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Das Öffnen der Augen, Teil 1 (Dt. Gosho, Bd. 2, S. 84)
„Er sagte dies, weil, wenn ein Mann seine Eltern und sein Heim verlässt und ein Mönch wird, er immer die Errettung seines Vaters und seiner Mutter zum Ziel haben sollte. Aber diese Männer gehörten zu den beiden Bereichen von Shomon und Engaku, und obwohl sie dachten, dass sie selbst das Nirwana erlangt hatten, taten sie nichts, um anderen zu nützen. Und selbst wenn sie etwas getan hätten, um anderen Nutzen zu bringen, so waren sie selbst doch zu einem Pfad bestimmt, auf dem sie niemals die Buddhaschaft erlangen und ihren Eltern daher niemals die Errettung bringen konnten. So wurden sie im Gegensatz zu dem, was man hätte erwarten können, als Männer bekannt, die ihre Verpflichtungen nicht verstanden.“
Die gleichzeitige Erleuchtung
In den Ongi Kuden steht: „Die zwei chinesischen Schriftzeichen ‚Drache‘ und ‚Frau‘ werden benutzt, um die Tochter des Drachenkönigs zu bezeichnen. ‚Drache‘ steht für den Vater und ‚Frau‘ für seine achtjährige Tochter. Die Kombination dieser beiden chinesischen Schriftzeichen symbolisiert die gleichzeitige Erleuchtung des Vaters und seiner Tochter.“ (Jap. Gosho, S. 746)
Kinder und Eltern können im Buddhismus also gleichzeitig die Buddhaschaft verwirklichen. Diese enge Beziehung erscheint durchaus nachvollziehbar, wenn man sich überlegt, dass sich etwa ein Gefühls- oder Lebenszustand der Mutter auf ihr Kind überträgt - die Eltern ihren Kindern also sozusagen etwas „vererben“ - und dass dementsprechend auch die Nutzen, die eine Mutter oder ein Vater durch die Ausübung des Buddhismus ansammeln, dem Kind zugute kommen. Aber seit wann sind Eltern bereit, etwas von ihren Kindern anzunehmen?
Nichiren Daishonin betont in vielen Briefen an seine Schüler, dass die Erleuchtung der Kinder auch auf die Eltern zurückwirken kann. An den jungen Priester Joren schreibt er beispielsweise: „Die Körper der Eltern sind der Körper und der Geist der Kinder. Joren Shonin, die Wohltaten, die Sie empfangen, weil Sie das Lotos-Sutra annehmen, werden zu den Wohltaten Ihres barmherzigen Vaters werden.“ (Jap. Gosho, S. 1434).
Der Buddhismus geht davon aus, dass die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern nicht zufällig entsteht, sondern ihre Ursache in einer tiefen karmischen Verbindung zwischen den Menschen hat. Karmisch bedeutet in dem Zusammenhang, dass eine bestimmte Beziehung zustande kommt, weil gerade die Begegnung mit diesen Pesonen Tendenzen des eigenen Lebens bedient und fördert. Es besteht sozusagen eine „magische“ Anziehungskraft. Auf einer tieferen Ebene - der Ebene des Mystischen Gesetzes - sind wir jedoch bereits untrennbar miteinander verbunden, sind wir eins mit unseren Eltern. Diese Bewusstseinsebene in unserem eigenen Leben anzusprechen, berührt daher unmittelbar die gleiche Bewusstseinsebene bei unseren Eltern. So können Eltern und Kinder gemeinsam die Buddhaschaft verwirklichen.
Daisaku Ikeda erläutert die Einheit zwischen Eltern und Kindern folgendermaßen: „(...) Sicherlich gibt es viele unter Ihnen, bei denen kein Elternteil oder anderes Familienmitglied den Buddhismus praktiziert. Es gibt allerdings keinerlei Notwendigkeit für Sie, aus diesem Grund ungeduldig oder ängstlich zu werden. Ein einzelner, der mit ernsthaftem Glauben aufsteht, wird alle Familienmitglieder und Verwandten auf den Weg des ewigen Gesetzes führen können. So stark ist die letztendliche Kraft des Mystischen Gesetzes. Wenn die Sonne einmal am Himmel aufgegangen ist, wird alles auf der Erde beleuchtet. Durch das beständige Licht eines einzigen Leuchtturms können viele Schiffe bei Nacht sicher auf See navigieren. Mit einem fähigen und verlässlichen Ernährer kann eine ganze Familie sorglos und zufrieden leben. Jede und jeder von Ihnen ist wie eine Sonne, die Freude ausstrahlt, ein Richtungsfeuer, das die Menschen zur Erleuchtung führt, eine Stütze der Aufrichtigkeit und des Glücks für den Frohsinn und das Wohl Ihrer Familien. (...)“
(aus: FORUM August/September 1991, S. 14/15)
Die Bedeutung von Dankbarkeit
Eine einzige Person reicht also aus, um der ganzen Familie Glück zu bringen. Dies veranschaulichen die Diskussionsteilnehmer in den Gesprächen über die Schriften Nichiren Daishonins am Beispiel von Nichirens Leben. Dabei stellen sie fest, dass der Schwur des Daishonin, der weiseste Mensch in ganz Japan zu werden, aus der Dankbarkeit gegenüber seinen Eltern entstand, weil sie ihn in schwierigen Zeiten großgezogen hatten. Hieraus entwickelte sich bei Nichiren der Wunsch, sie und alle anderen Menschen zur Erleuchtung zu führen. Man kann daher sagen, dass die Eltern des Daishonin ihn dazu motivierten, die eigene Erleuchtung zu suchen und zu verwirklichen und der Daishonin daraufhin seinerseits den Eltern den Weg zur Buddhaschaft öffnete. Dankbarkeit erleichtert den Weg zur Buddhaschaft.
Leider haben sich die familiären Beziehungen heute gegenüber den Lebzeiten von Nichiren Daishonin erheblich verschlechtert und verkompliziert. Viele von uns leiden darunter, dass sie von ihren Eltern nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten haben, verlassen wurden oder sogar geschlagen oder misshandelt. Häufig haben die Eltern auch besondere, wenn nicht gar überhöhte Erwartungen an ihre Kinder, die sie nicht erfüllen können oder wollen, was leicht zu mangelndem Selbstvertrauen oder dem Gefühl, es nie recht machen zu können, führt. Aus Zeitmangel oder aus Unvermögen fehlt es den Kindern an Liebe, Aufmerksamkeit oder einfach an verständnisvollen Gesprächen. Hieraus entwickeln sich bei ihnen Verhaltensmuster, die sie auch noch als Erwachsene prägen bzw. leiden lassen.
Trotzdem nicht in alten Tendenzen, der Rolle des ewigen Kindes verhaftet zu bleiben, erscheint schwer, vielleicht nahezu unmöglich. In extremen Fällen kann hier sogar die professionelle Unterstützung von Therapeuten oder anderen Helfern gefragt sein. Aber auch wenn es genügend Gründe gibt, um nicht dankbar sein zu wollen - wer den Buddhismus Nichiren Daishonins praktiziert, weiß, dass man letztlich nicht weiterkommt, solange man darauf wartet, dass sich die anderen verändern und die Lösung außerhalb von sich selbst sucht. Den Eltern die Schuld am eigenen Unglück zuzuschieben oder ihnen gegenüber Groll zu hegen, führt auch nicht weiter. Im Gegenteil: Diese Negativität wendet sich gegen uns selbst, frisst sich in unser eigenes Leben ein und verstärkt das Gefühl des Unglücklichseins. Ressentiments engen ein - Dankbarkeit macht frei, das zu tun, was für das eigene Leben das Beste ist. Der Schlüssel liegt darin, sich selbst zu verändern.
Die Tochter des Drachenkönigs
Ein einprägsames Beispiel für die Menschliche Revolution eines Kindes zeigt das Lotos-Sutra anhand der bereits erwähnten Geschichte der Tochter des Drachenkönigs: Diese erscheint in der zweiten Hälfte des Devadatta-Kapitels des Lotos-Sutras und soll angeblich, nachdem sie das Lotos-Sutra gehört hatte, sofort die Buddhaschaft erlangt haben. Shariputra, der intelligenteste Schüler von Shakyamuni, sowie ein anderer Bodhisattwa, bekannt als „Angesammelte Weisheit“, können dies nicht glauben, weil das Mädchen ihnen unfähig erscheint und sich auch nicht durch langwierige, schmerzhafte Ausübungen trainiert hat. Die beiden erwachsenen Bodhisattwas bringen ihre Zweifel gegenüber dem Drachenmädchen mit einigem Spott auch zum Ausdruck. Doch die Tochter des Drachenkönigs fordert sie auf, mit eigenen Augen zuzusehen, wie sie die Buddhaschaft verwirklicht. Und führt es ihnen dann vor, indem sie sich innerhalb eines Augenblicks in einen Buddha verwandelt. Man könnte sagen, dass die Tochter des Drachenkönigs unter allen Anhängern des Buddhas die geringsten Aussichten besitzt, die Buddhaschaft zu erlangen, weil sie nicht nur die Form eines Tieres hat, sondern darüber hinaus auch noch weiblich und schließlich erst acht Jahre alt ist, also noch ein Kind, Genauso hat man oft das Gefühl: „Alle können glücklich werden
Tatsächlich aber erlangt sie die Erleuchtung am schnellsten von allen. Unabhängig von den Zweifeln der Erwachsenen, unabhängig davon, dass ihr Schmerzen zugefügt wurden und dass es diskriminiert wurde, zeigt das Kind mit seinem Leben den Beweis dafür, dass man die Buddhaschaft in seiner gegenwärtigen Form erlangen kann. Das heißt, auch dann, wenn man vermeintlich vom Leben (oder von den Eltern) benachteiligt wurde. Ausgangspunkt für die Erleuchtung des Drachenmädchens ist - nebenbei bemerkt - ihr Entschluss, ihr Leben der Aufgabe zu widmen, dass andere Menschen durch die Kraft des Mystischen Gesetzes glücklich werden können.
Der Spiegel des eigenen Lebens
Trotzdem haben die kritischen erwachsenen Anhänger von Shakyamuni eine wichtige Funktion im Drama des Lotos-Sutras, so wie auch unsere Eltern eine wichtige Funktion für unsere eigene Weiterentwicklung haben. Die Bodhisattwas konfrontieren die Tochter des Drachenkönigs mit ihrer eigenen Unsicherheit und ihren Selbstzweifeln. Gerade unsere Eltern sind ein Spiegel für unser Leben und zeigen uns oft genug die eigene Unsicherheit auf. Die Lösung unserer Probleme mit den Eltern liegt daher langfristig nicht darin, sich von diesem Spiegelbild abzuwenden, d. h. sich von den Eltern zu distanzieren. Die buddhistische Ausübung dient dazu, „Nein!“ zu sagen zu der Unsicherheit und dem mangelnden Vertrauen in unser Leben, den Glauben an die eigene Buddhaschaft zu verstärken und mit starker Entschlossenheit zum Gohonzon zu chanten.
Der Entschluss, unsere Buddhaschaft zu verwirklichen und unser Mitgefühl zu entwickeln, bewirkt eine Veränderung der eingefahrenen Rollenverteilung: So wie das Drachenmädchen den ehrwürdigen Bodhisattwas vormacht, wie man die Buddhaschaft verwirklicht, können auch wir unseren Eltern den Weg zum Glück zeigen. Welche Seite in der Eltern-Kind-Beziehung die andere beeinflusst, hängt aus buddhistischer Sicht nicht von Alter und Autoritätsstellung ab, sondern allein von der jeweiligen Lebenskraft. Sie bestimmt die Dynamik einer Beziehung. Ausgestattet mit starker Lebenskraft durch das Chaoten von Nam-Myoho-Renge-Kyo kann daher auch das Kind zum Initiator, zum Ausgangspunkt einer Veränderung werden.
Daisaku lkeda sagt in diesem Zusammenhang: „Menschliches Verhalten ist der Schlüssel, um ein korrektes Verständnis des Buddhismus zu ermöglichen. In einem Brief an den jungen Nanjo Tokimitsu schreibt der Daishonin: ‚Wenn jemand jedoch zu gewissen Zeiten seinen Eltern gute Dinge geben möchte, dies aber nicht kann, sollte man ihnen zumindest zwei- oder dreimal täglich ein lächelndes Gesicht zeigen.‘ (Gosho Zenshu, S. 1527) (...)
Diese Art der Unterstützung von Kindern für ihre Eltern geschieht in Übereinstimmung mit dem Buddhismus. Nichts könnte eine größere Quelle des Glücks für die Eltern sein, als ein Kind zu haben, das das Gefühl von Frieden und Sicherheit vermittelt, und von dem die Eltern sagen können, ‚Was für eine wunderbare Tochter!‘ oder ‚Was für ein wunderbarer Sohn er geworden ist!‘ Die Eltern eines solchen Kindes mögen sich geneigt fühlen, alles zu tun, was das Kind ihnen sagt. Ich denke, es ist natürlich, dass man weiterhin ernsthaft dafür betet, dass die Eltern die Buddhaschaft verwirklichen können. Gleichzeitig hoffe ich aber zutiefst, dass jeder von Ihnen sich selbst immer weise, warmherzig und vernünftig verhalten kann. Ihre Entwicklung als Mensch wird den Menschen um Sie herum mehr als alles andere die Gültigkeit des Buddhismus zeigen. Weiterhin wird ein solches Wachstum nicht nur Ihr eigenes Glück, sondern auch das Glück Ihrer Familien vergrößern.“ (aus: FORUM August/September 1991, S. 14/15)
Quelle: FORUM März/April 2003
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