1600041780 a:2:{s:7:"content";s:13303:"

Sange

von Richard Causton (Forum 12/90)

“Durch aufrichtige Reue wird sogar unveränderliches Karma ausgelöscht werden, ganz zu schweigen von veränderlichem Karma.” (Dt. Gosho, S. 82)

Was heißt Sange wirklich? Die meisten Menschen würden antworten: ”Es heißt, sich beim Gohonzon zu entschuldigen.” “Aber bei wem und für was entschuldigen”, entgegnen wir verständlicherweise. “Schließlich ist Gohonzon kein Gott, warum sollte ich mich daher entschuldigen müssen, besonders, wenn es für etwas ist, was ich in einem vergangenen Leben getan habe, von dem ich nicht einmal etwas weiß. Das hört sich an wie eine Beichte!” Trotzdem bleibt die Gosho dabei. “Selbst bei kleinen Verleumdungen”, heißt es in der Konichi-bo-Gosho, ”wenn Sie kein Sange machen, können Sie es nicht vermeiden, in die bösen Pfade zu fallen. Aber selbst wenn Sie schwere Verleumdungen begehen, wenn sie Sange machen, können Sie diese Verleumdungen auslöschen.” (Gosho Zenshu, S. 926)

Die Gosho “Antwort an Ota Nyudo” erklärt weiterhin: “Das Nirwana Sutra stellt, indem es sich auf das Lotos-Sutra bezieht, fest: selbst Verleumdungen des Wahren Gesetzes werden ausgelöscht, wenn jemand bereut und den Glauben an das Wahre Gesetz annimmt ... Er sollte sich dem Wahren Gesetz widmen, weil keine andere Lehre ihn retten und beschützen kann.” (MWND, Bd. 2, S. 250)

Was also heißt Sange wirklich? Und wie kann man dies tatsächlich tief in seinem Leben tun?

Dass der Eindruck entsteht, dass Sange wie Beichte klingt, ist verständlich, denn Sange ist ein Begriff, der bereits in alten buddhistischen Schriften benutzt wurde und erst sehr viel später in der Geschichte von christlichen Missionaren in Japan übernommen und übersetzt wurde in der Bedeutung von “vergangene Sünden zu bereuen und diese einem Priester oder zu Gott zu beichten.” Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass jemand, der in die christliche Tradition des Westens geboren wurde, Sange leicht falsch interpretiert. Die ursprüngliche buddhistische Interpretation ist jedoch völlig anders. Sie ist enthalten im Bodhisattwa Fugen-Sutra und lautet wie folgt: “Wenn Sie Sange zu machen wünschen, sitzen Sie aufrecht und meditieren Sie über das wahre Wesen des Lebens.” Dieses wird in buddhistischer Terminologie weiter erklärt als “Nachdenken über den Grund ihrer vergangenen Verleumdungen und Sünden, die aus Ihrer Ignoranz und Ihren Illusionen über das Leben entstanden sind. Indem Sie den wahren Aspekt Ihres Lebens erkennen und die Ihnen innewohnende Weisheit des Buddhas enthüllen, können Sie Sange machen.” Mit anderen Worten: Sange ist nicht nur eine “Entschuldigung”, sondern heißt vielmehr, mit dem ganzen Herzen und mit unermeßlich tiefem Bedauern zu erkennen, dass die gegenwärtigen Leiden von einer inneren Ursache im Leben herrühren, die nicht nur der Anlaß war, den Gohonzon, das fundamentale Lebensgesetz des Universums, im vorigen Leben zu verleumden, sondern die auch in diesem Leben weiterhin Wirkung zeigt. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, drei wichtige Punkte annehmen zu können, um die wahre Bedeutung von Sange zu verstehen.

1.) Der Buddhismus erklärt in den 10 Faktoren des Lebens, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung sich selbst in vier verschiedenen Arten manifestiert. Es sind dies Nyose-in, Nyose-en, Nyose-ka, Nyose-ho, zu deutsch: Innere Ursache, äußere Ursache, innere Wirkung, äußere Wirkung. Ein Beispiel dafür: Wenn ein Glas Wasser, welches sauber erscheint, mit einem Löffel umgerührt wird und das Wasser wird trübe, dann ist die Ursache für die Trübung nicht der Löffel (die äußere Ursache), sondern die Tatsache, dass Schmutz im Wasser ist (die innere Ursache). Deshalb beschäftigt sich der Buddhismus nicht mit dem Löffel, sondern mit dem Schmutz im Wasser, dem negativen Karma. Damit wird deutlich, dass es keine große Rolle spielt, was man tatsächlich in der Vergangenheit getan hat, was also die äußere Ursache war, z. B. jemanden gehaßt zu haben oder jemanden an der buddhistischen Ausübung gehindert zu haben. Wichtig ist die innere Ursache, die der Anlaß war, so zu handeln, da dieselbe innere Ursache immer noch tief im Leben existieren kann und daher weiterhin den Anlaß zu leiden in sich birgt.

2.) Das Gesetz zu verleumden heißt nicht nur, gegen den Buddhismus zu sprechen, jemanden zu hassen, jemanden an der buddhistischen Ausübung zu hindern oder Disharmonie unter den Mitgliedern zu schaffen, auch wenn dies einige der schlimmsten Formen sein mögen. Tatsächlich ist Verleumdung jede Handlung, die eine Nichtachtung des Lebens beinhaltet. Daher sind Umweltverschmutzung, Ungerechtigkeit, der Mißbrauch von Geld oder Besitz anderer Menschen und natürlich Mord und andere kriminelle Handlungen alles Verleumdungen. Selbst den eigenen Körper durch unmäßiges Essen und Trinken zu mißachten, ist Verleumdung. Weil jeder Mensch die sechs niederen Welten in sich birgt, und besonders die drei Gifte (Habgier, Ärger und Ignoranz), ist es selbst für jemanden, der den Buddhismus ausübt, unmöglich, keine Verleumdungen zu begehen. Dies ist einer der wichtigen Gründe, warum “Ausübung wie fließendes Wasser” so wichtig ist, denn dadurch setzt man fortwährend große Ursachen, die unbeabsichtigte Verleumdungen ausgleichen.

3.) Es gibt unzählige verschiedene Arten von äußeren Ursachen für Verleumdungen des Gesetzes, und es ist unmöglich, dahinterzukommen, welche besonderen Verleumdungen man in der Vergangenheit begangen hat. Außerdem ist es unnötig und gar nicht wünschenswert, sie sich vorzustellen, denn die innere Ursache ist unglaublich einfach und grundlegend. Es ist eins der drei Gifte, die das eigene Leben und das aller anderen Menschen in dieser Welt umgeben. Mit anderen Worten ist es entweder Habgier, Ärger oder Ignoranz gegenüber der wahren Bedeutung und Natur des Lebens - Ignoranz, die nicht nur blinde Dummheit erzeugt, sondern auch Furcht, besonders Furcht vor dem Unbekannten. Warum leidet man unter Habgier, Ärger oder Furcht? Darauf gibt es eigentlich nur eine Antwort. Aus Habgier versucht man, in diesem Leben an sich zu reißen, was man nur bekommen kann; Ärger zeigt sich in Form von Arroganz oder Verachtung, weil man Macht erringen will; voller Furcht und ohne Vertrauen in sich selbst, errichtet man Barrieren und Gitter, um die eigene wahre Natur zu verstecken - nur weil man an der unbeschränkten Kraft des Gohonzons zweifelt (in anderen Worten ihn verleumdet) und besonders daran, dass er nirgendwo anders als in einem selbst existiert. Wenn man ohne den Schatten eines Zweifels wüßte, dass der Gohonzon - die Buddhaschaft, Quelle allen Mutes, Weisheit, Mitgefühl und Glück - im eigenen Leben erstrahlt, würden Ärger, Gier und Ignoranz oder Furcht ganz natürlich überwunden werden und mit ihnen die Leiden, die aus ihnen entstehen. Das Lotos-Sutra erklärt das so: “Wenn Sie wünschen, Sange zu machen, sitzen Sie aufrecht und meditieren Sie über das wahre Wesen des Lebens und alle ihre Vergehen werden wie Frost und Tautropfen im Sonnenlicht der erleuchteten Wahrheit verschwinden.” Mit dem “wahren Wesen des Lebens” ist hier der Gohonzon oder Nam-Myoho-Renge-Kyo gemeint.

Vielleicht wird es nun deutlich, dass tiefes Sange ein Prozeß ist, der die folgenden Punkte beinhaltet:

“Wenn die Japaner bereuen, werden sie wie König Ajatashatru sein, der ein starker Anhänger des Buddhismus wurde, dadurch seine Lepra heilte und sein Leben um 40 Jahre verlängerte. Wie Ajatashatru werden sie sich trotz ihres vorherigen Unglaubens zum Glauben bekennen und zur Ewigkeit des Lebens erwachen.” (Dt. Gosho, S. 25)

Es ist natürlich wertvoll, täglich während des Gongyos eine Form von Sange zu machen, und damit ernsthaftes Bedauern für jede Verleumdung auszudrücken, die man wissentlich oder unwissentlich in der Vergangenheit begangen hat. Es ist unnötig zu sagen, dass dies nicht automatisch, sondern von Herzen kommen sollte, immer von dem frischen Entschluß gefolgt, den Willen des Buddhas für Kosen-rufu zu erfüllen. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass das nicht das tiefe Sange ist, wie es in diesem Artikel beschrieben wird. Gemeint ist vielmehr jene tiefgründige Erfahrung, die auf einen besonderen Aspekt des eigenen Karmas gerichtet ist, und eine grundlegende Veränderung im Leben herbeiführt, nämlich den tatsächlichen Beweis, die Buddhanatur in einem Teil des Lebens ins Aktion zu sehen, wo man sie nie zuvor gesehen hat. Es ist wirklich dieser tatsächliche Beweis, der lebhaft im eigenen Geist weiterleben wird, der verhindert, dass die Tendenz zur Verleumdung wieder das eigene Leben kontrolliert. Es kann möglich sein, dass man ein solch tiefes Sange noch einmal machen muß, um sein Karma in einem anderen Aspekt des Lebens zu verändern, aber auf jeden Fall ist es etwas, das man nicht an einem Tag erreichen kann. Um solch ein tiefes und besonderes Sange zu erreichen, ist normalerweise ein Kampf über einen längeren Zeitraum erforderlich. Es ist der Kampf mit sich selbst, die Einsicht über die eigene Verleumdung von einem flüchtigen Gedanken oder einer abstrakten Theorie zu einer Wirklichkeit werden zu lassen, die das ganze Leben mit tiefem Bedauern und der Dankbarkeit, den Gohonzon zu haben, erfüllt. Daraus entsteht die Entschlossenheit, für Kosen-rufu zu arbeiten wie noch nie zuvor. Wenn man das einmal erreicht hat, ist es, als ob die Gitterstäbe eines Gefängnisses fortfallen, in dem man eingesperrt war, solange man sich erinnern kann.

Satoru Izumi, Vizepräsident der Soka Gakkai, der Autor von “Guidelines of Faith”, der seit 45 Jahren praktiziert, gab einmal ein Beispiel. Wenn jemand vor 20 Jahren eine Uhr gestohlen hat, kommt er im Laufe seiner Praxis nicht daran vorbei, sich vor dem Gohonzon zu entschuldigen und tiefes Bedauern beim Chanten auszudrücken.

Das ist aber nicht notwendigerweise ein tiefes und besonderes Sange, um die innewohnende Ursache für das Stehlen auszumerzen. Wirklich tiefes Sange ist die vollständige Erkenntnis, wie sehr man das Leben selbst dieses Menschen, wie auch das eigene, verletzt hat - gefolgt von dem überwältigenden Wunsch, ihm 10 000 goldene Uhren zu geben, wenn man nur könnte. Damit kann man die Leiden überwinden, deren Wurzeln in der inneren Ursache für diese Handlung liegen. Leiden, die in dieser und vielen anderen Arten in unserem eigenen Leben entstehen.

";s:12:"content_meta";N;}