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Essay Nr. 1

„Das Leben ist wunderschön“ von SGI-Präsident Ikeda

Raissa Maximowna Gorbatschowa,

Gattin des Präsidenten der ehemaligen Sowjetunion

„Ich werde nie aufgeben, bis der Traum in Erfüllung geht!“

Ihr Leben war immer und immer wieder Kämpfen ausgesetzt.

Aus den Augen fremder Menschen mag es wohl ausgesehen haben, als ob sie ihr Leben völlig frei gelebt hätte. Aber es dürfte kein Leben geben, das nur mit Glück erfüllt ist.

Jemand sagte: „Das Leben der Frauen ist voller Leiden, es gibt unzählige Probleme und Hindernisse. Wohl möglich, dass ihr Leben viel schwieriger ist als das der Männer.“

Dazu erwiderte sie:

„Auch in meinem Leben gab es all dies.“

Es gab die Freude der Jugend und es gab auch die Trennung von ihrer geliebten Familie. In ihrer Kindheit herrschten Krieg und Hungersnöte. Das Elternhaus verloren, musste sie tagelang im Güterzug wohnen. Nach dem Ende der Freundschaft wurde sie vom Verrat heimgesucht. Im Schatten ihres Erfolges gab es Eifersucht; Missverständnisse, Intrigen und Gefahren ums Leben. Wegen des sie überrollenden Kummers folgten schlaflose Nächte.

„Es gibt Hoffnung, solange ich lebe.“

Ihr Name ist Raissa Maximowna Gorbatschowa (1932-1999).

Sie war die Gattin des Präsidenten der ehemaligen Sowjetunion und diejenige, die den Gedanken der „Perestroika“ zusammen mit dem Präsidenten förderte.

Ich habe sie fünf Mal getroffen. Unzählige Erinnerungen haben sich mir eingeprägt. Einmal an der Soka Universität in prächtiger Kirschblüte und ein anderes Mal in der Kansai Soka Schule mit rotgefärbten Blättern der Bäume.

Im Osaka Dom (Sportarena), in dem das Friedenskulturfest der Jugendabteilung (der Soka Gakkai) stattfand, rief sie mit leuchtenden Augen: „Krasiwa (wunderschön)! Früher habe ich auch an der Spitze der Pyramide geturnt. Denn ich war die zierlichste!“

Sie war eine Person, die stets mit ernsten Augen schaute und stets ihren eigenen Gedanken unerschütterlich vertrat. Mit Anmut und Charme erfasste sie die Lage blitzschnell.

Eines Nachmittags, an dem die Kirschbäume für das Ehepaar eingepflanzt wurden, gab sich Herr Michael Sergeevich Gorbatschow (geb. 02. März 1931) absichtlich etwas beleidigt, indem er sagte: „Na nu, die Kirsche von Raissa ist größer als mein Kirschbaum!“ Dann entgegnete sie stolz, aber lächelnd: „So? Gerade deswegen muss es recht sein!“ Die Zuvorkommenheit ihrer Beziehung kam mir vor wie der Frühlingswind.

In der Vorlesungshalle der Soka Universität hing ein Foto der Moskauer Universität, das ich aufgenommen hatte. Darauf schauend sagte Herr Gorbatschow: „Oh, hier haben wir gewohnt!“ Und er zeigte mit dem Finger auf eine Ecke des Uni-Gebäudes. „Ja, ja, hier ist es.“ Frau Raissa war mit der überraschenden „Begegnung ihrer Jugendzeit“ voller Freude im Gesicht, ihre Wangen färbten sich augenblicklich.

Das Paar heiratete im Jahr 1953, als die beiden noch Student und Studentin der Moskauer Universität waren. Ihre bescheidene Hochzeitfeier soll in der Kantine des Studentenwohnheims ausgerichtet worden sein.

Strahlend, selbst wenn man die Position verliert.

Als ich sie zum ersten Mal traf, es war ein Frühling, der jetzt genau zehn Jahre zurückliegt (21. April 1992). Es war in einem Zimmer des Hotels Imperial, in dem sich Herr Gorbatschow aufhielt, dem Hotel, das an den Teich des Kaiserpalasts in Tokio angrenzt. Frau Raissa, die von einem Ausgang zurückkehrte, kam überraschend inmitten unseres Gesprächs ins Zimmer herein, während sie sagte: „Lassen Sie mich auch beiwohnen!“

In diesem Augenblick, als ich sie sah, nahm ich in mir etwas wahr, das im Nu aufsprang.

„Ah, weil diese Frau da ist, ... „

Ich gewann ein Gefühl, den Menschen Herrn Gorbatschow in seiner besonderen Tiefe verstanden zu haben. Das geschah in der Zeit, während der ich mit ihm bereits zum dritten Mal Gespräche führte. Vier Monate zuvor trat er vom Amt des sowjetischen Präsidenten zurück, denn die Sowjetunion selbst ging zugrunde.

Die Massen von Menschen, die sich im Gerangel zu ihm vordrängten, als er noch auf dem Thron der Macht saß, kehrten ihm den Rücken schneller als die See ebbt, sobald er einmal auf den Thron verzichtete.

Ich war jedoch fest im Glauben, sagte zu ihm: „Es geht von jetzt an. Eure Excellenz, von nun an beginnt Ihr wahres Leben richtig.“

Es gibt viele Menschen, die zusammenschrumpfen, sobald sie Macht und Position verlieren. Jedoch Herr Gorbatschow war hohen Mutes. Er sagte mir: „Ich werde weiter kämpfen! Denn ich bin noch immer auf der Höhe der Schaffenskraft!“

Seit der Zeit dauerte unsere Freundschaftsbeziehung mit dem Ehepaar an. Im Frühling des darauffolgenden Jahres 1993 trafen wir uns zwei Mal in Tokio und im Herbst des Jahres 1997 ebenfalls zwei Mal in Kansai (Osaka und Kyoto). Bei einer dieser Begegnungen erzählte Frau Raissa von ganzem Herzen:

„In diesen letzten Jahren haben wir nur überlebt. Unvorstellbar, dass wir trotz alledem am Leben geblieben sind. Wir haben uns viel Mühe gegeben und uns herausgefordert, um zu überleben.“

Beim fehlgeschlagenen Putsch (August 1991), der dazu führen sollte, Herrn Gorbatschow von seinem Amt zu vertreiben, war es wohl möglich, dass seine ganze Familie hätte umgebracht werden können. Auch nachdem er das Amt des Präsidenten niederlegt hatte, hörten die unbegründeten Kritiken nie auf, darunter: „Das Chaos, das im jetzigen Russland herrscht, ist auf ihn und seine Klicke zurückzuführen.“ Oder: „Die haben völlig überflüssiges getan.“

„Auszuhalten; das Leben bedeutet, zu ertragen.“

Ich habe erfahren, dass es derartige Schikane gab, um das Ehepaar mit Absicht wirtschaftlich in die Enge zu treiben, außerdem eine Bewegung, sein Verdienst um die Umsetzung der Perestroika nichtig zu machen.

Frau Raissa bemerkte einmal: „Früher dachte ich fest daran, dass Tatsachen und Geschichte unabänderbar bleiben und von niemandem widerlegbar sind. Aber jetzt habe ich begriffen, wie es in Wirklichkeit läuft, nämlich, dass die Geschichte nur so geschrieben wird, wie die Historiker sie gerne gesehen hätten, und dass selbst die Tatsachen verdreht dargestellt werden können.“ Sie sagte auch: „Das Leben bedeutet, zu ertragen, und ist eine ständige Fortsetzung des Aushaltens.“

Es war stets in meinem Sinn: „Warum müssen die Menschen verfolgt werden, die derart große Verdienste um den Frieden erworben haben! Dank dieses Ehepaars ist der Kalte Krieg doch zu Ende gegangen. Die ganze Menschheit soll dem Ehepaar dafür dankbar sein und es hoch schätzen!“

Lassen Sie uns in aller Ruhe nachdenken! Einst besaß er diktatorische Macht, die als allmächtig bezeichnet werden konnte. Was war es, das er vermittels dieser Macht bewerkstelligte? Es war, auf das diktatorische System zu verzichten und stattdessen die Demokratie einzuführen und zu fördern, um die Freiheit der Bürger zurückzugewinnen! Obwohl er selbst auf die Gefahr gefasst war, dass die Flut der Kritiken und Angriffe ihn persönlich schonungs- und skrupellos überfallen würde, sobald die „Schleuse der Freiheit“ geöffnet wird!

Wer außer ihm war überhaupt in der Lage, derartiges zu schaffen? Und dafür, dass nicht nur die Menschen in seinem Land, sondern die ganze Menschheit ohne Angst vor dem Krieg leben kann, hat er den Kalten Krieg zwischen Ost und West beendet. Obwohl manche Leute dies als Sieg des Westens bezeichneten, frage ich mich, ob das wirklich so war. Vielmehr denke ich, dass das der moralische Sieg der Menschen in der Sowjetunion war, die auf ihr nationales Prestige verzichteten und den Weg dazu öffneten, dass die ganze Menschheit in Frieden leben kann.

Ohne dass die Führer aller Länder den Kern der Ereignisse verstehen und daraus lernen, werden wir auch in diesem einundzwanzigsten Jahrhundert, das der Zeit des Kalten Kriegs folgt, keine „Welt ohne Krieg“ schaffen können.

Frau Raissa sah die Dinge klar: „Mein Mann hat Leiden und Verrat erlebt. Aber er hat seinen Kampf für die Welt fortgesetzt. Dass er das nicht für sich getan hat, kann ich beweisen, weil ich stets in seiner Nähe blieb. Denjenigen, die uns verraten haben, geht es infolgedessen schlecht.“

Es gab Menschen, die ihn verrieten, obwohl sie ihm eine große Dankesschuld zu erweisen haben. Nein, gerade besonders aus dem Grund, weil sie eine große Dankesschuld zurückzuzahlen haben, ist es möglich, dass sie die Menschen verraten. Wohl deswegen, weil sie die Tatsache, dass alles dank seiner Mühe soweit realisiert werden konnte, in ihrem Bewusstsein nicht ewig bewahren wollen.

Wenn „der“ nicht mehr existieren würde, und wenn ich „den“ zum Bösen machen könnte, hätte ich keine Veranlassung mehr, mir Sorgen zu machen! Dann würde alles in meiner Macht stehen. Dann: Ich kann mich brüsten! Und ich kann überheblich sein!

Ihr Großvater wurde umgebracht und ihre Großmutter ...

Frau Raissa schenkte mir ihre Biographie „Zusammen mit Gorbatschow“ (herausgegeben von der Yomiuri Shimbun). Darin wurde ihre Trauer über solche Menschen beschrieben, die ihre Verhaltensweise unglaublich flink veränderten. Das waren die Gesichter gleichgearteter Menschen, die auch in der stalinistischen Zeit erschienen.

„Ihre Gesichter kann ich deutlich sehen. Die Gesichter der Leute, die in den 1930er Jahren meinen Großvater verrieten. Die Gesichter der Menschen, die meinen Großvater zum Niedergang trieben. Und die Gesichter der Leute, die nur aus dem Grund, weil sie zur Familie des „Volksfeinds“ gehörten, gar keine Anstalt machten, sich den beinah im Streben liegenden Frauen zu nähern, und sogar versuchten, sich wie ein besiegter Hund insgeheim zu verstecken.“

Ihr Großvater mütterlicherseits war ein einfacher Bauer, dennoch wurde er in der stalinistischen Zeit plötzlich als Volksfeind abgestempelt und verhaftet. „Er verschwand spurlos.“ Ihre Großmutter wurde als Ehefrau des Volksfeinds von der Dorfsgemeinschaft ausgestoßen und verstarb wegen „Trauer und Hungersnot“.

Die Mutter von Frau Raissa, die zurückblieb, konnte nicht in die Schule gehen und musste von ihrem achten Lebensjahr an schwer auf dem Acker arbeiten. Wenn sie heimkehrte, wartete auf sie jeden Tag weitere Arbeit, nämlich, den Faden zu spinnen. Ihre Mutter drückte Frau Raissa fest in ihren Arm und sprach zu ihr: „Deine arme Großmutter!“ Die Säuberung, die Josef W. Stalin (1879-1953) durchführte, war der „Krieg gegen sein eigenes Volk“. So etwas darf kein zweites Mal geschehen. Nie wieder! Der Wunsch, den Frau Raissa hegte, war tief begründet.

Sie wurde am 5. Januar 1932 in der westsibirischen Kleinstadt Rubzowsk geboren. Während ihrer Mädchenzeit ereignete sich der Zweite Weltkrieg. Die Männer, die an die Front gingen, und die Frauen, die vor Angst zitternd von ihnen Abschied nahmen. Die ganze Sowjetunion wurde zum „riesigen Bahnhof“. Nachdem sie ihren Mann zur Kriegsfront schickte, blieb ihre Mutter „vor Trauer erstarrt“ stehen.

Ihr Vater (Titarenko) war Eisenbahner. Jedesmal, wenn er mit seiner Arbeit fertig wurde, zog seine ganze Familie um. Sie lebten wie die Zugvögel. Ihr Vater konnte keinen einzigen Tag frei nehmen. „Schaffen wir durch, schaffen wir durch!“ Das war ihrer Mutter gewohnter Spruch.

Ich verabscheue „es ist unmöglich“.

Mit meinen Augen glaube ich, ein Mädchen gesehen zu haben, das mit dem Zug immer weiter fährt. Die Schienen liegen unendlich vor ihr, bis zum Jenseits, in dem die Erde von Russland mit dem blauen Himmel verschmilzt. Das Mädchen schaut dieses Jenseits unbeirrt. Sie schaut nur nach vorne gezielt auf ihre eigene Zukunft. In ihren braunen Augen erscheinen immer wieder neue Gesichter, neue Bahnhöfe und neue Dörfer, und sie gehen immer weiter vorbei.

Nach vorne und immer nach vorne. Sie wollte nichts aufgeben, sie wollte auch nicht sagen, das sei unmöglich. Fürs Lernen in der Schule ebenfalls war sie so sehr bemüht und strebsam, sodass sie in allen Fächern die höchsten Punkte erreichte, wodurch ihr eine „Goldmedaille“ verliehen wurde. „Schaffen wir durch, schaffen wir durch!“ Es muss zu schaffen sein, wenn man schafft. Wenigstens: Es ist unmöglich, etwas zu schaffen, wenn man gar nichts versucht!

Frau Raissa, die anfing, an der Moskauer Universität zu studieren, entschied ihr Motto in lateinischer Sprache wie folgt: „dum spiro spero (solange ich lebe, hoffe ich)“ Korrekt, solange man am Leben ist, gibt es immer Hoffnung! Der einzige Fall, in dem Hoffnung verschwindet, tritt nur dann auf, wenn man selbst bestimmt, es gebe keine Hoffnung mehr. Erst in dieser Zeit wird Hoffnung entgültig verloren gehen.

In unserem Leben, egal mit welch verzweifelten Leiden es erfüllt sein mag, darf es nicht sein, dass es keine Bedeutung gibt. Denn das Leben gibt uns eine Chance, die uns ermöglicht, sich zu einem noch stärkeren, noch tieferen und noch gütigeren Menschen zu entwickeln. Leiden sind Herausforderungen sowie Prüfungen. Sie sind ein Signal dafür, dass man vorwärts schreiten soll, und sie bedeuten für die Zukunft einen Sprungbalken.

Frau Raissa glaubte fest daran. Selbst wenn es um eine „Welt ohne Krieg“ geht: Warum sagen Menschen einfach entschieden, dass das ein „unrealisierbarer Traum“ sei? Ist das für uns als Menschen nicht doch eine Niederlage, wenn wir von vornherein aufgeben?

Und ihr Mann, der diese Überzeugung gemeinsam mit ihr teilte, begann, ihre Träume in einer grandiosen Dimension in die Tat umzusetzen. Herr Gorbatschow, mit dem ich mich im Kreml zum ersten Mal traf (Juli 1990), sagte voller Heiterkeit:

„Als ich vorschlug, ‚Lasst uns eine Welt ohne Nuklearwaffen aufbauen!’ und ‚Dialog vor Gewalt!’ lachten die meisten Menschen, indem sie meinen Vorschlag als „ das ist eine Träumerei“ bezeichneten. Schauen Sie aber! Jetzt sind sie jedoch bereits im Prozess der Realisierung.“

Der Pazifismus von Frau Raissa war konsequent. Sie sagt:

„Krieg ist nicht gut, auch wenn man die Eroberer bestrafen müsste.“ „Wenn ich als ein gewöhnlicher Mensch denke, finde ich die Idee, die Nuklearwaffen seien unentbehrlich, eigenartig und absurd!“ Sie machte keinen Unterschied, sie sprach zu allen Menschen klar und offenherzig. Sie besaß die „wahre Intelligenz“. Anstatt Spitzfindigkeiten anzuwenden, erklärte sie alles konkret und sie kannte die Wichtigkeit gerade der Moral eines gewöhnlichen Menschen, dass wir keinen Menschen töten dürfen. Sie war stets darum bemüht, an der Seite derjenigen zu sein, die durch den Krieg zum Opfer werden.

Im Herzen von Frau Raissa, die über den Traum des Friedens sprach, lebte ihre Mutter, ihre Großmutter war auch da und weiter mehrere tausend Frauen, die sie in der lokalen Stadt Stavropol kennenlernte, in der sie 23 Jahre lang als Lehrerin tätig war. Überall, auf allen Straßen und in allen Dörfern, gab es Frauen, deren Leben durch den Krieg total zerstört wurde.

„Der einzige Mensch, der nie verraten hat.“

Frau Raissa brach zusammen. Es war wegen der akuten Leukämie. Sie wurde im Sommer 1999 festgestellt. Im Juli wurde sie in die Universitätsklinik der traditionsreichen Stadt Münster in Deutschland eingeliefert. Der Zustand ihrer Krankheit war bereits weit fortgeschritten. Herr Gorbatschow hielt sich in einem Hotel unweit der Klinik auf, begleitete sie jeden Tag mehr als zehn Stunden. Tag und Nacht über zwei Monate lang setzte er seine Pflege voller Widmung fort.

Ich habe ihm sofort eine Grußbotschaft zukommen lassen. Später erzählte er mir folgendes:

„Am 19. September ab 3 Uhr nachmittags traf ich den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder. Der Kanzler kam von Hannover bis nach Münster, wo ich mich aufhielt, extra geflogen. Die Klinik eine Weile verlassend, trafen wir im Hotel zusammen.

Danach, ab 4 Uhr, etwa eine Stunde lang gab ich ein Interview vor der Presse, sodass ich gegen 5 Uhr zur Klinik zurückkehrte. Gerade waren zwei Ärzte in der Intensivstation und behandelten Raissa, von deren Gesicht die Farbe verschwand, mit vollster Aufmerksamkeit. Innerhalb dieser zwei Stunden veränderte sich ihre Gesundheitslage plötzlich. Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen. Während dieser Zeit sollen sich die weißen Blutkörperchen explosiv vermehrt haben. Dem ersten Plan zufolge sollte vier Tage später eine Knochenmarktransplantation durchgeführt werden. Als die Ärzte ihre Gehirnströme maßen, begannen sie schon zu schwinden. Mir wurde von den Ärzten erklärt, dass die Chance der Genesung trotz Einsätze aller Kräfte eins zu einer Million sei.

Außer mir waren meine Tochter und meine Enkeltochter ab 6 Uhr ständig in ihrer direkten Nähe und pflegten sie intensiv. Aber am 20. um 3 Uhr in der Nacht --- es war soweit. Um 10 Uhr abends (fünf Stunden zuvor) kam ihr Herzschlag schon einmal zum Erliegen, obwohl wir alle sie mit unserer ganzen Kraft pflegten --- es ist schade!“

Seine Enttäuschung war unbeschreiblich tief. Sie war sowohl die Freundin, die mit ihm über ein halbes Jahrhundert lang zusammen lebte, als auch die Gleichgesinnte und die Person, die er am stärksten und am tiefsten liebte. Sie war der einzige Mensch, der ihn nie verraten hat.

Das war für ihn „ein niemals annehmbarer Verlust“. Er konnte nichts mit sich anfangen. Jeden Tag und tagtäglich ging er zum Friedhof und sprach sie an. Zur Trauerfeier, die in Moskau stattfand, kamen die Bürger, die von der Todesnachricht hörten, ununterbrochen. Ab der naheliegenden U-Bahnstation bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die den Ort der Trauerfeier umgaben.

Er erzählte: „Viele Menschen kamen zum Abschied. Es ist möglich, dass sie über die gegenwärtige Lage, in der sich die Politiker mit der moralisch verdorbenen politischen Streiterei auseinander setzen, verdrießlich geworden sind. Aus dieser Bedeutung womöglich entsteht jetzt eine neue Bewertung über die Leistung, die Raissa durch ihr ganzes Leben bewies. Ihr Grab wird unaufhörlich mit Blumen geschmückt.“

Wie jene Person gelebt hat,

Im letzten Herbst traf ich ihn wieder, als er Japan besuchte, zusammen mit ihrer einzigen Tochter Irina. Sie habe ich zum ersten Mal gesehen. Zu Frau Irina, die in ihrem Gesicht eine Ähnlichkeit mit Frau Raissa trägt, sagte ich: „Die ganzen Erinnerungen an Ihre Mutter werden ewig auch in unserem Herzen bleiben. Sie war eine Frau, die weise und einfach war und zugleich sowohl eine tiefe Liebe als auch eine eiserne Überzeugung besaß. Sie war die beste Mutter auf der ganzen Welt.“

Ich kann eine hervorragende Rede, die Frau Raissa an der Kansai Soka Schule hielt, nicht vergessen. Das war eine Grußbotschaft aus dem vollen Gefühl einer Person, die in ihrem Leben unentwegt Berge, Täler und Klippen durchwanderte.

„Im Leben gibt es Zeiten, in denen wir verschiedentliche Schmerzensschläge erleben müssen. Es ist möglich, dass die Wunde des Herzens nicht geheilt werden kann. Es ist auch wohl möglich, dass wir unsere Träume nicht immer verwirklichen können. Aber, es gibt etwas, das erreichbar ist! Irgendwelche „realisierbare Träume“ gibt es ganz bestimmt!

Deshalb: Wer zum Schluss triumphiert, ist jemand, der aufsteht, selbst wenn er hingefallen ist, und erneut weiter vorwärts schreitet. Wer aufgehört hat, seine Schritte nach vorne zu machen, akzeptiert den Tod, nicht ein Mensch, der müde und erschöpft ist. Ob wir solch einen Kampf durchführen können oder nicht, hängt von unserem ‚Herzen’ ab!“

Jetzt ist diese Rede ihr letzter Wille an uns geworden. Es war ein wunderbares Leben. Weder deswegen, weil sie die Gattin eines Präsidenten war, noch deshalb, weil sie ihr Studium an der höchsten Lehranstalt abschloss und zum Doktor promovierte.

Frau Raissa lebte aufrichtig für den „Traum ihrer Jugend“. Indem sie all ihre innewohnende Fähigkeit und ihre Position gänzlich widmete, schritt sie fortgesetzt voran, auf eine „Welt ohne Demütigung“ und auf eine „Welt ohne Krieg“ hin. Bis zum letzten Ende hörte sie mit ihren Schritten niemals auf. Die Spuren, die sie markierte, wurden für diejenigen, die ihr folgen, zu Sternen. Sterne, die alle dahin führen, „wie jene Person gelebt hat, möchte ich auch --- “

Herr Gorbatschow sagte: „Ohne sie wäre die Perestroika unmöglich gewesen.“

(aus „Seikyo Shimbun“ vom 7. April 2002)

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