzukommen, man sich selbst ungeheuer bereichert. Wenn man das endlich mal schafft, diesen komischen inneren Kern zu verlassen, der sich immer nur um sich selber dreht, öffnen sich in diesem Moment Welten. Ich verstehe das immer so , wenn man die Buddhaschaft erreicht, ich weiß ja nicht was das für ein Zustand ist, aber ich kann mir vorstellen, daß man einfach so viel Mitgefühl für alle Menschen entwickelt, daß man im Prinzip auch das Empfinden für alle Menschen mitbekommt. Man erweitert also total sein Bewußtsein, man fühlt mit anderen mit, man fühlt mit der Natur, man fühlt für andere Völker mit und auf einmal bekommt man einen so weiten Horizont, daß man sozusagen eine unendliche Weisheit dadurch erlangt. So stelle ich mir das vor.
Klaus: Ja, aber das ist genau das was für mich beim Chanten passiert. Ich merke, daß ich das dafür mache, weil es in dem Moment passiert. Ich möchte deshalb auch noch mal daran anknüpfen, was Heinrich sagte, und was wir auch schon mal besprochen hatten, ob es da etwas gemeinsames gibt. Ich hatte letzes mal ein bißchen das Gefühl oder es war mir ein bißchen mißverständlich, warum es so bedeutsam sein soll oder wieso Du das so verteidigt hast, für materielle Dinge zu chanten.
Heinrich: Auch.
Klaus: Das ist für mich fast ein Widerspruch. Es darf zwar sein, wenn man so ist. Ich merke das aber in dem Moment, daß mir Materielles wichtig ist, wenn es denn so ist, und in dem Moment löst es sich auch schon. Wenn ich es merke, ist es für mich schon gar nicht mehr wichtig. Ich war überrascht, daß Du daran so festhieltest.
Heinrich: Es gibt, so wie ich den Buddhismus verstehe, weder die Verdammung des Materiellen noch die Überhöhung. Das Materielle hat seinen Platz, es ist notwendig und gehört zum Leben dazu. Wenn jemand in einem Defizit steckt, in bitterer Armut z.B. oder letztes Mal war es einfach eine Frau, die eine Waschmaschine braucht. Wir wissen nicht wieviele Kinder sie hat, wieviele Windeln sie zu waschen hat oder für wieviele Leute sie mitwäscht. Sie braucht dafür diese Waschmaschine. Wenn sie dafür chantet, das zu schaffen, diese Waschmaschine zu bekommen, kann diese Waschmaschine plötzlich Hygiene, Gesundheit usw. bedeuten. Wir können also nicht sagen, daß wir es verdammen, daß jemand für eine Waschmaschine chantet. Wir haben im Gegenteil gesagt, es sei unwichtig, egal wofür jemand chantet, wenn es für das Glück der anderen Menschen und für das eigene bedeutsam ist.
Sabiene: Ich wollte mal fragen, chantet man eigentlich um irgendwas?
Stefan: Mir fällt da jetzt auch eins zu ein. Es gibt da ein Prinzip, was mir dazu einfällt, ‘irdische Begierden sind Erleuchtung’. Das findet man auch auf dem Gohonzon, ich weiß nicht ob rechts oder links, eins von diesen Sanskrit-Zeichen. Das bedeutet, daß man das, was man an Begierden hat, nutzt, um damit zum Gohonzon zu gehen. Und wenn das eine Frau ist oder ein Mann oder wenn es eine Waschmaschine ist oder zehntausend Mark, die man haben will, geht man genau damit hin, und fängt an zu chanten. Dieses Chanten erweckt sowieso die Buddhaschaft und man merkt auch, ob dieser Wunsch überhaupt wirklich wichtig ist oder was dahinter steht. Hauptsache ist, daß er dich dahin führt den Buddha in dir zu öffnen. Dann wirst Du auch die Kraft entwickeln, und du mußt es ja eh selber schaffen, es kommt ja nicht auf magische Weise angeflogen oder so, um das zu realisieren was man sich wünscht. Buddha heißt ja auch Lebenskraft. Die Begierde kann also ein Motor sein.
Heinrich: Daisaku Ikeda sagte dazu, das Ziel des Buddhismus sei, ein ‘großes Selbst’ zu entwickeln, das eben nicht nur an sich denkt. Dafür muß man in sich selbst stark und stabil werden, so daß man das kleine Ich, das wir ja auch haben, überwinden kann. Das kann man sich zwar wünschen, aber man muß es entwickeln, dazu bedarf es viel Daimoku und auch Handlung.
Katrin: (an Sabiene gewandt) Die Antwort auf die Frage wofür man chantet, ist doch eigentlich das Glück. Man kann auch richtig gezielt für das Glück von anderen chanten, an sie denken mit dem Herzen. Und auch für das eigene Glück kann man chanten, da kann auch ne Waschmaschine dazu gehören. Du wirst glücklich, wenn Du etwas für andere tust, aber Du wirst auch glücklich wenn Du was für Dich tust, weil Du für Dich sorgst. Ein Ziel ist es auch, daß man unabhängig sein kann, unabhängig von anderen sein Leben gestalten kann. In finanzieller Hinsicht ist es ja auch nicht gut, wenn Du immer Sozialhilfeempfängerin bleibst. Das kann also auch bedeuten, sich eine Basis zu verschaffen, auf der man leben kann.
Annemarie: Aber ich glaub nicht, daß das vom Geld abhängig ist.
Katrin: In unserer Gesellschaft gehört das Geld dazu.
Annemarie: Ich kann mich doch auch innerlich frei fühlen. Das würde ich von materiellen Dingen trennen.
Sabiene: Warst Du schon mal Sozialhilfeempfängerin. Ich finde da fühlt man sich nicht so frei.
Annemarie: Ne, ich bekomme nun Arbeitslosengeld.
Heinrich: Das ist doch auch nicht nur so lustig, oder?
Annemarie: Ich finde das sehr lustig im Moment.
Katrin: Das sollte auch nicht als Wertung rüberkommen, daß Du das auf keinen Fall sein solltest.
Annemarie: Ich sehe einfach einen Riesenunterschied zwischen dem was hinter der Waschmaschine steht und den 10.000 Mark. Ich merke so, daß dieses Chanten und überhaupt die Beschäftigung mit dem Buddhismus nimmt mir mein Gift. Ich kann manchmal unheimlich giftig sein. Hinter 10.000Mark steht für mich Gier, es sei denn ich brauche sie wiederum für etwas, aber nicht um mir vielleicht noch ein größeres Auto zu kaufen. Das würde ich absolut trennen.
Martin: Jeder chantet und sitzt dabei allein vor dem Gohonzon. Selbst wenn man mit vielen Leuten chantet, ist der Kontakt mit dem Gohonzon doch sehr individuell. Oft kann man überhaupt nicht sehen, warum eine bestimmte Person ein bestimmtes Ziel verfolgt, selbst wenn sie es versucht einem zu erklären. Das ist total schwer einzusehen, und manchmal ist es für die Person selbst gar nicht so klar warum. Bei mir gibt es auch manchmal so Situationen, daß ich irgend etwas bestimmtes will und dahinter her bin, und vielleicht erst nach zwei Jahren merke warum eigentlich, was das für mich bedeutet, was das für ein Schlüssel für mein Leben war oder warum gerade dieser Kampf, diese Bemühung total wichtig war. Das kann ich im Kopf dann vielleicht noch gar nicht begreifen. Ich finde beim chanten gar nicht so wichtig wofür man das macht, das verändert sich, sondern die Qualität. Daß man versucht, egal wie der äußere Umstand ist,....
..............(hier ist leider die Aufnahme kurzzeitig unterbrochen)..............
Klaus: .... Ich finde es wichtig nicht bei dem Materiellem stehenzubleiben. Das fände ich absolut unbefriedigend.
Martin: Ich hab mal mit jemandem gesprochen darüber, wie man konkret für etwas Materielles chanten sollte. Und dieser Mensch sagte mir: ‘Die Praxis ermöglicht es ihnen, die grundlegende Energie des Universum anzuzapfen und damit in Kontakt zu treten. Wenn Sie versuchen wollen, diese
Energie auf einen bestimmten Wunsch zu projizieren, dann müssen Sie das auf die richtige Art und
Weise machen, sonst funktioniert das nicht. Es wird Ihnen nichts bringen, wenn Sie „Audi 100 V 8 Quattro“ chanten’ Er sagte, es sei wesentlich, das als Anlaß für seine menschliche Revolution zu nehmen und damit eine Erfahrung zu machen. Das heißt, man solle einen Lebenszustand erreichen, der es einem ermöglicht, z.B. so ein Auto zu fahren. Es sollte ein Ergebnis und in Harmonie mit dem eigenen Lebenszustand sein, und nicht etwas, daß man jetzt unbedingt geschenkt haben will. So etwas kann einen auch total unglücklich machen. Wenn man eine Million gewinnt und hat nicht die geistige Grundlage dafür, im Ruhrgebiet gibt es viele lustige Beispiele für so etwas, kann man sehr unglücklich werden. Ich hab gerade noch mal gelesen, es gibt ja den japanischen Ausdruck ‘Kudoku’, der Glück oder Wohltaten heißt. Wörtlich heißt das aber das Schlechte , sowohl im eigenen Leben wie auch in der Umgebung, zu verringern und das Gute zu fördern. Darüber ist mir klar geworden, es kann Situationen geben, wo man was Gutes bekommt, aber das Schlechte gleichzeitig mit anwächst. Ich bin jetzt mit einem Job angefangen und hab noch nie vorher so viel Geld verdient. Ich bekomme also tierisch viel Geld und alle möglichen Vorteile usw..
Sabiene: Hast Du dafür gechantet?
Nicht direkt für diesen Job.
Franz: Nur für das Geld, was ?
Gelächter
Martin: Nein, ich hab für eine Situation gechantet , in der ich sehr viel lernen kann in meinem Beruf. Ich hab gemerkt, die ersten ein, zwei Monate hatte ich Schwierigkeiten am Boden zu bleiben, nicht überheblich zu werden oder das selbstverständlich zu finden. Ich will damit verantwortungsvoll umgehen und trotzdem mich weiterentwickeln.
Heinrich: Den Mut muß man auch erstmal haben, zu sagen, man möchte so viel Geld verdienen und muß sich dann dieser Situation stellen. Dazu gehört auch Mut , sich damit auseinanderzusetzen, ich kann mir vorstellen was dabei abgeht. Das ist nicht so leicht und insofern ist es auch eine Entwicklung, die Du da machst.
Franz: Ich finde das auch gut, weil so wie ich das verstanden habe, die materielle Situation ja auch eine Reflexion des eigenen Lebenszustandes ist. Toda hat ja mal gesagt, man müsse , so wie man ein- u. ausatmet, einfach genug Geld haben. Es sollte nicht im Mittelpunkt stehen, sondern ganz natürlich vorhanden sein.
Katrin: Daß man sich damit nicht so beschäftigen muß.
Franz: Daß es kein begrenzender Faktor des eigenen Lebens ist. Da bei sich mal zu gucken, warum man immer eine ‘Klemme’ hat. Eine Freundin von mir sagte immer zu mir ‘Du mit Deinem Mangeldenken’. Das stimmt, ich bin immer so, daß ich sage, wenn ich gerade mal so über den Teppich komme, ist bei mir alles in Ordnung. Das ist eigentlich gar kein ‘Fülledenken’, das wäre, zu denken ‘ich habe eigentlich unheimlich viel über’. Das sind glaube ich auch so Reflexionen über den eigenen Lebenszustand, an die man auch mit dem Chanten stößt. Im Buddhismus sagt man ja auch Materie und Geist sind eins. Ich denke, daß hat nichts damit zu tun, daß man reich werden muß, wenn man chantet, aber doch die materielle Situation als Spiegelung benutzen kann. Es ist bestimmt kein Zufall, in welcher Situation man sich befindet.
Heinrich: Das ist natürlich nicht die einzige Spiegelung, das ist ja alles nicht absolut, sondern relativ.
Sabiene: Ist das denn auch so mit dem Ursache-Wirkung-Prinzip, daß alles was mir passiert, in mir seine Ursache hat?
Franz: Genau.
Heinrich: Das ist auch der Begriff des Karmas.
Franz: Das ist genau das Prinzip, daß die Sachen, die Dir passieren, die Ursache in Dir hat und nicht woanders. Aber was wolltest Du gerade sagen Nina?
Nina: Ich finde das mit dem Geld ein wenig heftiges Beispiel. Das erinnert mich an eine Versammlung, wo einem Kranken gesagt wurde, daß Gesundheit ein Beweis des Glaubens sei. So ähnlich klingt mir das, ein bißchen heftig.
Franz: So meine ich das nicht.
Heinrich: Es kommt ja nicht darauf an, daß jemand viel Geld hat, darum geht’s ja gar nicht. Es geht darum, daß ein Mensch mit sich harmonisch ist und für seine Umwelt beitragen kann. Das ist das Ziel, daß der Mensch in Harmonie mit dem Mystischen Gesetz des Universums lebt. Ob er viel Geld hat oder wenig, aber wie sein innerer Lebenszustand ist, das ist das Ausschlaggebende. Es nützt einem überhaupt nichts, viele Millionen zu haben und todkrank zu sein. Oder man ist so reich wie Lady Di und stirbt im Tunnel. Im Zentrum dieses Buddhismus steht eigentlich ‘Leiden nehmen und Freude geben’. Das steht im Mittelpunkt und das muß man schon ganz genau sehen, weil alles Leben Leiden beinhaltet. Leiden tun alle, aber wie kann man das Leiden verringern , und das ist die Absicht des Buddha, Leiden nehmen und Freude bringen und auch Frische und Mut. Wenn wir praktizieren haben wir trotzdem Probleme, es stellt sich die Frage, wie wir dieses Leiden überwinden können und egal welches Problem man hat, man kann immer zum Gohonzon gehen und chanten. Ein Nam-MyohoRenge-Kyo ist wertvoller als alle Schätze des Universums. Das vergessen wir natürlich manchmal.
Sabiene: Was ist denn der Gohonzon?
Martin: Das ist diese Schriftrolle da. Ich versuch mal eine ganz kurze Zusammenfassung, ganz kurz. Es gibt die Lehren von Shakyamuni-Buddha. Das war ein Mensch, der vor ca. 3000 Jahren gelebt hat und der sich die bis zu seinem 30.Lebensjahr bemüht hat, die höchste Weisheit und Einsicht zu erlangen. Er hat das geschafft und ist damit Buddha geworden. Das war in einer Zeit in Indien, in der es total viele philosophische Systeme gab. Shakyamuni hatte verschiedene Grade der Erleuchtung durch diese Schulen erlangt, aber es langte ihm nicht. Er suchte eine Antwort auf die grundlegenden Probleme des Lebens von Krankheit, Geburt, Alter und Tod. Diese Erleuchtung hat er schließlich erlangt und von da an gepredigt. 50 Jahre lang hat er unterschiedliche Lehrsysteme entwickelt mit unterschiedlicher Tiefe und Sinn. Das Sutra, in dem er den Inhalt seiner eigenen Erleuchtung weitergegeben hat, kurz vor seinem Tod, war das Lotos-Sutra. Die anderen Sutren waren so etwa ‘Dehunungsübungen’ , um seine Schüler darauf vorzubereiten, daß sie das tatsächlich auch aufnehmen und nach seinem Tod weitertragen können. Dieses Lotos-Sutra enthält also tiefere Prinzipien als alle anderen Sutren des Buddhismus. Das gilt sowohl für die Theorie als auch für die beispielhafte Seite, daß wirklich jeder die Buddhaschaft realisieren kann. Dieses Lotos-Sutra hat zwei Kapitel, die besonders wichtig sind, das zweite und das sechzehnte. Die rezitieren wir auch in unserer Ausübung. In Japan im 13.Jahrhundert hat es einen Menschen gegeben, Nichiren Daishonin, der versucht hat, das was Shakyamuni gelehrt hat für seine Zeit verständlich und praktizierbar zu machen. Er hat sich mit allem was es an Buddhismus gab damals auseinandergesetzt und versucht das auf den Punkt zu bringen. Dadurch ist er zu dieser Praxis vorgedrungen, die auch wir heute praktizieren. Das ist das Chanten von Nam-Myoho-Renge-Kyo, was auch die Überschrift des Lotos-Sutras ist, und der Gohonzon, der sozusagen so etwas ist wie ein ‘Kompakt-Lotos-Sutra’. Alles was in dem Lotos-Sutra beschrieben ist, ist auf dem Gohonzon in der essentiellsten Form abgebildet. Alle Wesen , alle Lebensformen oder Lebenszustände sind darauf vertreten, es gibt verschiedene Prinzipien und in der Mitte steht Nam-Myoho-Renge-Kyo, was der höchsten Gesetzmäßigkeit entspricht, aus der diese Manifestationen hervorgehen. So weit - ganz grob.
Sabiene: Danke.
Annemarie: Ich möchte doch noch mal wissen, ihr habt ja schon viel Erfahrung, ob das Chanten immer gleich ist für Euch?
Katrin: (zu Sabiene gewandt) Ach so, da muß man noch dazu sagen, diese Ausübung machen wir zwei mal täglich, morgens und abends. Morgens ist sie noch länger als eben, das heißt ich mach sie eigentlich nie länger. Man chantet dann so lange man will oder kann, ich mach das möglichst 10 Min morgens und abends, so bin ich also morgens u. abends eine halbe Stunde damit beschäftigt, wenn ich es schaffe, es gibt ja auch noch den inneren eigenen Schweinehund, der überwunden werden muß. Es gibt aber auch noch die Möglichkeit, dieses Nam-Myoho-Renge-Kyo länger, sogar stundenlang zu rezitieren, um z.B. über ein Problem zu meditieren oder es zu überwinden. Es gibt sehr unterschiedliche Formen der Praxis unter uns, es gibt Zeiten wo man konzentrierter da sein kann und manchmal eben weniger
Sabiene: Das hängt denn auch mit der eigenen Konzentration zusammen?
Katrin: Genau. Man sagt heute auch öfter, daß es fast besser ist, kürzer zu chanten aber dafür sehr konzentriert. Das merke ich auch bei mir.
Sabiene: Ergibt sich das nicht von allein, daß die Konzentration nicht mehr so da ist?
Katrin: Klar, manchmal driftet man ab, aber wenn man lange chantet, kann man da auch immer wieder hinkommen. Bei mir ist das halt so , daß ich das lieber kurz und heftig mache. Es ist für mich, glaube ich, das Richtige.
Franz: Man sollte sich auch die Fragen stellen, ‘warum setzte ich mich eigentlich dahin?’, ‘was will ich eigentlich wenn ich chante?’. Und daß man sich nicht nur so dahinschleppt, man kennt das ja.
Sabiene: So wie Zähne putzen?
Franz: Ja. Daß man sich lieber ganz bewußt sagt, was will ich eigentlich vom Tag. Ich hab mal ein ganz gutes Beispiel gehört, wie man Gongyo machen sollte. Es ist so als wenn man einen Ball gegen die Wand schmeißt. Wenn man ihn lau schmeißt, fällt er einfach runter, Ursache und Wirkung, aber wenn ihn mit voller Wucht schmeißt , dann kommt die Wirkung knallmäßig zurück. Das ist genau so mit unserer Einstellung, wie ich mich dareinwerfe, auf ein Ziel schmeiße, so kommt es auch zurück. Das ist die Ursache-Wirkung Kette und ich empfinde das auch so. Oft ist es so, daß wenn man in Not ist, man unheimlich viele Erfahrungen macht. In der Not geht man anders ran , da will man auch was, man will etwas verändern. So nomal hat man es ja oft gar nicht nötig. Die Wirkung ist dann oft viel einfacher zu sehen.
Heinrich: Es gibt auch Zustände, in denen man gar nicht chanten kann. Es geht von der tiefsten Hölle bis zur absoluten Freude, wo man sich angeschlossen fühlt an unglaubliche Energien, Freiheits- und Glücksgefühle.
Sabiene: Aber das hält Dich nicht davon ab, wenn Du es nicht kannst, dann damit aufzuhören?
Heinrich: Das ist so einfach nicht zu beantworten. Es gibt auch Zeiten wo ich aufgehört habe zu chanten. Was ich gemerkt habe, daß wenn ich aufhöre, mein Leben eine negative Tendenz annimmt. Wenn dann der Leidensdruck so groß wird , dann fange ich schon wieder an. Der Wind des Leidens läßt sozusagen das Feuer des Daimokus wieder lodern. Oft ist es so, leider.
Franz: Es ist auch mal interessant sich die Frage zu stellen, wer in Deinem Leben eigentlich herrscht, welcher Lebenszustand beherrscht denn das . Sind es Deine Launen oder Du selbst? Oder ist das das Gleiche? Verstehst Du was ich meine, die Frage ‘lasse ich mich besiegen oder von meinen eigenen Launen runterziehen?’. Ich glaube , das ist ein Kampf in sich, wenn man den jeden Tag gewinnt, desto stärker wird man schließlich. Ein Bild dafür ist auch das Fahrradfahren. Das erste mal in die Pedale zu treten ist unheimlich schwer, das wäre wie einmal Gongio machen, drei Wochen aussetzen und wieder einmal Gongio machen. Wenn man aber jeden Morgen und Abend diese Dynamik reinbekommt, bleibt der Lebenszustand hell, wenn der Dynamo dran ist, und es ist gar nicht mehr so anstrengend das herzustellen. Das Anstrengende ist, immer wieder neu in die Füße zu kommen und auf den Level zu kommen, daß es dann flutscht und funktioniert. Ich glaube da sind wir auch immer ganz besonders am kämpfen, daß wir nicht wieder in diesen zähen Zustand fallen. Wenn wir dann diese Highlights haben, dann läuft es auch besser. Im Prinzip sind wir selbst der Herrscher über diesen Zustand.
Stefan: Ich hab noch eine Frage dazu. Was hat das denn mit Erziehung zu tun? Warum ist die SGI eine Gesellschaft für Erziehung und Kultur? Frieden, Erziehung und Kultur sind ja so die drei Bereiche. Fällt euch dazu was ein, wie lernt man das denn. Was bedeutet das denn?
Katrin: Das klingt für mich immer so abstrakt, daß ich da erstmal wenig drauf reagieren kann. Ich hab auch so meine Schwierigkeiten das zu lesen, wenn es so pädagogische Texte sind.
Stefan: Es geht mir gar nicht so um Theorie, lieber ganz konkret. Ich will von euch nicht die Theorie wissen, sondern frage mich , wie ihr das lernt. Jeder versucht ja, sich einzubringen und macht Erfahrungen.
Heinrich: Ich kann da schon was zu sagen. Ich bin ja auch Schauspieler unter anderem. Es gibt Tage an denen ich mir sage, wenn ich so mit Set und Kamera und 50-60 Leuten herum arbeite, daß ich das Beste geben will. Egal wie müde ich bin, ich möchte die Kraft des Gohonzons in meiner Arbeit zeigen. Das ist für mich selbst eine Erziehung, die ich mir zum Ziel nehmen kann, wenn ich den entsprechenden Zustand habe. Wenn ich schlecht drauf bin, klappt das nicht immer. Wenn ich mir das aber vornehme, daß die Leute mit Freude und Spaß mit mir arbeiten, daß es ein guter Tag wird, daß es harmonisch ist, daß es flutscht, daß es nur ein oder zwei Takes braucht, daß die anderen nicht genervt sind und ich früh nach hause komme, klappt das auch. Vorher chante ich manchmal für den Kameramann, für den Regisseur, für die Harmonie unter den Mitspielern, daß diese Kräfte zusammenkommen und das dann auch gut aussieht und die Essenz der Szene trifft. Das ist etwas , was ich denke mit Selbsterziehung zu tun hat. Wenn man chantet guckt man sich sein Herz an. Man fragt sich , ob man nun eigentlich neidisch ist auf einen Kollegen, will ich geben oder haben oder bin ich voll präsent und gebe alles raus für die anderen. Beim Chanten kann man sich auch ganz gut selber analysieren. Ich denke , eigentlich ist es das Ziel, daß wir uns selbst erziehen, auf der anderen Seite, regulieren wir uns ja auch, z.B. durch solche Diskussionsversammlungen. Wenn Klaus mir eine konfrontative Frage stellt oder sich darüber ärgert, warum ich das so uns so gesagt habe, führt das bei mir vielleicht, hoffentlich dazu, daß ich darüber reflektiere. Vielleicht habe ich auch irgend etwas überbetont oder sehe auch was falsch. Das ist ja auch der Sinn dieser Diskussionsversammlungen, daß wir uns austauschen und irgendwie was mitnehmen für uns selbst. Das sehe ich auch als eine Form miteinander zu lernen, ohne mit dem Zeigefinger auf irgend etwas zu zeigen. Das hat also für uns auch ganz praktisch etwas mit Erziehung zu tun.
Martin: Was ich so erlebe in der SGI, vor allem wenn ich mir so Leute ansehe , die über längere Zeit praktizieren und was die mit ihrem Leben anstellen, finde ich es ganz deutlich, daß sie sich nicht damit zufrieden geben, auf eine bestimmt Schiene der Gesellschaft gesetzt zu werden. Die Art von Erziehung , die man normalerweise durch Schule oder Eltern erlebt hat , ist oft nicht dazu angetan, daß man sein Leben öffnet, sondern, daß man sich möglichst früh festlegt. Es zeigt einem nicht so sehr die Möglichkeiten , die man hat, z.B. immer wieder neue Grenzen in sich zu überwinden, sondern daß man sich irgendwie entscheidet und festlegt. Dadurch wird man auch berechenbarer. Das geschieht sicher gar nicht mal aus bösem Willen. Wenn ich Leute sehe, die lange praktizieren und sich auch durch solche Versammlungen immer wieder anregen lassen und über den Tellerrand gucken wollen, das ist einfach geil zu sehen, wie Leute immer wieder neue Sachen anfangen. Die Leute getrauen sich auch Dinge vorzustellen oder dafür zu arbeiten, die gar nicht auf der Hand liegen. Das kommt auch, weil sie sich vor dem Gohonzon immer wieder fragen , was eigentlich Glück für sie bedeutet, oder wo man gerade eingeschränkt ist. Eine solche Erziehung zum Glücklichwerden gibt es sonst eigentlich nirgendwo oder jedenfalls kenne ich sie nicht.
Sabiene: Außer das Leben macht das selbst.
Martin: Das hilft uns ja zum Glück immer.
Heinrich: Es gibt ja auch eine Zukunftsabteilung, eine Jugendabteilung, Junge Männer- und Junge Frauenabteilung, Männer- u. Frauenabteilung. Eigentlich ist das ja auch immer so , daß man irgendwelchen Prozessen drinnesteckt. Nicht nur innerhalb dieser Organisation, auch außerhalb in der Gesellschaft. Zumindest denke ich, daß versucht wird, von vielen anderen Bereichen der Gesellschaft und von vielen anderen Menschen zu lernen, das ist auch eines der Ziele. Zum Beispiel lernen wir etwas über Literatur , über Viktor Hugo, mal einen japanischen Philosophen, einen französischen oder italienischen, eigentlich weltweit. Es ist ja unabhängig, aus welchem Land ein Mitglied kommt, es spielt auch keine Rolle was für einen sozialen Status oder Berufsstatus so jemand hat. In diesem Glauben, wie es sich die SGI als Selbstverständnis zum Ziel gesetzt hat, kann man aus allen Bereichen und von jeder Person etwas lernen. Das spricht auch ein ganz tiefes Prinzip von gemeinsamer Vernetzung an und was Leben überhaupt ist. Die Welt wird wie ein einziger , riesiger Organismus verstanden. Das empfinde ich als ein weites offenes Feld, was auch mit Lernen, Erziehung und Erfahrung zu tun hat.
Annemarie: Das fällt mir jetzt so auf. Ich gehe ja zur Heilpraktikerschule im Moment. Wir sind da mit der Zelle angefangen. Und plötzlich sehe ich alles, was so im Kleinen anfängt, auch im Großen. Ich denke , es wiederholt sich , es ist das Gleiche. Da mußte ich nun erst hingehen, um das zu erkennen. Vorher hab ich das nicht so gesehen.
Katrin: Was für mich ein Wert darstellt, ich merke gerade , daß ich mir das zu Anfang immer gewünscht habe und das allmählich eintritt, daß ich mehr für mich einstehen wollte und stärker werden wollte. Das geht um meine Meinung und so wie ich bin , das zu vertreten. Ich hab in letzter Zeit unglaublich viel Krach gehabt.
Franz: Das hat sie sich gewünscht.
Katrin: Früher hab ich mich auch oft gestritten, aber irgendwie anders. Viel wütender. Dann hab ich ne Phase gehabt, da war ich nicht mehr so wütend, weil ich so viel Therapie gemacht habe. Da dachte ich schon, Mensch wo ist denn das alles geblieben, das kann doch nicht wahr sein. Jetzt habe ich ein paar Auseinandersetzungen gehabt, wo ich auch mehr für mich eingestanden bin. Ich glaube das wirkt sich auch aus auf die Umgebung, wie die Zelle im Kleinen so das Große. Wir haben in unserer Organisation ja auch so eine Phase wo wir für uns einstehen müssen, weil wir eine bestimmte Richtung vertreten. Das ist da auch drinne enthalten und ich empfinde das als ein großen Wert. Ich merke, ich bekomme durch diese Ausübung mehr Kraft und Stärke, einfach weil ich ich bin. Das wird mir deutlicher als durch alles andere, was ich sonst an Therapien und sonstiges gemacht habe. Alles was ich in der Therapie, bei X z.B. - wir kennen den gleichen Therapeuten - gelernt habe, hat er mir gesagt und ich hab das geübt und so. Jetzt mach ich die Sachen , die wir früher immer besprochen haben. Mit meinem Vater hab ich mich verkracht- das hat er mir früher schon immer gesagt. Oder mit meinem Laden, ich hätte mich früher nie getraut das in diesem großen Rahmen überhaupt zu machen ohne die Ausübung. Das hab ich aber auch mit X immer durchexerziert usw.. Jetzt greift tatsächlich eins ins andere. Das sind auch Werte, die ich jetzt nach außen trage, weil die einfach so sichtbar geworden sind, auch für Leute, die mich schon länger kennen. Ich zeige dadurch, was das für eine Wirkung hat.
Sabiene: Und das Verkrachen, bleibt das dann dabei oder kommst Du damit weiter?
Katrin: Ich wollte immer so dankbar und so sein und war das auch. Ich finde meine Eltern ja auch ganz klasse. Ich konnte aber nie so richtig vom Herzen her Danke sagen. Und irgendwie stand auch immer noch dazwischen, daß ich auf die auch total sauer bin über bestimmte Sachen, die früher so gelaufen sind. Vor zwei Wochen hab ich so’n Wochenende mitgemacht. Nachdem ich so’n Krach hatte mit meinem Vater, fiel es mir auf einmal total leicht, dankbar zu sein. Ich hab mich dann sozusagen versöhnt und ihm einen Brief schreiben können. Das ist erst durch alles was vorher war möglich geworden. Es ist mir jetzt auch egal was er dazu sagt oder meint, ich hab es gesagt und rübergebracht. Das war sehr befreiend. Ich erwarte nicht , daß er darauf reagiert, er kann damit machen was er will, es ist einfach eine große Befreiung. So wirkt alles zusammen. Es ist ja nicht nur, daß man chantet, sondern man agiert ja auch und handelt in der Welt. Man sucht sich dann auch das was einen weiterbringt.
Franz: Woran ich auch denken muß, sind diese Jobs in der SGI, z.B. Sokahan und Byakuren. Das sind Aktivitäten, die die Jugendabteilung macht. Die machen da so ‘Dienste’, würde ich mal sagen, so wie in der Priesterschaft die mittleren Mönche immer fegen oder so, gibt bei uns da auch so ...
Martin: ‘Minestrantendienste’
Franz: Minestrantendienste,
Sabiene: Wo fegen die denn jetzt?
Gelächter
Franz: Das ist einfach so, daß die Jugendabteilung die Möglichkeit solche Jobs zu machen, z.B. steht jemand an der Tür oder kocht Tee, bemüht sich auf diese Weise halt um andre- bewegt seinen Arsch, sagt Josan immer. Das ist eigentlich auch eine total gute Erziehung, weil man dadurch anfängt, wachsam für andere zu werden. Das hätte ich früher gar nicht so im Auge gehabt, solche Dinge, wenn ich da nicht durch die SGI drauf gestoßen wäre, daß man z.B. in seinem Umfeld auch mal gucken kann. Man stellt sich die Frage ‘Was ist denn da mit dem los?’. In anderen Ländern hab ich erlebt, daß diese Leute selbst bei großen Veranstaltungen wirklich gemerkt haben, daß jemand z.B. seinen Schirm vergessen hat. Mit einer solchen Einstellung machen die das. Oder letztens , N., als das so geregnet hat, daß sie einfach sagte ‘komm wir gehen runter und bringen die Leute mit einem Schirm zum Auto’. Da wäre sonst keine Sau drauf gekommen. Einfach so eine Herzlichkeit zu haben sich zu bemühen und im Sinn zu haben, was für andere gut ist. Das kann man lernen, wenn man sich in diese Aktivitäten reinschmeißt. Da denke ich manchmal, wie abgestumpft wir manchmal sind. Wir merken oft gar nichts , da kann jemand neben uns umfallen und wir kriegen das gar nicht mit.
Katrin: In Florida hat ein Professor am Strand einen Herzinfarkt erlitten. Die Leute sind mit ihren Handtüchern ein wenig weiter weggerückt.
Heinrich: Der Vater eines Bekannten lag sieben Wochen tot in seiner Wohnung, es hatte keiner bemerkt.
Stefan: Sagt ja auch etwas über Werte in unserer Gesellschaft aus.
Franz: Man will nichts mehr zu tun haben mit den anderen und vor allem keine Verantwortung übernehmen.
Katrin: Zur Verantwortung fällt mir auch noch was ein. Zu Anfang meiner Praxis kam es mir in den Sinn ‘ich will mehr Verantwortung übernehmen’. Das war zwar schon länger mein Thema, aber nicht so konkret. Inzwischen macht es mir richtig Spaß, in meine Aufgaben hineinzuwachsen, nicht nur im buddhistischen Zusammenhang, auch in meinem tägl. Leben gibt es nun dieses Gefühl, ich möchte für andere etwas tun oder wichtig sein. Ich stelle mir die Frage, was ich denn zurückgebe, was ich denn gebe. Geben und Nehmen gehört zusammen, für mich schließen sich auch da ganz viele Kreise. Es sind ganz ähnliche Sachen, die auch bei meinen Therapie-Geschichten anlagen. Ich konnte deshalb auch bei nichts, was ich so gelesen und gehört hatte, als ich so dazukam, sagen, daß das nicht stimmt. Es deckte sich für mich nahtlos. Die ganzen Wertigkeiten, die ich über die humanistische Psychologie hatte, finde ich im Buddhismus immer wieder. Das finde ich total toll.
Annemarie: Wie meinst Du das mit der Verantwortung, das versteh ich nicht.
Katrin: Ich bin halt die jüngste von vier Kindern. Ich durfte immer spielen oder so ähnlich. Ich war ja nicht so wichtig. Da hab ich aber auch drunter gelitten, daß ich nicht so wichtig war. Die anderen haben da so immer die Päckchen getragen und mich hat keiner gefragt, so ungefähr. Dafür durfte ich dann auch nicht mitbestimmen. Das ändert sich nun. Ich hab aber jahrelang so gelebt, daß ich keine Verantwortung übernommen habe, sondern beruflich z.B. ‘getändelt’ habe. Ich hab mich auf nichts eingelassen, außer auf meine eigene Entwicklung. Ich hab für alles andere nicht die Kraft gehabt, würde ich mal sagen, weil ich so stark mit mir beschäftigt war. Das ist jetzt nicht alles nur durch den Buddhismus gekommen, aber als ich so davor saß, hatte ich das Gefühl, hier ist der Ort, wo ich das verdammt gut lernen kann. Ich fühlte mich so richtig aufgerufen dazu und hatte richtig Lust das zu lernen. Verantwortung für unsere Gruppe zu übernehmen heißt z.B. ganz konkret die Termine aufzuschreiben und einen Plan zu machen, die Gruppe zu unterstützen. Das ist aber erst allmählich entstanden. Es bedeutet auch, das zu tragen, daß es an mir liegt, ob da jetzt was passiert oder nicht. Das war für früher unmöglich, da hätte ich mich nicht drauf eingelassen. Und was hab ich jetzt alles am Bäntzel, z.B. mein eigener Laden, das ist für mich schon sehr viel.
Martin: Und das auch noch so schnell.
Franz: Was ich mal ganz klasse fand, daß Du sagtest Du möchtest auch Arbeitsplätze schaffen. Das ist ja auch eine sehr große Vision. Auf die Idee wäre ich noch nie gekommen. Ich finde das total klasse. Man denkt ja nur an sich, man denkt, ‘hauptsache ich hab genug’ , Stichwort ‘Mangeldenken’, ‘hauptsache man kommt selber über die Runden - die anderen können ja gucken wie sie zurecht kommen’. Das fand ich unheimlich gut, den Gedanken zu haben, auch gesamtgesellschaftlich wertvoll zu sein. Und das dann auch in seine Kapazität mit einzubauen, sich zu sagen, daß man das auch kann.
Katrin: Ich finde auch, daß das Spaß macht. Der Gedanke daran gibt mir auch sehr viel mehr Kraft, als wenn ich das nur für mich machen würde. Ich sage mir, es ist doch nicht nur wichtig, daß ich jetzt da die große Designerin bin, sondern daß alles läuft, wenn Leute durch mich auch weitermachen können. Ich selber sehe das manchmal gar nicht so, aber ich bin mit Sicherheit nicht unbeteiligt daran. Ich finde das schon klasse. Ich hätte nie die Kraft dazu gehabt, ich wäre verrückt geworden, weil ich mir was eingebildet hätte, oder ich hätte Angst bekommen, dem nicht standhalten zu können. Wenn es jetzt schlechter läuft z.B. hätte ich alles den Bach runterstürzen sehen. Diese Ängste hab ich überhaupt nicht mehr so stark. Die drei Monate Sommer jetzt waren furchtbar, früher hätte ich da unter dem Teppich gelegen und alles nur schlecht gemacht, und das ist jetzt nicht mehr so.
Annemarie: Ich hab ja nun auch mal genauer nachgefragt, weil ich das Problem habe, daß so viele Leute meinen Rat wollen. Die bedrängen mich richtig, sagen ‘nun sag doch mal, was meinst du dazu’. Die haben so fürchterliche Problem, auch miteinander und ich merke , daß ich mich jetzt innerlich total dagegen sperre. Ich meine , ich kann doch da die Verantwortung nicht übernehmen. Ich will das nicht und ich muß das morgen schon wieder jemandem sagen, der da unheimlich auch drängelt. Er will sich unbedingt mit mir treffen und ich soll dazu etwas sagen. Das hab ich unter diesem ‘Verantwortung übernehmen für andere’ verstanden. Das Ding ist mir zu groß, ich denke das kann ich nicht und ich will das auch nicht.
Franz: Man kann doch aber jemandem einen Rat geben und gleichzeitig sagen, daß die Verantwortung trotzdem bei ihm selber liegt.
Annemarie: Ja , aber ich hab das jetzt auch erlebt, daß ich hinterher angegriffen werde, wenn ich das sage, was ich meine.
Heinrich: Was du natürlich machen könntest, ich weiß nicht ob das funktioniert, du könntest sagen ‘komm wir können fünf Minuten zusammen für dein Problem chanten’. Ohne daß du diskutierst.
Annemarie: Dazu wäre ich ja auch bereit.
Heinrich: Du sagst einfach ‘komm ich möchte gerne für dein Glück chanten, laß uns das fünf Minuten zusammen machen’.
Annemarie: Das wäre natürlich ein ganz anderer Weg, als dies andere .
Stefan: Es ist ja ein Unterschied, ob man jemandem sagt, was er tun soll oder ihn dazu ermutigt, selber die Entscheidung zu treffen.
Ich finde es ganz toll, vielen Dank, ich finde es ist ein gutes Gespräch, von mir aus könnten wir jetzt hier Schluß machen. Ist das O.K.
Machen wir noch dreimal zusammen Nam-Myoho-Renge-Kyo ?
OK
10.2.3 Diskussionsversammlung der Gruppe ‘Sonnenschein’
Anwesend waren: Hanne (ca.30 Jahre/Japanologin/ ca. 8 Jahre buddh. Praxis), Mi-san ( Japaner ca. 44 Jahre/Koch/ca.25 Jahre buddh. Praxis), Hilde (ca. 40 Jahre/Ärztin und Psychologin/ca. 10 Jahre buddh. Praxis), Lisa (ca. 30 Jahre/Tanzpädagogin/ ca. 5Jahre buddh. Praxis), Josan (Japaner, ca.50 Jahre/Gesangspädagoge/ca. 30 Jahre buddh. Praxis), Anne (ca. 55 Jahre/?/ unregelmäßige Praxis seit ca. 4 Jahren), Theo (ca. 35 Jahre/ Schauspieler z.Zt. arbeitslos/ 2 Jahre buddh. Praxis ohne Mitgliedschaft), Richy (von Grenada, ca. 35 Jahre/Lehrer/ 2 Jahre buddh. Praxis), Werner ( ca. 30 Jahre/Dissertant/keine buddh. Praxis)
Die Versammlung begann mit der buddhistischen Ausübung und einer kurzen Vorstellungsrunde (nur
Namen in diesem Fall). Den Mitschnitt hab ich diesem Fall, anders als bei den anderen Versammlungen gemacht, ohne es anzukündigen bzw. um Erlaubnis zu fragen, so daß die Teilnehmer in diesem Falle nichts davon wußten.
Lisa: (zu Werner) Erzähl doch mal ganz kurz. Ich bin irgendwie neugierig. Du sagtest Du forscht irgendwie über die Soka Gakkai.
Werner: Ich bin hier über Stefan, dadurch hab ich das erfahren. Ich untersuche verschiedene Nichtregierungsorganisationen und eine davon ist eben die Soka Gakkai. Ich bin auch dabei Leute zu interviewen, aus Hamburg hab ich auch schon zwei interviewt. Ich war jetzt auch in New York und hab dort das Zentrum der SGI besucht, eine sehr großes Haus, und dort auch einige Leute interviewt.
Theo: Im welchem Rahmen machst Du das, Diplomarbeit?
Werner: Nein, es wird eine Dissertation für Politikwissenschaft.
Anne: Ich hab das nicht verstanden, du forscht für was für Organisationen.
Werner: Nichtregierungsorganisationen. Soka Gakkai ist ja auch eine.
Hilde: Wie bist Du auf die Soka Gakkai gekommen?
Werner:Auch durch Stefan. Sie ist ja auch wenig bekannt in Deutschland. Es gibt ja auch nur 2000 Mitglieder insgesamt und ich hab früher nicht erfahren, daß es die überhaupt gibt. Ich hab aber auch gerade eine starkes Interesse an weniger bekannten Organisationen und nicht was so viele machen, wie Amnesty International oder Greenpeace. Diese ganzen alten Ladenhüter, die sicherlich ganz gut sind, aber mich halt in dem Zusammenhang nicht so sehr interessieren.
Josan: Thema ist also NGO (NonGouvernmentalOrganisation)
Werner: Nichtregierungs- und Nichtprofitorganisationen. Das gibt sehr unterschiedliche. Ich untersuche z.T. auch so lokal arbeitende Gruppen, z.B. die Motte in Altona, einem Kulturzentrum in Ottensen bis hin zu international operierenden Organisationen wie eben Soka Gakkai und andere.
Lisa: Ich finde das sehr spannend, auch woraufhin du das untersuchst.
Werner: Auf Gemeinsamkeiten. Was haben verschiedene Leute Gemeinsam?
Hilde: Innerhalb der SGI?
Werner: Nein, mit anderen Organisationen.
Hilde: Und mit welchen vergleichst Du?
Werner: Zum Beispiel mit der Motte.
Anne: Aber das ist doch keine Religion, das ist doch ein Kulturzentrum.
Werner: Klar, aber das Kriterium ist auch nicht Religion. Das entscheidende Kriterium für mich ist Nichtregierungsorganisation. Die sind ja nicht nur religiös, die Nichtregierungsorganisationen.
Theo: Ist denn die Motte eine Organisation? Die hab ich bisher ganz anders gesehen.
Werner: Sie ist ein gemeinnütziger Verein. Auf jeden Fall ist sie eine Organisation, die haben immerhin einen Etat von 1,5 Mio. DM.
Stefan: Vielleicht kann ich hier ja mal anknüpfen. Meine Themen, die ich heute besprechen wollte und die sicher auch für Werner interessant sind. Es geht mir um das Selbstverständnis der SGI. Warum die SGI eigentlich ‘werteschaffende Gesellschaft’ heißt. Ich lege mal ein paar Stichworte in die Mitte. Was sind Werte in der Gesellschaft? Was hat denn das mit Erziehung zu tun, warum ist die SGI eine Organisation für Frieden, Erziehung und Kultur? Ich will auch gar nicht so viel Theorie, jeder hat ja auch persönlich Erfahrungen damit gemacht und mit den Begriffen auseinandergesetzt.
Anne: Also die Werte sind Erziehung, Frieden und Kultur?
Stefan: Eher die Bereiche, in denen sich die SGI engagiert.
Lisa: Ja klar, Erziehung für sich ist ja noch kein Wert, das kommt ja immer drauf an.
Hanne: Du mußt es ja wissen.
Lisa: Ja , zu meinen Schlachten mit meinem Kind äußere ich mich jetzt aber lieber nicht.
Hanne: Erziehung ist doch etwas, was man selber, sozusagen in seiner Werdung, mitbringt, oder? Dann kommt die Kultur dazu, der Austausch mit anderen. Und das Schwierigste ist der Frieden. Erziehung ist im günstigsten Fall das Begreifen von den positiven Werten, die man mitbekommt, schließlich erzieht man sich selbst weiter.
Theo: Der Gedanke kam mir auch dabei. Man denkt ja bei Erziehung immer an Kindererziehung. Was ist eigentlich Erziehung? Was ist Kindererziehung? Wie weit geht denn das? Oder wie du sagtest, im Austausch mit anderen sich gegenseitig unterstützen und Impulse zu geben, das ist vielleicht auch Erziehung. Auch im Hinblick auf ein werteschaffendes Bewußtsein, das sich in Richtung Frieden und Kultur erweitert.
Hilde: Werteschaffendes Verhalten auch.
Theo: Ja , das ist das denn. Werteschaffendes Verhalten ist ja auch ein Tätigwerden für das wofür man einsteht.
Hilde: Ich fand das so gut, das Stichwort Werte erinnert mich daran, als Mutter Theresa gestorben war, haben sie geschrieben, ihr Motto war ‘laß nie zu, daß du einen Menschen triffst, der sich hinterher nicht besser fühlt’. Das war ihr Lebensmotto. Nach der Begegnung mit ihr sollte man sich besser fühlen, das war ihr Motto. Das ist ein Wert, vielleicht der größte Wert, den man sich vorstellen kann. Der Mensch sollte sich glücklicher oder besser fühlen, als vor der Begegnung. Ich finde das hört sich sehr buddhistisch an. Wir reden ja als Soka Gakkai Mitglieder auch oft darüber, woran wir in der Richtung arbeiten sollten.
Anne: Ich finde da steht auch ganz viel Respekt für den anderen dahinter. Es ist ja so, daß wir oftmals in Wertung sind, wie jmd. aussieht oder was für einen Beruf er hat. Wir sind irgendwie eine böse Gesellschaft, die ständig vergleicht. Wenn man nicht mehr vergleicht und jmd. so respektiert wie er ist, und so hat sie das wahrscheinlich gemeint, sie hat nicht verglichen, der könnte was anderes sein oder besser sein, sondern mit Respekt behandelt.
Hilde: Ich finde sie ist noch einen Schritt weiter gegangen. Sie hat dafür gesorgt, oder nehm ich mal an, daß sie das gemacht hat, daß der andere sich besser fühlt. Mit Respekt allein, bleibt er ja wie er ist. Wenn man sich so etwas mal vornimmt, wie macht man es , daß jmd. lächelt und sich gut fühlt, glücklicher ist.
Anne: Da kann ja auch ganz viel Schau drinne sein. Wenn ein Clown auftritt lachen auch alle. Das ist nicht so ganz einfach, daß er lächelt oder glücklicher ist.
Theo: Ach.
Anne: Wo ist da die Grenze, daß man da irgendwie so’n Keep Smiling Gesicht aufsetzt.
Hilde: Das merkst Du schon selber, was aus deinem Herzen kommt. Wenn du das ehrlich meinst, dann merkt das der andere auch, so hab ich das erlebt. Das erfordert allerdings Disziplin in meinen Augen.
Theo: Ich denke auch, das muß ja nicht unbedingt mit Lächeln oder Lustigsein zu tun haben.
Anne: Ja, deswegen hab ich das Wort Respekt ja auch gesagt.
Hilde: Das ist nur ein Beispiel.
Anne: Ja. Ich verstehe.
Josan: Bei einer anderen Gelegenheit hat, als sie Japan besuchte, das ist nicht so lange her, sagt sie in der Öffentlichkeit ‘auf der Erde gibt es an zwei Stellen totale Hungersnot - einmal in Afrika und in Japan’. Einmal körperlich und einmal geistig.
Hilde: Deutschland bestimmt auch.
Josan: Kann sein, aber sie sagte Japan.
Anne: Wann war denn das?
Josan: Das muß in den letzten zwei drei Jahren gewesen sein, als sie Yamasaki besuchte.
Theo: Japan ist das Land, wo das Tamaguchi-Ei herkommt, nicht?
Josan: Nicht nur das Tamaguchi-Ei - die ganze Philosophie - nur Geld.
Theo: Ich finde das für diese materialistische Kultur, die so sehr auf elektronische Impulse aus ist und wo Elektronik jetzt schon benutzt wird, um Empfinden zu geben. Da kommt dann so’n Tamaguchi-Ei, ich finde das sehr bezeichnend.
Werner: Was ist denn das?
Theo: Das Tamaguchi-Ei ist so ein kleines Computer-Spielzeug.
Werner: Ach das man füttern muß?
Theo: Ja, das man streicheln muß per Knopfdruck und füttern - das ist praktisch ein Hamsterersatz für Kinder. Ich hatte früher einen Hamster. Der ist dann auch irgendwann gestorben, aber...
Stefan: Es gibt auch schon Friedhöfe dafür, oder?
Theo: Für die Hamster?
Stefan: Ne, für die Tamaguchi-Eier.
Lisa: Nee , ne?
Stefan: Interessant, nicht, was die Technik so für eine Bedeutung hat?
Lisa: Was ich so an dem Thema Werte so schwierig finde, ist , daß wir halt alle mit irgendwelchen Werten groß werden, die irgendwie über uns stehen oder die uns reingepowert wurden. Ich finde das gar nicht so leicht, den Weg zu finden, meine eigenen Werte zu finden. Es nützt mir herzlich wenig, wenn ich so offiziell etwas annehme, was mir von außen ein gesetzter Wert ist. Und dabei dann auch wirklich ehrlich zu bleiben und sich zu fragen ‘wo bin ich denn auch wirklich so weit, daß dies oder jenes ein bestimmter Wert ist, den ich unterstützen kann, und wo sind auch meine Grenzen, wo ich merke, daß mag zwar ein ganz schöner Wert sein, aber ich komme da noch gar nicht hin’. Bestimmte Werte kann ich auch wieder über Bord werfen, Werte, die ich so z.B. nicht akzeptieren kann, die aber in der Gesellschaft als Wert gelten. Ein Freund sagte neulich zu mir, da ging es um Gewissen, daß ich manchmal das Gefühl habe, daß wir so eine Orientierung suchen. z.B. sind hier vor uns 5 Werte aufgezeigt und wir tendieren denn vielleicht dahin , zu sagen, wir möchten gerne so leben und nehmen das an. Er hat das in Zusammenhang mit einem Schreiben über die zehn Präzedenzfälle für ein gutes Gewissen gesagt. Das ist quasi wie ein Patentrezept wo es heißt das und das mußt du machen , dann bist du ein guter Mensch. Zu erkennen ist entscheidend, daß das ein sehr mühseliger Weg ist und daß wir uns den selber erarbeiten müssen, um das wirklich leben zu können. Es funktioniert nicht so, daß man jetzt sagt, ich lächele jeden freundlich an und sag jedem freundlich guten Tag, bloß weil das irgendwo steht, daß das gut ist. Ich muß das irgendwie fühlen können, ich muß da innerlich auch so weit sein, daß ich das wirklich aus einem Wunsch heraus mache. Ich empfinde das als einen schweren Weg.
Josan: Meinst Du daß das für die Soka Gakkai gilt oder eher überhaupt für die Welt?
Lisa: Das betrifft auch die Soka Gakkai. Manchmal habe ich auch das Gefühl, daß bestimmte Sachen nach außen hin versucht werden zu leben, wo ich manchmal aber nicht so das Gefühl habe, daß das wirklich aus dem Herzen kommt. Ich schließ mich da selbst mit ein. Ich nehme auch so eine Rolle an, daß ich denke, ich muß mal lieb und nett und freundlich sein, aber mir ist vielleicht eigentlich nach was ganz anderem zumute, ich fühle mich da eigentlich gar nicht nach. Wenn ich ehrlich mit mir selber wäre, würde ich sagen, ich bin dazu zur Zeit vielleicht gar nicht in der Lage, auf jeden lieb und nett zuzugehen. Da merke ich, daß es für mich ein Wert ist, daß man möglichst authentisch ist. Einfach mit sich selber übereinzustimmen, daß man auch das nach außen bringt, was wirklich fühlt. Ich glaube, daß es letztendlich auch das ist was ankommt. Da wo das nicht übereinstimmt, kommt glaube ich letzten Endes auch nicht so viel an.
Josan: Zur Soka Gakkai noch mal, fühlt ihr manchmal eine Art ethischen ‘Zwang’ oder vielleicht nicht Zwang, aber ethische Punkte, die vorschreiben , daß ihr so praktizieren müßt oder so leben solltet in den Aktivitäten?
Lisa: Ich ja. Ich hab ganz schnell das Gefühl gehabt, das ist eine Werteschaffende Gesellschaft, und das hat ja auch seine Berechtigung, ich versuche jeden Menschen zu respektieren und in jedem Menschen die Buddhaschaft zu sehen, das Potential zu sehen. Aber eigentlich hab ich mich noch gar nicht danach gefühlt, sondern ich hab meine Hassgefühle bestimmten Menschen gegenüber, vielleicht.
Josan: Guck mich nicht so böse an.
Lisa: Ja, ein Beispiel ist , daß ich tierischen Zoff mit ... (dem Vater meines Kindes) habe. Und ich denke dann immer so ‘als gute Buddhistin, stehe ich darüber’. Dann ist es so, daß ich ja auch in ihm das Potential sehe und daß ich fähig bin für ihn zu chanten und und und. Alles so Einflüsse, die man ja auch immer wieder gesagt bekommt. Ich muß für mich dabei immer wieder sagen, das ist ein gutes Ziel, ich wünsche mir da auch irgendwann mal hinzukommen, aber ich bin da verdammt noch mal im Moment nicht. Dem auch sozusagen Raum zu geben und zu sagen ‘OK ich bin stinksauer auf den - ich könnten den - Strick drum und würg ihn oder irgendwo aufhängen - mir ganz egal’. Dieses Gefühl ist halt da und es ist OK ich muß auch mit diesem Gefühl chanten und dann verändert sich das vielleicht im Laufe der Zeit. Ich kann es aber nicht dadurch verändern, daß ich einfach sage, ich darf das jetzt nicht, dieses Gefühl nicht haben, weil dann bin ich unbuddhistisch oder so.
Josan: Hat jemand das so gesagt?
Lisa: Nein, deshalb sag ich ja auch, jeder nimmt sich das aus der Soka Gakkai heraus, was ihn selber betrifft. Ich bin eben halt so, daß wenn irgendwo was vorgelebt wird oder bestimmte Wert halt gezeigt werden, daß ich denke , ich muß das halt auch machen. Jemand anders würde das sicher anders aufnehmen und sagen, ich bleibe trotzdem bei mir und ich bleibe bei meiner Wut.
Josan: Ich finde das was sie sagt, betrifft einen sehr wichtigen Punkt. Ob die Soka Gakkai mit ihren drei Säulen Frieden , Erziehung und Kultur, ob wir damit von den Menschen verlangen sollten, in einen vorgefertigten Rahmen zu passen, eine bestimmte Form vorgeben, oder eine bestimmte Lebenseinstellung.
Theo: Ich hatte anfangs das Gefühl. Das kam aus einer Unsicherheit bei mir. Ich hatte das Gefühl, ich müßte ein bestimmtes buddhistisches Klischee erfüllen, weil ich mich ja innerhalb eines buddhistischen Kreises , einer buddhistischen Organisation bewege. Da war ich ganz neu dabei. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, daß eigentlich ein großes liberales Gefühl da ist bei allen. Es trauen sich nur nicht alle. Ich erinnere mich an eine Diskussion, die wir vor zwei Monaten hatten, wo es auch um Ärger ging. Plötzlich stand im Raum, daß Ärger oder Wut und Haß nicht sein darf. Das kann aber auch gut sein, um Dinge in Bewegung zu bringen oder zu ändern. Ich begreife meine Art, wie ich gerne Buddhismus praktizieren möchte, eine Gesamtheit an Gefühlen zu haben, ein Spektrum zu haben an allen Dingen die in mir sind und die auch zum Ausdruck bringen zu dürfen, ohne daß ich kritisiert oder zensiert werde. Wenn ich absolut scheiße daneben liege, ist das egal, es ist erst mal authentisch in dem Moment, finde ich. Es hat einen Grund, eine Ursache und das muß in Bewegung kommen. Ich glaube, daß viele sich dessen unsicher sind und sich und andere zensieren , was negative Gefühle oder Handlungsweisen angeht.
Josan: Ich bemerke zur Zeit immer , besonders in Deutschland und Japan, ein ähnlich gezwungenes Gefühl, oder ein unangenehmes Gefühl, daß wir ständig mit Leistungserwartungen konfrontiert werden. Z.B. ‘es sollte so und so sein, man sollte so und so praktizieren, sonst geht Kosen-rufu nicht voran’. Ein so unangenehmer Zwang führt dazu , daß man wenig Freude herausholen kann. Ich hoffe du verstehst, was wir meinen, Werner, wir sprechen ohne Geheimnisse, ganz offen, das ist momentan auch sehr wichtig.
Theo: Ich hab bei größeren Versammlungen auch manchmal das Gefühl einer allgemeinen Summsigkeit. Es ist fast kitschig manchmal.
Josan: Welche große Versammlung?
Theo: Ich nenn mal die letzte große Versammlung bei dir, wo es um den Konflikt und die Frage nach der Trennung des Bereiches ging. Es war auf einmal eine ganz kitschige , sunsige , allgemeine Gefühlsregung da, mit Metaphern und Ausschmückungen. Ich dacht nur, was denn hier los ist. Ich hab mich leider nicht getraut , das in dem Moment zu sagen, weil ich selber verunsichert war und selber erstmal gucken mußte, was geht denn hier überhaupt ab. Das kam mir denn erst am Abend als ich zu hause war was dieses Unwohlsein ist. Manchmal ging es nicht wirklich um das sachliche Thema, es war blümerant und ‘Friede , Freude, Eierkuchen’- lieb.
Josan: Auf der Versammlung?
Theo: Ich fand sie sehr lieb, die ganze Aggression schwelte, der ganze Konflikt knallte nicht raus und es war wie ein Dampfdrucktopf, wo ein fester Deckel drauf war.
Josan: Ich war innerlich sehr wütend.
Theo: Ja aber ich hab das nicht gemerkt.
Josan: Ach so.
Hilde: Ein paar haben sicher auch ihre Meinung gesagt, ich war ja nicht da. Vielleicht wurde das denn auch wieder zugedeckt, das ist auch generell in unserer Gesellschaft so. Sich negativ zu äußern, Aggressionen, sich gefühlsmäßig zu äußern, das ist doch absolut verpönt. Ich merk das jedenfalls auch am Arbeitsplatz.
Stefan: Auch im Dialog, gegenüber demjenigen , den das betrifft.
Hilde: Gefühle zu äußern und dann noch negative, derjenige wird schon mal gar keine Karriere mehr machen, das ist klar.
Stefan: Auch positive kann man auch ganz oft schwer direkt ausdrücken.
Hilde: Auch das, ja, es muß immer in einem Rahmen bleiben.
Josan: Ich finde das was Lisa sagte sehr wichtig für unsere Zukunft. Jeder hat so das Gefühl, möglichst schnell sich auf die eigene Schulter zu klopfen. Sich zum Beispiel zu sagen ‘das habe ich aber gut gemacht, sie konnte dadurch einen großen Fortschritt machen, große Leistung vollbringen’ weist auf eine entsprechende Tendenz hin, die wir alle haben. Innerhalb der Soka Gakkai und vielleicht auch besonders in Hamburg gibt es so etwas, wo es eine bestimmte Auseinandersetzung gibt, die von einer dogmatischen Einstellung herrührt, den anderen als schlechter zu bezeichnen oder als falsch. Davon hab ich ehrlich gesagt die Nase voll. Solche Dinge finde ich nicht mehr lieb, nicht mehr kreativ, sondern einfach Nase voll. Wenn man innerhalb der gleichen Glaubensrichtung anfängt , andere zu checken oder auf sie herabzusehen. Wenn man dabei meint zu bemerken, dieses oder jenes fehlt noch, deshalb ist jmd. noch nicht so wichtig, eine solche stinkend inquisitionsartige Verurteilung macht mich wütend.
Anne: Das findet ja auch ständig in unserer Gesellschaft und am Arbeitsplatz z.B. statt, wahrscheinlich kann man das denn nicht so einfach ablegen, wenn man auf eine buddhistische Versammlung geht. So schätze ich das ein, genau was du gesagt hast finde ich total schlimm in unserer Gesellschaft, wie verglichen wird, wie taxiert wird. Es ist ein Horror.
Josan: was ist denn taxieren?
Anne: Einschätzen oder abschätzen von oben bis unten. Zu denken, was könnte der mir bringen, was bringt er nicht, ist das was für mich. Das gibt es überall, es ist total verbreitet. Es ist natürlich auch schwer das bei buddhistischen Aktivitäten sofort abzugeben. Das bringt man mit aus dem Alltag. Es ist ein ziemlicher ‘Virus’ in unserer Gesellschaft.
Lisa: Ich glaube manchmal, daß es sehr schwer ist, um mal wieder das Wort ‘Werte’ zu benutzen. So was Josan gerade erzählt hat , hat ja eigentlich damit zu tun, daß man den eigenen Wert nicht sieht und daß man es deswegen nötig hat, sich über andere zu stellen oder zu meinen über jemand anderes urteilen zu können. Z.B. könnte ich mich fragen, warum Hilde jetzt das letze mal vor einem halben Jahr hier war und sonst nicht, aber das ist es dann auch schon wieder, man sieht den eigenen Wert nicht. Das geht dann auch damit einher, daß man den Wert des anderen Menschen nicht erkennt. Ich glaube, daß ist eine ziemlich tiefsitzende Geschichte, die sich in vielen Sachen äußert. Auch, so kenne ich das von mir jedenfalls, in der Angst z.B. innerhalb einer solchen Gruppenversammlung, es deutlich zu machen, wenn mir irgend etwas nicht gefällt oder überhaupt meine Meinung zu sagen, wenn alle anderen lieb und nett sind. Einfach aus dem Grunde, daß ich dann denke, wenn ich jetzt was sage, dann bin ich das letzte Arschloch für den Rest der Anwesenden. Dann kommen gleich so Gedanken, daß ich das ja nicht tun darf, weil ich dann ein schlechter Mensch bin und nicht wieder angeguckt werde. Das ist ein Wunsch von mir, daß wir es lernen noch freier damit umzugehen. Das wirklich deutlich zu sehen, daß, egal wer da vielleicht mal einen Wutausbruch kriegt oder auch mal ungerecht ist andern gegenüber, daß der Mensch nicht an Wert verliert und daß man ihn deswegen nicht ächten muß. Daraus erwächst dann auch , glaube ich , total viel kreatives Potential. Das sind auch die Sachen, an denen man selber wachsen kann , aus denen auch wieder was entstehen kann.
Anne: Ich sehe in der letzten Konsequent dann auch mehr Zivilcourage, in dem was du sagst, das steht dann auch am Ende. Daraus erwächst nicht nur Kreativität und Toleranz, sondern letztlich auch Zivilcourage. Aber wenn wir das schon in den Anfängen unterdrücken, können wir keine Zivilcourage entwickeln. Dann haben wir nur noch Angst, und die haben wir ja tatsächlich.
Theo: Ich glaube, Angst ist die eigentliche Ursache davon.
Stefan: Wovon, das hab ich jetzt nicht ganz verstanden.
Theo: Angst ist die Ursache, sich zurückzunehmen und sich erstmal lieb zu stellen, oder freundlich oder nett, oder , wie Lisa sagt, nicht abgelenkt zu werden.
Josan: Ich habe andererseits auch schon häufig gesehen, daß es in einer Versammlung oder bei einem Treffen zu zweit oder zu dritt, in einer kleinen Gruppe, daß Wutanfälle oder nach meine Eischätzung her, unlogische, schreckliche, persönliche Angriffe, gegeben hat. Manchmal mußte ich mich auch wirklich dagegen setzen uns schimpfen.
Lisa: Das ist ja auch dein gutes Recht, jeder darf natürlich auch darauf so reagieren wie er möchte. Aber das ist ja auch etwas woran man wächst, wenn jemand anders so furchtbar ungerecht ist, dann eben auch , was Anne sagt, die Zivilcourage zu haben zu sagen, daß man etwas wirklich nicht in Ordnung findet, daß du mir hier einen überbrätst. Auch da seine Meinung dazu zu sagen.
Anne: Die kann man aber nur sagen, wenn man sich getragen fühlt von der Gruppe. Wenn die Atmosphäre in einer Gruppe nicht so ist, sagt man so etwas nicht, dann muß man schon so eine unausgesprochene Zustimmung spüren, daß so etwas möglich ist. Aber dieses Unausgesprochene und diese Ängste, hindern einen daran.
Lisa: Ich denke aber , je stärker Du selber bist, desto unabhängiger bist du auch von der Gruppe, ob sie das nun trägt oder nicht. Das ist aber auch ein schwerer Weg, finde ich, da so hinzukommen, daß man sagen kann ‘und wenn ich mit dieser Meinung alleine da stehe - es ist egal, wenn es wirklich meine Überzeugung ist, dann bringe ich sie auch rüber’.
Theo: Für mich gibt es im Moment ein ganz wichtiges Wort und das ist Wahrhaftigkeit. Im Handeln und in Gefühlen, wir reden hier über Werte, und ich finde , das ist für mich im Moment ein Ziel, dieses große Wort ‘Wahrhaftigkeit’ umzusetzen. Das ist für mich im Moment mein wichtigster Wert, den ich vertreten möchte. Ich will mich auch trauen, völlig daneben zu liegen.
Hilde: Daß finde ich schon sehr gut, daß jemand das sagt und diesen Wert hat. So wie ich das beobachte, wird inzwischen sogar das Gegenteil gelebt. Je mehr man den Schein wahrt und sich falsch gibt , desto weiter kommt man inzwischen, da hab ich mich gerade heute mit Kollegen drüber unterhalten. Deshalb finde ich das klasse, daß du das sagst.
Theo: Ja, es ist ja auch ein Höllenstreß manchmal.
Hilde: Da gehörst du doch zu den ganz wenigen, die das als Ideal haben.
Lisa: Ich finde anders kommt man aber auch nur äußerlich sehr viel weiter. Du steigst vielleicht in der Hierarchie deines Jobs ein paar Stufen nach oben. Ich denke aber , letztendlich geht das auf Kosten, deiner eigenen Person. Das heißt, daß du schließlich an andere Stell darunter leidest , daß du nicht du selber sein kannst. Ich denke das kann die unterschiedlichsten Formen annehmen. Die Bolemi, die ich gehabt habe, hat auch damit zu tun. Damit , daß ich mich zu der Zeit noch viel weniger getraut habe zu mir selber zu stehen. Irgendwie hat das so seinen Kanal gebraucht, ich mußte den Frust, der sich dadurch aufgebaut hat, an irgendeiner anderen Stelle rauslassen und das war denn total destruktiv. Ich hab das gegen mich selber gerichtet.
Anne: Andere richten das gegen sich selber, indem sie Krebs kriegen oder einfach krank werden. Ich gebe dir recht, diejenigen, die falsch spielen , kommen erstmal hoch, aber man sollte sich mal fragen, warum unsere Gesellschaft so krank ist, nicht nur geistig-seelisch. Es ist ja auch bekannt, daß da ein psychosomatischer Zusammenhang besteht. Dann kommt es , daß solche Aufsteiger plötzlich einen Herzinfarkt bekommen und dann schließlich auch wieder unten sind. Ich denke , es zahlt sich nur vordergründig aus. Aber es ist schwer das anzusehen und nicht mitzumachen und erstmal nichts dagegen machen zu können. Letztendlich denke ich oder hoffe ich, daß das Bessere und Wahrhaftige dann doch siegt irgendwann einmal.
Theo: Ich bin gerade Lisa dankbar, daß sie ihre Bolemie erwähnt hat, denn ich hab mit meinem Alkoholismus keine andere Chance, als wirklich dem zu folgen, was in mir vorgeht. Alles andere geht so dermaßen gegen mich, ich hab inzwischen keine andere Wahl mehr. Es hat sich trotz Langzeittherapie und Rückfällen , mit immer wieder den gleichen Ursachen, nämlich gegen mich selbst zu handeln, gegen meine Impulse, gegen mein innerstes Empfinden, Dinge auszudrücken oder versuchen zu leben, wie es eigentlich gar nicht möglich ist und mich so dermaßen selbst zu bescheißen. Deswegen komme ich jetzt an den Punkt, wo ich gerade Wahrhaftigkeit gesagt habe, wo ich einfach keine andere Chance habe. Ich mußte auch erstmal an einen bestimmten Punkt kommen, um zu erkennen, daß ich die Kacke sein lassen muß.
Josan: Ich glaube in Deutschland ist unsere SGI-Organisation an einem entscheidenden Punkt. Vielleicht klingt es von der momentanen Situation her noch ein wenig idealistisch, aber wir sollten ein klares Ziel haben, eine solche Organisation aufzubauen, mit sehr menschlichen Beziehungen innerhalb der Gruppe z.B. oder in größeren Gruppen, Stück für Stück aufzubauen. Ohne das ist es in Deutschland, egal wo eigentlich aber besonders in Deutschland, sehr schwierig. Ständig große Treffen oder einseitig informierte, manipulative Treffen, sollte man unbedingt vermeiden.
Hilde: Was hattet ihr denn noch zu dem Thema.
Hanne: Ich hab nur ein bißchen gelesen. Ich bin jetzt ganz erschlagen von diesen inhaltschwangeren Worten. Soll ich das mal vorlesen? Das ist ganz schön, es bringt es genau auf den Punkt.
„Wer sich selbst genau kennt, wer ein klares Ziel im Leben hat, das er in Respekt vor dem Leben und den Zielen der Mitmenschen verfolgt, der ist ein werteschaffender Mensch. Solche Persönlichkeiten muß die Erziehung bilden.“ von Tsunesaburo Makiguchi
Es klingt so leicht, aber es ist das Schwerste was es überhaupt gibt, sich genau zu kennen, das was wir jeden Tag versuchen, ein Stück rauszufinden und zu begreifen, warum war ich heute so scheiße drauf, oder warum hab ich heute meine Kollegin angefahren oder warum hat sie mich angefahren oder warum läuft es heute besonders gut oder so was . Also dieses zu erkennen, das ist eine tägliche Aufgabe, und ein klares Ziel im Leben zu haben, wer hat das schon, wer weiß schon immer so genau wo es lang gehen soll und wie es werden soll und ob das jetzt so richtig ist. Und dann Respekt zu haben vor den anderen und ihren Zielen, das kann man oft nicht unter einen Hut bringen, das ist schwierig. Entweder man nimmt sich selber zurück oder es geht auf Kosten von irgendjemandem. Wenn man diese drei Sachen zusammenbringt, dann erst ist man ein werteschaffender Mensch. Es ist also nicht so einfach mit dem Werteschaffen. Josan geht gleich nach hause, was? Der Artikel ist echt klasse, der ist aus dem Mai-Forum 1992. Wert ist immer eine Frage des Bezuges und steht nicht alleine. Das Subjekt für sich alleine schafft noch keinen Wert und das Objekt, das bewertet wird schafft für sich alleine auch nichts. Wasser ist Wasser, wenn man durstig ist, ist Wasser eine gute Sache, wenn es eine Überschwemmung gibt, ist es schlecht. Der Kontext bringt den Wert zutage. Das hat mich eigentlich überzeugt.
Josan: Nun Werner, Du warst doch schon in New York und hast Leute interviewt, heute sind auch Leute hier.
Werner: Also was mich bei der Sache mal interessieren würde, die du vorgelesen hast, ist inwieweit das so eine Vorstellung von dem Ich und dem Wert als einem festen unveränderlichem Kern, den man vielleicht irgendwann durch bestimmte Methoden oder einen Weg erkennen kann oder ob es mehr so eine Vorstellung von etwas ‘Flüssigem’, sich entwickelndem, im Austausch mit der Umgebung, sich entwickelndem eigenen Ich da ist. Das würde mich sehr interessieren, wie das ist. Es ist doch bei vielen sehr verbreitet dieses Denken, daß es einen unwandelbaren Kern gibt, durch genügend Introspektion, wie auch immer angeleitet, welcher Art auch immer, religiös oder man kann das ja auch anders machen, z.B. psychoanalytisch, stoße ich da durch. Da gibt es ja auch die Vorstellung, daß ich eben wachse und dann verändert sich das Ich. Wie seht ihr das zum Beispiel? Auch im Zusammenhang, du hast ja schon mal ein bißchen gesagt mit Wahrhaftigkeit, wo bekommst du deinen eigenen Wert her?
Lisa: Das ist echt schwierig.
Werner: Eine klassische Definition ist ja z.B. über Arbeit.
Theo: Beides kommt zusammen, also es hat etwas mit Selbsterkenntnis zu tun oder Selbstbewußtsein, nicht in Form von ‘ich bin der king’, sondern ich bin mir selbst bewußt. Und das kommt einerseits durch den Austausch mit anderen und andererseits auch durch unsere Form des Praktizierens. Das ist für mich eine sehr organische runde Sache, die ich jetzt aber gar nicht so mit wenigen Worten erklären kann.
Stefan: Es gibt im Buddhismus diesen Ausdruck ‘annatta’ auf Sanskrit, was so viel bedeutet wie ‘nicht selbst’. Es gibt keinen ewig unwandelbaren Kern, wie eine Seele, in dem Sinne , wie wir es aus dem Christentum kennen, eine Seele, die irgendwo im Paradies oder sonstwo wiedergeboren wird oder aufersteht und dann so ist, vollkommen. Es ist eine ständige Bewegung und Entwicklung, die stattfindet, ein ständiges Fließen der Dinge. Es gibt nichts, was auch nur einen Augenblick lang so bleibt. Wir entwickeln uns weiter und es geht darum ein ‘Großes Selbst’ zu entwickeln. Das ist aber niemals zu ende, es geht immer weiter. Letztendlich ist es die Identität mit dem Ganzen, was dahinter steht, mit dem ganzen Universum letztendlich. Es gibt keine Begrenzung. Aus der buddhistischen Philosophie heraus wird erklärt, daß man eins ist mit dem Universum und diese Tatsache versuchen wir einerseits durch das chanten in uns klar zu machen, in uns zu aktivieren. Wenn man davon ausgeht, daß das so ist, geht es darum ein Bewußtsein dafür zu bekommen, daran zu arbeiten, damit es auch in einem erfahrbar wird. Andererseits gibt es die Interaktion in der es sich entwickelt, niemand ist für sich alleine. Alles entsteht nur in Interaktion mit anderem.
Werner: Wie laufen denn diese Abwertungen, du sprachst vorhin davon daß es auch Vergleiche gibt unter den Mitgliedern und daß da Leute abgewertet werden, daß herabgeguckt wird, was sind da die Kriterien für Abwertung.
Josan: Es gibt eigentlich keine Kriterien. Nur wenn man die anderen Menschen , anderes Leben abwertet, diese Haltung selbst ist abzuwerten.
Werner: Das hab ich nicht ganz verstanden.
Josan: Es gibt in der Soka Gakkai kein Kriterium, eine ethische-moralische Lehre. Buddhismus lehrt nicht direkt einen Moralismus. Jeder hat eine unterschiedliche persönliche Überzeugung, für mich ist eins bedeutend, daß man, klingt vielleicht ein wenig abstrakt, in der inneren Haltung nicht gegen die Menschlichkeit eingestellt ist.
Lisa: Es gibt kein spezielles Kriterium, wenn ich das richtig verstehe, nachdem jemand abgewertet wird, z.B. es seien nur die gute Buddhisten, die auch morgens und abends ihre Ausübung machen oder die zwei Hausbesuche in der Woche machen oder so. So etwas gibt es nicht. Was passiert ist, daß jeder sozusagen für sich eine Beziehung aufbaut zur Praxis und zum Studium, und dann kann es passieren, daß sie denken zu wissen, wie andere das doch machen sollten. Also immer von dem eigenen auzugehen, zu denken ‘so ich praktiziere jetzt richtig’ und daraufhin zu sagen, ‘also wie der praktiziert - das finde ich aber nicht so klasse’. Das ist bei jedem auch was anderes. Ich würde z.B. sagen, daß diejenigen, die immer nur straight chanten, egal zu welcher Tages- u. Nachtzeit und immer meinen sie müßten ganz pünktlich Leute besuchen, da würde ich tendenziell wahrscheinlich eher sage, ich werte sie ab, weil ich denke, das ist mir viel zu formal. Jemand anderes würde vielleicht meine Art der Praxis abwerten. Ich sag mir halt , ich mach das so wie ich das kann, und ob das nur einmal ein Gongio ist oder mal drei Tage wegfällt. Oder ob ich mich einen Monat bei niemandem melde und dann an einem Tag zehn Leute anrufe und versuche etwas zu tun. Jeder denkt so, die eigene Art ist die richtige.
Josan: Ein buddhistisches Prinzip heißt ganz einfach: ‘Kirschbäume bringen Kirschblüten hervor, Apfelbäume Apfelblüten, Pflaumenbäume Pflaumenblüten’. Ursprünglich geht es im Buddhismus nicht darum, Menschen in einer bestimmten Weise zu formen. Sondern ‘so wie du bist, von Kopf bis zu den Füßen, mit vollem Leben, so sich weiter zu verwirklichen’. Niemals geht es um äußerliche Formen. Leider ist es so, daß es, wenn es eine Gesellschaft oder Organisation gibt, immer eine solche Gefahr besteht. Deswegen sprechen wir auch viel darüber und diskutieren, damit jeder darüber noch bewußter werden bzw. bleiben kann. Zwei Menschen treffen zusammen, schon gibt es eine Organisation und es kommt dazu daß zwischen den Menschen Vergleiche gezogen werden. WeiblichMännlich, Jung-Alt, Reich-Arm, Klug-Dumm, alle möglichen Vergleiche passieren. Deswegen versuchen wir uns über gewaltsame Strukturen bewußter zu werden, damit wir andere nicht abwerten. Das ist schwierig. Im Moment ist das in Deutschland eine Problem, das jetzt angestoßen ist und bewußter wird. Es ist ein großes Problem und ich bin manchmal schon von der Auseinandersetzung erschöpft.
Anne: Bist du resigniert?
Josan: Fast, 99 %. Im Moment erlebe ich systematische organisatorische Gewalt. Das soll keine Kritik sein, die Menschen sind davon überzeugt, was sie tun, teilweise. Solche Stimmen wie hier heute, würden schon manchmal abgewertet werden. Man würde sagen ‘ du mußt so praktizieren’ oder ‘du mußt das u. das machen, sonst bleibst du in der Sackgasse’. Es wird immer wieder gesagt, man soll hoch kommen, Aktivitäten machen, viel chanten, aber manchmal fühlt man kein nahes Herz dabei, zu bestätigen und zu akzeptieren wie jemand ist. So etwas ist auch der schwerste Weg überhaupt, es ist immer leichter zu sagen, was du tun sollst, zack zack zack, eins zwei drei und du bist glücklich.
Werner: Also ist dieser Kreis heute abend nicht typisch?
Lisa: Was ist schon typisch?
Hilde: Wir überlegen uns schon Reformen für die Soka Gakkai, schon lange.
Werner: Also alles was hier heute abend so an negativem gesagt wurde, spüre ich heute abend auch überhaupt nicht, deswegen frage ich eben. Ist das also heute absolut untypisch?
Stefan: Ich würde sagen, daß hier ein starkes Bewußtsein für diese Sachen herrscht und mit der Zeit und mit bestimmten Erfahrungen entwickelt wurde. Ich empfinde das heute abend auch alles ein wenig sehr negativ, ich weiß auch nicht warum, geht nur mir das so? Alles was gesagt wurde ist so unheimlich schwer für mich. Normalerweise empfinde ich das auch nicht so.
Josan: Negativ finde ich das nicht.
Theo: Ich empfinde auch nichts Negatives.
Stefan: Vielleicht empfinde auch ich das nur so heute.
Theo: Im Gegenteil.
Lisa: ich finde das auch mal ganz angenehm. Vielleicht ist es ja auch so, daß uns das gerade aus der Seele spricht.
Stefan: Gut, daß ihr mir das sagt, es freut mich daß das nicht so ist und nur meine Wahrnehmung so ist.
Lisa: Es ist mehr das Gefühl das einfach mal so auszusprechen, wie die eigene Empfindung ist. Was ich gerade spannend daran finde ist, daß irgendwie es für dich so schwer klingt, und daß jeder das so unterschiedlich wahrnimmt oder aufnimmt.
Josan: Kennst Du die fünf Punkte, die Johan Galtung zur SGI gesagt hat?
Lisa: Nein nicht mehr so.
Josan: Oh man bist du ein schrecklicher Buddhist.
Lisa: Ja klar , ich chante ja auch ohne Kette.
Josan: Nein, das war im Mai, daß der Friedensforscher unser Kulturzentrum in Bingen besuchte. Stefan und einige Forum-Redakteure machten ein Interview. Er hat im ersten Teil mit vollem Lob bestätigt, daß die Soka Gakkai Inernational, als NGO eine der größten Friedensorganisationen ist. Mit voller Hoffnung für die Zukunft hat er das gesagt.
Hilde: Mit lauter charmanten Menschen hat er gesagt.
Josan: Fünf Kritikpunkte hat er genannt: Männerdominanz, zu stake Hierarchie, zu starke Dominanz der Japaner, zu starke Dominanz der Seikyo Zeitung (in Japan) und es wird nicht offen über die Problem diskutiert. Das hat mich wirklich gründlich erschüttert und wach gemacht. Er praktiziert selbst nicht den Buddhismus. Er ist Norweger glaub ich.
Stefan: Norweger, Friedens- und Konfliktforscher, sehr aktiv, international engagiert, er wird immer wieder zu irgendwelchen Konflikten befragt und eingeladen dazu Lösungsvorschläge zu machen. Vor Kurzem hat er einen Vortrag in unserem Kulturzentrum Villa Sachsen in Bingen gehalten.
Hilde: Er hat das Friedensforschungsinstitut in Oslo gegründet, nicht?
Stefan: Ja, das erste Friedensforschungsinstitut hat er gegründet, 1959.
Josan: Ich finde das deshalb auch sehr wichtig , was Lisa gesagt hat, es geht in die gleiche Richtung. Wenn wir die Soka Gakkai International hier weiter entwickeln wollen, dann sollten wir wirklich eine psychisch transparente Form anstreben, in der jeder seinen Platz finden kann, und jeder sollte geschützt das Recht haben, frei zu sagen, was er denkt, sich frei zu fühlen und zu verhalten. Das ist sehr idealistisch, aber es muß funktionieren, sonst ist Buddhismus zu bürokratisch und formalistisch, finde ich.
Lisa: Ich finde, wenn man das nicht leben kann, das ist auch für jede Beziehung die Voraussetzung, daß man ehrlich zueinander ist, ob in einer Partnerschaft oder mit anderen Freundschaften, es ist überall wichtig und auch wenn wir wirklich zusammen praktizieren wollen.
Josan: Ich komme deswegen gerne wenn du dich mit ... streiten willst, ich unterstütze dich.
Lisa: Du kannst ja ihn schützen.
Anne: Aber Streit ist doch gar nicht so was schlechtes, ich finde das doch toll. Schließlich haben wir ja den Gohonzon, ich weiß nicht warum das immer ein Problem ist. Ich bin da neulich schon mal mit angeeckt. Ich finde streiten OK, obwohl ich auch schlechte Erfahrungen damit gemacht habe und vorsichtiger geworden bin. Warum soll das so negativ sein, zu streiten. Man lernt sich auch dabei kennen, wenn man sich nicht mehr streitet, dann ist die Beziehung nämlich tot und man lernt sich nicht mehr kennen dabei. Wir müssen da nur anders rangehen es anders bewerten. Wir müssen es positiv sehen, es ist nicht unbedingt negativ. Ich weiß nicht warum wir immer so’n Problem daraus machen. Ich finde das so toll in Italien, wie die sich manchmal anschreien, da denke ich dann , die haben den größten Krach, aber es ist überhaupt nicht so, die streiten und akzeptieren sich trotzdem. Ich denke , die Juden haben auch eine Streitkultur, die gehen damit um und haben eine richtige Technik entwickelt, und trotzdem mögen die sich hinterher noch. Nicht daß da jetzt alles bestens ist, aber ich weiß nicht warum das schlecht sein soll.
Theo: Du hast gerade eins gesagt, was ich unheimlich wichtig dabei finde. Sich zu streiten und sich trotzdem zu akzeptieren dabei. Ich glaube es ist die Angst bei vielen, daß man denkt, wenn gestritten wird oder man plötzlich einen Konflikt angeht, und ein Konflikt löst sich durch eine Eruption, und selten durch ein ‘Glattbügeln’ oder Harmonisieren, viele haben Angst, daß wenn ein aggressives Moment dazu kommt, diese Akzeptanz nicht mehr da ist.
Anne: Das ist es.
Theo: Das ist die Angst bei vielen Leuten, so daß sie das unterdrücken und dann ein Harmoniebedürfnis entwickeln, den Käse drüberschmieren und unten drunter stinkt’s und ist irgendwann hoffnungslos verloren, weil es sich einfach nicht mehr lösen läßt. Je mehr und länger es stinkt, desto größer muß die Eruption sein ...
Anne: oder die Maden kommen.
Lisa: Nette Bilder.
Theo: Es ist ja auch so befreiend sich mal zu streiten.
Anne: Wir wollen alle , daß der andere so ist man selbst, wenn es zu dieser Nicht-Akzeptanz kommt. Wenn ich dagegen sage, das ist deine Meinung, das meine, jetzt schlagen wir uns mal die Köpfe ein und lachen darüber, daß wir anderer Meinung sind. Warum muß denn der andere gleicher Meinung sein oder den gleichen Lebensstil haben wie ich? Ich weiß wohl, ich hab auch Schiffbruch erlitten mit Streit, in Beziehungen, mit der Familie, ich habe viele Bauchlandungen gemacht.
Josan: Was heißt denn Bauchlandung?
Anne: Das heißt ich bin damit auf den Bauch gefallen und es hat geklatscht, dann bin ich kraftlos liegengeblieben, meine positive Streitlust ist schlecht angekommen. Aus Streit entsteht aber auch Kreatives und Mut, und Weisheit zum Schluß auch.
Josan: Aber wenn man keine Akzeptanz spürt und schon mit Vorurteilen zusammen abgewertet wird.
Anne: Dann kann man nicht mehr streiten. Dann sollte man es lassen, denn dann geht es zur Vernichtung, man sagt dem anderen nach , er sei schlecht. Und die Angst vor Vernichtung.
Mi-san: Ich finde, daß in allem was wir bis jetzt besprochen haben, diese Dinge enthalten sind- Frieden, Erziehung und Kultur. Dafür arbeiten wir, das ist unser Ziel und das Ziel der SGI.
Anne: Vielleicht sollte noch davor stehen -Streitkultur. Wenn wir auch das kultivieren würden, man kann Streit auch kultivieren. Letztendlich kommen Kriege auch dadurch, daß wir keine Streitkultur haben. Es fängt bei Beziehungen an und geht immer höher.
Mi-san: Wir sollten aber in die Zukunft schauen, nicht immer in die Vergangenheit. Das ist wichtig. Wir sind gerade die Erwachsenen und wir haben noch kleine Kinder, und die sind viel wichtiger als wir selbst. Diese Kinder, sozusagen unsere Nachfolger, sollten wir dahin bringen, menschlichere Beziehungen zu entwickeln und auch Buddhismus richtig zu verstehen. Das ist, finde ich auch unsere Aufgabe als Erwachsene. Egal ob das Buddhismus ist oder die Gesellschaft.
Lisa: Gerade darum ist es so wichtig, bestimmte Dinge zu lernen.
Mi-san: Ich fand das sehr toll, was heute alles so besprochen wurde und du sagst z.B., du machst ohne Kette Gongio, deshalb bist du kein schlechter Buddhist. Es interessiert doch gar nicht, ob mit oder ohne Kette, Hauptsache du machst das, das finde ich toll. Das ist alles materiell. Mach mal weiter so.
Stefan: es ist glaube ich auch Zeit so langsam Schluß zu machen.
Theo: Ich möchte noch eins kurz sagen. Es hat mich gerade ziemlich betroffen gemacht, was du so gesagt hast. Wenn von vornherein die Akzeptanz nicht da ist, daß es um Vernichtung geht, dann geht es auch um Macht, den anderen nicht zu akzeptieren und vernichten zu wollen, heißt ja ihn klein zu halten und zu unterdrücken. Wer so etwas praktiziert, ist bestrebt, eine Macht auszuüben, seine Macht zu verstärken oder zu erhalten. Diese Tendenzen gibt es ja und sicher auch innerhalb der Soka Gakkai.
Josan: Na ja , Kameraden, versuchen wir zu überleben. (Lachen)
Lisa: Wenn wir jetzt hier gleich eine Schlägerei anfangen, versucht wahrscheinlich jeder mit heilen Knochen davon zu kommen.
Mi-san: Ja, vielen Dank für das Gespräch.
Stefan: Richy , du hast noch gar nichts gesagt heute. Hast du verstanden oder war es zu kompliziert heute?
Richy: Ja , es war sehr kompliziert, ich verstehe schon ein bißchen besser, aber bald verstehe ich alles, ich muß.
Anne: Also mich bewegt noch eins, was sind Werte? Das hatte ich so’n bißchen erwartet, du hast eins gesagt, mit der Wahrhaftigkeit, Authentizität, ich frag mich immer, wir bringen immer so hohe Sätze und Begriffe, wie sieht’s im Kleinen aus? Werte ist ein großes Wort, aber was sind Werte? Der eine sagt vielleicht , es ist ein Wert wenn ich den anderen klein mache, der darf nicht groß werden und der andere sagt, laß den doch groß werden. Ich finde Werte sind auch sehr subjektiv, was sind Werte im buddhistischen Sinne, die Antwort ist heute nur angedeutet aber ich hätte eigentlich gerne mehr darüber gehört.
Stefan: Ich wollte gar keine theoretische Antwort darauf geben. Eigentlich war das auch meine Frage an die Leute , die praktizieren, was denn für sie Wert ist und was lernen sie in der Soka Gakkai und wie lernen sie das. Das war eigentlich auch meine Frage, vielleicht ist das ein bißchen kurz gekommen. Es soll ja nichts gemacht werden, man fragt auch so was soll man, welche Werte soll man entwickeln.
Hilde: Der Grundwert, das hat ja Hanne zitiert, von Makiguchi.
Anne: Ja, das ist mir alles schon wieder zu rund und zu fertig. Wir haben ja so viele Schwierigkeiten, wo bleiben die Werte im Alltag. Das war toll und wunderbar, aber für mich zu fertig.
Hilde: Es ist die Basis mit der alles anfängt und dann kommen andere Werte hinzu.
Lisa: Ich kann das verstehen, daß das so weit weg erscheint. Von der Kindererziehung her mit meinem
Kind gesagt, ist es so, daß, wenn ich versuche ... zu respektieren, dann respektiere ich auch zum Beispiel, daß sie sich die Schere in die Hand nimmt und sich selber die Haare schneidet, egal wie ich das finde, und sich irgendwelche Löcher dareinmacht. Das ist für mich so, daß ich ein Stück weit , ihren Wunsch nach Selbstbestimmung respektiere, daß sie selber entscheiden kann, was sie tut. In solchen kleinen Sachen zeigt sich das, wo man genau überlegen muß, was sollte ich bei einem Menschen tolerieren und lassen. Im Moment hab ich eigentlich so eine Position, in der ich Macht ausüben könnte. Wenn ich will, kann ich sie total klein machen, theoretisch, sie ist vier Jahre , ich bin ihr körperlich überlegen, wenn ich wollte und fies wäre. Da bin ich immer wieder drauf gestoßen, was heißt das eigentlich, und das hat mit Respekt zu tun.
Anne: Mir fällt jetzt was ganz extremes und provozierendes ein. Wenn jemand sich, z.B. durch Magersucht, zu Tode hungert und man sieht er zerfällt, kannst du ihm dann noch zustehen, daß er so weiter macht, denn es ist ja sein Willen, nicht zu essen und zu sterben letztendlich. Ich sag das jetzt mal provozierend. Darf ich da nicht eingreifen und sollte ich sagen, daß will er nun.
Lisa: Ja, das Thema hatten wir ja schon mal.
Anne: Richtig, beim Sommerkurs in Inzmühlen. Es geht aber weiter, das wäre ja auch Respekt, Respekt davor, daß jmd. nicht essen will, sterben will, laß ich sie, irgendwie geht das auch nicht, es ist eine Gradwanderung.
Theo: Zum Thema Erziehung noch mal. Was du sagtest, mit der Machtausübung, die du als Mutter hättest, oder die Eltern über ihre Kinder haben, das ist ja das was den meisten von uns hier im Raum und überhaupt da draußen passiert ist. Das ist das gebrochene Rückrad, das sind doch diese ganzen Neurosen, die ganze Kacke , die am Dampfen ist und deswegen geht’s uns ja allen so schlecht. Von vornherein von Anfang an, von den Wurzeln unserer Entwicklung wurde dafür gesorgt, daß eigentlich nichts gefördert, sondern das meiste an Kraft und Freude unterdrückt wurde.
Stefan: Darf ich denn noch mal die Frage stellen, wie es in der Soka Gakkai ist, wie man das denn lernt. Wie lernt man da denn andere Werte, wodurch? Warum ist das Erziehung, warum ist das eine Gesellschaft für Erziehung?
Josan: Ich erinnere mich an eine wunderbare Erfahrung von Herrn Fujiwara, die vor zwei oder drei Jahren im Forum stand. Als er noch jung war, verlor er seinen kleinen Sohn durch eine Krankheit. Er weint vor dem Gohonzon, die Leiche des Sohnes vorne , chantete er . Er konnte es nicht akzeptieren, warum ausgerechnet er seinen Sohn verlieren sollte, warum ausgerechnet in dieser Zeit, warum er so tiefe Trauer erfahren mußte. Dann kam ein Verantwortlicher und chantete mit ihm zusammen eine Stunde. Danach sagte er nur: ‘laß dich nicht besiegen’. Fujiwara meinte damals, der Verantwortliche müsse doch noch ein bißchen mehr , etwas ermutigenderes sagen. Dieser sagte aber nur diesen Satz. Um das zu kapieren, sagte Herr Fujiwara, der jetzt in Osaka eine große Verantwortung trägt, brauchte er ein paar Jahre. Soka Gakkai ist nichts anderes, als miteinander dieses Wort auszutauschen ‘laß dich nicht besiegen’. Wir können niemanden ‘erziehen’ im Sinne von zwingen, wir können nicht einfach ermutigen, aber einen Satz können wir immer sagen ‘laß dich nicht besiegen’. Ich finde das sind so wichtige Worte. Aber manchmal ist vom deutschen Formalismus her mit seinen Definitionsproblemen, die organisatorische Funktion zu weit definiert, zu klar ausgedrückt. Das essentielle , tiefste geht dabei manchmal verloren. ‘laß dich nicht besiegen’, mehr kann man eigentlich gar nicht sagen. Selbst wenn ich ihr Mann wäre, könnte ich ihr nicht mehr sagen. Das war seine Ermutigung und ich fand diese Erfahrung sehr gut.
Lisa: Weil du so deutlich gefragt hast, Stefan. Für mich ist das auch Erziehung, Erziehung meiner Selbst, daß ich halt zu Treffen gehe, wo bestimmte Themen dran sind, an denen ich etwas neues lernen kann, an denen ich mein Bewußtsein sozusagen erweitern kann. Das ist auch immer wieder dran bleiben an bestimmten Themen und an der Auseinandersetzung. So verstehe ich auch innerhalb der Soka Gakkai diesen Begriff der Erziehung, als Bestandteil. Und eben das Chanten, das ist eigentlich der Bereich wo ich versuche mein Potential zu öffnen, das heißt ich erziehe mich auch irgendwie so’n Stück selbst, so empfinde ich es, weil ich lerne dadurch neues kennen und versuche das dann nach und nach umzusetzen.
Josan: Toll gesagt, von Anfang bis zum letzen Wort- du warst heute voll da, trotzdem du krank bist.
Anwesend waren ca. 25 Leute.
Das Studium wurde geleitet von Hr. Hogi (52 Jahre), einem Japaner, der seit ca. 30 Jahren den
Buddhismus ausübt, seit ca. 20 Jahren in Deutschland lebt, Beruf: Gesanglehrer
Hogi: Ich begrüße Euch recht herzlich, besonders auch einen Gast aus München.
Gast: Danke, ich bin zur Zeit in Hamburg, um einen Film zu drehen und freue mich auf Deinen Vortrag.
Hogi: Bist Du Produzent?
Gast: Nein , noch nicht, Produktionsleiter:
Hogi: Das ist der stressigste Beruf beim Film , nicht wahr?
Heute wollen wir das 34.u. 35. Kapitel der Vorlesung von Präsident Ikeda über das Lotos-Sutra als
Grundlage des Studiums nehmen. Bevor ich zu diesem Text komme, möchte ich eine historische
Persönlichkeit vorstellen: den Engländer John Steward Mill (1806-73). Er war Soziologe und
Philosoph. Es gibt eine ganz interessante Episode in seinem Leben. Als er Mitte 20 war, lernte er eine Frau kennen , und sie verliebten sich ineinander. Leider war sie schon verheiratet. Diese Geschichte ging 25 Jahre so als Freundschaft weiter, bis ihr Mann gestorben ist. Zwei Jahre nachdem ihr Mann gestorben war, haben die beiden dann geheiratet und konnten dann aber nur insgesamt 5 Jahre zusammen leben. Es war eine sehr romantische Ehe. Auf einer Urlaubsreise in Aix en Provence starb sie dann ganz plötzlich in einem Hotelzimmer. John Steward Mill kaufte die gesamte Einrichtung dieses kleinen Hotelzimmers und richtete sich ein eigenes Zimmer in Aix en Provence damit ein. Jeden Sommer kam er aus England dorthin zu Besuch und lebte eine Zeit lang, 2 Monate oder so in der Erinnerung mit seiner verstorbenen Frau. Sehr romantischer Mann, nicht wahr? Einen Satz von ihm finde ich besonders bedeutend, ich habe das nur auf Japanisch gelesen, weiß also nicht ob die Übersetzung paßt. In einer seiner bekanntesten Abhandlungen mit dem Titel ‘Freiheit’ (Freedom) sagte er: „Um verschiedene Meinungen zu einigen, bedarf es einer genügenden umfangreichen freien Diskussion:“ In diesem Sinne meinte er ‘unterschiedliche Meinungen sind nicht böse’. Sie sind sehr wertvoll und gut. Interessanterweise hat er auch noch folgenden Satz geschrieben: ‘Wenn ein einziger Mensch eine total unterschiedliche Meinung besitzt wie die ganze Menschheit, die sich einig ist. Trotzdem hat die Menschheit kein Recht seine Meinung mit Gewalt zu ändern. Umgekehrterweise bedeutete dies: falls der eine große Macht besitzen würde und mit dieser versucht die Meinung der Menschheit zu ändern, ist das genauso schlimm.’ Versteht ihr diese Aussage dieses romantischen Wissenschaftlers?
Wir leben in einer Zeit in der in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, wie Wirtschaft, Politik und auch Kultur viele Dinge in eine Art Sackgasse gestoßen sind. Viele empfinden Hoffnungslosigkeit und Angst. Besonders die wirtschaftliche Situation ist in vielen Bereichen besonders schwierig. Deshalb gibt es bei uns manchmal die Tendenz zu denken, wir müßten so schnell wie möglich alle Meinungen einigen und irgend etwas zusammenbasteln. Mill meinte schon vor ca. 200 Jahren ganz klar ‘unterschiedliche Meinungen sind nicht böse’. Als kleines Prinzip können wir heute also mit nach hause nehmen, daß wir uns freuen sollten, wenn der Partner oder die Partnerin eine unterschiedliche Meinung besitzt. Unsere Neigung des Charakters geht oft dahin immer geltungssüchtig zu sein und den anderen nach der eigenen Meinung formen wollen. Es ist eigentlich ein sehr wichtiges Ziel als Buddhist oder als Mensch, die innere eigene menschliche Kapazität zu vergrößern, die unterschiedlichen Meinungen, so wie sind annehmen zu können und gemeinsam voranzugehen. Im Buddhismus gibt es das Bild der unterschiedlichen Pflanzen, die unterschiedliche Früchte hervorbringen. Ich möchte deshalb auch noch mal bestätigen, warum wir Buddhismus praktizieren. Nicht um einen dogmatische Überzeugung in der Gesellschaft zu verbreiten oder durch die eigene Überzeugung , andere zu beeinflussen. Es geht nicht darum andere von der eigenen Meinung begeistern zu wollen. Unsere Praxis zielt immer darauf ab, die eigene innere Wahrnehmungskapazität zu vergrößern. Wie können wir gegen die durch Trägheit, Leichtsinnigkeit und Dummheit entstehenden Beschränkungen unserer Gedanken bekämpfen. Wie können wir unsere Kapazität als Mensch weiter vergrößern und dabei die anderen Meinungen so wie sind annehmen? Dafür hat Präsident Ikeda auch schon sehr viele Ermutigungen und Vorlesungen gegeben. Heute wollen wir uns einiges von einer davon ansehen.
Auf Seite sechs steht:
Lassen Sie uns voll Stolz ein Leben führen, das durchdrungen ist von den Tugenden von Ewigkeit,
Glück, Wahrem Selbst und Reinheit. Lassen Sie uns in unserer Umgebung mit den Taten von Bodhisattwas dazu beitragen, daß das Leben und wahre Werte wieder dadurch blühen, daß wir die Philosophie der Würde des Lebens verbreiten. Das ist der Weg der Veränderung einer Gesellschaft mit verzerrten Werten.
Hier begegnen uns vier große Prinzipien: Ewigkeit (jo), Glück (raku), Wahres Selbst (ga) und Reinheit (jyo). Diese vier Prinzipien begegnen uns auch auf der Gebetskette, die den menschlichen Körper symbolisiert, vertreten durch die vier kleineren Perlen. Auf dem Gohonzon steht in der Mitte NamMyoho-Renge-Kyo und in der ersten Reihe findet man die vier Bodhisattwas, die ebenfalls diese vier Funktionen repräsentieren. Unter Ewigkeit kann man sich vielleicht etwas vorstellen und Glück ist nicht so schwierig zu verstehen, es gibt relatives und absolutes. Reinheit hingegen wirft die Frage auf, was das ist. Wahres Selbst ist noch schwieriger zu erfassen. Global gesehen ist der Punkt Reinheit ein sehr fraglicher Punkt. Gilt das für die gesamte Welt oder nur für mich? Wenn wir z.B. täglich 5 o. 6 mal duschen und jedes mal ein Duschmittel benutzen, dann wird das die Umwelt belasten. Die eigene Reinheit ist dann sehr fraglich. Wenn ich Seife habe oder Parfüme , wenn ich saubere Kleidung habe, bin ich dadurch schon rein? Nein! Manchmal ist das sehr egoistisch, meine oberflächliche Reinheit basiert darauf, daß ich die Erde oder Umwelt verschmutzt habe. Das Wahre Selbst erinnert an den Begriff Wahrnehmung, der ebenfalls in seiner Vielschichtigkeit sehr komplex ist. Buddhismus zu praktizieren heißt nicht von irgendwoher eine Antwort zu bekommen. Wir lesen verschiedene Bücher, wir lesen verschiedene Theorien und lernen die unterschiedlichsten Prinzipien. Aber dies zeigt uns nicht die Antwort, sondern wie wir mit anderen Lebewesen, mit anderen Menschen weiter auf der Erde existieren können. Selbst zu denken, dazu zu motivieren ist eine der größten Aufgaben des Buddhismus. Jeder Mensch sollte eine solche Möglichkeit, selbst zu denken bekommen können. Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wie soll ich leben? Deshalb gibt es auch sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage , was das wahre Selbst und was Reinheit ist. Der eine mag denken, wahres Selbst bedeutet mein Leben so zu leben , wie er es jetzt lebt, oder ein anderer denkt vielleicht bei ihm sei es sehr wackelig im Moment und er weiß nicht einmal, was seine gesellschaftliche Aufgabe ist. Es kann auch sein, daß man sein Lebensziel schon gefunden hat. Bei der Reinheit ist es ähnlich, es ist ein sehr relatives und sehr kompliziertes Prinzip. Von dem buddhistischen Prinzip her möchten wir da keine zu enge, einrahmende Antwort geben. Jeder soll wirklich selbst und allein denken und nach seiner Antwort suchen. Der Abschnitt erwähnt auch den Begriff Bodhisattwa. Für die Begriffe gibt es natürlich immer Tausende verschiedene Erklärungen. Bodhisattwa ist der neunte der zehn Lebenszustände. Er beinhaltet die ständige Bereitschaft für die anderen Lebewesen zu wirken und die Umgebung zu bereichern. Manchmal ist in Deutschland oder Europa Buddhismus sehr einseitig verstanden worden. Man dachte immer nur an das Meditieren und die Erreichung innerer Ruhe. Das ist ein Aspekt, aber für ein richtiges Verständnis der buddhistischen Prinzipien fehlt noch die Hälfte. Erstmal meditiert man und schafft die innere Stabilität, mit dieser Kraft geht man dann in die Gesellschaft und handelt für die anderen. In Europa verstand man bis jetzt oft nur die erste Hälfte und suchte nur die Meditation, die Ruhe, die Streßlosigkeit. Ursprünglich erläutert der Buddhismus aber auch immer die zweite Hälfte. Die innere Lebensenergie zu vergrößern ist die Grundlage , um in die Gesellschaft zu gehen und für die anderen etwas zu tun. Das ist ein Ziel des Buddhismus. Ein weiterer Abschnitt besagt: (Die Abhandlung bezieht sich auf einen Abschnitt aus dem Lotos-Sutra, wo ein Vater, der Arzt ist, seine Kinder dazu veranlaßt eine Medizin einzunehmen, die sie von ihrer Krankheit heilen soll.)
Die Verwirrung in den Herzen der Menschen kann nicht mit Gewalt verändert werden. Es ist wichtig, daß die Menschen die Medizin aus freien Stücken nehmen und sie trinken, denn in dieser Haltung liegt bereits die Fähigkeit, den eigenen Zustand unmittelbar und frei von Verzerrungen richtig zu sehen.
Ich finde diesen Satz für uns sehr wichtig. In der Geschichte können wir viele Beispiele finden, wie Religionen mit Fanatismus und Dogmatismus verbreitet wurden. Das gilt nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt. In der Geschichte gab es in diesem Bereich ständige Wiederholungen. Das gilt nicht nur für fundamentalistische Christen und Moslems, sondern auch für Buddhisten und auch für Juden. Warum kann zu solchen Tragödien unter dem Namen Gottes kommen? Wie kann es kommen, daß man im Namen des Guten andere getötet oder verletzt hat? Wir sollten auch wenn wir den Gohonzon haben und mit der SGI zusammen gehen, uns diesen Punkt ständig bewußt machen. Die meisten Religionen setzen über den Menschen eine Art Supermacht ‘Gott’ oder den Schöpfer, der die Menschen und deren Schicksale unter Kontrolle hat, manchmal gibt es für bestimmte Sünden von diesem bestimmte Strafen. Buddhismus ist die Religion in der es darum geht, durch die Praxis selbst Buddha zu werden. Es geht im Buddhismus nicht darum Buddha zu verehren, sondern darum selbst
Buddha zu werden. In diesem Sinne verehren wir den Gohonzon , da wir in uns die gleichen Qualitäten besitzen. Manchmal besteht aber, gerade auch wenn man schon länger praktiziert wie ich, die Tendenz zu denken, da man lange praktiziert und dementsprechend viele Erfahrungen gemacht hat, seine eigenen Gedanken und Aussagen für viel weiser zu halten. Ich muß mich ständig daraufhin überprüfen und mir selbst sagen, nicht so dogmatisch zu sein. Das ist eigentlich schon ziemlich gefährlich, geht zu weit und wir sollten von Anfang an, uns dessen bewußt werden. Eine Religion oder einen Glauben annehmen heißt eigentlich, die Menschen Stück für Stück mehr lieben zu können. So wie der Ausspruch von John Stewart Mill am Anfang besagt, wenn jemand unterschiedlicher Meinung ist vielleicht auch unterschiedlichen Glauben besitzt, und wenn diese auch total anders ist als meine eigene, ist das ein Grund für mich zur Freude. Manchmal denken wir jedoch auf Grund unser eigenen Erfahrung, unser Überzeugung und dogmatischen Glaubenseinstellung, die anderen einfach in einen bestimmten Rahmen pressen zu müssen. Deshalb hat Präsident Ikeda diesen Satz auch sehr bewußt betont. Im Lotos-Sutra, welches wir täglich rezitieren steht das Beispiel daß keine Gewalt angewendet wird. Der Arzt zwingt die verwirrten Kinder nicht mit Gewalt , die gute Medizin zu nehmen. Er ließ die Medizin da und machte sich auf die Reise. Dann schickte er einen Boten, der berichten sollte, daß er gestorben sei. Dadurch konnten die verwirrten Kinder einen tiefgründigeren suchenden Geist entwickeln um nach eigenem Willen, die Medizin schließlich annehmen zu können. Dieses Beispiel sollten wir mit unserem Leben noch einmal genau betrachten. Wenn wir anderen vom Buddhismus erzählen, oder einen Partnerstreit haben oder sonst eine Auseinandersetzung oder Mißverständnisse haben, sollten wir wirklich Gedanken machen , um Gewalt, nicht nur in Form von körperlicher, sondern auch psychischer Art oder struktureller Art, zu vermeiden. In dem Abschnitt heißt es auch „..., daß sie die Medizin von sich aus nehmen, ohne sie zu bedrängen“ In der buddhistischen Geschichte gibt es ganz wenige Beispiele von gewaltsamen Auseinandersetzungen. In Japan gab es z.B. buddhistische Mönche, die mit Schwertern und verschiedenen Waffen, kleine Kriege geführt haben. Grundsätzlich gibt es aber in der gesamten buddhistischen Geschichte keine Religionskriege. Der Grund ist, daß der Buddhismus von Anfang an diesen Satz lehrt ‘Von sich aus nehmen, ohne sie zu bedrängen’. Das hat auch damit zu tun, daß der Buddhismus keinen Gott, der über den Menschen steht, kennt. In einem weiteren Abschnitt steht:
Tatsächlich aber ist der Vater nicht gestorben, seine Absicht ist lediglich, daß die Kinder annehmen, er sei gestorben. Er will sie so von ihrer Abhängigkeit vom Vater befreien, so daß sie sich von ihren falschen Ansichten lösen.
Es steht hier etwas von der Abhängigkeit vom Vater. In unserem Buddhismus spricht man von der menschlichen Revolution. Eine bekannte Psychologin machte einen Versuch einer Definition einer menschlichen Revolution. Sie meinte, daß drei Punkte betroffen werden. Das erste ist die Abhängigkeit, das zweite Geltungssucht, das dritt die Neigung zum Aberglauben. Die Abhängigkeit kann sich Z.B. dadurch zeigen, daß man das eigene Glück vom Partner abhängig macht. Wenn sie nett, zärtlich und lieb ist, geht es mir gut, wenn nicht , nicht. Genußsucht zeigt etwas sehr ähnlichen, alle anderen sollen an meiner Meinung orientieren oder von mir begeistert sein, sie sollen für mich etwas gutes tun. Solche Gedanken sind auch ständig bei jedem Menschen vorhanden. Die Geschichte , die wir gehört haben, zielt darauf ab die Abhängigkeit vom Vater abzulegen. Diese drei Punkte finde ich auch für uns, die wir praktizieren sehr wichtig. Die innere Abhängigkeit, die Geltungssucht und den Hang zum Aberglauben zu überwinden sind auch für uns wichtige Punkte. Hört sich toll an, vielleicht denkt ihr, dann gibt es keinen Streit mehr, kein Lottospiel, keine Auseinandersetzung in der Partnerschaft mehr. Aber so einfach ist das natürlich nicht, man kann auch nicht alles von heute auf morgen schaffen. Man muß Stück für Stück vorangehen und durch die Überprüfung der Fakten die Dinge angehen und überwinden. In einem weiteren Abschnitt heißt es:
Das Mystische Gesetz ist die große Lehre, die jedem Menschen die Erkenntnis ermöglicht, daß er ursprünglich Buddha ist. Wenn sich das unendliche Leben des Buddhas in unserem Leben manifestiert, verschwinden unsere Leiden wie Tau bei den ersten Strahlen der Morgensonne.
Ich hab es vorhin schon mal erwähnt. Der größte Unterschied des Buddhismus gegenüber anderen
Weltreligionen ist, daß wir jeder dafür praktizieren Buddha zu werden und es nicht darum geht Buddha als Figur zu verehren. Das ist der einzige und größte Unterschied zu anderen Lehren. Das zu verwirklichen ist nicht leicht, da sehr viele harte Tatsachen dagegen sprechen. Durch unsere Trägheit der Gedanken haben wir in unserem alltäglichen Leben immer sehr abhängig, geltungssüchtig und abergläubisch gelebt. Diese drei Tendenzen haben uns ständig daran gehindert auf Buddhas Weg weiter voranzukommen. Deswegen bietet die SGI solche Treffen, solche Versammlungen und Aktivitäten an. Dadurch können wir lernen, uns selbst Stück für Stück zu erkennen und zu trainieren. Dadurch können wir immer fähigere Menschen werden. In dem nächsten Abschnitt heißt es:
Insgesamt weist die Parabel des hervorragenden Arztes und seiner kranken Kinder darauf hin, wie der Buddha (der hervorragende Arzt) das geeignete Mittel des Todes verwendet, um den Menschen nach seinem Tode (hier die Kinder) zu ermöglichen, an die Lehre zu glauben, die er hinterlassen hat (hier die wirksame Medizin). Das ist eine neue Darstellung des Hauptthemas des gesamten Juryo Kapitels.
Das Juryo-Kapitel ist ein Hauptkapitel des Lotos-Sutras und wir rezitieren es oftmals achtmal am Tag. Diese Geschichte vom Arzt und den kranken Kindern ist sehr wichtig richtig sinnmäßig zu verstehen. Wer es noch nicht gelesen hat, kann das ja noch mal tun. Heute gehen wir ein Stück weiter:
Ohne den Boten wären die Kinder möglicherweise an der Krankheit gestorben. Es ist in der Tat so, daß im Buddhismus mir dem Boten die Menschen mit der wichtigsten Aufgabe gemeint sind. Denn der Bote den er ‘mit einer Nachricht schickt’ sind diejenigen, die den Menschen die korrekte Lehre nach dem Tode des Buddhas überbringen. Es sind die Boten des Buddhas, die die Lehre der Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit verbreiten.
Genau. Sicherlich kennt ihr alle im Gongyobuch die Worte ken chi gen go. Die Boten des Buddhas bringen die Nachricht weiter zu den Menschen, das ist unsere eigentliche Aufgabe. Der Buddha schickt einen Boten mit einer Nachricht. In der Geschichte ist es so ,daß der Vater berichten läßt, daß er gestorben sei. Dadurch sind die verwirrten Kinder tiefgründig wach geworden und konnten von sich aus die Medizin annehmen. Unsere Aufgabe ist genau dies. In unserer Gesellschaft sind sich die meisten der eigenen Lebensaufgabe gar nicht bewußt, man weiß nichts über die Bedeutung des Lebens. Dafür sind die Boten geschickt, um klarer zu werden, was das für eine Zeit ist, was es heißt Mensch zu sein, was das Leben ist. Aber nicht die Antwort vorgeben, nicht mit Gewalt zum Trinken zwingen wollen. Ohne Gewalt einfach die Nachricht weiter vermitteln. Dafür existiert auch die Soka Gakkai seit dem zweiten Weltkrieg in Japan und nun auch in der ganzen Welt. Einfach weil wir die Weisheit des Buddhismus als Boten den Menschen näher bringen wollen. Ohne dieses Bewußtsein für diese Aufgabe ist die buddhistische Praxis sinnlos. Wir wollen nicht nur für uns allein Buddha werden , sondern möchten dieses Bewußtsein mit anderen teilen und dafür praktizieren wir. Wir sollten uns dabei niemals einbilden ‘ich rette oder helfe diesem armen Menschen’ . Wir sind einfach die Boten und geben davon Nachricht ‘Buddha sagte, daß Du auch Buddha bist’. Wir können niemanden retten, retten kann nur jeder sich selbst. Ich finde diesen Punkt sehr wichtig , im nächsten Abschnitt geht es weite:
Entsprechend sind wir die Boten, die die Lehre in genauer Übereinstimmung mit seiner Aussage verbreiten. Wir sind sowohl als Bodhisattwas aus der Erde wie auch als Schüler des ursprünglichen Buddhas die Boten des Buddhas, die zu anderen über die höchste Lehre des Mystischen Gesetzes sprechen und den Beweis der Größe der Lehre zeigen. Das ist der verehrungswürdige Zustand, den wir alle leben dürfen.
Manchmal hört man solche Prinzipien wie ‘wir sind die Bodhisattwas aus der Erde’. Es gibt verschiedene Geschichten aus der Zeit von Shakyamuni und im Lotos-Sutra. Bodhisattwa aus der Erde deutet darauf hin, daß diese Bodhisattwas nicht irgendwo vom Himmel her, sondern aus der Erde herausgesprungen kommen. Bodhisattwa bedeutet eine Funktion, nämlich für die anderen bereit zu sein. Präsident Ikeda sagt, daß das eben für diese Zeit von Bedeutung ist, daß wir nämlich die Schüler des wahren Buddhas sind. Wenn ich mir darüber Gedanken mache und z.B. so eine
Studienversammlung vorbereite, empfinde ich es fast immer als unvorstellbar, daß ich ein direkter Schüler des Buddhas oder ein Bodhisattwa aus der Erde sein soll oder auch daß ich an einer historischen Bewegung wie unserer teilnehme. Eins kann ich aber ganz klar sagen. Wenn man mit möglichst aufrichtig suchendem Geist Nam-Myoho-Renge-Kyo zum Gohonzon rezitiert, dann entsteht in einem eine echte Energie. Diese Energie hat nichts mit plumper Begeisterung zu tun, sondern ermöglicht es einem sich auf tieferer Ebene zu motivieren und mehr mit den Menschen mitzufühlen. Außerdem ermöglicht sie mit noch mehr Mut und Hoffnung voranzugehen. Solcher Art ist diese Energie. Es ist nicht eine irgendwie magische Energie, so daß wir vielleicht auf einem fliegenden Teppich umsonst nach Tokyo fliegen können oder irgendwelche telepatischen Gedankenkräfte freisetzen. Eher ist es so, daß man sich z.B. von einer Musik, ich bin ja Musiker, die man gestern gehört hatte, noch tiefer begeistern kann. Eine solche Energie kann man durch die tägliche Praxis bekommen und das kann jeder selbst erfahren. Und das ist auch der größte Beweis, daß wir tatsächlich Schüler des wahren Buddhas sind und daß wir die gleichen Funktionen wie der Gohonzon in uns selber haben. Durch die Praxis der Rezitation von Nam-Myoho-Renge-Kyo wird diese Funktion von innen her aktiviert und im ganzen Körper und im Leben erfahrbar gemacht. Solche Erfahrungen habt ihr bestimmt auch alle machen können. Auf der nächsten Seite heißt es:
Ohne den Boten hätte selbst der hervorragende Arzt die Kinder nicht retten können. In diesem Sinne könnte man sagen, daß ohne die weite Bewegung der Bodhisattwas aus der Erde, die die große wirksame Medizin des Mystischen Gesetzes annehmen, die Menschen unserer verwirrten Zeit nicht ‘geheilt’ werden können. Laßt uns zusammen diesem Weg als Bodhisattwas aus der Erde folgen.
Ohne eigene Erfahrungen in der Praxis, ist es sicher schwer vorzustellen, was es heißt, die Freude der Aufgabe des Boten zu spüren. Das muß man selbst ausprobieren. Als Bote einfach mit den Menschen zusammenkommen und dieses wichtige philosophische Prinzip weiter bekannt zu machen. Als ich vor 32 Jahren in Japan in die Soka Gakkai eingetreten bin, gab es in Japan selbst nur ungefähr 3,5 Mio. Mitglieder, außerhalb Japans gab es nur 1000 Praktizierende. Ich war damals 19 Jahre und ich hab mich oft gefragt, was das denn soll, mit den verschiedenen Aspekten der Praxis und ob das nicht doch Quatsch ist. Die Philosophie fand ich gut, aber die Praxis war manchmal unangenehm. Ich hatte ehrlich gesagt auch keinen Stolz gefühlt, Soka Gakkai Mitglied zu sein. Ich war zusammen mit meiner ganzen Familie in einer schwierigen Notsituation und deshalb habe ich angefangen. Stück für Stück habe ich dann die Geschichte der Soka Gakkai gelernt . Jetzt empfinde ich einen großen Stolz darüber, daß z.B. der erste Präsident Makiguchi während der Kriegszeit in Japan mit einer solchen festen Überzeugung ins Gefängnis gegangen war, und dort sterbe mußte, weil er bei dem Irrsinn nicht mitmachen wollte. In Japan wurde alles dem Staatsshintoismus untergeordnet, der den Militarismus voll unterstütze und lehrte, daß die Japaner doch das auserwählte Volk seien und deswegen ein Recht hätten Krieg zu führen. Gegen einen solchen fanatischen Glauben aufgestanden war nur die Soka Gakkai. Heute bestätigen auch viele Wissenschaftler in Amerika und Japan diese Tatsache, daß es in
Japan zu der Zeit grob gesagt nur eine Religion gab, genauer betrachtet jedoch zwei Religionen gab, Shintoismus und Soka Gakkai, alle anderen haben sich untergeordnet. Obwohl es in der Kriegszeit sehr gefährlich war und es das eigene Leben kosten konnte, ist Makiguchi dagegen aufgestanden und hat für die Menschenrechte und seine Überzeugung das eigene Leben geopfert. Das ist auch der Wendepunkt der SGI-Bewegung: für Menschenrechte, für Religionsfreiheit, für die Meinungsvielfalt einzustehen. Laßt uns niemals fanatisch sein. Wir glauben an diese Gesetzmäßigkeit des Universums, aber wir wollen nicht mit Gewalt, daß die anderen es auch annehmen. Präsident Makiguchi hatte als er im Gefängnis war im Austausch mit verschiedenen Staatsanwälten , die ihn aushorchten was er denn glauben würde. Er machte ständig eine Diskussion mit diesen Leuten und erklärte ihnen mit Geduld buddhistische Prinzipien. Die Staatsanwälte oder Richter waren natürlich fast alle fanatisch überzeugt von dem Weg des Staatsshintoismus. Gegen diesen Fanatismus machte Makiguchi mit seiner Überzeugung einen ständigen Dialog. Fünf Tage vor seinem Tod schrieb er eine kleine Karte an seine Familie auf der stand: „Ich lese gerade das Werk Immanuel Kants - es ist ein guter Ort hier, um so etwas zu studieren. Ich habe viel Zeit und Ruhe und deshalb lese ich nochmals gründlich die Philosophie Kants.“ Das war seine letzte Nachricht aus dem Gefängnis, wo er im Alter von 73 verstarb. Heute kann ich wirklich erkennen, daß , weil er mit einem solchen Kampfgeist und einer solchen Menschlichkeit und diesem Bewußtsein im Gefängnis verstorben ist, die Kraft für die Entwicklung der SGI in der Welt entstanden ist. Deswegen kann man jetzt auch in Deutschland praktizieren und diese Philosophie wird in der Welt immer bekannter. Makiguchi praktizierte auch einen Satz aus dem Lotos-Sutra: ‘Für das Wohl der Menschen einsetzen’. Wir sollten auch unsere Praxis, diejenigen die nicht praktizieren möchte ich ermutigen weiter darüber nachzudenken, daß die Praxis des Buddhismus nicht nur für sich selbst ist, sondern gleichzeitig für die anderen. Außerdem bedeutet es, sich über die Menschenrechte bewußter zu werden und das heißt für das Glück auch der anderen Menschen zu handeln. Noch einmal wiederhole ich John Stewart Mill, von dem ich heute so begeistert bin ‘Unterschiedliche Meinungen sind nicht böse, sondern gut’, ‘Falls nur ein Mensch eine unterschiedliche Meinung wie die übrige Menschheit besitzt, hat die Menschheit kein Recht diese zu ändern’, genauso schlimm ist es ‘ wenn ein Mensch weil er die Macht hätte ,die Meinung der ganzen Menschheit zu ändern, dies anstrebte’. Er war wirklich , glaube ich sehr glücklich, obwohl er nur fünf Jahre lang mit seiner Frau zusammenleben konnte und dann in den Erinnerungen in diesem Hotelzimmer lebte. Er war ein ehrlicher treuer Mensch. Das ist natürlich nur meine Vorstellung von ihm aufgrund dieser Episode. Laßt uns aber noch weiter uns selbst überprüfen, ob wir wieder in unserer Trägheit nicht doch den Herrschsüchtigen spielten, ob wir nicht doch in Abhängigkeit leben oder abergläubisch sind , oder auch um die Meinung der anderen zu ändern, vielleicht strukturelle oder psychische Gewalt benutze. Um sich über solche Punkte klarer zu werden hilft uns die buddhistische Praxis sehr. Dadurch schaffen wir gemeinsam auch einen weiteren Schritt in unserer menschlichen Revolution. Ich wünsche Euch dabei viel Spaß mit der Praxis und mit Euch selbst - und natürlich bei dem Straßenfest da unten.
Gibt es noch Fragen?
Teilnehmer (nichtpraktizierend , Iraner): Mich erinnerte dieser Satz von Mill an einen Satz von Voltaire: ‘Mag sein , daß Du anderer Meinung bist als ich, dennoch werde ich mein Leben dafür einsetzen, daß Du diese Meinung frei äußern kannst.’
Hogi: Richtig, das ist wirklich auch ein sehr bekannter Satz.
Teilnehmerin: Ich finde es sehr schwierig. Ich kann es schon nachvollziehen, bei mir selber zu schauen. Aber wenn mir strukturelle Gewalt begegnet, wie ich mich da verhalten soll, wie ich in den Dialog gehen kann, das finde ich schwierig. Wie kann man in den Dialog gehen und etwas klar machen, wenn jemand anders eine solche Macht hat?
Hogi: Ich bin oft sehr dankbar, daß wir eine solche Praxis haben Nam-Myoho-Renge-Kyo zu rezitieren. Das darf natürlich kein Fluchtweg sein, sich hinzusetzen und zu chanten. Man kann aber immer wieder endlos neuen Mut und Kraft finden, mit der man handeln kann. Präsident Ikedas Motto ist :’Je größer das Hindernis für starke Ozeanwellen auch sein mag, je stärker das Hindernis, desto stärker werden die Wellen’. Wenn wir etwas von ihm lernen wollen, dann dürfen wir nicht aufgeben, bis zur Erreichung unserer Ziele zu kämpfen. Ich verstehe was Du meinst.
Teilnehmerin: Ich hab auch die Erfahrung gemacht, daß man wenn man den Hindernissen nur ausweichen will, man immer wieder davon attackiert wird.
Hogi: Gibt es sonst noch von Euch etwas zu sagen, zu fragen oder zu kritisieren? Dann danke ich für Eure Geduld und Verständnis mit meinem schrecklichen Deutsch. Ich wünsche Euch einen schönen Tag.
....
11 INDEX
A
Aktivitäten................................................. 47
Alaya-Bewußtsein...................................... 60
Amala-Bewußtsein .................................... 43
Amida ....................................................... 24
Angst......................................................... 59
Animalität................................................. 28
Anpassungsverhalten................................. 55
Ärger......................................................... 28
Arhat......................................................... 21 Aufklärung................................................ 52 äußere Wirkung......................................... 31 Ausstellungen............................................ 44
Autenzität.................................................. 69
Autoritärer Charakter .................................. 7
B
Bäumer, Gertrud........................................ 52
bedingte Entstehung .............................10, 53
Bewußstseins
duales.................................................... 56
Bewußtsein................................................ 65 integrales .............................................. 56 Beziehung ................................................. 31 biophiler Charakter................................ 9, 53 Bodhibaum................................................ 19
Bodhisattwa........................29, 32, 50, 59, 72
Brezinka, Wolfgang................................... 16
Buchkremer............................................... 51
Buddha...............................20, 24, 51, 67, 72
Buddhanatur.............................................. 31
Buddhaschaft..................................29, 50, 72
C
Capra, Fritjof............................................. 60
Castaneda, Carlos...................................... 56
Chandala................................................... 23
Chanten..................................................... 72
Charakter .................................................. 41
Charta der SGI .......................................... 53 Chi-i........................................Siehe Tien t'ai christliche Wertvorstellungen .................... 56
D
Dai-Gohonzon........................................... 25
Daimoku.................................................... 72
Dengyo.................................................21, 23
Descartes, René ......................................... 14
Dialog ................................................... 9, 48
Diskussionsversammlung........................... 48
drei Bereiche ............................................. 31
drei Gifte................................................... 61
dualistische Denkweise...............................62
E
Effizienz.....................................................12
Egozentrik..................................................15
Eichmann...................................................13
Einfluß.......................................................31
Einstellung
zum Leben.............................................42 Entzücken ..................................................28
Erdcharta ...................................................56
Erfolgskontrolle..........................................12
Erkenntnis..................................................29
Erscheinung...............................................30
Erziehung7, 15, 16, 35, 36, 37, 40, 41, 45, 50
Erziehungsziele..........................................16
Expertentum...............................................12
F
Fankl, Viktor E. .........................................61
Fischer .......................................................55
Flüchtlingshilfe..........................................45
Frankl, Viktor E.......................17, 58, 59, 63 Frauen-Friedenskomitee.............................44 freier Wille.................................................61 Freier Wille................................................61
Freud, Siegmund........................................11
Freundschaft...............................................69
Frieden.......................................................44
Frieden, Erziehung undKultur....................43
Friedensvorschlag.................................44, 56
Fröbel.........................................................54
Fromm .......................................................54 Fromm, Erich..............6, 7, 48, 53, 58, 60, 67 fünf Augen.................................................20 fünf Komponenten......................................31
G
Galtung, Johan.............................................9
Gandhi, Mahatma ......................................64
Gebser, Jean...............................................56
Geiger, Theodor .........................................12
Germain, Carel B.......................................55
Gesellschaftscharakter..................................7
Gesellschaftskritik......................................51
Gesetz des Lebens ......................................26
Gewaltlosigkeit...........................................69
Gitterman, Alex .........................................55
Glaube........................................................58 blinder...................................................42
Glaube, Ausübung und Studium.................58
Glauben................................................35, 64
Gleichheit.....................................................8 Globalität .................................................. 69
Glück ........................................................ 40 der Gesellschaft..................................... 40 Gohonzon.......................................34, 64, 72
Gosho...................................................64, 72
Gottähnlichkeit.......................................... 16
Gottebenbildlichkeit .......................16, 54, 60
H
Habgier, Ärger und Dummheit .............43, 61
Hedonismus..........................................17, 18
Heinen, Anton........................................... 54
Himmel ..................................................... 28
Hinayana................................................... 21
Hoben-Kapitel ........................................... 26
Hokke-gengi.............................................. 22
Hokke-mongu............................................ 22
Hölle ......................................................... 28
Hunger ...................................................... 28
I
ichinen ...................................................... 27 ichinen ssansen.....................................22, 27 Ikeda ......................................................... 42
Ikeda, Daisaku........................................... 65
Illusionen .................................................. 64 innere Wirkung ......................................... 31 Institut für orientalische Philosophie.......... 46
itai doshin ................................................. 65
J
Jung, Carl Gustav...................................... 56
Juryo-Kapitel............................................. 26
K
Karma................................10, 26, 31, 61, 72
Kerschensteiner......................................... 54
Kindererziehung.......................................... 7
Kleingruppen............................................. 48
Kolping, Adolf .....................................54, 60
Körper und Geist....................................... 32
Kraft.......................................................... 31
Kübler Ross, Elisabeth............................... 60
Kultur........................................................ 46
Kumarajiva................................................ 26
kyo chi myogo ........................................... 64
L
Leben und Tod .......................................... 59
Leben und Umgebung...........................32, 61
Lebensaugenblick...................................... 27
Lebensgesetz ............................................. 64
Lebenskraft................................................ 61
Lehrer von Göttern und Menschen............. 51
Lehrer, Motivator, Anwalt......................... 55
Lernen..................................................29, 50 Lifemodel.......................................55, 59, 62
Life-stress...................................................55
Lotosblume...........................................34, 73
Lotos-Sutra.....................................22, 26, 72
M
Mager, Karl................................................53
Mahayana ..................................................21
Maka-shikan ..............................................22
Makiguchi..................................7, 36, 51, 54
Makiguchi, Tsunesaburo ......................65, 66
Makiguchi-Stiftung....................................45
Mantra.......................................................73
Mara ..........................................................19 Marketingcharakter......................................8 materielle Bedürfnisse................................62
Meditation..................................................18
Tien t'ais................................................33
Meister-Schüler Beziehung ........................65
Mennicke.............................................55, 57
Menschenrechte .........................................69
Menschliche Revolution.................43, 54, 73
Menschsein................................................28
Mikro- und Makrokosmos..........................15
Min-On Konzertorganisation......................46
Mitgefühl...................................................69
Mollenhauer...............................................56
Mut............................................................55
Myoho-Renge-Kyo .....................................26
N
Nagarjuna ..................................................21
Nam-Myoho-Renge-Kyo.......................33, 73
Namu-Amida-Butsu ...................................24 Natur..........................................................30 nekrophiler Charakter ............................8, 60 neun Bewußtseinsschichten........................32 Nichiren...............................................23, 59
Nichiren Daishonin..............................51, 73
Nichtregierungsorganisation.......................44
Nihilismus..................................................17
Nikko Shonin.............................................25
Nirwana.....................................................31
Nohl, Hermann ..........................................55
Nutzen .......................................................66
O
objektive Wirklichkeit................................64 ökologische Perspektive..............................55
P
Paradigmawechsel......................................62 Pestalozzi.............................................28, 54 plurale Gesellschaft....................................57
politische Aktionen ....................................43 Postman, Neil.............................................10 Produktivität.........................................12, 53
Profit......................................................... 13
Prophylaxe................................................. 55
Prosozialität..........................................51, 56
Psychologie
evolutionäre .......................................... 15
R
Religion..................................................... 38
Renaissance
italienische............................................ 16 Respekt...................................................... 69
Revolutionen ............................................. 63
Richter, Horst E......................................... 17
Ruhe.......................................................... 28
S
Saddharmapundarikasutra ......................... 26
Schicksal................................................... 60
Sekte ..................................................... 5, 17
Selbsterkenntnis ........................................ 69
Selbsterziehung ..............................50, 69, 70
Selbstreflexion........................................... 70
Selbstverantwortung .................................. 26 Shakyamuni....................................48, 51, 73 shiki shin funi............................................ 62
Shingon..................................................... 23
shitei funi .................................................. 65
Soka Kyoiku Gakkai.................................. 37
Soka Schulsystem...................................... 45
Soka Universität ........................................ 45 Solidarität.............................................51, 56
sozial
Begriff .................................................. 53 soziale Erziehung ...................................... 53
soziale Funktionsfähigkeit ......................... 53 soziale Gruppenarbeit................................ 49 soziales Bewußtsein................................... 41 Sozialisation.............................................. 53
Sozialismus ............................................... 63
Sozialpädagogik ........................................ 50
Definition.............................................. 51
Ziele der................................................ 51
Spezialisierung.......................................... 57 Spiritualität ............................................... 63 subjektive Weisheit.................................... 64
Szientismus ............................................... 12
T
Technokratie.............................................. 10
Technopol.................................................. 10
Teilerleuchtung ....................................29, 50
Tendai....................................................... 23
theologisches Naturrecht............................ 54
Theravada.................................................. 21
Thoreau, H.D. ............................................58
Tien t’ai .....................................................33
Tien’tai ......................................................21
Toda...........................................................37
Toda Institut für Globalen Frieden und
Politikforschung.....................................44
Toda, Josei .................................................65
Toleranz.........................................48, 66, 69 Training.....................................................47
try and error...............................................42
Tubac-Amaru...............................................9
U
Umwelt ......................................................61
Umweltbedingungen...................................55
Umweltverschmutzung...............................55
Umweltzerstörung......................................13
UNO ..........................................................56
Ursache
innere ....................................................31
Ursache und Wirkung...............19, 26, 34, 73
V
Veränderung der Gesellschaft.....................48
Verantwortung .....................................13, 24 in der Wissenschaft................................50
soziale und kulturelle.............................13
Verbreitung................................................48
Vereinzelung..............................................17
viele Körper - ein Geist ..............................65
vier Grundleiden ........................................18
W
Wahrheit....................................................66
Wartenweiler..............................................59
Wartenweiler, Dieter..................................56
Weltbürger.................................................67
Weltfrieden ................................................69
Werbung ....................................................10
Wert...........................................................51
Werteerziehung..........................................40
Wertephilosophie .................................38, 51
Wesen ........................................................30
Wichern, Johann Hinrich ...........................54
Willmann, Otto ..........................................54
Wissenschaftsgläubigkeit............................11
Würde des Menschen .................................69
Z
zehn Lebensfaktoren...................................30 zehn Lebenszustände..................................28 zehn Welten...............................................28 Zen-Buddhismus ........................................56
Zivilcourage...............................................69
Zweifel.......................................................42
[^1]: Es gibt eine Studie von Bryan Wilson (Soziologe) und Karel Dobbelaere (Soziologe und Religionssoziologe) über die SGI in Großbritannien, die diesen Punkt deutlich hervorhebt: „A Time to Chant - The Soka Gakkai Buddhists in Britain“(S. 97 ff).
[^2]: Mit Sekte meine ich in diesem Zusammenhang, die Nutzung dieses Begriffes mit den heutzutage allgemein damit verbundenen negativen Konnotationen, nicht die ursprüngliche, neutralere Bedeutung von ‘Schule’ oder Abspaltung von einer größeren Gemeinschaft, wie z.B. der Kirche.
[^3]: Fromm, Erich: Gesamtausgabe, Bd. IX „Sozialistischer Humanismus und Humanistische Ethik“, S.91 ff
[^4]: Vortrag: ‘Pespektiven der Friedenspolitik im 21.Jahrhundert - die Rolle der Religionen’, Mai 1997 in der Villa Sachsen in Bingen am Rhein, siehe ZS FORUM Sept.1997
[^5]: Es wurde ein Tunnel zum Botschaftsgebäude gegraben und ein Durchbruch auf dem Dach gemacht, von denen aus das Haus gestürmt wurde. Vor dieser Aktion gab es nur Scheindialoge mit den Geiselnehmern, um Zeit zu gewinnen.
[^6]: siehe Glossar
[^7]: jap.: engi; Alle Dinge stehen in Wechselwirkung zueinander und bedingen sich gegenseitig in ihrer Entstehung
[^8]: zitiert aus Dürr + Zimmerli(Hrg.): „Geist und Natur“, S. 262
[^9]: Der Physiker Werner Heisenberg relativierte die Objektivität der Naturwissenschaft, er sagte: „...Die Natur wissenschaft beschreibt und erklärt die Natur nicht einfach, so wie sie >an sich< ist. Sie ist vielmehr ein Teil des Wechselspiels zwischen der Natur und uns selbst. Sie beschreibt die Natur, die unserer Fragestellung und unseren Methoden ausgesetzt ist. An diese Fragestellung konnte Descartes noch nicht denken, aber dadurch wird eine scharfe Trennung zwischen dem Ich und der Welt unmöglich“ Physik und Philosophie, zitiert aus Anderson: „Das offene Geheimnis“, S.137/38
[^10]: vgl. Brezinka: „Glaube, Moral und Erziehung“, S.92 - mit Szientismus ist hier nicht das wissenschaftsmethodologische Programm gleichen Namens gemeint, welches die Methoden der Naturwissenschaften auf Sozialwissenschaften anwendet.
[^11]: In Stanley Milgrams Experiment ‘Obedience to Autority’ (dt.: Das Milgram - Experiment) wurden Menschen dazu verleitet, anderen Menschen zu wissenschaftlichen Versuchszwecken, Schmerzen durch Elektroschocks zuzufügen (die E-Schocks waren nicht echt, was die Versuchspersonen jedoch nicht wußten, die Reaktionen auf die Schocks wurden von den eingeweihten Empfängern vorgetäuscht).
[^12]: mit Ego-Zentriert meine ich in diesem Zusammenhang, das fehlende Bewußtsein für die Gemeinschaft und die soziale Verantwortung, die vom Egoismus des Einzelnen ausgeht und sich auf größere soziale Gebilde, wie z.B. Firmen und Unternehmen auswirkt.
[^13]: Karl Jaspers schrieb zum z.B. Buddhismus: „Wissenschaft und philosophische Spekulation bleiben innerhalb der uns gegebenen Bewußtseinsform. Diese indische Philosophie aber nimmt gleichsam dieses Bewußtsein selbst in die Hand, überschreitet es durch Meditationsübungen in höhere Formen. Das Bewußtsein wird eine veränderliche Größe in der Bearbeitung durch die Versenkungsoperationen. Mit ihnen soll auch das rationale Denken nebst der Bindung an Raum und Zeit - eine bloße Bewußtseinsstufe - überschritten werden ....“, „Die großen Philosophen“, S.133
[^14]: Siehe Artikel von Heiko Ernst: „Wie wir wurden was wir sind“, ZS:“Psychologie heue“- Dezember 1996
[^15]: siehe Brezinka: „Glaube, Moral, Erziehung“, S.28ff
[^16]: Brezinka: „Glaube, Moral und Erziehung“, S. 25
[^17]: Frankl, V.E.: „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, S.39
[^18]: Richter, H.E.: „Die Gruppe“, S. 11 ff.
[^19]: Viele westliche Gelehrte bevorzugen es, Buddhismus, da es in ihm keinen Gott gibt, nicht als Religion zu bezeichnen, sondern als Philosophie.
[^20]: Shakyamuni bedeutet ‘Weiser der Shakyas’ - im Folgenden werde ich hauptsächlich diesen Namen gebrauchen.
[^21]: Im damaligen Indien waren religiöse Asketen, die sich auf der Suche nach einem tieferen philosophischen Verständnis in die Wälder zurückzogen, keine Seltenheit und sie besaßen ein hohes Ansehen. Es gehörte vielfach zum Lebenslauf in der obersten brahmanischen Kaste dazu, sich in einem best. Abschnitt seines Lebens für die spirituelle Weiterentwicklung zurückzuziehen.
[^22]: Bodh bzw. Bodhi ist ein Silbe, die Erwachen oder Erleuchtung bedeutet.
[^23]: Buddhistische Schriften nennen die Erleuchtung, die Shakyamuni erlangte, anuttara-samyaksambodhi, was soviel wie ‘perfekte und unübertroffene Weisheit’ bedeutet.
[^24]: Einer der zehn Ehrentitel des Buddhas, aus: „Das Lexikon des Buddhismus“, S.252
[^25]: Als eine interessante und kompetente Darstellung der buddhistischen Philosophie in Verbindung mit moderner
> Wissenschaftstheorie empfehle ich das Buch „Das Rätsel des Lebens“
> von Daisaku Ikeda
[^26]: siehe „Wähle das Leben“ von Arnold Toynbee und Daisaku Ikeda, S. 106
[^27]: Die Zahl 84.000 ist nicht numerisch zu nehmen, sondern bedeutet eine sehr große Anzahl.
[^28]: Theravada bedeutet ‘Schule der Älteren’, Hinayana bedeutet ‘Kleines Fahrzeug’ (das soll andeuten, daß es nur für wenige nutzen bringt und ist ein Name, der von den Mahayana-Buddhisten erfunden wurde), Mahayana bedeutet ‘Großes Fahrzeug’ (das soll andeuten, daß es allen Menschen Nutzen bringen kann).
[^29]: Kirimura: „Grundzüge des Buddhismus“, S.52
[^30]: Petzold: „Die Quintessenz der Tien t’ai-Lehre“, S. 3
[^31]: Tien t’ai (benannt nach dem gleichnamigen Berg) wird im allgemeinen häufig als Name für Chi-i verwendet. Da ihm vom Kaiser der Titel Chin-che (Weiser) verliehen wurde, nannte man ihn später ehrenvoll Tien t’ai Taishi (Großer Lehrer Tien t’ai).
[^32]: Diese dre Werle sollten, laut Bruno Petzold, nicht als Schriften angesehen werden, die nur Gültigkeit für eine bestimmte Schule hätten, da sie in hohem Ansehen bei allen wahrhaften Gelehrten des chinesischen und japanischen Buddhismus stünden und ihr Studium als der beste Weg gilt, eine umfassende Übersicht über das große Gebiet des Buddhismus zu gewinnen. („Die Quintessenz der Tien t’ai-Lehre, S. 8/9)
[^33]: Kirimura: „Grundzüge des Buddhismus“, S. 67
[^34]: Ikeda: „ Der chinesische Buddhismus“, S.159
[^35]: Ikeda: „Der chinesische Buddhismus“, S. 169
[^36]: Sein Priestername war Saicho, den Titel Dengyo Daishi (großer Lerhrer/ Überlieferer der Lehre) war ein vomKaiser Seiwa anno 866 posthum verliehener Ehrentitel.
[^37]: Nichiren in:„Brief von Sado“, „Die Gosho Nichiren Daishonins“ Bd. 1, S. 169
[^38]: Die Tendai-Schule hatte zu dieser Zeit schon ihre ursprünglichen Inhalte und Aussagen durch die Vermischung von verschiedenen buddhistischen Doktrinen und Praktiken verändert. (Borsig: „Leben aus der Lotos-Blüte“,
> S.42)
[^39]: aus:“Die Gosho Nichiren Daishonins“ Bd.1, S.11
[^40]: Jodo bedeutet ‘Reines Land’, es wird gelehrt, daß man, durch das mildtätige Wirken des Buddhas Amida, in seinem Land, einer Art Paradies wiedergeboren werden kann.
[^41]: ‘Risho Ankoku Ron’ - dt.: ’Über die Befriedung des Landes durch die Errichtung des wahren Gesetzes’, „Die Gosho Nichiren Daishonins“ Bd. 2.
[^42]: von Borsig sagt, daß Nichirens Verdammung der Amidisten, die das Lotos-Sutra ihren Gläubigen unterschlagen wollten, Ursache für seine Anfechtbarkeit ist, da sie die gebotene Grenze überschreite. Nichirens Verhalten gegenüber ‘falschen Lehren’des Buddhismus ist sehr heftig, sein Verhalten gegenüber seinen Schülern und Wohltätern, seinem alten Lehrer Dozen und seiner Mutter sehr mildtätig. (von Borsig: „Leben aus der LotosBlüte“, S.70/71). Nichiren selbst bezeichntet sein Verhalten gegenüber den ‘unterlegenen Lehren’ als von Barmherzigkeit motiviert, da diese nicht zur Verwirklichung der Buddhaschaft führen würden und die emotionale Anhänglichkeit der Menschen an diese Lehren sehr groß sei. Er interpretierte sein Vogehen auch als der Zeit entsprechend und in Übereinstimmung mit den buddhistischen Lehren.
[^43]: 1261 wurde Nichiren auf die Insel Isu (Begnadigung 1263), 1271-1274 auf die Insel Sado verbannt.
[^44]: 1271 sollte Nichiren bei Tatsunioguchi hingerichtet werden. Es heißt, ein Komet habe den Henker, kurz vor dem Schwerthieb, der auf Nichiren heruntergehen sollte, geblendet. Die versuchte Hinrichtung selbst ging auf die eigenmächtige Entscheidung eines hohen Polizei-Beamten zurück.
[^45]: Gohonzon: siehe Glossar
[^46]: Nikko Shonin ist der Begründer der Nichiren Shoshu (wahre Nichiren-Schule), die neben anderen NichirenSchulen, die sich nicht auf Nikko berufen, auch heute noch existiert.
[^47]: „Die Gosho Nichiren Daishonins“ Bd. 1, S. 164
[^48]: Kumarajiva (344-413) gilt als der bedetutenste Übersetzer buddh. Sutren ins Chinesische. Es heißt, er habe deshalb so gute Übersetzungen machen könen, da er den Sinn der Sutras voll durchdrungen hatte. Seine Methode bei seinen Übersetzungen war mit vielen Schülern und Gelehrten zusammenzuarbeiten und über die Inhalte zu sprechen und zu diskutieren.
[^49]: Verdeutlicht durch das Devadatta-Kapitel (Kapitel 12). Devadatta war der neidische Vetter Shakyamunis, der sogar versuchte, ihn zu töten.
[^50]: Menschen des Lernens und der Teilerleuchtung. Obwohl die Mahayanasutren theoretisch die Buddhaschaft in jedem Menschen anerkannten und diese beiden Lebenszustände als hoch anzusiedeln sind, schlossen sie sie von der endgültigen Erlangung der Buddhaschaft aus, da sie eine Tendenz entwickeln, durch das Wissen um ihre eigenen Fähigkeiten, überheblich zu werden.
[^51]: Petzold: „Goethe und der Mahayana-Buddhismus“, S. 23
[^52]: Lebenszustand ist eine Übersetzung des japanischen Wortes kyogai, wobei kyo ‘räumliche Begrenzung’ meint und gai ‘Ufer’, hier verwendet in dem Sinn ‘innerer Zustand innerhalb einer räumlichen Begrenzung’.
[^53]: Ikeda: „Das Rätsel des Lebens“, S. 142
[^54]: Buchkrmer: „Handbuch der Sozialpädagogik“, S. 39
[^55]: Kimura: „Grundzüge des Buddismus“, S.111
[^56]: Ikeda: „Das Rätsel des Lebens“, S. 191
[^57]: Petzold: „Die Quintessenz der Tien t’ai -Lehre“, S.46
[^58]: Petzold: „Goethe und der Mahayana-Buddhismus“, S. 103
[^59]: (jap.: kanjin)
[^60]: Ein Mantra besteht aus einer kraftgeladenen Silbe oder Folge von Silben und Schwingungen, die bestimmten kosmischen Kräften bzw. Aspekten der Buddhaschaft Ausdruck verleiht.
[^61]: Ein Mandala ist eine symbolische Darstellung kosmischer Kräfte, die als Meditationshilfe verwendet werden.
[^62]: In der Mitte des Gohonzon steht Nam-Myoho-Renge-Kyo, darumherum gliedern sich verschiedene Buddhas und Bodhisattvas und Schutzkräfte (buddhistische Götter), die alle bestimmte Eigenschaften des Lebensgesetzes repräsentieren.
[^63]: Aus „Über die Verwirklichung der Buddhaschaft in diesem Leben“, „Die Gosho Nichiren Daishonins“ Bd.1, S.43/44
[^64]: Soka Gakkai ist der Name der Organisation in Japan, der internationale Name ist Soka Gakkai International (SGI).
[^65]: Bethel: „Makiguchi - the value creator“: ‘Nach Makiguchis Ansicht zerstöre die japanische Erziehung das kreative Potenzial der Kinder eher als es zu verwirklichen oder zu entwickeln.’ - S.32
[^66]: Das faschistische Militärregime versuchte durch die gewaltsame Unterordnung unter die protagonierte Staatsreligion, dem Shintoismus, Kontrolle über alle religiösen Vereinigungen zu bekommen. Im Shintoismus gilt der Kaiser als Abkömmling der Sonnengöttin Amaterasu.
[^67]: Dieser verordnete Staatshintoismus beinhaltete auch die Verherrlichung des Krieges.
[^68]: Aufgrund der Unmöglichkeit mit Worten auszudrücken, was Buddhaschaft ist, gibt es im Lotos-Sutra eine Passage, wo die Buddhaschaft durch 32 Beispiele, was sie nicht sei, erläutert wird.
[^69]: Behauptung von Ernst Benz, Anmerkung in Italiiander: „Soka Gakkai
[^70]: aus der Kachi Ron (Wetephilosophie), ZS Forum 6/92, S.28
[^71]: In der ‘Wertephilosophie’ heißt es „Obwohl es besser ist nachzudenken, als nur zu schlafen, wenn man die Welt von heute betrachtet, haben wir keine Zeit, uns in metaphysische Spekulationen zu verlieren:’, vgl. Italiiander S.208
[^72]: ZS Forum, Mai 1992, S.29
[^73]: zitiert aus der ZS Forum Mai 1992, S.24
[^74]: vgl.:Die neun Bewußtseinsschichten3.2.3-S.32
[^75]: bgl.: Peccei,Ikeda: „Noch ist es nicht zu spät“, S.133-40 u. S.163 ff
[^76]: Magisterarbeit von Barkmeier, Sylvia „Sinn und Werte in der Pädagogik“, S. 63
[^77]: Interview mit der ZS Forum, Sept. 1997, S.19
[^78]: vgl.: Italiaander, S. 182
[^79]: „Das Erich Fromm Lesebuch“, S.119 ff
[^80]: „Die Weisheit des Lotos-Sutras“, ZS Forum Sept. 1997, S. 42
[^81]: ZS-Forum Okt.1996, S.22
[^82]: Buchkremer: „Handbuch der Sozialpädagogik“, S. 33
[^83]: Die Schrift, die Nichiren Daishonin zu seiner Zeit an die Regierung Japans richtete heißt „Risho Ankoku Ron“ (Über die Befriedung des Landes durch die Errichtung des wahren Gesetzes).
[^84]: Buchkremer: „Handbuch der Sozialpädagogik“, S. 140
[^85]: Hierzu gab es in der SGI einen vor einigen Jahren einsetzenden Lernprozess, der damit begann, daß die Priester, vornehmlich der Hohepriester der Nichiren Shoshu, die Laien bevormunden und niedriger als die Priester einstufen wollte. Da dies dem Grundgeist des Buddhismus widerspricht, protestierte die SGI. Daraufhin ‘exkommunizierte’ die Priesterschaft, um eben diesen Hohepriester, die SGI-Mitglieder. In der SGI löste dies natürlich Verunsicherung aus, führte aber zu einem Lernprozess. Inzwischen wird dies als große Befreiung von falscher, religiöser Autorität und als Schritt hin zur Emanzipation und Unabhängigkeit empfundenen.
[^86]: Subsidiäre Erziehung wird von Buchkremer als Sammelbegriff für das Ensemble von Zusatzpädagogiken, wie Heil-, Sonder-, Behinderten- und Sozialpädagogik vorgeschlagen, siehe Buchkremer: „Handbuch der Sozialpädagogik“, S.36/37.
[^87]: E. Bornemann: „Handbuch der Sozialerziehung“, Bd.II, S.1, zitiert aus Marburger, Helga: „Entwicklung und Konzepte der Sozialpädagogik“, S. 93
[^88]: Germain + Gitterman: „Praktische Sozialarbeit“, S. 3 f.
[^89]: Wartenweiler: „Sozialarbeit-Seelenarbeit“
[^90]: Gebser unterschied fünf übereinanderliegende aber nacheinander entstandene Strukturen der Bewußtseinsentwicklung: 1.archaisches Bewußtsein, 2.magisches Bewußtsein,3.mythisches Bewußtsein, 4.mentales Denken und 5.integrales Bewußtsein
[^91]: Wartenweiler. „Sozialarbeit-Seelenarbeit“, S. 53
[^92]: Friedensvorschlag von Daisaku Ikeda an die Vereinten Nationen „Neue Horizonte einer globalen Zivilisation“, deutsch in der ZS Forum Sept.97, S. 12
[^93]: Mollenhauer, Klaus: „Einführung in die Sozialpädagogik“, S. 19
[^94]: Buchkremer: „Handbuch der Sozialpädagogik“, S. 51
[^95]: ebd.: S.315
[^96]: vgl.: Schütz, Klaus-Volker: „Gruppenforschung und Gruppenarbeit“, S.77 ff.
[^97]: Die Rezeptionsgeschichte des Buddhismus in Deutschland ist von Matin Baumann in dem Buch „Deutsche Buddhisten“ aufgearbeitet worden.
[^98]: Fromm, Erich: „Die Kunst des Liebens“, in Gesamtausgabe Bd 9, S.515
[^99]: Thoreau, H.D.: „Walden oder ein Leben in den Wäldern“, S.84
[^100]: Natürlich gibt es in der buddhistischen Lehre in den unterschiedlichen Schule auch eine Vielzahl von Regeln und Geboten. Am bekanntesten im Mahayana-Buddhismus sind wohl die 5 Verbote : nicht zu töten, nicht zu stehlen, keine sexuellen Fehlhandlungen, nicht zu lügen und keine berauschenden Getränke.
[^101]: vgl. weiter oben 3.2.4.2 „Das Besondere an dem Buddhismus Nichirens“, S. 34
[^102]: Frankl, Viktor E.: „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, S. 262
[^103]: Gibran, Khalil: „Der Prophet“, S.59
[^104]: Capra, Fritjof: „Wendezeit“, S.313
[^105]: Die Lehre des Lotos-Sutras relativiert die auch bei uns geläufige Vorstellung, das Nirvana sei ein Zustand der Freude und Nichtwiedergeburt oder den Verlöschens und erklärt sie als vorläufig. So ist es zu lesen z.B. auch bei Jean Gebser, daß das Nirvana ein Rückzug vom Leben bedeute und eine Entledigung vom Zwang der Wiedergeburt (Gebser „Asien lächelt anders“, S.115). ‘Die Leiden von Leben und Tod sind das Nirvana’ heißt das Prinzip wie es das Lotos-Sutra lehrt - es geht also darum, die Angst und den Kummer zu überwinden, die der Tod verursacht, das Leben voll zu nutzen, um Freude und Werte zu schaffen.
[^106]: Riemann, Fritz: „Grundformen der Angst“, S. 202, München 1989, zitiert aus der ZS Forum Mai 1994, S.15
[^107]: Zur Erinnerung: es geht nicht darum über die Wahrheit des Wiedergeburtsgedanken zu streiten, eher um den Nutzen dieser Vorstellung, in diesem Sinne als Motivation zu diesen, seinem Leben eine positive Richtung zu geben.
[^108]: Frankl, Viktor E.: „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, S.216
[^109]: Germain + Gitterman: „Praktische Sozialarbeit“, S.VIII f. (Vorwort zur 2.deutschen Auflage)
[^110]: Fankl, Viktor, „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, S18
[^111]: Fankl, Viktor, „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, S.13
[^112]: Fankl, Viktor, „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, S.141 ff
[^113]: Mahatma Gandhi, ‘Young India’ - 1926, aus „Worte des Friedens“, S.77
[^114]: Aus „Über die Verwirklichung der Buddhaschaft in diesem Leben“, „Die Gosho Nichiren Daishonins“, Bd. 1, S. 44
[^115]: vgl.: Buchkremer: „Handbuch der Sozialpädagogik“, S. 316
[^116]: vgl. Ikeda, Daisaku: „Hoffnung wird lebendig, wenn Menschen sich erinnern“, Vortrag 1996 am Simon Wiesenthal Center, Los Angeles, ZS Forum Okt.1996
[^117]: Fromm, Erich: Gesamtausgabe, Bd.IX, S.147
[^118]: Morgenstern, Christian: „Gesammelte Werke in einem Band“, S.445
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