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Die Richard Causton Vorlesung
1998
Eine buddhistische Perspektive für das 21. Jahrhundert
von Edward Canfor-Dumas
Die Richard Causton Vorlesungen sind eine Reihe jährlicher Vorträge im Angedenken an R.C., den ersten Generaldirektor der SGI-GB von 1974 bis zu seinem Tod im Januar 1995.
Zweck dieser Vorlesungen ist, an Herrn Caustons Leben und sein Werk, die buddhistische Bewegung auf der Basis, die Lehre des japanischen Weisen Nichiren Daishonin aus dem 13. Jahrhundert etabliert zu haben zu erinnern. Der Inhalt dieser Vorlesungen spricht deshalb wichtige Fragen an, die die heutige Welt betreffen, und behandelt sie aus philosophischer Sicht; er beleuchtet Ideen, die mit Nichiren Daishonins Buddhismus in Einklang sind und die höchste Würde des menschlichen Lebens betreffen.
Die erste Vorlesung, die hier abgedruckt ist, wurde am 7. März 1998 im Queen Elizabeth II Conference Centre in London gehalten. Der Redner war Edward Canfor-Dumas, Mitglied der SGI-UK, der eng mit Herrn Causton an seinem Buch „Der Buddha des Alltags“ zusammengearbeitet hat. Er war auch, von 1988 bis kurz nach Herrn Caustons Tod, Redakteur des SGI-UK Magazins,uk-express.
(17. Februar 1920 – 13. Januar 1995)
Richard Causton führte ein ziemlich bemerkenswertes Leben. 1920 in England geboren und ausgebildet am Dulwich College kämpfte er im Alter von 24 Jahren im 2. Weltkrieg als Brigarde-Major gegen die Japaner an der indonesischen Grenze und im Dschungel von Burma. Die Greueltaten, deren Zeuge er wurde, spielten später eine Rolle bei seiner Entscheidung, sein Leben der Friedensarbeit zu widmen.
1958 hatte er die Chance bei der Armee frühpensioniert zu werden, wo er auf seinem letzten Posten im Kriegministerium noch gezwungen war, den Gebrauch nuklearer Waffen und deren erschreckendes Potential mitzuerleben. So begann er im Alter von 38 Jahren eine neue Karriere – als Geschäftsmann – die ihn 1960 zurück in den Nahen Osten brachte. In Japan traf er eine Frau, Mitsuko, die ihn in den Buddhismus Nichiren Daishonins einführte und später seine Frau wurde. Von starken Zweifeln am Christentum, mit dem er aufgewachsen war, geplagt, war er fasziniert von der Lehre Nichiren Daishonins, und 1971, ein wenig ermutigt von Mitsuko, wurde er praktizierender Buddhist.
Durch sie traf er auch den Mann, der den tiefsten Eindruck in seinem Leben hinterließ. Daisaku Ikeda, 10 Jahre jünger als Herr Causton, war Präsident der Soka Gakkai, der größten buddhistischen Laienorganisation in Japan. Anfangs war Herr Causton mißtrauisch; seine Kriegserfahrung hatte ihn gelehrt, mißtrauisch gegenüber „charismatischen Führern“ zu sein, und er hatte Mühe, das zentrale buddhistische Prinzip von der Einheit von Meister und Schüler zu verstehen. Glücklicherweise konnte er Herrn Ikeda aus der Nähe beobachten, und es dauerte nicht lange, bis seine Skepsis verschwand und diese sich in Vertrauen, Respekt und Dankbarkeit verwandelte: Später sagte er, daß Daisaku Ikeda ihm ALLES beigebracht hatte. Trotzdem war er sehr überrascht, als Herr Ikeda ihn fragte, ob er Leiter der gerade flügge gewordenen buddhistischen Organisation in GB werden wollte.
1974 kehrte er zurück nach Hause und arbeitete die nächsten 21 Jahre daran, die Grundfeste des großbritannischen Zweiges der Soka Gakkai Organisation zu etablieren. Er prägte den Slogan - Vertrauen durch Freundschaft, Frieden durch Vertrauen – und schaffte damit die Mitgliederzahl der SGI-UK von ein paar hundert auf über 5000 zu erhöhen und die Entwicklung der Bewegung für Frieden, Erziehung und Kultur zu fördern. Er betrachtete Großbritannien als glücklich, eine multikulturelle Gesellschaft zu haben, gesegnet mit einem großen Potential und großer Unterschiedlichkeit der Menschen. Und er war beispielhaft in seiner Fähigkeit, alle Menschen gleichermaßen anzunehmen.
Immer ein Mann der Tat, lenkte Herr Causton die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, sich aktiv für den Frieden in der Gesellschaft einzusetzen – besonders in Nordirland und Südafrika. Er ermutigte auch die Mitglieder der SGI-UK, sich in positiver Weise in den örtlichen Kommunen zu engagieren, sowohl als Individuen als auch in Gruppen, als Repräsentanten der Organisation. Persönlich initiierte er verschiedene kulturelle Aktivitäten der SGI-UK, und er bemühte sich um Verbindungen zwischen der SGI-UK und anderen Menschenrechtsorganisationen, wie die UN-Kommission für Flüchtlinge und das Commonwealth Human Ecology Coucil. Mit seinem Buch DER BUDDHA DES ALLTAGS, das seit seiner Veröffentlichung 1988 das meistgelesene Buch wurde für diejenigen, die sich für Nichiren Daishonins Buddhismus interessieren, hinterließ er auch ein bleibendes Testament.
In der letzten Dekade seines Lebens wurde Herr Causton Vizepräsident der Soka Gakkai International, und er unterstütze die Gründung von SGI- Organisationen in so weit entfernten Ländern wie Island und Südafrika. Nach seinem Tod 1995 ehrte ihn sein Mentor, Daisaku Ikeda, postum mit dem Titel Ehrengeneraldirektor der weltweiten Bewegung der SGI.
Eine buddhistische Friedensperspektive im 21.Jahrhundert
Von Edward Canfor-Dumas
„Nichts ist barbarischer als Krieg, nichts fürchterlicher.“ Als Dick Causton erstmals diese Eröffnungsworte der Menschlichen Revolution, einem Roman von Daisaku Ikeda las, sagte er, er hatte das Gefühl „als ob ein elektrischer Schock meine Wirbelsäule hinauffuhr“. Da er die Schrecken des Krieges aus erster Hand in Burma erlebt hatte, stimmte er dieser Aussage sicherlich zu.
Er sagte einmal, das Schrecklichste, was er erlebt hat, war zu sehen, wie ein britischer ‚Tommy’ versuchte den Goldzahn eines toten japanischen Soldaten rauszubrechen. Dick hatte ihm gedroht, ihn zu erschießen, falls er nicht aufhören würde. Er war entsetzt, sagte er, darüber, wie tief dieser Mann gesunken war. Britische Soldaten sollten so nicht sein; sie waren schließlich auf der Seite des Rechts. Und doch hatte die Erfahrung des Kriegs den ‚Tommy’ auf diese Stufe der Verderbtheit sinken lassen.
Aber der Schock, den Dick spürte, als er den Anfang der Menschlichen Revolution las, war mehr als einfach ein Schock der Wiedererkennung. Vielmehr war es die Tatsache, daß der Autor dieser Worte Japaner war.
Dick hatte, wie viele Militärangehörige, die im Fernen Osten gekämpft hatten, eine schlechte Meinung von den Japanern. Obwohl schon fast 25 Jahre seit dem Krieg vergangen waren und er sich regelmäßig geschäftlich in Tokio aufhielt und er sich in eine japanische Frau verliebt hatte – sie war es, die ihm dieses Buch zu lesen gab – beurteilte Dick aus tiefster Seele die Japaner mit einiger Verachtung als grausam und fanatisch; oft sogar als ziemlich unmenschlich.
Einen japanischen Autor zu lesen, dessen Gefühle so genau mit seinen übereinstimmten, erschütterte ihn bis ins Mark. Und dann zu begreifen, daß Ikeda einen vielgeliebten Bruder verloren hatte, der von der Kaiserlichen Japanischen Armee eingezogen und in seinen Tod geschickt worden war – in Burma... Nun, an diesem Punkt begann sich die Trennung von Rasse und Nationalität in seinem Geist aufzulösen. Und als er weiterlas, begann das Bewußtsein über eine allgemeine Menschlichkeit und ein gemeinsames menschliches Schicksal zu wachsen.
Und kurz nachdem er die Menschliche Revolution ausgelesen hatte, begann Dick, Buddhismus zu praktizieren – besonders die Lehren des japanischen Weisen Nichiren aus dem 13. Jahrhundert, die den Roman in Ausschnitten erklärt. Er war bereits 50 Jahre alt und sollte das letzte Drittel seines Lebens - 25 Jahre lang – dem Lehren dieser großartigen Lebensphilisophie, die er gefunden hatte, widmen.
UMWANDLUNG
Ich habe Ihnen diese Geschichte nicht nur erzählt, weil sie von Dick Causton handelt, in dessen Namen diese Vorlesungsreihe begründet wurde, sondern weil sie das zentrale Thema des Buddhismus beschreibt –Umwandlung; oder wie der Titel des Romans besagt - „menschliche Revolution“.
Dicks Leben ist die Geschichte eines Mannes, der ganz bewußt der „Kriegsgewohnheit“, wie ich es genannt habe, den Rücken gekehrt hat. Er war professioneller Soldat, Offizier, der sich mit 19 Jahren, bevor der Krieg in Europa begann verpflichtete. In Burma wurde er mit der Militärischen Tapferkeitsmedaille im Einsatz ausgezeichnet.
Nichtsdestotrotz wurde er ein unermüdlicher Verfechter des Friedens und arbeitete Seite an Seite mit genau den Menschen, die er einst bekämpft hatte. Bei einer Gelegenheit kam er sogar ins Gespräch mit einem buddhistischen Mitglied, einem Japaner, und während sie sich unterhielten stellte er fest, daß sich ihre Kampfeinheiten in einem Dschungeltal gegenübergestanden hatten. Dicks Umwandlung war so grundlegend, daß er sogar seinen Tapferkeitsorden wegwarf, ohne jemals jemandem davon zu erzählen: obwohl ich ihn 12 Jahre lang gekannt hatte, fand ich das erst heraus, als ich begann, diese Vorlesung vorzubereiten.
Aber Dicks „menschliche Revolution“ ist keineswegs einmalig. Der Buddhismus lehrt, daß jede/r, ohne Ausnahme, eine solche Wandlung erfahren kann, selbst der rücksichtsloseste und kriegerischste Mensch.
Der historische indische König Ashoka, der etwa 300 Jahre vor Christus lebte, wird zum Beispiel von Historikern oft als Vorbild für einen erleuchteten, mitfühlenden Herrscher dargestellt. Aber Ashoka war ursprünglich ein blutiger Tyrann, der den größten Teil des indischen Subkontinents eroberte, auf Kosten von Tod und Leiden.
Aber dann, als er begriff, wieviel Leid er verursacht hatte, überkam ihn Reue, und er wandte sich dem Buddhismus zu. Er verzichtete auf Gewalt und erklärte, daß er fürderhin friedfertig erobern würde, allein mit Hilfe der buddhistischen Lehren – dem Dharma. Was er auch tat, indem er Gesetze und Verordnungen erließ auf der Basis buddhistischer Prinzipien, und so leitete er eine Ära des Friedens, des Wohlstands und der Toleranz ein, besonders gegenüber anderen Religionen, wofür er immer noch gefeiert wird.
Der Buddhismus ist voll von derlei Geschichten. In einem anderen berühmten Beispiel geht es um den historischen Buddha Shakyamuni – Sie mögen ihn als Siddhartha Gautama kennen oder, von den vielen Statuen und Abbildungen, die von ihm gemacht wurden, einfach als der Buddha. Shakyamuni wurde von dem bösen König Ajatashatru verfolgt, der versuchte ihn bei verschiedenen Gelegenheiten zu töten und in der Tat, viele seiner Anhänger umbrachte.
Aber dann wurde der König ernsthaft krank. Riesige Leprabeulen brachen aus seinem ganzen Körper aus, und sein Tod schien unumgänglich. An diesem Punkt hatte Shakyamuni Mitleid mit ihm und besuchte ihn trotz des Einspruchs seiner Anhänger. Berührt von Shakyamunis Mitgefühl, bereute er seine vergangenen Untaten, trat zum Buddhismus über – und wurde gesund und lebte noch viele Jahre. Zudem war es Ajatashatru der, als Shakyamuni schließlich starb, das Erste Buddhistische Konzil einberief, um sicherzustellen, daß seine Lehren nicht verloren gehen würden. Mit anderen Worten, Dank dieses einstmals bösen Königs, dem eingeschworenen Feind des Buddhas, wurde der Buddhismus der Nachwelt erhalten.
Auf Grund dieses elementaren Glaubens in die in jedem Individuum – sogar bösen Individuen - innewohnende Fähigkeit, ihr Leben umzuwandeln, hat der Buddhismus so einen unumstößlichen Glauben an die Möglichkeit einer Welt ohne Krieg.
Ich weiß, daß viele Menschen hier im Raum das für ein Hirngespinst halten. Und, die Tatsache berücksichtigend, daß in den letzten dreitausend Jahren Menschheitsgeschichte nur etwa dreihundert davon ohne Waffenkonflikte waren, kann ich Ihre Skepsis verstehen. Bevor ich vor 15 Jahren anfing Buddhismus zu praktizieren, ging es mir genauso wie Ihnen. Aber in diesen fünfzehn Jahren habe ich nicht nur viele Beispiele erlebt, in denen Individuen ihr Leben verändert haben, sondern ich bin auch davon überzeugt, daß die buddhistische Philosophie auf ein so großes und scheinbar unlösbares Problem wie den Krieg in einer praktischen und effektiven Weise angewendet werden kann. Ich möchte vor allem über zwei Konzepte sprechen – nämlich Karma und ein Prinzip, das die Drei Wahrheiten genannt wird – von denen ich glaube, daß sie eine Möglichkeit anbieten, Krieg tiefer zu verstehen und dabei Wege aufzeigen, wie wir zukünftige Katastrophen vermeiden könnten.
IST KRIEG UNVERMEIDLICH?
Denn Krieg ist unzweifelhaft eine Katastrophe. Selbst wenn Sie sich fragen, ob eine Welt ohne Krieg möglich ist, was außer Frage steht ist, wie ich hoffe, die Erkenntnis der totalen Verschwendung und Verwüstung, die durch Krieg im 20. Jahrhundert angerichtet wurde. Obwohl Genauigkeit an diesem Punkt praktisch unmöglich ist, schätzt man die Anzahl der Kriegstoten - Männer, Frauen und Kinder - auf über 120 Millionen in diesem Jahrhundert, ein Jahrhundert des Abschlachtens, mehr als in allen Jahrhunderten vorher zusammen. Über 10 Millionen haben außerdem ihr zu Hause verloren oder wurden vertrieben, und die physische Zerstörung kann man gar nicht ermessen. Tragischerweise wächst die Zahl der Opfer in weltweiten Konflikten genau in diesem Moment.
Das ist wahrlich ein beschämender Rekord. Aber die Frage ist, ob wir ihn im 21. Jahrhundert mit noch mehr Tod und Zerstörung brechen werden. Das Potential dazu ist mit Sicherheit vorhanden. Menschliche Konflikte werden niemals verschwinden, und die menschliche Genialität fährt fort noch ausgeklügeltere und mächtigere Waffen zu entwickeln, die sogar die Atomwaffen in den Schatten stellen.
Aber ist dieses Potential tatsächlich der zerstörerischen Macht preisgegeben? Beweisen die vergangenen dreitausend Jahre, daß Krieg unvermeidlich ist – ist es die wesentliche Rolle des Menschseins, daß wir verdammt sind, uns auf ewig zu bekämpfen, bis zur völligen Vernichtung?
Der Buddhismus sagt nein. Und interessanterweise ist er eine der Weltreligionen, die nicht das Ende der Welt in einer Feuersbrunst eines finalen Armageddon vorraussagt. Vielmehr lehrt er, daß Krieg etwas ist, das man mit „bedingter Antwort“ bezeichnen könnte, eine Gewohnheit, die wir angenommen haben, die tief verwurzelt ist, aber eine Gewohnheit, von der wir uns befreien können, was Zeit, Anstrengung und Engagement braucht.
Indem er dies lehrt, sagt der Buddhismus gleichzeitig, daß Konflikt und Gewalt dem menschlichen Wesen immanent ist. Aber diese beiden Begriffe bedeuten nicht unweigerlich Krieg, was eine ganz andere Dimension zeigt. Der anerkannte Pionier der Friedensforschung, Johan Galtung, macht diesen Punkt sehr deutlich:
Manche Nationen und manche Epochen sind kriegerischer als andere. Wenn die Kriegslust wie der Ernährungs- und Geschlechtstrieb instinktiv wäre, müßten wir sie weit gleichmäßiger auf Raum und Zeit verteilt vermuten. Mit kleineren Abweichungen essen und trinken die Menschen überall und zu jeder Zeit und haben Sex. Diese Allgemeingültigkeit gilt nicht für den Krieg.
Wenn man auf die Geschichte schaut, würde man feststellen müssen, daß es ein natürlicher menschlicher Instinkt ist, Krieg, wenn möglich, zu vermeiden. Militärisches Training und die übliche rauhe militärische Disziplin sind durch die Jahrhunderte hindurch genau deshalb entwickelt worden, um die natürliche Abscheu des Menschen, sich in eine Situation zu begeben, in der er getötet werden könnte, zu überwinden; besonders wenn er keinen persönlichen Streit mit denjenigen hat, gegen die er kämpft, was normalerweise im Krieg der Fall ist.
Geschichte lehrt auch, daß – paradoxerweise – Krieg ein Zivilisationsprodukt ist. Diese höchst brutale und unzivilisierte Verhaltensform hängt von einem Grad der Planung und Koordination ab, die nur in höchst organisierten Gesellschaften möglich ist. So tauchen die ersten zusammengestellten Armeen schon im Jahr 3200 vor Christus auf, in einer der ersten uns bekannten Zivilsationen, Mesopotamien. Diese Zivilisation entstand in der Region, die uns heute als Ost-Syrien und Irak bekannt ist: An einigen Orten ist, deutlich erkennbar, die Kriegsgewohnheit in der Tat tief verwurzelt. Aber darüber mehr zu einem späteren Zeitpunkt.
Es ist also dieser kooperative und strukturierende Aspekt, der Krieg vom bloßen Kämfen unterscheidet. Zwei einzelne Personen können kämfen, aber Krieg ist eine Gruppenaktivität, normalerweise in großem Maßstab nach einer vorgeplante Strategie durchgeführt – zumindest anfänglich. Kurz gesagt, Krieg ist kein instinktives menschliches Verhalten. Er ist vielmehr das Ergebnis von bewußter, sogar rationaler menschlicher Einschätzung. Eine Einschätzung, die von verschiedenen menschlichen Impulsen beeinflußt wird – vor allem von Aggression, Angst und Gier – und diese Impulse steuern auf ein bestimmtes definiertes Ende zu: den Feind und sein Territorium. Diese machtvolle Mischung aus Bewußtem und Instinktivem ist der Grund, warum die Kriegsgewohnheit so schwer zu durchbrechen ist. Jeder einzelne Krieg kann fast immer von der einen oder anderen Seite gerechtfertigt werden, oft durch starke und plausible Argumente, die sowohl an unseren Verstand als auch an grundlegende Gefühle appellieren.
Also muß der Krieg geführt werden, um einem feindlichen Angriff vorzubeugen, um die nationale Ehre aufrechtzuerhalten, um die nationalen Interessen zu schützen, um das Vaterland, das Imperium, den Glauben oder die Revolution zu verteidigen – kurz gesagt, was auch immer der Gesellschaft im Angesicht des Krieges wertvoll erscheint. In einer liberalen Demokratie wie der unsrigen kämpfen wir heutzutage zum Beispiel im Namen der Freiheit und – ironischerweise – im Namen des Friedens; hundert Jahre vorher kämpften wir für den Ruhm und das Reich. Was auch immer der angebliche Grund ist, die emotionale Reaktion, die durch derlei Argumente ausgelöst wird, kann oft eine genauere Untersuchung der Notwendigkeit zu kämpfen und die Alternativen dazu überdecken.
DAS KARMA DES KRIEGES
Der Buddhismus sieht einen anderen, fundamentaleren Grund, warum sich die Kriegsgewohnheit so sehr behauptet – Karma, das erste der beiden Konzepte, die ich vorhin erwähnt habe.
Dieser Begriff entstammt dem Sanskrit und bedeutet ‚Tat’. Er bezieht sich auf die Tatsache, daß Karma von unseren Gedanken, Worten und Taten gespeist wird. Diese rufen ähnliche Gedanken, Worte und Taten in der Zukunft hervor, entsprechend – wie der Buddhismus sagt – einem strikten und unausweichlichen Gesetz von Ursache und Wirkung. Kurz, das Konzept vom Karma lehrt uns, daß wir unmittelbar Produkte unserer vergangenen Taten und die Autoren unserer zukünftigen Realität sind. Um einen buddhistischen Text zu zitieren:
Wenn Sie die Ursachen verstehen wollen, die Sie in der Vergangenheit
gesetzt haben, sehen Sie sich die Wirkung an, die in der Gegenwart
manifestiert ist. Und wenn Sie wissen wollen, welche Ergebnisse in der
Zukunft erscheinen werden, sehen Sie sich die Ursachen an, die sie jetzt
setzen. (aus dem Shinjikan-Sutra)
Das Problem ist, daß wir, weil wir alle Produkte unserer vergangenen Erfahrungen sind, dazu tendieren, es sehr schwer zu finden, uns eine Zukunft auch nur vorzustellen, die völlig anders ist als unsere vergangene oder gegenwärtige Realität, geschweige, denn diese im Moment erschaffen zu können. Also geht unsere Tendenz dahin, mit dem fortzufahren, was wir bereits kennen, selbst wenn wir wissen, daß das keineswegs zufriedenstellend ist.
Um das besser zu verstehen, müssen wir uns etwas genauer anschauen, wie Karma funktioniert, indem wir es einer Dreiteilung unterziehen – karmische Tendenz, karmische Beziehung und karmische Wirkung.
KARMA
karmische Wirkung
karmische Tendenz
karmische Beziehung
Sagen wir, ich habe den Wunsch zu rauchen – weil ich den Geschmack mag, weil es meine Nerven beruhigt, weil es mich von zu vielem essen abhält, was auch immer. Das ist meine karmische Tendenz. Diese Tendenz wird, durch irgendeine äußere Ursache hervorgeholt, in meinem Leben sichtbar –sagen wir, weil ich eine Zigarette sehe oder rieche. Diese äußere Ursache ist die karmische Beziehung. Der karmische Effekt ist, daß ich eine Zigarette rauche und sie genieße oder mich weniger gestreßt oder hungrig fühle. Diese Wirkung wird gleichzeitig zu meiner karmischen Tendenz und wird so zur Ursache, irgendwann in der Zukunft wieder zu rauchen.
Kurz gesagt, Karma hat eine eingebaute Tendenz sich selbst zu wiederholen; und aus diesem Grund werden die karmischen Tendenzen mit der Zeit stärker und verwurzeln mehr und mehr, auch wenn wir wissen, daß sie uns nicht guttun. Um es anders auszudrücken, je länger eine Gewohnheit unkontrolliert bleibt, desto schwerer ist es, sie zu ändern. Dieses Muster kann man auch auf den Krieg anwenden.
karmische Wirkung
KARMA
karmische Tendenz
karmische Beziehung
Wie Galtung schon sagte, einige Länder sind kriegerischer als andere. Das ist ihre karmische Tendenz. Die äußere Ursache, die das an die Oberfläche bringt, ist irgendein ernsthafter Konflikt – sagen wir mit einem anderen Land. Der karmische Effekt ist Krieg, besonders wenn das andere Land ebenso eine starke Tendenz zur Aggressivität hat. Ein solcher Krieg stärkt die Aggressivität beider Länder noch. Wie auch immer das unmittelbare Resultat aussieht, der Gewinner wird dahin tendieren, sich zu seinen militärischen Fähigkeiten zu gratulieren und wird noch bereiter sein, zukünftige Konflikte loszubrechen, während der Verlierer eine Groll hegen und geloben wird, eines Tages gleich stark zu sein, selbst wenn das Generationen dauern würde.
Wenn mehrere Länder in einer bestimmten Region diese karmische Tendenz in Bezug auf Krieg teilen, wird diese Region natürlicherweise instabil und von blutigen Auseinandersetzungen gezeichnet sein – manchmal über hunderte von Jahren wie im Balkan oder Nordeuropa; oder sogar über tausende von Jahren, wie im Mittleren Osten.
Aus dieser Langzeitperspektive gesehen wird die Frage ‚Wer hat angefangen?’- das heißt, wen genau muß man für den letzen Ausbruch der Auseinandersetzung verantwortlich machen – weniger wichtig als die Frage ‚Wie können wir das beenden? Wie können wir dieses Karma des Krieges verändern?’.
Denn, machen wir hier keinen Fehler, das kann man ändern, wie Dick Causton in seinem Buch Der Buddha des Alltags erläutert:
...das unvermeidliche Wesen von Ursache und Wirkung bedeutet nicht, daß
wir latente Wirkungen vergangener Taten nicht ändern und lindern können,
bevor sie sich manifestieren. Der Frieden zum Beispiel, den die Alliierten mit
den Deutschen 1945 schlossen unterschied sich sehr von dem von 1919 und
hat sich bisher als außerordentlich dauerhaft erwiesen; das zeigt, daß Krieg
nicht notwendigerweise zu noch mehr Krieg führen muß, vorausgesetzt daß
die jedem Konflikt innewohnenden Ursachen... mit Großmut angesprochen
und behoben werden. Mit anderen Worten, wenn wir unsere innewohnende
Weisheit dafür benutzen, die richtigen Ursachen für zukünftigen Frieden zu
setzen, werden wir Frieden erreichen, egal wieviel schlechte Ursachen vorher
im Krieg gesetzt wurden.
Der Buddhismus lehrt deshalb das genaue Gegenteil von dem berühmten Ausspruch ‚Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor’. Er sagt vielmehr ‚Wenn du Frieden willst, bereite dich vor auf den Frieden’, denn, gemäß der Natur von Ursache und Wirkung, wird man, wenn man sich auf Krieg vorbereitet, beizeiten genau diesen bekommen.
DIE VORBEREITUNG AUF FRIEDEN
Aber wie genau bereitet man sich auf Frieden vor? Haben uns nicht die Lehren der Geschichte gezeigt, daß wohlgemeinte, friedvolle Absichten im Angesicht der Macht des bösen Aggressors versagt haben? Ich vermute, einige von Ihnen werden denken: ‚Was hättest du gegen Hitler getan?’ und ‚Welche Antwort hat der Buddhismus auf einen wie Saddam Hussein?’
Nun, die Antwort müßte mit einer weiteren Frage beginnen: ‚Wo wollen Sie anfangen?’ Denn Aggressoren wie Hitler oder Hussein tauchen nicht aus dem Nichts auf. Sie waren nicht einfach eines Tages mit einer mächtigen Armee da und fingen an, ihre Nachbarn zu überwältigen. Vielmehr kamen beide an die Macht als Ergebnis einer ganzen Reihe von Ereignissen – von Ursache und Wirkung – die in ihren feindseligen Taten mündeten.
Es wurde z.B. oft gesagt, daß Hitlers Emporkommen nicht möglich gewesen wäre ohne den Vertrag von Versailles, der den Groll der Deutschen hervorbrachte, und den Hitler so geschickt ausnutze. Ähnlich hätte Saddam nicht in Kuwait einmarschieren können, wenn seine Armee und Luftwaffe nicht durch den Waffenexport anderer Länder, die ihn unbedingt im Krieg gegen Iran gewinnen sehen wollten, aufgerüstet worden wäre.
Die buddhistische Annäherung möchte ich mit folgender Geschichte illustrieren: Ein alter buddhistischer Mönch versucht seinen Freund von dem Wahnsinn von Gewalt zu überzeugen. Aber sein Freund hält nichts davon. ‚Was würdest du tun,’ fragt er, ‚wenn du um eine Ecke gehst und dich von einem Schlägertrupp umzingelt findest, die drohen dich zu töten, und du feststellst, daß die einzige Möglichkeit da rauszukommen ist, zu kämpfen?’ Der Mönch überlegte einen Moment und antwortete dann:’Ich würde nicht um diese Ecke gehen.’
Mit anderen Worten, die buddhistische Herangehensweise fragt, was vorzuziehen ist – unsere innewohnende Weisheit und unser Mitgefühl zu aktivieren, um gefährlichen Situationen vorzubeugen, oder zu warten bis eine Krise ausbricht – oder schlimmer noch, dazu beizutragen – um dann harten und extrem begrenzten Handlungsmöglichkeiten ins Auge sehen zu müssen?
Um die buddhistische Haltung vollkommen zu verstehen, müssen wir begreifen, was im Buddhismus am wichtigsten ist – die höchste Würde menschlichen Lebens. Der Buddhismus behauptet, daß nichts als das Leben selbst von höchstem Wert ist – kein Gott, kein Staat, keine Religion oder Ideologie. Mit Nichirens Worten:
Das Leben selbst ist der wertvollste Schatz überhaupt. Nicht einmal die
Schätze des gesamten Universums sind vergleichbar mit dem Wert eines
einzigen Menschenlebens.
Konsequenterweise sollte das Leben nie als ein frei verfügbares Mittel zum Zweck angesehen werden. Vielmehr ist es das höchste Gut. Aus diesem Grund setzt der Buddhismus ein absolutes Verbot, jemandem das Leben zu nehmen. Er lehrt außerdem , daß, wenn man jemanden umbringt, man extrem schlechte Ursachen für sein eigenes Leben setzt, eine Ursache, die einem selbst zu gegebener Zeit enormes Leid bescheren wird. Deshalb ist Buddhismus als absolut pazifistische Religion bekannt, und es hat nie einen buddhistischen Krieg oder einen buddhistischen Kreuzzug gegeben.
Daraus folgt, daß es im Buddhismus kein Konzept eines gerechten Krieges gibt. Krieg entsteht als ein Ergebnis von Karma, das von allen Parteien, sowohl Opfer als auch Täter, gespeist ist. Was die unmittelbare Ursache betrifft, trägt die eine oder andere Seite sehr wohl eine größere Verantwortung. Aber was die darunterliegenden Ursachen betrifft – die karmischen Tendenzen der entgegengesetzen Parteien – sind alle gleichermaßen verantwortlich.
Ich akzeptiere vollkommen, daß die meisten Menschen diese Ansicht nicht teilen. Bei jedem Konflikt gilt die natürliche menschliche Tendenz, sich selbst Recht zu geben und das Gegenüber zu beschuldigen. Es ist sehr unangenehm zugeben zu müssen, daß man eine gewisse Verantwortung hat für eine Situation, die gerade zusammenbricht, möglicherweise mit verheerenden Konsequenzen.
Aber der Buddhismus lehrt, daß alles unter dem Aspekt von Ursache und Wirkung funktioniert:
Wenn Sie die Ursachen verstehen wollen, die Sie in der Vergangenheit
gesetzt haben, sehen Sie sich die Wirkung an, die in der Gegenwart
manifestiert ist. Und wenn Sie wissen wollen, welche Ergebnisse in der
Zukunft erscheinen werden, sehen Sie sich die Ursachen an, die sie jetzt setzen.
(aus dem Shinjikan-Sutra)
Was aber, wenn man sich das nicht zusammenreimen kann; wenn wir uns nichts vorstellen können, was wir gemacht haben könnten, das unser jetziges Leiden rechtfertigt? Nun, der Buddhismus lehrt uns auch, daß Karma, diese Kette von Ursache und Wirkung, innerhalb unseres ewigen Lebens wirkt. So hat das ‚unverdiente’ Leid, das wir jetzt erfahren, seine Ursache in Ursachen, die wir in vergangenen Existenzen gesetzt haben. Um einen anderen buddhistischen Text zu zitieren:
Ein Mensch, der nachts schreibt, mag die Lampe ausmachen, aber die
Worte, die er geschrieben hat, werden immer noch da sein. Das gleiche
gilt für das Schicksal, das wir uns in der dreifachen Welt erschaffen
( aus dem Ninno-Sutra)
Interessanterweise sagt derselbe Text, daß diejenigen, die besonders schlechte Ursachen in einem Leben gesetzt haben, ein besonderes Schicksal erleiden werden:
Selbst wenn er als Mensch wiedergeboren wird, wird er dazu bestimmt
sein, ein Sklave in der Armee zu werden. Die Vergeltung wird folgen,
wie das Echo auf einen Ton folgt oder der Schatten einer Form.
Starker Tobak, und wenn man nicht zur Metaphysik neigt, kann man das vielleicht schnell abtun. Aber auch ohne Metaphysik lehrt uns der Buddhismus, daß wir, wenn wir irgendeinen Schritt in Richtung Frieden machen wollen, akzeptieren müssen, daß wir selbst Teil des Problems sind und bereit sein müssen, uns zu verändern.
Was aber ist mit dem buddhistischen Bekenntnis zum Pazifismus? Das ist sicher unpraktikabel und naiv im Angesicht gegenwärtiger, realer Gefahren.
Ich denke, das ist ein völlig verständlicher Standpunkt – wenn man den Pazifismus lediglich als eine intellektuelle und moralische Opposition zum Krieg begreift. Diese Art ‚passiver Pazifismus’ ist uneffektiv, weil nicht überzeugend. Nur zu sagen, daß Töten böse oder Krieg falsch ist oder sogar daß Krieg zu nur noch mehr Krieg führt, hat kaum jemals dazu geführt, jemanden vom Kämpfen abzuhalten.
Um zu überzeugen muß Pazifismus aktiv, nicht passiv sein. Seine Anhänger sollten nicht einfach eine ethische Position einnehmen, sondern ständig darauf hinarbeiten, die Ursachen für Krieg zu verringern und die Ursachen für Frieden zu vergrößern. Dabei müssen sie auch die real existierende Angst jener berücksichtigen, die glauben, ‚Ja, Krieg mag in der Tat furchtbar sein, aber er ist ein notwendiges Übel; der letzte Ausweg für diejenigen, die sich dem noch größeren Übel, entfacht von Männern wie Hitler und Hussein, entgegenstellen.’
DIE DREI WAHRHEITEN
Also, als Buddhist und aktiver Pazifist möchte ich drei umfassende Bereiche für Aktionen vorschlagen. Zusammengenommen würden sie, denke ich, allmählich Kriege verringern und schließlich Krieg in der Zukunft auslöschen. Dieser Bereich basiert auf dem zweiten buddhistischen Prinzip, das ich vorher erwähnt habe, den Drei Wahrheiten.
PHYSISCHER MENTALER
ASPEKT ASPEKT
DREI WAHRHEITEN
WESENTLICHER
ASPEKT
Dieses Prinzip besagt, daß alle Phänomene von drei klar zu unterscheidenden, jedoch untrennbaren Perspektiven angesehen werden können – vom physischen oder materiellen, vom mentalen oder geistigen und vom wesentlichen Standpunkt aus.
Jeder der hier Anwesenden hat z.B. einen physischen Aspekt – seinen Körper. Der mentale Aspekt sind unsere Gedanken, Gefühle und Überzeugungen: die Dinge, die unseren Charakter oder unsere Natur ausmachen. Und der wesentliche Aspekt ist unser einzigartiges individuelles Leben, das ständig Ausdruck findet in unseren Körpern und Gedanken.
Der wesentliche Aspekt ist vielleicht schwerer zu verstehen als die beiden anderen. Man kann darunter den Faktor verstehen, der in unserem Leben konstant und unveränderlich bleibt, obwohl wir uns von Augenblick zu Augenblick wandeln. Während mein physischer Körper sich also radikal, seit ich ein Baby war, verändert hat, bin ich doch im Wesentlichen noch dieselbe Person. Und obwohl sich mein Verstand und mein Gefühl mehrmals im Verlauf des Tages ändern können, kommen sie doch in einer Weise zum Ausdruck, die sowohl meiner Natur als auch meinem einzigartigen Ich entsprechen.
Krieg kann auch aus der Perspektive der Drei Wahrheiten betrachtet werden.
FÄHIGKEIT BEREITSCHAFT
KRIEG ZU FÜHREN KRIEG ZU FÜHREN
physischer Aspekt mentaler Aspekt
ÄRGER
wesentlicher Aspekt
DREI WAHRHEITEN
Der pysische Aspekt des Krieges bezieht sich nicht nur auf die materiellen Kapazitäten, die notwendig sind um Krieg zu führen – militärisches Personal, Gewehre, Tanker, Flugzeuge, usw. – sondern auch auf das zerstörerische Potential dieser Fähigkeit und das Leid, das aus deren Gebrauch entsteht.
Der mentale Aspekt des Krieges beinhaltet offensichtlich militärische Strategien und Taktiken, schließt aber auch die totalitäre Haltung mit ein, die die Bereitschaft bestimmt zu kämpfen – oder eben nicht. Der mentale Aspekt des Krieges umfaßt also den Einfluß vergangener Konflikte, Tradition, erkennbare oder reale Ungerechtigkeiten, religiöse und philisophische Lehren, politische Systeme und so weiter, einschließlich mentaler und geistiger Traumata, die Krieg hervorruft.
Diese zwei Aspekte des Krieges – der physische und der mentale – sind untrennbar miteinander verbunden. Eine aggressive Nation wird – oder möchte – z.B. eine mächtige Armee haben. Diese Nation wird eine Geschichte der Kriegskunst (oder eine stolze militärische Tradition, je nach Blickwinkel unserer Betrachtung) und eine politische Struktur haben, die von einer dominanten Religion oder Philosophie untermauert wird, die jederzeit Krieg rechtfertigt oder sogar dazu ermutigt.
Im Gegensatz dazu ist ein Land mit einer kleinen Armee oder gar keiner definitiv weniger aggressiv. Kriegslust wird dort ein viel kleineres Charakteristikum der Landesgeschichte sein, und es könnte womöglich sogar einen verfassungsrechtlichen Schutz geben, um nicht in zukünftige Kriege involviert zu werden.
Kurz gesagt, wie es in den Wald hineinschallt, so hallt es heraus. Eine kriegerische Natur wird sich nach außen hin nicht friedlich zeigen; und ein kriegerisches Äußeres wird keine friedvolle Natur bezeugen. Jeder Ausdruck findet immer sein physisches Equivalent.
Das mag unverfänglich lauten – sogar Allgemeingut sein – bis wir anfangen, uns speziellen Beispielen zuzuwenden. So zweifle ich daran, daß viele Menschen im Vereinigten Königreich von England sich selbst als kriegerisch empfinden; wir sind friedvoll und anständig – mit anderen Worten, britisch. Aber unsere Geschichte – sogar die jüngere – sagt uns, wenn vielleicht auch anständig, daß wir aber sicher nicht friedvoll sind.
Seit 1945 hat die britische Armee in Korea, Palästina, Malaysia, Kenia, Zypern, in Aden am Suez, auf den Falkland-Inseln und am Golf gekämpft. Und nicht zu vergessen, Nordirland. Im Gegensatz dazu haben zwei unserer nächsten Nachbarn, Schweden und die irische Republik in keinem Konflikt mitgekämpft und es sogar geschafft, während des Zweiten Weltkrieges neutral zu bleiben.
Die meisten dieser Konflikte sind ein Überbleibsel des Empire, das durch Jahrhunderte von Krieg aufgebaut wurde – hier sehen wir wieder, wie strikt Ursache und Wirkung funktioniert. Und jeder Konflikt wurde zu seiner Zeit gerechtfertigt, obwohl z.B. Suez im nachhinein fragwürdiger erscheint. Aber wie richtig oder falsch jedes der Beispiele auch sein mag, diese Geschichte belegt trotz allem unsere kriegerische Natur. Und natürlich sind wir immer noch eine der wenigen Nationen, die Atomwaffen besitzen.
ÄRGER
In welchem Verhältnis steht nun aber die untrennbare Beziehung zwischen dem physischen und dem mentalen Aspekt des Krieges zum wesentlichen Aspekt, den der Buddhismus mit Ärger überschreibt?
Zunächst müssen wir verstehen, daß dieser Ärger nichts mit Beherrschung verlieren zu tun hat. Wie wir bereits gesehen haben, wird Krieg normalerweise mit kaltem, methodischem Kalkül geplant. Diesen Lebenszustand beschreibt der Buddhismus vielmehr als dem Leben immanent und daß wir ihn deshalb alle besitzen. Mit Dick Caustons Worten:
Ärger wird mit dem Wirken des Egos identifziert, dem Teil des Bewußtseins,
mit dem das Selbst seine Einzigartigkeit und seine scheinbare Trennung vom
Rest des Universums wahrnimmt... (Nichiren) beschreibt das Hauptcharakteris-
tikum des Ärgers als ‚Widernatürlichkeit’, womit er auf die grundlegende
Verzerrung der Perspektive anspielt, die entsteht, wenn sich das Ego in das
Zentrum des Universums stellt...Ärger ist der Zustand übermäßiger Egozentrik,
in dem wir glauben, wir wären von Grund auf besser als andere Menschen und
in dem wir der Welt mit größter Freude diese angebliche Überlegenheit demonstrieren. (aus: Op.cit.,pp. 50-1.)
Aus der Sicht des Buddhismus ist Ärger also dann der Ursprung dessen, daß wir uns von anderen abheben – unsere Selbsteinschätzung, unsere Identität. Das umfaßt nicht nur unsere persönliche Identität, sondern auch unsere soziale – als Mann oder Frau, schwarz oder weiß, Protestant oder Katholik, was auch immer. Und wann immer wir den Eindruck haben, dieses Identitätsgefühl wird bedroht, kommt unsere menschliche Tendenz zutage, dieses zu verteidigen – mental, verbal oder eben auch körperlich, mit Gewalt. Ärger ist demnach auch bezeichnend für Konflikte verschiedensten Grades.
Wir können das sehr deutlich in jenen vorher erwähnten Regionen beobachten, die eine lange Geschichte des Unfriedens durchlaufen haben – der Balkan, Nordeuropa und der Mittlere Osten. Was ihnen allen gemeinsam ist, ist die Konzentration einer breiten Vielfalt an Nationalitäten, Kulturen und Religionen in einem recht begrenzten Gebiet. Diese Mischung von Identitäten löst natürlicherweise Spannungen aus. Einige sind kreativ, da wo verschiedene Gruppen einander befruchten. Andere sind destruktiv, indem sie versuchen ihre Überlegenheit ihren Nachbarn aufzuzwingen, was unweigerlich zu Gewalt und Krieg führt. So sagt Dr. Bryan Wilson, einer der weltweit führenden Autoritäten was die soziale Auswirkung von Religion betrifft: ‚Intensive Gruppenloyalität ist fast immer gekoppelt mit der Herabsetzung anderer Gruppen.’ (aus: ‚Can religion create peace?’ ‚Peace Is Our Business, NSUK,London 1984,p.56.) Deshalb facht Ärger z.B. extremen Nationalismus an.
Ärger hat durchaus seine positiven Aspekte – unser Selbstwertgefühl wurzelt in dieser Eigenschaft, wie auch unser Gerechtigkeitssinn; und der Wunsch sich hervorzuheben hat Menschen zu großen Leistungen getrieben.
Aber all zu oft ist es für das von Ärger bestimmte Selbst schwer, sich in seiner Arroganz mit anderen zu identifizieren oder sie zu respektieren; es fällt ihm schwer einzugestehen, daß die anderen etwas beachtenswertes zu sagen haben und es ist ihm geradezu unmöglich, den anderen zuzugestehen, daß sie tatsächlich Recht haben, denn das würde bedeuten, eine Unterlegenheit einzugestehen.
Ärger – im buddhistischen Sinn – ist somit die grundlegende Ursache für Krieg, denn einen anderen Menschen, aus welchem Grund auch immer zu töten – und sei es mit einem Seufzer des Bedauerns aus 20 000 Fuß Höhe mit der Möglichkeit ‚kollaterale Schäden’ dort unten anzurichten – bedeutet höchste Respektlosigkeit den anderen gegenüber. Das ist der perfekte Ausdruck der ‚ich habe Recht, du hast Unrecht’-Mentalität, selbst wenn du recht hast und sie unrecht.
Vielmehr noch, Ärger produziert Ärger – wieder Ursache und Wirkung. Iraks Invasion in Kuwait war z.B. ein Akt höchster Arroganz – Ärger – angeordnet von einem Mann, der bei allem, was man hört, sehr wenig Widerspruch duldet, mit anderen Worten, der selbst von Ärger bestimmt ist. Aus selbigem Grund erwuchs die Antwort auch aus Ärger – Operation Wüstensturm. Und während der Eingriff der Alliierten Streitkräfte Kuwait von der irakischen Besetzung befreite, hinterließen sie auch Bitterkeit im Irak – wiederum Ärger – die zur heutigen instabilen Lage beiträgt.
Während es richtig ist, daß Krieg eine höchst effektive Maßnahme sein kann, ein Problem kurzfristig zu lösen, sagt der Buddhismus aber, daß wir niemals wahres oder anhaltendes Glück auf dem Leid anderer aufbauen können. Ursache und Wirkung werden das nicht zulassen.
Kurz, Kriegskarma entzündet sich letztlich daran, daß man Ärger in der einen oder anderen Form beibehält, und er wird sich weiter fortsetzen bis dieser wesentliche Aspekt jeden Konfliktes in Frage gestellt und verwandelt wird.
In der Tat müssen alle drei Aspekte des Krieges – der physische, der mentale und der wesentliche – verwandelt werden, um einen dauerhaften Frieden zu etablieren. Sie sind wie ein dreibeiniger Stuhl – nimm einen weg und das ganze Teil fällt um.
WAFFENKONTROLLE UND –REDUKTION
Als erstes muß die Fähigkeit, Krieg zu führen allmählich reduziert und schließlich ganz eliminiert werden. Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Versuche einer totalen Abrüstung sind in der Vergangenheit immer am nationalen Recht der Selbstverteidigung und, das muß man sagen, am ökonomischen Eigeninteresse der Waffen produzierenden Staaten gescheitert. Es ist z.B. interessant festzustellen, daß die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen auch jetzt noch für etwa acht Prozent des weltweiten Waffenexports verantwortlich sind.
Statt diese Idee als utopisch abzutun, können nichtsdestotrotz Schritt für Schritt Maßnahmen auf dieses Ziel hin unternommen werden – und werden in der Tat unternommen.
In den vergangenen Jahren sind z.B. große Schritte gemacht worden, um die Gefahr eines Atomkrieges zu verringern; viele Atomwaffen wurden zerstört. Aber wir können uns nie vollkommen sicher fühlen, solange auch nur eine existiert. Der 2. Präsident der Soka Gakkai, Josei Toda, verurteilte 1957 atomare Waffen als das äußerste Übel und rief zu ihrer totalen Vernichtung auf. Jetzt, da der Kalte Krieg vorbei ist, gibt es keine Entschuldigung für deren weitere Existenz und noch viel weniger für deren Weitergabe. Intensive Anstrengung sollte deshalb auf ihre vollkommene Vernichtung gesetzt werden.
Darüberhinaus hat der Nachfolger Todas, Daisaku Ikeda, dazu aufgerufen, die atomwaffen-freien-Zonen weltweit zu vergrößern. (siehe:’ Towards the Third Millennium:The Challenge of Global Citizenship’ Soka Gakkai, Japan,1996) Diese verbieten jedem Land Produktion, aufstellen und testen atomarer Waffen innerhalb dieser Zonen. Zur Zeit gibt es vier solcher Zonen – in Lateinamerika und der Karibik, im Südpazifik, in Südostasien und in Afrika.
Ikeda hat diese Gebiete auch dazu aufgerufen, noch einen weiteren mutigen Schritt zu tun und sich selbst als Kriegs-freie Zonen zu erklären. Diese Idee ist nicht so unrealistisch, wie sie sich anhört. Tatsächlich verzichtet jede Nation innerhalb dieser Zone auf Krieg mit den übrigen Mitgliedsländern, mit Ausnahme bei notwendiger Selbstverteidignung. Aber wenn es keine potentiellen Aggressoren innerhalb einer Zone gibt, können die Mitglieder ihre Streitkräfte abbauen und den Rest in einem Pool zur gemeinsamen Sicherheit bewahren.
Natürlich ist das keine ideale Lösung, denn jede Zone kann immer noch einen Krieg gegen Staaten außerhalb ihres Gebietes führen. Es garantiert auch nicht, daß keine Bürgerkriege zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten geführt werden – ein sich ausbreitendes Charakteristikum unsere Welt nach dem Kalten Krieg. Aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Und in der Tat ist es vergleichbar mit dem, was in der Europäischen Union bereits passiert ist, deren erklärtes Ziel es war, einen weiteren Krieg in Westeuropa zu verhindern.
Parallel dazu sollten konventionelle Waffen kontrolliert und allmählich vernichtet werden. Sie könnten z.B. weniger zerstörerisch werden. Tatsächlich gibt es seit einiger Zeit Forschungen dahingehend, Kriegswaffen zu produzieren, die den Feind handlungsunfähig machen, statt ihn zu töten – z.B. die Computersysteme zu stören und die Kommunikationswege zu unterbrechen und zu zerstören.
Einige dieser Waffen sind selbst allerdings ziemlich schrecklich – kriegerische Laserstrahlen z.B., entwickelt, um die feindlichen Truppen blind zu machen – und es gibt bereits Strömungen, die zum Verbot aufrufen. Aber nochmal, als einen stetigen Fortschritt auf eine Welt ohne Krieg hin, sollten weitere Bemühungen in dieser Richtung gemacht werden.
Darüberhinaus sollten wir auch damit beginnen, die absolute Anzahl von Waffen auf der Welt zu reduzieren. Es macht wenig Sinn, weniger destruktive Waffen zu produzieren, wenn diese zwar weniger schlagkräftig, dafür aber zahlreicher sind. Zur Zeit ist die Welt von Kleinwaffen überschwemmt. Besonders kleinere Maschinengewehre sind inzwischen so leicht zu bedienen, daß sogar neun- oder zehnjährige Kinder von skrupellosen Kommandanten zum Militärdienst gedrängt, brutalisiert und zum Töten losgeschickt werden.
Solange die enorme Anzahl von Waffen zirkuliert, ist eine sichere und friedvolle Welt unvorstellbar. Waffen bringen keine Sicherheit, sondern genau das Gegenteil. Wir brauchen z.B. nur auf die USA zu schauen, um festzustellen, daß die weite Verbreitung von Kleinwaffen mehr Kriminalität, Tod und eine ängstlichere Gesellschaft hervorgebracht hat.
Aus diesem Grund sollte meiner Meinung nach der internationale Waffenhandel als ebenso schädlich wie der internationale Drogenhandel angesehen werden – wenn nicht gar noch schädlicher. Mir ist klar, daß weltweit viele Arbeitsplätze daran hängen; aber das gleiche gilt für den Lebensunterhalt der Opium-Produzenten im Goldenen Dreieck. Wie wir alle wissen, müssen wir uns, um den Drogenhandel anzugehen, mit beiden Seiten auseinandersetzen, sowohl dem Angebot als auch der Nachfrage – und mit den Mittelsmännern, die beide verbinden. Die gleiche Argumentation sollte bei der Waffenindustrie angewendet werden.
Waffen produzierende Länder sollten nach anderen Produkten suchen, die sie herstellen und verkaufen können und nicht dem Wunsch vieler Dritte Welt Regierungen nach Waffen nachgehen – Regierungen, deren Geld in jedem Fall besser in der Entwicklung der Infrastruktur ihrer Länder angelegt wäre. Schätzungen z.B. haben ergeben, daß genügend Resourcen freigelegt werden könnten, um weltweit Hunger zu eliminieren, wenn jedes Land seine momentanen militärischen Ausgaben um nur fünf Prozent verringern würde. Und man bedenke, mit welcher Kreativität das menschliche Talent, das jetzt für Waffenforschung und – produktion verschwendet wird, eingesetzt werden könnte.
Da aber die Profitrate bei diesem Handel dermaßen hoch ist, auf beiden Seiten – es ist ein notorisch korruptes Geschäft - wäre es schlichtweg reine Fantasie zu glauben, daß Waffengeschäfte freiwillig beendet werden. Also sollten wir darauf hinarbeiten, eine Reihe verpflichtender internationaler Vereinbarungen zu treffen, die die Herstellung und den Verkauf konventioneller Waffen begrenzen und schließlich verbieten.
Das mag wiederum hoffnungslos idealistisch klingen, aber das schienen auch die Aufrufe gegen Sklavenhandel vor etwa zweihundert Jahren gewesen zu sein – ein ebenso unmenschliches Geschäft, das schließlich geächtet wurde. Und wir können uns die Tatsachen zu Herzen nehmen, daß es bereits Bewegungen in diese Richtung gibt – denken Sie z.B. nur an den kürzlichen Erlaß, Landminen zu verbieten.
Und was ist mit dem Personal auf diesem Gebiet? Werden sie alle arbeitslos sein? Nicht alle – und ganz bestimmt nicht alle auf einmal. Alle diese Veränderungen würden natürlich Zeit in Anspruch nehmen – wie Gandhi einmal sagte:’Das Gute bewegt sich im Schneckentempo vorwärts.’ Aber der heutige Trend geht sowieso in Richtung von kleineren, besser ausgerüsteten freiwilligen Armeen – Frankreich z.B. hat die Wehrpflicht abgeschafft, und viele russische Militärplaner denken auch in diese Richtung. (Es hat auch den Standpunkt gegeben, daß das nicht unbedingt ein guter Weg ist, da Wehrdienst wenigstens das Gros der Bevölkerung dazu bringt, sich mit der Auswirkung, den Krieg auf das tägliche Leben haben könnte oder hat auseinanderzusetzen. Wehrpflichtige GIs, die in Vietnam getötet wurden, veranlaßten die öffentliche Meinung in den USA, sich gegen Krieg zu wenden, während russische Wehrpflichtige, die in Tschetschenien starben, das Friedensabkommen von 1996 beschleunigten. Unter diesem Aspekt würden gut ausgebildete Berufsarmeen die Ansicht, Krieg wäre eine Art Gemeinschaftspiel unter Eliten, fördern.)
Vielmehr ist es durchaus möglich, sich die Fähigkeiten und Kräfte bewaffneter Einheiten, die zur Friedensarbeit herangezogen werden vorzustellen – z.B. bei zivilen Schutzmaßnahmen und internationaler Katastrophenhilfe. Die deutsche Armee wurde mit großem Erfolg bei dem Kampf gegen die Überflutung an der deutsch-polnischen Grenze 1997 eingesetzt; während bei dem kürzlichen Erdbeben in Afghanistan der Hilferuf vielleicht nur mit einer gut organisierten und ausgerüsteten Organisation wie der Armee hätte beantwortet werden können.
In einer Welt ohne Krieg gäbe es also noch viele interessante Möglichkeiten einer Karriere für junge Männer und Frauen, die Mutproben, Herausforderungen und Reisen in fremde Länder suchen. Und wenn sich das Weltklima weiterhin so dramatisch schnell verändert, werden sie nicht müßig gehen. Sie werden nur einfach nicht zum Töten ausgebildet sein, das ist alles.
EINE ‚KULTUR DES FRIEDENS’ ERSCHAFFEN
Alle diese Veränderungen des physischen Aspekts von Krieg hängen natürlich von den damit verbundenen Veränderungen des mentalen Aspektes ab. Wie der ehemalige Präsident von Costa Rica und Friedensnobelpreisträger Dr. Oscar Arias Sanchez sagte, daß wir uns von einer Kultur des Krieges hin zu einer Kultur des Friedens bewegen müssen.
Das wird extrem schwer werden – bei einigen Dingen mehr, bei anderen weniger. Costa Rica hat seine Streitkräfte z.B. schon 1949 abgeschafft und seinen unmittelbaren Nachbarn Panama, zu ähnlicher Handlung ermutigt. Panama hat kürzlich seine Verfassung geändert, um die legale Basis für Streitkräfte zu beseitigen.
In kriegerischeren Ländern wie dem unsrigen würden allerdings ähnliche Bewegungen auf großen Widerstand stoßen. Unsere Kultur, Geschichte und Ökonomie – all das tut sich schwer mit Entmilitarisierung und Abrüstung.
Aber Menschen in diesen Ländern könnten davon überzeugt werden, ihre Meinung zu ändern, wenn sie sicher gehen könnten, daß ernsthafte und tief verwurzelte Probleme immer friedfertig gelöst werden könnten, mittels Dialog. Während wir jedoch alle der Meinung sind, ‚schwätzen ist besser als Krieg führen’ wissen wir doch, daß oft genug reden nirgendwohin führt – besonders wenn eine der Parteien gewillt ist, einen Ausweg mit Gewalt zu suchen oder sich mit der Androhung von Gewalt durchzusetzen.
Kürzlich haben allerdings Friedensforscher wie Galtung genauer untersucht, warum ‚schwätzen’ scheitern kann. Einer der Gründe ist, wie sie herausgefunden haben, daß nicht bedacht wurde, in den Dialog alle diejenigen miteinzubeziehen, die ein legitimes Interesse an dem auf der Hand liegenden Konflikt haben. Er bemerkt z.B., daß das Friendsabkommen zwischen der PLO und der israelischen Labour-Regierung geschlossen wurde, ohne sich auch auf die Hamas oder die israelischen Oppositionsparteien zu beziehen – keine der beiden sah deshalb einen Anlaß, dieses Abkommen gutzuheißen.
Dementsprechend schlägt Galtung vor – als Voraussetzung für den Erfolg eines Dialogs – Beteiligte aus möglichst vielen Kreisen hinzuzuziehen. Dafür wendet er selbst ein grundlegendes buddhistisches Prinzip an, das ‚abhängige Entstehung’ genannt wird.
Dieses besagt, daß alle Dinge voneinander abhängig sind und daß alles nur durch die Beziehung zu anderen Wesen oder Phänomenen existiert. Abhängige Entstehung impliziert, daß es niemals nur einen einzigen, einfachen Grund für Krieg gibt, sondern vielmehr ein weites Netz von – normalerweise negativen – Beziehungen, das dieses Ergebnis produziert. Und wenn solche Todfeinde wie die USA und die Sowjetunion das Unmögliche erreichen konnten und schließlich ihre Feindseligkeit beendet haben, warum am Ende nicht die Länder des Mittleren Ostens?
Galtungs Konzept ruft auch dazu auf, den Dialog auf allen Ebenen zu organisieren, von der Basis aufwärts, so daß so viele Menschen wie möglich sich an der Suche nach friedvollen Lösungen beteiligen können. Das hat den zusätzlichen Vorteil, daß Ideen zur Lösung jeglichen Konflikts nicht von ‚Anführern’ kommen müssen oder jenen, die bereits gut begründete und meist festgefahrene Standpunkte haben: und es vergrößert die Anzahl derer, die erkennen, wenn irgendwelche Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Zusätzlich sagt Galtung, daß es notwendig ist, daß solche Beiträge durch Friedensarbeiter vermittelt werden müssen, die trainiert und ausgebildet sind in der Dynamik von Dialogen.
Natürlich braucht eine solche Annäherung Zeit und ist nicht möglich, wenn Gefühle noch ganz frisch sind – wenn man auf diejenigen stößt, die möglicherweise verantwortlich sind für den Tod von geliebten Menschen, kann das genauso zu erneuter Gewalt führen. Aber wenn Kriegsmüdigkeit sich breit macht oder Emotionen abgekühlt sind – oder noch besser, bevor ein Krieg überhaupt anfängt – hat ein solcher Prozess viel größere Chancen, zu einer bleibenden Übereinkunft zu führen, als wenn sich die Hoffnung auf die Stärke (oder Schwäche) von ein paar wenigen Auserwählten stützt.
Mehr noch, man sagt, daß Frieden im kontinuierlichen Prozess von Dialog liegt. Solange Menschen bereit sind sich zusammenzusetzen, zu sprechen und zu argumentieren, haben sie eine Chance, eine Übereinkunft zu erzielen oder wenigstens ein besseres Verständnis für einander zu entwickeln. In dem Augenblick, in dem sie aufstehen und weggehen, verschwindet diese Chance und das Spektrum von Gewalt wird wieder lebendig.
Und wiederum haben wir Beispiele aus jüngster Zeit, die uns hoffen lassen – erst kürzlich in Nordirland und Mitte der Neunziger in Südafrika. Dort haben Kommentatoren fast ausnahmslos vorhergesagt, daß der Übergang von der Apartheid zu einer ANC-Regierung sich in einer blutigen Revolution vollziehen würde. Und fast bis zum Vorabend der Wahlen im Mai 1994 sah es so aus, als würden sich diese Vorhersagen bewahrheiten. Die Tatsache, daß das so nicht eintraf, spricht meiner Meinung nach Bände über die angeborene Weisheit des südafrikanischen Volkes und ihrem Wunsch nach Frieden.
Meiner Meinung nach schlägt sich das auch in der Wahrheits-und Versöhnungskommission nieder. Friedensforschungen haben noch einen anderen Grund dafür rausgefunden, warum ‚schwätzen’ scheitert, nämlich wenn vergangene Ungerechtigkeiten nicht angesprochen oder bereinigt werden. Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission hat ihre Kritiker, möglicherweise ist sie keine ideale Einrichtung – aber welche ist das schon? Aber sie stellt zumindest ein Forum für Normalbürger aller Seiten zur Verfügung, und – ganz entscheidend – sie werden von Autoritäten gehört, die tätig werden. Auf diesem Weg kann die kochende Wut, die aus der Vergangenheit resultiert gesteuert werden. Es könnte noch viel mehr über die Wandlung der Kultur des Krieges zur Kultur des Friedens gesagt werden, besonders was für eine Rolle die Erziehung dabei spielt. Ich freue mich z.B. schon auf die Entwicklung der Friedensforschungen, nicht nur in unseren Zentren für höhere Bildung, sondern auch in unseren Schulen. Im nächsten Jahrhundert müssen wir, glaube ich, Kohorten von engagierten Friedensarbeitern ins Leben rufen und ihnen Wert beimessen, genauso wie wir heute eine große Anzahl von Ärzten und Krankenschwestern ausgebildet wird.
Aber jetzt würde ich gern bei der Rolle der Medien verweilen.
Es gibt zur Zeit eine heftige Debatte in einigen Medien über ihre Funktion in Kriegszeiten. Sollten sie versuchen über Ereignisse unemotional und objektiv zu berichten? Sollten sie Stellung nehmen, wenn es scheint,daß eine Seite im Recht, die andere offensichtlich im Unrecht ist? Sollten sie England, wann immmer es in einen Krieg involviert ist verteidigen, im Geist von ‚mein Land, ob zu Recht oder zu Unrecht’, so daß ‚unsere Jungs’ draußen im Feld wissen, daß sie von zu Hause aus unterstützt werden und der Feind sich nicht auf einer Zersplitterung der Mannschaften ausruhen kann? Oder sollten sie einen neuen Weg gehen, den des ‚Friedensjournalismus’?
Diejenigen, die sich an diese Schule halten behaupten, Medien seien nie objektive Beobachter in Konflikten. Dahinter steckt immer ein Programm – oft sehr subtil – die eine oder andere Seite zu unterstützen. Oder sie folgen ihrer eigenen Ordnung, die von den Bedürfnissen und Grundsätzen der Verleger zu Hause diktiert wird. Konflikte müssen vereinfacht und verkürzt werden, um sich den gewohnten Sendezeiten der Fernsehnachrichten anzupassen. Markante aber möglicherweise irreführende Bilder werden oft den ernsthaften, aber visuell uninteressanteren Berichten vorgezogen. Und Berichterstattungen müssen abgemildert werden, um Verärgerung der Vorgesetzten zu vermeiden, die den Zugang für das, was in den Medien gezeigt und was nicht gezeigt werden darf kontrollieren.
Friedensjournalisten denken, daß es am Vernünftigsten ist, alle am Konflikt Beteiligten anzuerkennen und Daß sie aktiv bei der Suche nach Lösungen, die harmonisieren und transzendieren mitwirken. Um aus einer kürzlich erschienenen Publikation zu zitieren, The Peace Journalism Option (veröffentlicht in Taplow Court UK,1998, Seite 1).
Friedensjournalismus wählt ganz bewußt ein Friedensprogramm in dem
Glauben, daß es die einzige Alternative zum – nicht anerkannten oder anderen - Kriegsprogramm ist. Er spürt die Gewaltkonflikte im Vorfeld auf, identifiziert
viele Parteien und noch mehr Ursachen und öffnet damit einen unerwarteten
Weg zum Dialog und zur Friedensstiftung. Friedensjournalismus humanisiert
alle Beteiligten des Konflikts und ist bereit, sowohl Betrug und Leid als auch Friedensinitiativen beider Seiten zu dokumentieren.
Das ist ganz klar ein neuer Weg und wird deshalb, nehme ich an, viele Konroversen hervorrufen. Aber es wird sehr interessant sein zu sehen, ob er Unterstützung findet und welchen Effekt er auf Haltungen gegenüber neuen Konflikten, die entstehen haben wird. Es ist ganz sicher eine Initiative, der ich zustimme.
DAS ‚KLEINERE SELBST’ ÜBERWINDEN
Letztlich jedoch hängt die Veränderung des physischen und mentalen Aspekts des Krieges von der Infragestellung und Umwandlung des wesentlichen Aspektes ab – dem Ärger. Ärger manifestiert in uns im einen Extrem Hass und Bigotterie, im anderen schlichte Gleichgültigkeit gegenüber oder Trennung von anderen.
Wie man das anstellen soll ist in vieler Hinsicht die schwierigste Frage, lehrt der Buddhismus uns doch, daß Ärger dem Leben immanent ist und niemals ausgerottet werden kann.
Er kann allerdings überwunden werden.. Buddhismus identifiziert Ärger mit dem, was man als ‚kleineres Selbst’ bezeichnen könnte, das Selbst des Egos, egoistischer Wünsche. Aber jedes Individuum besitzt auch ein ‚größeres Selbst’ – das Selbst, das anderen Gutes wünscht, und das ermutigt werden kann zu wachsen und sich zu entwickeln, wenn es den richtigen Anreiz bekommt. Das ‚größere Selbst’ ist dasjenige, das Ashoka und Ajatashatru – und Dick Causton – durch den Kontakt mit Buddhismus entdeckt haben. Andere haben es durch verschiedene Religionen und Philosophien entdeckt, oder sogar durch große Kunstwerke. Wie immer man es auch zu tage bringt, es zeichnet sich aus durch ein Gefühl von Einigkeit und Einheit, so daß die oberflächlichen Unterschiede zwischen den Menschen weniger Bedeutung finden als unsere gemeinsame Menschlichkeit.
Unsere allererste Aufgabe beim Eintritt in das 21. Jahrhundert ist deshalb meiner Meinung nach, bewußt dieses ‚größere Sebst’ ausfindig zu machen und es kontinuierlich zu stärken, in uns und anderen und es zur Grundlage aller unserer Aktivitäten zu machen.
Wie wir das tun muß jede/r selbst entscheiden. Ich kämpfe täglich mit meinem ‚kleineren Selbst’ in meiner buddhistischen Praxis – und nicht immer erfolgreich, wie einige, die mich kennen bestätigen können. Aber welche Religion , Philosophie oder Disziplin wir auch wählen, dieser Prozess muß ein bewußter Entschluß sein. Wir müssen uns entschließen unser ‚kleineres Selbst’ zu transzendieren – jeden Tag, wenn nötig – denn sich selbst überlassen, wird es sich fast immer durchsetzen – in Form von Egoismus, Gleichgültigkeit, Apathie oder schlimmerem.
Wenn jedoch unser ‚gößeres Selbst’ gewinnt, leisten wir einen positiven Beitrag – wie klein auch immer - zum Weltfrieden. Wenn wir z.B. sogar den Schmerz und das Leid eines iranischen Soldaten fühlen, als wär es unser eigener oder der unseres Vaters oder Bruders oder Onkels, werden wir nicht mehr jenen beherrschenden Kriegsstimmen, die in uns sind und von außen wirken, und die ihn versuchen als ‚den Feind’ zu entmenschlichen und ihn so zum Freiwild abstempeln, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein.
Dies also ist eine buddhistische Perspektive auf Krieg und Frieden an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert, dem neuen Jahrtausend.
Es ist eine Zeit enorm schneller Veränderungen und großer Verwirrung; um Dickens zu umschreiben – es ist die beste und die schlimmste Zeit. Die Menschheit hat niemals zuvor in ihrer Geschichte solch materielle Vielfalt oder einen derartigen technischen Fortschritt erlebt. Aber sie hat auch niemals so viel Tod, Zerstörung und Armut erlitten. Niemals war der Unterschied zwischen Besitzenden und nichts Besitzenden so groß und der Kontrast so stark. Und niemals zuvor haben wir derart massive – aber widersprüchliche – Tendenzen zur Einigkeit und Uneinigkeit erlebt.
Verbesserte Kommunikation heißt z.B., daß die Welt kleiner geworden ist als je zuvor. Wir können mehr und schneller als je zuvor übereinander erfahren. Zunehmend können wir beobachten, daß normale Menschen sich überall im Grunde ziemlich ähneln, sie haben die gleichen Hoffnungen und Wünsche, Sorgen und Probleme. Und zunehmend können wir feststellen, daß wir alle im selben Boot sitzen, und wenn wir nicht alle gemeinsam rudern, werden wir mit Sicherheit sinken – Klimaveränderung kennt z.B. keine Grenzen.
Gleichzeitig arbeiten starke Kräfte in die entgegengesetzte Richtung. Das Ende des Kalten Krieges hat auf der ganzen Welt sowohl positive als auch negative Kräfte freigesetzt, so wie
die Distanz der Supermächte mit trüber Gewißheit Raum geschaffen hat für wetteifernde Interessen.
Der Bruch zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien hat beispielsweise alte Animositäten wieder aufleben lassen. Bedenkliche Kriminalität hat in Rußland einen Aufschwung genommen und wird bereits exportiert, und weltweiter Kapitalismus wuchert und bringt seine eigene Instabilität mit sich.
Kurz gesagt, wir stehen auf der Kippe. Wohin die Waage ausschlägt auf unserem Weg in das nächste Jahrhundert hängt entscheidend davon ab, ob wir die Weisheit, die im größeren Selbst von jedem oder jeder von uns wohnt aktivieren können – oder wollen. Mit den Worten von Nichiren:
Wenn Sie sich auch nur im Geringsten um Ihre persönliche Sicherheit
sorgen, sollten Sie zu allererst für Ordnung und Ruhe innerhalb aller Himmelsrichtungen Ihres Landes beten, nicht wahr?
Ich denke, ja – denn ich bin überzeugt, daß wir gemeinsam das Kriegskarma verändern können. Gemeinsam können wir diese Gewohnheit durchbrechen – wenn wir uns dazu entschließen.
Ich möchte mit den Worten von Daisaku Ikeda schließen, dessen Roman Dick Causton vor fast dreißig Jahren auf den Pfad des Friedens gesetzt hat, und der aus diesem Grund indirekt dafür verantwortlich ist, daß wir hier heute zusammen sind. Er sagt:
An jede einzelne Person, mit der man in Kontakt kommt, vertrauensvoll zu appellieren, scheint ein bescheidener, langsamer Weg zu sein; aber alle großen Aufgaben brauchen ihre Zeit. Kontakte zu etablieren, die einzelne Menschen befähigen, das (größere) Leben in ihnen selbst zu kultivieren und zu verfeinern, kann nicht über Nacht vollendet werden. Aber das Ergebnis einer solchen Unternehmung ist der Diamant des Lebens, der von keinen äußeren Umständen zerstört werden kann, wie hart diese auch sein mögen. Der einzige Weg, der für die Menschheit übrig bleibt, ist der langsame, bescheidene, von der Art, wie ich ihn beschrieben habe. Und jeden, der über meinen Vorschlag spottet, kann ich nur fragen: ‚Welche Lösung schlagen Sie vor?’
(A Lasting Peace, Weatherhill, New York, 1981, Seite 218)
Es war mir eine große Ehre, eingeladen zu sein, um die Richard Causton Eröffnungsvorlesung zu halten. Und ich fühle mich enorm privilegiert, daß ich auf diesem Weg in der Lage bin meine Dankesschuld an Dick Causton zurückzuzahlen.
Vielen Dank Ihnen allen für Ihr geduldiges Zuhören.
(vorläufige Übersetzung von Ulrike Johannson)
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