1600041780 a:2:{s:7:"content";s:29711:"
Das Leben nach dem Tod
Vortrag von Dr. Yoichi Kawada
am 25. Oktober 2003 in der Villa Sachsen
In meinen bisherigen Vorträgen in Deutschland, in Frankfurt und in anderen Städten, habe ich die Neun Bewusstseinsschichten erklärt. Daher setze ich voraus, dass die meisten von Ihnen das entsprechende Grundwissen schon haben. Weil wir heute zeitlich beschränkt sind, möchte ich etwas Neues erläutern, ohne das Bisherige ausführlich zu wiederholen. Diejenigen, die zum ersten Mal von den Neun Bewusstseinsschichten hören, mögen sich bitte bei denen erkundigen, die darüber schon Bescheid wissen.
Was ich heute auf der erwähnten Grundlage weiterführen möchte, steht auch im vierten Band von „Die Weisheit des Lotos Sutras“ von Präsident Ikeda zum Thema Nah-Todeserfahrungen. Sie können es also später nachlesen und vertiefen. Eigentlich steht dort alles, worüber ich heute sprechen werde.
Die Neunte Bewusstseinsschicht war eines meiner früheren Vortragsthemen, das ich heute nur noch einmal kurz zusammenfassen möchte. Leben besteht aus der vorübergehenden Verbindung der fünf Komponenten shiki, ju, so, gyo und shiki. Shiki heißt Körper, ju heißt Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sechs Sinne, so bedeutet Gedanken fassen aufgrund der Informationen durch die Sechs Sinne, gyo ist Handeln auf Grundlage der Gedanken, shiki ist die Weisheit, um die Gedanken zu ordnen, also der Geist.
Bei näherer Betrachtung entspricht die fünfte Komponente shiki den Neun Bewusstseinsschichten. Wenn man lebt, besitzt man sowohl Körper als auch Geist. Wahrnehmung, Denken und Handeln sind Funktionen, die die Verbindung zwischen Körper und Geist herstellen und unser bewusstes Alltagsleben ermöglichen. Der Buddhismus erläutert das über die ersten Sechs Sinne hinausgehende Leben mit der Lehre von den weiteren Bewusstseinsschichten. Die Siebte Schicht heißt manas und entspricht in etwa dem Freudschen Begriff des Unbewussten.
Wenn man dem Tod nahe ist, schwinden die ersten Sechs Bewusstseinsschichten und man fällt, medizinisch ausgedrückt, in tiefes Koma. Buddhistisch gesehen bedeutet es, dass das Leben sich komplett in die Siebte Schicht, nach manas, zurückzieht. Was die buddhistische Lehre in Bezug auf die manas-Schicht enthüllt hat, ist der Umstand, dass die verschiedenen menschlichen Leidenschaften hier wie in einem gewaltigen Mahlstrom brodeln: z. B. Ärger, Trauer, Begierden, Egoismus. Alle diese Leidenschaften haben ihre Wurzeln in der manas-Schicht. Aber auch die guten Eigenschaften und Gefühle, wie Barmherzigkeit, Vertrauen, Weisheit haben hier ihren Ursprung und Sitz.
Wenn man noch weiter, noch durch die manas-Schicht hindurchdringt, kommt man zur alaya-Schicht. Sie wird auch Karma-Schicht genannt, buddhistisch ausgedrückt das „Lagerhaus des Karmas“, in dem sich alles Karma ansammelt. In moderner Sprache könnte man Karma als Potenzial der Lebensenergie bezeichnen. Karma zeigt sich in zwei Arten: als schlechtes Karma, das die Kraft hat, negative Begierden entstehen zu lassen, und als gutes Karma, das positive Eigenschaften hervorbringt. Gutes und schlechtes Karma unterscheiden sich nochmals nach dem Lebenszustand, also nach den Zehn Welten.
Durch die manas-Schicht hindurch ins alaya-Bewusstsein vorzudringen, bedeutet Tod, denn von dort kann man nicht mehr in die oberen Bewusstseinsschichten zurückkehren. Die Neun Bewusstseinsschichten bestehen insgesamt aus dem individuellen, persönlichen Karma und dem universalen Leben.
Das war eine kurze Zusammenfassung der Grundlagen, auf denen ich nun die Grenze zwischen Leben und Tod sowie das Leben nach dem Tod erläutern möchte.
Ein aktuelles Thema sind derzeit Nah-Todeserfahrungen. Auf der Grundlage solcher Nah-Todeserfahrungen nähert sich die Forschung mittlerweile der Erkenntnis, dass der Tod zwar den Körper zerstört, das Leben als solches aber nicht auslöscht. In irgendeiner Form besteht es weiter. Diese Erkenntnis setzt sich allmählich durch. Manche Wissenschaftler meinen zwar, dass Nah-Todeserfahrungen abnorme psychische Phänomene seien oder Auswirkungen chemischer Prozesse, die sich beim Sterben im Körper vollziehen. Das sind mögliche Erklärungen für bestimmte Erscheinungen bei Nah-Todeserfahrungen. Aber sie erklären nicht alles.
Nah-Todeserfahrungen lassen sich grob in vier Kategorien einteilen: Tunnelerlebnis, den Körper verlassen, Geister sehen und Licht erleben. Die ersten Forscher, die diese Phänomene untersucht und darüber berichtet haben, waren Raymond Moody, ein Arzt für Innere Medizin, und die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals habe ich Frau Dr. Kübler-Ross in Japan getroffen und einen Dialog mit ihr geführt, der in der Zeitschrift „Die Dritte Zivilisation“ veröffentlicht wurde.
Präsident Ikeda schreibt in „Die Weisheit des Lotos Sutras“ über ihre Erfahrungen. Davon möchte ich kurz erzählen. In der Zeit unseres Dialogs begleitete sie gerade wieder einen Patienten, der an Krebs im Endstadium litt. Während dieser Begleitung machte sie verschiedene klinische Erfahrungen. Später betreute sie Aidspatienten. Aber inhaltlich waren die Erfahrungen, die sie in ihrer späteren Zeit machte, die gleichen wie die, die sie am Anfang ihrer Forschungen gemacht und beschrieben hatte. Damals sagte sie zu mir: „Ich war Protestantin, gehörte aber nicht zu den überzeugten Gläubigen, die an ein Leben nach dem Tod glauben. Natürlich dachte ich, dass es nach dem Tod irgendwie weitergehen müsse, aber ich brachte kein besonderes Interesse dafür auf. Nachdem ich seit nunmehr elf Jahren Menschen beim Sterben begleite, hat sich meine Lebensanschauung vollkommen geändert. Seither habe ich angefangen zu glauben, dass das Leben nach dem Tod weitergeht.“
Präsident Ikeda schreibt, dass sie selbst sowohl die Tunnelerfahrung gemacht hat als auch die, den eigenen Körper zu verlassen. Sie sagte: „Im Augenblick des physischen Todes verlässt man seinen Körper und schwebt etwa einen Meter über dem Sterbebett oder dem Unfallort. Man kann seinen eigenen Körper sehen, wie er da unten liegt. Man erkennt, wer ins Zimmer kommt, was er tut und so weiter. Hinterher können Wiederbelebte genau beschreiben, was die Ärzte und Krankenschwestern zu ihrer Rettung unternommen haben. Die Ärzte und Krankenschwestern nehmen die Leute in diesem Zustand hingegen nicht wahr.“ Das waren ihre Erläuterungen. Sogar Blinde beobachteten bei außerkörperlichen Erfahrungen diese Rettungsbemühungen und konnten sie hinterher im Detail wiedergeben. Auch Taube konnten die Stimmen der beteiligten Menschen in solchen Situationen hören. Dies berichtete jedenfalls Frau Dr. Kübler-Ross.
Die dritte Form der Nah-Todeserfahrung ist Geister sehen. Es gibt hierzu viele verschiedene Beschreibungen. Frau Dr. Kübler-Ross erzählte folgendes Beispiel: „Eine Frau und ihr Kind erlitten zusammen einen Autounfall und kamen ins Krankenhaus. Die Mutter starb zuerst, ohne dass das Kind davon erfuhr. Kurz bevor es selber starb, hob es sein Gesicht, als ob es zu jemandem aufschaue, und sagte: ,Mami‘.“ Frau Dr. Kübler-Ross erklärte das so, dass die Mutter in diesem Moment über dem Kind geschwebt und das Kind sie gesehen habe.
Die vierte Erfahrung ist das Erlebnis eines großen Lichtes. Kurz vor dem Tod erscheint eine sehr helle Substanz. In ihrem Licht kann man auf sein ganzes Leben zurückblicken. Frau Dr. Kübler-Ross sagte: „Alle wichtigen Ereignisse des eigenen Lebens laufen wie in einem Film vor einem ab.“
Dies alles steht auch in ähnlicher Form in der buddhistischen Abhandlung „Kusha ron“. Davon erzählte ich Frau Kübler-Ross in unserem Gespräch. Bei außerkörperlichen Erfahrungen kann man nach dieser Schrift in alle Richtungen durch Wände gehen, durch geschlossene Türen und sogar aus dem Fenster. Niemand kann einen aufhalten, und in einem einzigen Augenblick kann man riesige Entfernungen überwinden. Man kann auch in sein nächstes Leben eintreten. Wann das ist, ist unterschiedlich und nicht vorherbestimmt. Es hängt allein vom Karma der verstorbenen Person ab.
Im Lauf der Geschichte des Buddhismus wurden viele Sutren und Abhandlungen über das verfasst, was nach dem Tod geschieht. C. G. Jung interessierte sich sehr für die Lehren des Buddhismus zu diesem Thema. In der letzten Zeit ist auch das tibetische Totenbuch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Von Indien aus verbreitete sich der Buddhismus nach Nepal und von dort weiter nach Tibet. Die buddhistischen Priester in Tibet begleiteten die Sterbenden ihres Volkes. Ihre Erfahrungen wurden im sogenannten Totenbuch zusammengestellt. Darauf werde ich später noch weiter eingehen. Ich erzählte Frau Dr. Kübler-Ross vom tibetischen Buddhismus. Sie antwortete auf Grund ihrer Erfahrungen: „Als Christ glaubt man, dass man nach dem Tod entweder in die Hölle oder in den Himmel kommt. Aber in Wahrheit gibt es keinen Gott, der über uns richtet. Es gibt nur die Rückschau im Zeitraffer auf das eigene Leben.“
Der Buddhismus kennt drei Arten von Karma: Handeln, Sprechen, Denken. Was wir getan, was wir gesagt, was wir gedacht haben, welche Begierden wir im Herzen gehegt haben, welche Freude, Trauer, Ärger und sonstigen Gefühle wir erlebt haben, all dies läuft wie ein Videofilm vor unserem inneren Auge ab. Für den einen ist es die Hölle, diesen Film des eigenen Lebens ansehen zu müssen. Für einen anderen ist es die reine Freude. Nicht Gott richtet uns, sondern wir richten uns selbst. Frau Dr. Kübler-Ross berichtete, dass sehr viele Fast-Gestorbene diese Erfahrung gemacht haben. Sie sagte, dass man das wieder erleben wird, was man selbst getan hat. Man muss die eigene Saat ernten und kann das, was man getan hat, nie mehr auslöschen. Sie fand das einen sehr schönen Gedanken.
Man kann die verschiedenen Nah-Todeserfahrungen im Lichte der Zehn Welten unterscheiden. In unserem jetzigen Leben gibt es ständig Erfahrungen von Hölle, von Animalität und Ärger. Es gibt den Zustand der Ruhe, des Entzückens, des Lernens, des Bodhisattwas usw. Wir machen viele Erfahrungen in unserem Leben, aber was einem kurz vor dem Tod filmartig vor Augen geführt wird, sind die Erfahrungen, die entweder unser Leben geprägt haben, die immer wiederkehrten oder Ereignisse, bei denen unser starker Wille entscheidend war. Kurz vor dem Tod ist entscheidend, in welchem Zustand man vorwiegend gelebt hat. Bodhisattwa-, Ruhe- oder Freudezustand, Hölle-, Hunger- oder Animalitätszustand - dies bestimmt den Zustand nach dem Tod. Das lehrt der Buddhismus.
Wer Nah-Todeserlebnisse gehabt hat und davon erzählen kann, ist nicht wirklich gestorben, sondern konnte zurückkommen. Wer dann gemerkt hat, dass er noch zu wenig Bodhisattva-Erfahrung angesammelt hat, kann das noch nachholen. Aber wenn man wirklich stirbt, dann ist es zu spät. Man kann nichts mehr nachholen. Deswegen sollte man als Gläubiger des Buddhismus Nichiren Daishonins viel Daimoku chanten, um den Zustand des Buddhas und des Bodhisattvas tief in sein Leben einzugravieren. Dann werden die Buddhaschaft und der Bodhisattvazustand im eigenen Herzen solide verwurzelt.
Egal unter welchen Umständen man stirbt und wie man in den Tod eintritt, der Lebenszustand in diesem Augenblick wird über den Tod hinaus anhalten und einen weiter umfangen. Nach dem Tod kann man seinen Zustand nicht mehr ändern. So lange man lebt, hat man Bewusstsein. Durch dieses Bewusstsein kann man sich entschließen, den Bodhisattvazustand zu intensivieren oder den Ruhezustand zum Heimatzustand zu machen. Aber nach dem Tod zieht sich das Bewusstsein und überhaupt das ganze Leben in die alaya-Schicht zurück. Deshalb ist es dann grundsätzlich nicht mehr möglich, auf Grund des eigenen Bewusstseins das eigene Leben zu ändern. Diejenigen, die unsicher sind, ob ihre eigenen Bemühungen in dieser Hinsicht ausreichen, sollten daher andere, ihnen nahestehende Personen bitten, ihnen nach dem Tod Daimoku zu schicken und damit ihren Zustand positiv zu beeinflussen.
Im Buddhismus betrachtet man das vorwiegende Karma als die Grundlage des Lebens. Um den Höllezustand muss man sich nicht bemühen, den erlebt man von alleine. Für diejenigen, die viel Hass oder Rachsucht verspüren, geht das Leben nach dem körperlichen Tod nur auf dieser Basis weiter. Diejenigen, die sich meistens im Zustand der Ruhe oder der Freude befinden, können diese Gefühle nach dem Tod weiter beibehalten. Man wählt für die Umstände der Wiedergeburt seine Eltern nach dieser tendenziellen Basis aus. Wer vor allem die Leiden der Hölle durchlebt hat, wird nach dem Tod in einem ähnlichen Zustand verharren. Diejenigen, die im Zustand der Freude gelebt haben, mit Vernunft und einem guten Herzen, werden nach dem Tod ebenfalls einen entsprechenden Zustand beibehalten. Der Basiszustand bestimmt immer die Gelegenheit der Wiedergeburt und die Umstände des nächsten Lebens.
Man fragt sich vielleicht manchmal, warum wurde dieses Kind gerade bei diesen Eltern geboren? Aber jeder hat seine Eltern selbst gewählt. Oder Eltern fragen sich, wie sie eigentlich zu diesem Kind kommen. Aber auch sie haben es sich selbst ausgesucht, die Eltern dieses Kindes zu werden. So verbindet sich das Karma der Eltern und der Kinder, indem sie die Umstände der Wiedergeburt wählen.
Der Lebenszustand hat auch Einfluss darauf, wie lange einem die Zeit erscheint, bis man wiedergeboren wird. Wenn man sich im Zustand der Freude oder der Buddhaschaft befindet, vergeht die subjektive Zeit wie im Flug. Im Gegensatz dazu erleben diejenigen in den drei niedrigsten Welten Hölle, Hunger und Animalität den Gang der Zeit als äußerst langsam. Erst nach endlosen Qualen werden sie wiedergeboren. So gibt es Unterschiede bei der Zeit, die vergeht, bis man wieder auf die Welt kommt.
Das tibetische Totenbuch besagt, dass jemand, der einen gefestigten Buddhazustand als Basistendenz hat, nach dem Sterben sofort in die Buddhaschaft eintritt. Wer diese Basis nicht hat, für den ist die Buddhaschaft zu hell, so dass sie ihn blendet. Man kann dann nicht in diesen Zustand eingehen, sondern höchstens in den Zustand des Bodhisattvas. Wenn dies auch nicht passt, geht man in den Zustand der Teilerleuchtung oder des Lernens ein, also in die göttlichen Welten. Wenn auch das nicht geht, kehrt man in den Kreislauf der Sechs Welten zurück, der sich ständig wiederholt.
Im Grunde genommen erklärt das Totenbuch damit die Zehn Welten auf eine bildliche Art und Weise. Wenn man stirbt, erscheint im Universum demnach zunächst der Buddhazustand. Wenn der Verstorbene einen starken Buddha- oder Bodhisattvazustand besitzt, wird er sofort mit der Buddhaschaft des Universums verschmelzen. Wenn sein Buddha- oder Bodhisattvazustand jedoch zu schwach ist, wird er von der Buddhaschaft des Universums zu sehr geblendet, so dass er nicht mit ihr verschmelzen kann. In diesem Fall sucht er einen anderen Zustand auf, den der Freude, der Ruhe oder eben auch der Hölle, je nachdem, was zu seinem eigenen Zustand passt.
Diese Erklärung scheint davon auszugehen, dass es irgendwo im Universum eine Buddhawelt gibt, mit der man nach dem Tod verschmelzen kann. Eine solche Sichtweise kennt der Buddhismus jedoch nicht. Vielmehr wird für einen Verstorbenen mit starker Buddha- oder Bodhisattvabasis nach dem Tod das ganze Universum zur Buddha- oder Bodhisattvawelt. Wenn man hingegen im Höllezustand stirbt, wird das ganze Universum zur Hölle. Das bedeutet der buddhistische Begriff ku.
Mit der Buddhaschaft des Universums zu verschmelzen bedeutet, dass das ganze Universum zur Buddhaschaft wird. Das ganze Universum heißt den Verstorbenen willkommen, es wird ein Ort des Glücks. Wer auf der Basis des Höllezustands gelebt hat, wird dagegen vom ganzen Universum verworfen. Wie vorhin erwähnt, entscheidet das Karma in der alaya-Schicht über das nächste Leben. Das wird mit dem buddhistischen Begriff gosho („durch Karma geboren werden“) bezeichnet.
Wie in „Kusha ron“ erläutert wird, verschmilzt das Leben nach dem Tod blitzschnell mit dem zur Basistendenz passenden Zustand des Universums, ob einem das nun gefällt oder nicht. Es gibt jedoch noch eine weitere Erklärung zur Geburt: Neben gosho existiert der Begriff gansho, das heißt „durch Wünsche geboren werden“. Wenn Buddhaschaft oder Bodhisattwawelt im Karma überwiegen, wird der eigene Wunsch erfüllt, wo man wiedergeboren werden und was für ein Leben man führen möchte. Das ist die Kraft des Karmas der Buddhaschaft und des Bodhisattvazustands.
Die treibende Kraft von Buddhaschaft und Bodhisattvazustand aber ist die Barmherzigkeit (jihi). Der Wunsch, im nächsten Leben für andere da zu sein, mit ihnen zusammen wiedergeboren zu werden, wird dem Buddha oder dem Bodhisattwa erfüllt. Der Wunsch, nach der Wiedergeburt Rache an jemandem zu nehmen, bleibt hingegen nur ein Wunsch und wird nicht erfüllt. „Durch Karma geboren zu werden“ bedeutet, auf der Basis von Hölle, Hunger, Animalität wiedergeboren zu werden.
Manche möchten in ihrem nächsten Leben in guten Umständen wiedergeboren werden. Andere wünschen sich dagegen keine günstigen äußeren Umstände, sondern ein Leben mit vielen Problemen, um dann konkret etwas tun zu können. Das Mitgefühl kann sowohl den einen wie den anderen Wunsch auslösen. Der Wunsch, in einem reichen, gut entwickelten Land geboren zu werden, wird erfüllt, wenn er auf Barmherzigkeit beruht. Wenn er dagegen nur oberflächlich das eigene Wohl im Auge hat, wird er nicht erfüllt. Wenn man zum Beispiel in Afrika oder im Nahen Osten wiedergeboren wird, um für die Menschen dort etwas zu tun, gerät man zwar äußerlich betrachtet in sehr ungünstige Umstände, in denen der Kreislauf der Sechs Welten sich ständig wiederholt. Aber die Geburt an einem solchen Ort kann dennoch auf gansho beruhen, also auf eigenen Wunsch hin erfolgt sein.
Dies waren meine Grundgedanken zum Thema „Leben nach dem Tod“. Bevor wir zum Frage- und Antwortteil kommen, möchte ich noch etwas hinzufügen, was Präsident Toda früher einmal erläutert hat. Jemand hatte ihn gefragt: „Ich kenne jemanden, der innerhalb von fünf Jahren vier nahe Angehörige begraben musste. Zuerst ist der Großvater gestorben, dann einer seiner Enkel. Der Enkel kam bei einem Unfall ums Leben, und kurz vor seinem Tod sagte er: ,Ich gehe zu Opa.‘ Danach starb die Großmutter. Sie hörte die Stimme des Enkels, die sagte: ,Oma, ich hole dich ab.‘ Ist so etwas denn tatsächlich möglich?“ Das ist ein Erlebnis, das in die Kategorie des Geistersehens bei den Nah-Todeserfahrungen gehört.
Präsident Toda erklärte dazu die Bedeutung der „Wellenlängen“. Wenn die Wellenlänge eines lebenden Menschen und die Wellenlänge eines Verstorbenen übereinstimmen, genauer gesagt, wenn der Lebende die Wellenlänge der Drei Niederen Pfade besitzt, kann er einen Verstorbenen, der ebenfalls die Wellenlänge der Drei Niederen Pfade hat, hören oder sehen. Aber Lebende, die sich im Zustand der Buddhaschaft oder des Bodhisattvas befinden, fangen nicht die Wellen der Drei Niederen Welten auf, sondern senden ihrerseits die Wellen von Buddhaschaft und Bodhisattwazustand zu den Toten aus.
Herr Toda erläuterte weiter, dass diejenigen, deren Wellenlänge den Drei Niederen Welten entspricht, wie ein Radio bzw. ein Empfangsgerät sind, das diese niederen Wellen auffängt. In Japan gibt es verschiedene ketzerische Religionen, die diese Tatsache ausnutzen. Sie lehren, dass die Seelen der Verstorbenen sich an den lebenden Hinterbliebenden rächen wollten oder sie verfolgen würden. Damit wollen sie aber nur Geld verdienen. Herr Toda riet, sich nicht betrügen zu lassen. Wenn man ständig nur an die Verstorbenen denken würde, Ahnen, frühere Ehefrauen und so weiter, könnte man sich bald nicht mehr frei bewegen.
Er nannte noch ein weiteres Beispiel. Damals gab es noch keine Fernseher, nur Radios. Im Radioapparat gibt es keine speziellen Bereiche für deutsche Texte oder amerikanische Sprache oder japanische Lieder. Aber wenn man ihn einschaltet und die Wellenlänge stimmt, kann man all diese Dinge hören, obwohl die Wellen unsichtbar sind. Man kann an sie glauben oder es bleiben lassen. So erläuterte Präsident Toda den ku-Zustand. Die englische und die deutsche Sprache existieren getrennt voneinander, nicht als Einheit. Wer die jeweils richtige Wellenlänge hat, kann sie empfangen. Die chinesische und die koreanische Sprache sind ebenfalls zwei verschiedene Dinge. Sie existieren unabhängig voneinander im Universum, und wenn ein passender Empfänger da ist, versteht er sie. Genauso ist es mit unserer individuellen Wellenlänge, die uns mit der entsprechenden Welt der Zehn Welten in Einklang bringt.
Zum Schluss möchte ich noch die Erläuterungen von Präsident Toda über das Sutra-Zitat „Ich gehe ins Nirwana ein als geeignetes Mittel“ weitergeben. Das Lotos-Sutra erklärt mit diesem Satz, warum wir sterben. Wir werden alle einmal alt und gebrechlich, dann sterben wir und verschmelzen mit dem gesamten Universum. Mit einer „Seele“ hat das nichts zu tun. Wenn wir mit dem Universum verschmelzen, laden wir uns sozusagen neu auf und werden irgendwann wiedergeboren. Deswegen ist der Tod eine Zeit des Aufladens oder Auftankens. So gesehen, ist der Tod ein „geeignetes Mittel“. Der Buddhismus besagt, dass Leben und Tod ewig bestehen.
Bisher haben wir Leben und Tod aus der Sicht des Einzelwesens betrachtet. Dessen Bezug zum universalen Leben erläuterte Herr Toda anhand eines Beispiels, in dem ein Gefäß mit Wasser für das gesamte Universum steht. Wenn Wind weht, entstehen Wellen. Diese Wellen sind unser Leben. Sie sind sowohl unser individuelles Leben als auch Teil der Funktion des universalen Lebens. Wenn der Wind sich legt, verschwinden auch die Wellen. Wir kehren ins Universum zurück bzw. verschmelzen mit ihm. Wenn der Wind erneut zu wehen beginnt, kommen wir wieder. Das ist die Geburt von Menschen. Das heißt, das Universum wiederholt den Zyklus von Leben und Tod, indem wir sterben und wiedergeboren werden.
Das ist die Sichtweise des Buddhismus Nichiren Daishonins von Leben und Tod.
Frage: Ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe, aber bedeutet es wirklich, dass man wenig Lebenskraft hat, wenn man die Signale von Verstorbenen empfangen kann?
Antwort: Vielleicht ist es richtiger zu sagen, dass es nicht von der Lebenskraft abhängt, sondern vom Lebenszustand. In einem niedrigen Lebenszustand kann man Signale von Verstorbenen auffangen. Es handelt sich dabei nur um einen vorübergehenden Zustand, und wenn man wieder stärker wird, kann man umgekehrt selbst Einfluss auf die Verstorbenen nehmen.
Frage: Sie haben in Ihrem Vortrag das menschliche Leben erläutert. Auch Ihre Erklärungen der Zehn Welten handelten ausschließlich von Menschen. Wenn es keine Menschen mehr gibt, wie sieht es dann mit den Zehn Welten aus?
Antwort: Lebenszustände entstehen durch die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umgebung. Falls es irgendwann keine Menschen mehr gibt, aber andere Lebewesen, dann werden zwischen diesen anderen Lebewesen und ihrer Umgebung ebenfalls die Zehn Welten entstehen. Aber wie Sie wissen, können zumindest hier auf der Erde nur die Menschen durch ihre eigenen Fähigkeiten und Bemühungen die Buddhaschaft verwirklichen. Wenn es daher auf der Erde keine Menschen mehr gibt, kann die Buddhaschaft sich nicht manifestieren.
Wie Präsident Toda sagte, ist das ganze Universum die Funktion des Lebens des Buddhas. Im gesamten Universum existiert die Buddhaschaft zusammen mit den Neun Welten. Wenn die Natur sich weiter entwickelt, ist das ein Ausdruck der universalen Buddhaschaft. Konkret heißt das, es ist eine barmherzige Handlung. Wenn es also keine Menschen mehr gäbe, würde dennoch die Funktion des Lebens des Buddhas weiter existieren. Aber wie gesagt, die einzigen Lebewesen, die durch eigene Fähigkeit und eigene Ausübung, aus eigenem Willen die Buddhaschaft des Universums offenbaren können, sind die Menschen.
Die Funktion des gesamten Universums basiert auf der Buddhaschaft innerhalb der Zehn Welten. Weil das Universum die Funktion der Barmherzigkeit des Lebens ist, kann das Einzelwesen irgendwann doch unabhängig von seinem vorherrschenden Basiskarma und dem Zustand, in dem es mit dem Universum verschmilzt, wiedergeboren werden. Wenn man den Höllezustand als Basiskarma hat und in diesem Zustand gestorben ist, wird man sicherlich die Leiden der Hölle sehr lange erleiden müssen. Aber im Buddhismus gibt es keine Hölle für die Ewigkeit. Auch der schrecklichste und längste Höllezustand dauert nicht ewig. Weil das Universum das Wesen der Barmherzigkeit des Buddhas ist, können die, die im Höllezustand leben und ihn ganz durchlitten haben, später in einem besseren Lebenszustand wiedergeboren werden, zum Beispiel im Zustand der Ruhe. Denn das Universum selbst ist die Funktion des Wesens des Buddhas. Wenn ich das noch hinzufügen darf: Alles ist in der Funktion des Gohonzons enthalten und eingeschlossen.
Frage: Kann man durch die Kraft des Daimokus seine verstorbenen Angehörigen wiedergeboren werden lassen?
Antwort: Durch die Kraft des Daimokus kann man die positive Energie der Buddhaschaft und des Bodhisattvazustandes auf andere übertragen. Wer diese Energie empfängt, kann seinem Wunsch folgen, wann und wie er wiedergeboren werden will, also eine Geburt nach eigenem Wunsch vollziehen. Allerdings sagen sowohl Präsident Toda als auch Präsident Ikeda, dass der Wunsch, sich erst einmal auszuruhen, bevor man wieder auf die Welt kommt, ebenfalls erfüllt wird.
Frage: Ich habe eine Bekannte, die Kinderpsychologin ist. Sie erzählte mir, dass viele Kinder berichten, sie hätten Kontakt mit verstorbenen Verwandten oder hörten deren Stimmen. Sie sagen: „Ich habe heute wieder Opa getroffen“ und ähnliches. Meine Bekannte ist eine nüchterne Ärztin, keine Anhängerin von Esoterik oder verdrehten Anschauungen. Weil sie aber solche Äußerungen von ihren kleinen Patienten so oft gehört hat, glaubt sie mittlerweile, dass doch etwas daran sein muss. Ich habe selbst Kinder und wüsste gerne, wie ich in so einem Fall reagieren sollte.
Antwort: Ich denke, man sollte diese Dinge so akzeptieren, wie sie sind. Als Buddhistin sollten Sie zudem mit der Liebe der Mutter für ihre Kinder Daimoku chanten. Auf diese Art und Weise können Sie den Buddha- und den Bodhisattvazustand ihres Kindes stärken. Präsident Toda sagte, dass es nach der Lehre des Buddhismus keine Geister oder Seelen der Verstorbenen gibt, die uns erscheinen, sondern es liegt an dem Lebenszustand, in dem sich die Wellenlänge von Lebenden und Verstorbenen in Einklang befinden, wenn solche Phänomene auftreten und man Geister sieht oder Stimmen Verstorbener hört. In einem anderen Sinne gibt es keine Geister. Das lehrt der Buddhismus ganz klar und eindeutig.
Frage: Meine Freundin war Tänzerin. Im Mai starb ihr Vater, im Juli ihre Mutter. Sie selbst starb im August an einem Gehirntumor. Sie war ein sehr dynamischer, lebensvoller Mensch. Wie kann so etwas passieren?
Antwort: Ich weiß es nicht. Es hängt von den Betroffenen selbst ab. Es gibt viele Gründe, warum jemand stirbt: Krankheiten, Verkehrsunfälle, Eigenverschulden usw. Ein Gehirntumor kann auf Grund von vielen Faktoren und Ursachen entstehen. Deswegen kann ich nicht sagen, warum diese drei Menschen der Reihe nach gestorben sind. Nichiren Daishonins Buddhismus erläutert, dass die Ursachen der Vergangenheit bei jedem Menschen ganz unterschiedlich sind. Deswegen sollte man sich damit nicht herumquälen, sondern sich lieber darum bemühen, den jetzigen Lebenszustand zum Guten zu verändern. Jeder hat sein eigenes Schicksal. Nichiren Daishonins Buddhismus erläutert, wie man dieses Schicksal im gegenwärtigen Leben ändern kann.
Auch wenn ein Mensch scheinbar viel Lebenskraft hat - wenn es nicht die Lebenskraft der Buddhaschaft oder der Bodhisattvawelt ist, sondern die der Ruhe oder der Freude oder des Ärgers, dann kreist er ständig innerhalb der Sechs Pfade. Bei schlechten Bedingungen fällt er dann in den Höllezustand. Die Kraft der Buddhaschaft oder des Bodhisattvazustandes ist hingegen auch unter schlechten Umständen in der Lage, diese zu überwinden. Wir sollten uns deshalb ständig bemühen, den Menschen in unserer Umgebung die Lebenskraft des Buddhas und des Bodhisattwas zu vermitteln. Damit kann man Unglück verhindern, oder man kann es jedenfalls überwinden, wenn es dennoch eintritt.
Damit möchte ich meinen Vortrag beenden. Ich bitte Sie, die buddhistischen Lehren von Leben und Tod unter den verschiedenen Aspekten weiter zu studieren und sich auch selbst Gedanken darüber zu machen. Je mehr Erfahrungen Sie damit machen, desto besser wird allmählich Ihr Verständnis werden. Vor allem die „Weisheit des Lotos-Sutras“ und die „Welt der Schriften Nichiren Daishonins“ sowie die Vorträge von Präsident Ikeda lege ich Ihnen ans Herz. Bitte nutzen Sie Ihr sich vertiefendes Verständnis und Ihre persönlichen Erfahrungen für den buddhistischen Dialog mit anderen.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir so geduldig zugehört haben.
Übersetzung: Kimiko Brummer
Mitarbeit: Ruth Eisert
";s:12:"content_meta";N;}