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Essay Nr. 7

„Das Leben ist wunderschön“ von SGI-Präsident Ikeda

Prinz Sadruddin Aga Khan,

Der vierte Hohe Flüchtlingskommissar der UN

Befindet sich die Menschheit im Fortschritt?

Sie folgten ihnen; die Soldaten verfolgten sie weiter. Es wäre alles zu Ende, wenn sie entdeckt würden.

Sie flohen, sie flüchteten in die Wälder.

Es waren sechs Personen; sie war eine junge Mutter und ihre fünf Jungen.

Der älteste war sieben Jahre alt und der jüngste gerade zehn Monate.

Das ist die Erfahrung einer Flüchtlingsfamilie. Wie wäre es, wenn ein solches Fluchtdrama uns selbst betroffen hätte. Können wir uns etwas derartiges überhaupt vorstellen?

Es war für sie ein plötzlicher Aufbruch. Sie hatten außer dem, was sie auf dem Leibe trugen, kein Hab und Gut; sie besaßen auch keine Nahrungsmittel. Ihr Ehemann war nicht bei ihnen zuhause; er befand sich an der fernen Kriegsfront.

Alle anderen waren genauso auf der Flucht. Alle liefen aus Leibeskräften davon. Jedoch zusammen mit den Kindern konnte sie nicht schnell laufen. Im glühenden Sonnenschein liefen sie ein wenig und machten dann Rast. Wenn sie sich lange ausgeruht hätten, wären die erschöpften Kinder sofort eingeschlafen. Die Mutter ließ – mit der Strenge eines Dämons – ihre Kinder weiterlaufen.

Der zweitgrößte Junge hinkte; seine Fußzehen eiterten und waren geschwollen. Er konnte nicht mehr richtig laufen. Es war unmöglich; es war sowieso eine unrealistische Flucht. Aber, die Gewehrkugeln näherten sich unaufhaltsam.

„Warum muss ich das erleben?“, fragte sie sich.

In den Tiefen der Wälder, wo es nachts stets möglich war, dass Wölfe lauerten, rückten sie dicht zusammen und schliefen. Unaufhörlich kamen unzählige Moskitos geflogen und attackierten sie. Die Mutter musste die ganze Nacht durch schlaflos Wache halten.

Ihr dritter Sohn schlief lange nicht ein und quälte sie, indem er flehte:

„Wasser, bitte gib mir Wasser!“

Und obwohl der nächste Tag anbrach, stand er nicht auf.

Er war erschöpft; er war tot. Außer seinen kalten Körper mit gepflückten Blumen bedeckt im tiefen Wald zurückzulassen, blieb ihr ungeachtet des schmerzvollen Gefühls, als ob ihr das Herz brechen würde, gar keine andere Wahl. Sie fingen erneut an weiterzulaufen. Die Muttermilch versiegte.

Dass so etwas passierte, konnte sie sich sogar im Alptraum nicht vorstellen. Das Leben war zwar hart, dennoch konnte ihre ganze Familie in Frieden und Ruhe leben. Aber, eines Tages brach alles völlig überraschend zusammen. Denn vollkommen jenseits ihrer Kenntnisnahme wurden tragische Verwirrungen zwischen den Ländern sowie zwischen den Politikern verursacht.

Auf dem Weg hierher sah sie zahllose Leichen, darunter waren auch Babys, die zurückgelassen wurden. Sie sah ebenfalls Kinder, die angeschossen und dem Tod nah waren. Vergewaltigung, lebenslängliche Trennung und gegenseitiges Töten, es herrschte direkt vor ihr eine lebendige Hölle.

Ihre Augen fingen an, blödsichtig zu werden; ihre Hautfarbe verdunkelte sich und wurde lila. Geschweige denn die Kinder, die weit weniger widerstandsfähig waren. Nach und nach fielen ihre Kinder in sich zusammen, so mager wie dürre Bäume.

Das ist die wahre Erfahrung einer Japanerin, die sie vor über einem halben Jahrhundert auf der Flucht von China nach Japan erlebte. (aus der Sammlung der Erfahrungen „Unter jenen Sternen“, publiziert von der SGI)

Noch mehr Respekt vor Flüchtlingen!

Sie sind die Mutigen, die den Schwierigkeiten begegneten und sie besiegten.

Wenn es um das Thema Flüchtlinge geht, sind wir geneigt, zu denken, sie seien Menschen, die ganz weit weg von uns leben und mit unserem Land nichts zu tun haben. Das ist jedoch nicht der Fall.

Ihr jüngster Sohn, noch ein Säugling, musste unter dem heftigen Beschuss auf dem Rücken seines ältesten Bruders sterben. Sie wusste nicht woher, aber er ahnte möglicherweise das Nahen seines Todes, so sagte ihr ältester Sohn eines Morgens urplötzlich:

„Mutter, ich werde jetzt nicht mehr ins Heimatland zurückkehren.“

Er war das Kind, das bis zuletzt am Leben blieb.

„Was sagst du denn?“, erwiderte sie ihn ermunternd,

„Ta-chan! Nun reiß dich zusammen! Wir sind soweit gelaufen und haben es schon fast geschafft. Dein Opa und deine Oma warten sehnsüchtig auf deine Heimkehr, sie warten herzlichst darauf, dich zu sehen. Bitte strenge dich an, Ta-chan!“

Nichtsdestotrotz – indem er wiederholt sagte, „Ich werde jetzt nicht mehr ins Heimatland zurückkehren“ und seiner Mutter ein kleines Lächeln schenkte, tat er seinen letzten Atemzug.

Die Trauer der Mutter, die ihre fünf Kinder verloren hatte, konnte selbst nach mehreren Jahrzehnten nicht geheilt werden.

Nachdem sie nach Japan zurückgekehrt war, ging sie zum Meeresstrand und erinnerte sich während des Herumwanderns an ihre Kinder. Und weil sie dachte, dass die Knochen ihres fünften Sohnes, den sie weinend im Fluss in China bestattet hatte, aus welchem Grund auch immer, irgendwo gestrandet sein könnten, sprang sie, sobald sie irgendwelche großen Fischgräten entdeckte, völlig außer sich darauf zu und nahm sie in ihre Arme, im Glauben: „Es könnten womöglich seine Knochen sein.“

„Warum sind alle desinteressiert?“

Solche Tragödien ereignen sich auch jetzt in vielen Familien auf der ganzen Welt. Nein, es ist nicht ganz korrekt, wenn gesagt wird, dass sie sich auch jetzt ereignen. Denn die Zahl der Flüchtlinge ist seit damals sprunghaft gestiegen! Ja, diese Menschen, die ermahnen uns: „Wir werden verfolgt und sind halbtot. Warum seid ihr alle so desinteressiert?“

Auf diesem engen Globus leben über zwanzig Millionen Menschen, und darunter sind nahezu 80 Prozent Frauen und Kinder. Wenn man die Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind, mitzählt, wird die Zahl der Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben sind, über fünfzig Millionen betragen!

„Was meinen Sie? Befindet sich die Menschheit im Fortschritt?“

Es ist zwar schon lange her, aber ich musste Dr. Aga Kahn (geb. am 17.1.1933 in Paris) dies einmal fragen. Er ist jemand, der das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der UN lange Jahre (1965-1977) innehatte. (Die Begegnung fand im Juni 1985 in Tokio statt)

Bei einer Hilfsaktion für Flüchtlinge, die während der Unabhängigkeit Bangladeschs im Jahr 1971 durchgeführt wurde, fragte man ihn, zu welcher politischen Position er stehe. Er antwortete darauf:

„Ich bin weder pro Pakistan noch pro Indien, sondern pro Flüchtlinge!“

Er ist ein internationaler Humanist, der aus einer adligen indischen Familie der islamischen Welt stammt und die höchste Ausbildung im Westen genossen hat.

„Herr Khan, jetzt gelangen beispielsweise Nachrichten zu uns, die über die unbeschreiblich elende Situation der Menschen wegen der in Äthiopien herrschenden Dürre berichten. Wenn die Menschen derartige Berichte erfahren, werden sie alle im Herzen von Schmerzen erfüllt sein und ganz natürlich ihre Tränen fließen lassen. Ich denke, das ist sicher eine selbstverständliche Folge des humanistischen Gefühls. Nichtsdestotrotz fühlen sich weder führende Persönlichkeiten noch das einfache Volk in Wirklichkeit dazu motiviert: ,Wir müssen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen und die Menschen retten!’

Es mangelt ihnen an Tat und Handlung. Warum? Warum treten Lichtstrahlen und das starke Mitgefühl nicht explosionsartig hervor? Es ist aber nicht so, dass es kein Mittel zur Rettung gebe, es fehlt an Motivation, retten zu wollen. Die Verantwortung der Politiker insbesondere ist riesig groß. Meines Erachtens ist es eine Realität, dass die Herzen der Menschen im allgemeinen dahin tendieren, im Laufe der Zeit immer schlechter zu werden. Kommt es Ihnen nicht so vor, dass die Herzen der Menschen im Gegensatz zu denen von vor hundert oder dreihundert Jahren allmählich härter und kälter geworden sind?“

Natürlich ist mir wohl bekannt, dass es bei der Flüchtlingsfrage viele komplexe und tiefverwurzelte Probleme gibt. Es ist auch klar, dass „warme Herzen“ allein nicht genügen; es muss auch den „kühlen Verstand“ geben. Was notwendig ist, ist eine globale Politikwissenschaft, die an der Seite der ärmsten Menschen steht. Aber ohne „warme Herzen“ kann eigentlich kein Kampf für den Frieden beginnen.

Herr Aga Khan erklärte zuerst die politische Problematik: „Das Gefühl des Misstrauens, das in der Beziehung zwischen den Großmächten existiert, liegt allen Problemen zugrunde.“, und er fuhr fort: „Die Regierung, von der wir sprechen, neigt leicht dazu, das Gefühl des Misstrauens absichtlich zu schüren.“

Das war eine Erklärung, die treffend auf den Kern der Problematik hinweist. Also, das größte Problem liegt bei den Politikern.

Des weiteren erzählte er: „Die moderne Zeit, in der wir leben, mag wohl ein Zeitalter sein, in dem die Menschen vor dem Leiden anderer leicht ‚gefühllos’ werden. Beispielsweise die Art und Weise der Kriegsführung: Früher versuchte man, den Gegner direkt mit dem Schwert zu töten oder zu verletzen. Aber heute kann man mit einem Knopfdruck eine Massenvernichtung auslösen. Die Art und Weise der Kriegsführung ist somit mechanisiert und enthumanisiert. Obwohl sich Wissenschaft und Technologie im zwanzigsten Jahrhundert über unsere Vorstellungskraft hinaus großartig entwickelt haben, kann man dennoch den Aspekt nicht verneinen, dass gerade ihr Fortschritt das „Desinteresse für andere“ erzeugt hat. Dies gilt auch für die Fernsehprogramme: Angenommen, im TV wird eine grausame Szene gezeigt. Was muss man tun, wenn man seine Augen davon abwenden will? Es genügt, nur das Programm zu wechseln!“

Sobald umgeschaltet worden ist, verschwindet aus unseren Herzen die Erscheinung der Flüchtlinge, jedoch kann die Realität der Flüchtlinge nicht gelöscht werden.

Aus Kambodscha kam ein junger Mann nach Japan; sein Vater war erschossen worden, und seine Mutter wurde auch getötet. Ohne Hab und Gut kam er bis nach Japan. Er dachte vorher: „Japan ist ein Land, in dem die Verfassung des Friedens herrscht, das Land, das erklärte, dass es für den Frieden nicht mit Waffen, sondern durch Dialoge kämpft. Japan ist eine führende Nation in Asien.“ Kam er mit diesem Verständnis nach Japan, wurde er dennoch von den Menschen herzlos behandelt: „Warum bist du gekommen? ... Es ist belästigend.“

Unter denen, die er traf, gab es auch nette Menschen. Dennoch musste er bei der Wohnungssuche folgendes erleben: Nach der Frage „Sind Sie vielleicht Flüchtling?“ erhielt er eine glatte Absage. Obwohl er gerne in die Schule gehen wollte, waren die Unterrichtsgebühren zu seinem Verzweifeln unbezahlbar. Seine Chancen, eine Arbeit zu finden, waren ebenso äußerst begrenzt.

„Weil die öffentliche Meinung auf internationaler Ebene uns Japanern lästig ist, müssen wir zulassen, dass ihr in Japan bleiben könnt. Aber ihr müsst für unsere Großzügigkeit schön dankbar sein. ... Seid bescheiden, stellt keine Ansprüche! Kehrt zurück, falls euch das nicht passt!“

Solche indirekte, unausgesprochene kritische Äußerungen, sagte er, gingen ihm durch Mark und Bein. Er sagte zu sich: „Könnt ihr überhaupt verstehen, warum ich meine Heimat verlassen habe? Ich hätte sie nicht verlassen, wenn ich ohne Schwierigkeiten wieder zurückkehren könnte!“

Sind die Menschen, die zufälligerweise in einem friedlichen und wohlhabenden Land geboren worden sind, den Menschen, die unter schlechten Bedingungen leben, überlegen? Ist es selbstverständlich, dass wir allein, wohlbehütet und sorgenfrei leben können? Wir würden zu Menschen mit dem Charakterfehler, keine Seele zu besitzen, wenn wir diese Dinge derart missverstehen würden.

Es geht nicht darum, „einfach zu geben“, sondern „zurückzugeben“

Allerdings habe ich nicht die Absicht, in diesem kurzen Aufsatz die Flüchtlingsprobleme ausführlich zu behandeln. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass sie nicht allein die Angelegenheit der fremden Menschen sind, und dass wir die Menschen, die Flüchtlinge genannt werden, respektieren müssen.

„Nicht allein die Angelegenheit der fremden Menschen“ bedeutet zweierlei; die eine Bedeutung liegt darin, dass solche Ereignisse einschließlich der großen Naturkatastrophen völlig unerwartet auf uns zukommen können, und die andere liegt darin, dass ein Teil der Verantwortung dafür, dass sie zu Flüchtlingen geworden sind, auch auf uns zurückzuführen ist.

Wie gesagt, möchte ich nicht ins Detail gehen. Dennoch ist es klar, dass, wenn irgendjemand hungert, es die wohlhabenden Länder sind, die ihn seines Anteils berauben, obwohl sie selbst von diesen armen Ländern abhängig sind; in bezug auf Rohmaterial, Absatzmärkte und viele Nahrungsmittel.

Nachrichtsendungen liefern ununterbrochen einerseits Berichte über mehrere Millionen Menschen, die unter dem „geschafften Hunger“ leiden, und in den reichen Ländern andererseits gewinnen Sonderausgaben der Zeitschriften oder Kurse „Wie kann man schlank werden?“ stets von unzähligen Menschen große Aufmerksamkeit!

In der ganzen Welt werden jedes Jahr insgesamt über eine Billion Euro für den Militäretat ausgegeben, und im Gegensatz dazu hat die UNHCR lediglich ein knappes Tausendstel der gesamten Militärausgaben als ihren Jahresetat zur Verfügung!

Gibt es in einer solchen Gesellschaft Gerechtigkeit? Wenn wir aber von der Menschheit der Zukunft ausgesehen im Rückblick betrachtet werden würden, würden wir wahrscheinlich als barbarische Gesellschaft verurteilt werden, gleich wie wir von der heutigen Sicht aus die einstige Epoche der Hexenjagd verurteilen.

Der Menschheitsfamilie zu helfen, bedeutet, uns und unseren Nachkommen zu helfen

Dr. Aga Khan ist der Gründer der humanitären Organisation „Bellerive Foundation“ und setzt sich für Umweltschutz, Reduzierung der Nuklearwaffen sowie für Aktivitäten, Jugendliche zu unterstützen, unermüdlich ein. Die Grundphilosophie seiner Foundation lautet „Gegenseitige Abhängigkeit“.

Jeder hängt von jedem ab – im Buddhismus wird diesbezüglich ein Prinzip gelehrt, das „Engi (Entstehen durch die gegenseitige Einflussnahme)“ genannt wird. Das heißt, alles hängt miteinander zusammen. Es gibt nichts, was allein und in keinem Zusammenhang existiert. Wenn jemand unter der Hungersnot leidet, bedeutet es, dass wir selbst zu der Hungersnot direkt oder indirekt beitragen. Weil wir die schwere Last, die wir alle, die ganze Menschheit, uns eigentlich gemeinsam auferlegen müssten, solchen Menschen aufzwingen.

Aus diesem Grund heißt Flüchtlingshilfe sicher nicht, dass wir ihnen etwas „geben“, sondern dass wir wohl zumindest ein Zehntausendstel dessen, was wir ihnen geraubt haben, „zurückgeben“. Wiederum heißt es nicht, dass wir den armseligen Menschen helfen, sondern dass unser Streben, die Welt, in der wir leben, gerecht zu gestalten, dazu beiträgt, uns selbst und unseren Nachkommen zu helfen.

Dafür, dass wir gegenwärtig sorgenfrei in Frieden und Sicherheit leben können, müssen wir entschädigen, und für diese „Entschädigung“ müssen wir irgendetwas tun und handeln. Um die verdrehte Struktur der Gesellschaft und Wirtschaft selbst ein wenig gerecht und richtig zu stellen, um den Entmilitarisierungsprozess der Welt voranzutreiben, um die Idee und den Gedanken für die Humanität zu verbreiten und um die Herzen der Menschen zu verändern, muss es für jeden einzelnen von uns irgendetwas zu tun geben, auch wenn das nur einem Tropfen Wasser des Ozeans gleichen könnte.

„Als Mensch unerträglich“

Als ich ihn traf, war Herr Aga Khan einer der Ko-Vorsitzenden der „unabhängigen Kommission für internationale humanitäre Angelegenheiten“, deren Gründung auf der Vollversammlung der UN vorgeschlagen und verabschiedet wurde. Frau Sadako Ogata (geb. am 16.9.1927 in Japan), die im späteren Zeitraum als Hohe Flüchtlingskommissarin der UN (1990-2000) einen großen Beitrag geleistet hat, war als Vizevorsitzende der genannten Kommission mit anwesend.

In einem Bericht „Über Flüchtlingsprobleme“, den die Kommission abgab, schrieb Herr Khan:

„Es ist für mich als Mensch unerträglich, ohne konkret zu handeln anzusehen, dass mehrere Millionen Menschen jetzt in diesem Zeitalter von Aufklärung und epochalem Fortschritt in Zelten – selbst vorübergehend – elend leben müssen. Auf dem Globus gibt es nicht wenige Gruppen von Flüchtlingen, die wie zum Beispiel die Palästinenser von Geburt an lediglich in solch elender Umgebung ihre Behausung finden und nur ein voller Verzweiflung und Diskriminierung erfülltes Leben kennen. Zweifelsohne hätte die heutige internationale Gesellschaft Mittel, solche Menschen zu retten. Was jetzt unbedingt erforderlich ist, ist der Wille, diese Rettungsaktionen durchzuführen.“ (sinngemäße Rückübersetzung)

Herr Aga Khan rief die Planer der politischen Konzepte dazu auf, die Ideen ihrer Intelligenz und Weisheit so hart und streng in die Tat umzusetzen, so wie die Flüchtlinge ihre starke Vitalität zeigen, indem sie den schweren Bedingungen trotzen und weiter leben.

Ein japanischer Fotojournalist berichtet:

Einmal ging er ins palästinensische Autonomiegebiet und begegnete im Gazastreifen einem Mädchen, das Trommeln als Souvenir verkaufte. Die Trommel aus unglasiertem Ton war mit Ziegenleder bespannt. Eine Trommel kostete weniger als fünfzig Yen (umgerechnet ca. 50 Cent). Er kaufte eine. Diese Trommel in der Hand stieg er in den Bus ein. Dann kam das Mädchen zum Fenster, an dem er Platz nahm, und bat ihn, noch eine Trommel zu kaufen. Ihm wären aber zwei Trommeln zuviel gewesen. Daher kaufte er keine zweite. Und dabei fiel ihm ein, für dieses arme Flüchtlingsmädchen etwas zu tun. So legte er schnell Kleingeld in ein zusammengefaltetes Papier und warf es aus dem Fenster des Busses. Das Kleingeld, das unmittelbar vor ihre Füße fiel, kullerte umher.

Und die Augen des Mädchens, als sie das beobachtete! Sie starrte ihn scharf an. Es waren die Augen, die ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarfen. Obwohl die Kinder, die das Mädchen umgaben, flink auf das verstreute Kleingeld zusprangen, machte sie keine Anstalt, es ebenfalls aufzusammeln. Sie stand unbewegt und starrte ihn fortgesetzt an.

Er schreibt: „Da habe ich begriffen, dass sie keinesfalls vorhatte, bei mir Mitleid zu erregen. Sie ersuchte auch um keine Wohltätigkeit, sondern sie wollte sich nur einen gerechten Lohn erwerben. Darüber hinaus habe ich gespürt, dass ihr vorwurfsvoller Blick aussagekräftig auf die Verantwortung von uns allen und der ganzen Welt hinwies, also unsere gemeinsame Verantwortung für den Grund, warum sie und andere in solch eine Situation getrieben wurden.

Während sie mich streng anstarrte, richtete sie ihren Schmerz und Zorn auf mich und strahlte gleichzeitig die unantastbare Würde als Palästinenserin aus, obwohl sie noch jung war. Das hat mich überwältigt.“ (aus „Palästina – Kinder in Schutt und Asche“)

„Schau diese Menschen an!“

Flüchtlinge sind niemals und keinesfalls minderwertige Menschen, sondern sie sind die Mutigen, die den Schwierigkeiten begegneten und sie besiegten. Sie sind die Menschen, die mit aller Kraft dafür gekämpft haben, auf dem Boden, in den lediglich Samen der Verzweiflung gesät wurden, die Blüten der Hoffnung aufzuziehen und zu pflegen.

Es gibt niemanden, dem unbekannt ist, wie großartig der Mut der jüdischen Flüchtlinge war. Auch im Konzentrationslager Auschwitz war eine junge Jüdin fröhlich, obwohl sie sich ihres nahenden Todes bewusst war. Es wird berichtet:

„Dennoch bin ich für das Schicksal dankbar, das mir ermöglichte, solch furchtbaren Schlägen zu begegnen. ... Warum? Weil ich früher in einem bourgeoisen Leben sehr verwöhnt war und mich nicht ernsthaft anstrengte, um der spirituellen Suche zu folgen.“ (aus „Erlebnis eines Psychologen im Konzentrationslager“, Dr. Viktor Frankl, sinngemäße Rückübersetzung)

Das Leben ist nicht dafür da, sich Schönes anzuziehen, Leckeres zu speisen und angenehm zu wohnen, sondern das Leben ist dafür da, uns selbst menschlich zu revolutionieren.

Es war in Mosambik, einem Land des afrikanischen Kontinents, in dem ein Bürgerkrieg herrschte. Mehrere Güterzüge, die an einer Bahnstation standen, waren mit inländischen Flüchtlingen gefüllt. Es gab eine Mutter, die ihr Baby unter einem der Wagons stillte. Sie wurde von zehn Kindern begleitet. Die Zahl der Kinder wuchs stetig, weil sie die Kinder aufnahm, die ihre Eltern verloren hatten. Sie sprach:

„Alle Kinder sind gleich, seien es meine eigenen, seien es die der anderen. Auch das Essen teile ich gerechterweise mit allen zehn Kindern.“ (aus dem Fotoalbum „Kinder, denen Totto-chan begegnete“)

Aus den Menschen heraus, deren menschliche Würde verneint wurde, strahlt die Menschenwürde am hellsten. Und die Menschen, denen das Recht für das Weiterleben nicht gesichert wurde, lehrten den Wert des Weiterlebens am tiefsten. Wie erhaben sind sie denjenigen gegenüber, deren Seele im Meer überlaufender Konsumgüter aufgeweicht leben!

Sicher gibt es eine Gefahr, dass die geleistete humanitäre Hilfe politisch wie militärisch missbraucht wird und dadurch mit dazu führt, die Zahl der Flüchtlinge zu vermehren, oder auch solche Fälle, dass die Flüchtlinge selbst als Täter fungieren, die Bürgerkriege zu schüren.

Nichtsdestotrotz, nein, gerade deshalb ist der „gleichgestellte, unparteiische Dialog“ auf der Basis der Menschlichkeit von großer Notwendigkeit. Es gibt keinen Menschen, der „Flüchtling“ heißt. Wir dürfen niemandem einen solchen Titel verpassen und damit die großen Fähigkeiten der Menschen in einen Käfig namens „Flüchtling“ einsperren.

Dr. Albert Einstein (1879-1955) war ein Flüchtling; Frau Marie Curie (1867-1934) und Marc Chagall (1887-1985) waren ebenfalls Flüchtlinge. Amerika als Staat entstand durch Mühe und Kraft der Flüchtlinge und Einwanderer. Indem Frankreich die Vielfältigkeit der Flüchtlinge akzeptierte und sie hochschätzte, bereicherte es seine Kultur nachhaltig.

Beispielsweise ist ein Flüchtling Doktor der Medizin. Es ist möglich, dass ein Land, in dem das humanitäre Bewusstsein noch niedrig ist, ihn als Flüchtling in Bereichen beschäftigt, die mit seinem Fach Medizin nichts zu tun haben. Das ist für die Gesellschaft ein Verlust. Ich habe erfahren, dass Länder, deren Bevölkerung im humanitären Bewusstsein ein hohes Niveau erreicht haben, die Menschen zuerst fragen, die über unsagbare Schwierigkeiten hinweg gekommen sind: „Was können Sie tun? ... Was möchten Sie machen?“

Sie suchen gemeinsam nach der besten Möglichkeit, dass sie ihre Kapazität voll entfalten und weiter ihre Träume verwirklichen können. Das ist der Weg, auf dem es sich sowohl für diese Personen als auch die Gesellschaft lohnt.

Obwohl die Aufnahme der Flüchtlinge in fast allen Ländern, wenn die Wirtschaft schlechter geht, zunehmend in Kritik gerät, gibt es doch noch Menschen, die sich fortan darum bemühen, die Kapazitäten der Flüchtlinge entfalten zu lassen, während sie gegen jegliche Unterdrückung tapfer kämpfen.

Die Hoffnung der Menschheit geht von hier aus

Dr. Aga Khan leistete von jeher einen großen Beitrag für die Hilfe der afghanischen Flüchtlinge. Angesichts der überwältigenden Probleme war er dennoch zuversichtlich und besaß volles Vertrauen in ihre Zukunft. Er sagte:

„Einer der Gründe, warum ich optimistisch bleiben kann, liegt darin, dass ich die Afghanen bedingungslos respektiere. Ihr Mut, ihre Würde und ihr Geist der Unabhängigkeit: Sie sind edel und sehr zäh; sie sind sowohl an die strenge Umgebung als auch an das Klima gewöhnt. Ich bin von ihrer Fähigkeit, ihr eigenes Land wiederaufzubauen, fest überzeugt. Aber dafür, dass sie sich selbst helfen können, ist eine Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erforderlich.“

Die Historie belegt, dass die Hoffnung der Menschheit stets aus den unterdrückten Menschen entstand. Es kommt für uns darauf an, ob wir ihre noch verborgene Schöpfungskraft von tiefem Herzen respektieren können. Die Menschen, die völlig vergessen in eine Ecke der Welt vertrieben wurden, in die Mitte des Interesses der internationalen Gemeinschaft zu stellen und von da aus eine neue Idee für die Zukunft zu schöpfen. Dann beginnt das wahrhaft neue Jahrhundert.

(aus „Seikyo Shimbun“ vom 23. Juni 2002)

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