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Li Xiannian,
Herr Premierminister Zhou Enlai, lachen Sie bitte,
denn die Jugend folgt uns nach!
In dem Augenblick verwandelte sich das Gesicht des Vize-Premierministers Li Xiannian (1909-1992) im Nu.
Als wir zu einem bestimmten Thema überwechselten, schien sein bis dahin freundlicher Gesichtsausdruck plötzlich hart und angespannt zu werden.
„Ihr Vorname ‚Xiannian’ bedeutet ‚im voraus denken’. Heißt das, dass Sie die „Weisheit, vorauszuschauen, besitzen?“
Bis hierhin lachte der Vize-Premierminister unbefangen laut. Aber ich stellte ihm eine weitere Frage: „Ich möchte Sie, Herr Vize-Premierminister Li Xiannian, der Sie eine weise Voraussicht besitzen, offenherzig fragen. Die Aufmerksamkeit der ganzen Welt richtet sich darauf, wer der Nachfolger des Staatspräsidenten Mao Tse-tung (1893-1976) wird. Was meinen Sie zu diesem Punkt?“
Schlagartig wurden die Augen des Vize-Premierministers streng. Es war am
„Ihre Nation geht jetzt mit dem Maoismus voran, aber wie lange noch?“
„Herr Staatspräsident Mao Tse-tung . . . ihm geht es gut.“
„Daran habe ich keinen Zweifel, aber was meinen Sie, wie es fünfzig Jahre oder hundert Jahre später werden soll?“
Der Vize-Premierminister zeigte einen verlegenen Gesichtsausdruck, während er den obersten Knopf seiner Volksuniform am Hals aufknöpfte und eine Miene machte, als habe er den Wind einlassen wollen, obwohl es im Raum der Großen Volkskongresshalle nicht besonders heiß war. Die Uhr zeigte, dass neun Uhr weit überschritten war.
Über die Zusammenkunft mit Vize-Premierminister Li Xiannian wurde ich am Vortag, dem 5. Juni, in Kenntnis gesetzt: „Treffen wir Morgenabend zusammen!“ Ich war auf meiner ersten Chinareise, und er war ein Staatsführer, den ich in China zum ersten Mal traf. Ich hatte viel zu fragen. Zudem wurde ich von vielen in Beijing stationierenden Korrespondenten der japanischen Zeitungen darum gebeten: „Bitte fragen Sie ihn unbedingt dies und jenes.“
Schließlich äußerte er nur wiederholt „ . . . dem Staatspräsidenten Mao geht es gut“. Als ich intuitiv spürte, dass es komplizierte Umstände zu geben schien, wechselte ich das Thema sofort. Wahrscheinlich sind überall Augen und Ohren der „Viererbande (Jiang Qing, Wang Hongwen, Zhang Chunqiao, Yao Wenyuan)“ angebracht worden, um Fehler des Vize-Premierministers ausfindig zu machen. Selbst ein unbedeutendes Wort hätte möglicherweise dazu geführt, ihn das Leben zu kosten. Überdies ging es um „Post-Mao“. Die „Viererbande“ setzte ihre Intrigen um die Machtübernahme fort. Von der heutigen Sicht aus kann man alles klar erkennen, aber damals konnte man gar keine Information darüber erhalten. Selbst wenn es um die Große Kulturrevolution ging, wurde ihre wahre Substanz mit einem dicken Schleier verhüllt.
Nichtsdestotrotz hätte er zum Beispiel auch geschickt sagen können: „China wird den Maoismus in aller Ewigkeit weiter führen.“ Dass er aber nichts derartiges sagte, könnte seinen Charakter dargestellt haben. Er wurde als ein „Mensch konsequenter Aufrichtigkeit“ verehrt. Als ich ihn traf, konnte ich von ihm denselben Eindruck gewinnen. Er strahlte gewiss nichts prunkhaftes aus, sondern er war eine einfache, solide Führungspersönlichkeit, die sich auf den Boden der Realität stützte. Seit 1954 hielt er zwanzig Jahre lange das Amt des Finanzministers inne. In seiner Jugendzeit, erfuhr ich, war er Zimmermann von Beruf.
„Hier ist eine Mitteilung vom Premierminister“
Von Anfang an herrschte bei unserer Zusammenkunft eine sehr freundliche Atmosphäre, in der Vize-Premierminister Li Xiannian zu mir meinte: „Fragen Sie mich, was Sie möchten.“ Als ich ihm meine Begleiter vorstellte, „Die Mitglieder der Delegation sind diesmal alle Vertreter der Jugend und ihr Durchschnittsalter beträgt 35 Jahre“, entgegnete er: „Das ist wunderbar. Nochmals heiße ich Sie alle in China herzlich willkommen!“
Der junge Tang Jiaxian, der spätere Außenminister, gab sich viel Mühe, für uns zu übersetzen. Es waren bereits zwei Jahre vergangen, seit der japanisch-chinesische Freundschaftsvertrag in Kraft getreten war. Indem der Vizepremier als Zeichen seiner Anerkennung extra über unsere Bemühungen, die wir im Normalisierungsprozess der Beziehungen der beiden Staaten auf uns nahmen, sprach: „Sie haben einen großen Beitrag geleistet. Das war eine sehr wertvolle Leistung. Premier Zhou zeigt dafür ein außerordentlich großes Interesse. Eigentlich wollte er Sie persönlich empfangen und begrüßen. Aber er ist im Moment krank und befindet sich in Kur. Deshalb sagte er mir klar und deutlich: ‚Obwohl ich Präsident Ikeda treffen möchte, kann ich ihn diesmal nicht empfangen. Ich bitte dich, ihm beste Grüße von mir auszurichten.’“
Da Premier Zhou Enlai durch die große Kulturrevolution (1966-1976) schwer belastet wurde, ging es mit seiner physischen Kondition fortwährend schlechter. Trotz der Krankheit arbeitete er noch hart. Aber am 1. Juni, zwei Tage nach meiner Ankunft in China, unterzog er sich einer Krebsoperation.
Inmitten einer solch schweren Situation machte sich Premier Zhou um unseren Chinabesuch bis ins Detail viele Sorgen: Was ist mein Lieblingsessen? Gibt es etwas, das ich nicht gerne esse? Ob ich rauche? Ich erfuhr, dass er veranlasste, auch meine Lebensgewohnheiten zu prüfen, und sich bis hin zu meinem Hotelzimmer Gedanken machte, damit ich möglichst ungestört schlafen könne. Was für ein Mensch er war.
Zu Beginn dieses Jahres wurde eine „Anti-Lin Biao und Anti-Kong Qiu (Konfuzius) Kampagne“ in die Wege geleitet. In Wirklichkeit bedeutete sie im Namen der „Anti-King Qui Kampagne“ eine Bewegung, Premier Zhou zu attackieren. Wenn ich mir die Unterlagen ansehe, steht fest, dass Jiang Qing, die Ehefrau Mao Tse-tungs, am 14. Juni, an dem ich mich noch in China aufhielt, eine Rede gegen Premier Zhou hielt.
Dadurch, dass Premier Zhou ins Krankenhaus eingeliefert wurde, entflammte die Viererbande. Sie rief, dass er scheinkrank sei, und schmähten, dass er im Krankenhaus mit Li Xiannian und anderen intrigiere. Außerdem, erfuhr ich, versuchte sie, die Blutinfusion sowie ärztliche Behandlung zu verhindern.
Wie gefährlich die Ambitionierten werden, die sich mit der absoluten „Autorität“ brüsten! Und wie grausam sie werden! Die darausfolgende Realität kennen wir von den Verfolgungen durch die Priesterschaft sehr gut.
Die seit 1966 andauernde Kulturrevolution brachte eine Atmosphäre wie die der Hexenjagd hervor und bot der Viererbande und ihren Anhängern die beste Gelegenheit, einen, der ihnen nicht gefällt, niederzuschmettern. Sie fertigten falsche Anklageschriften oder griffen ein kaum bedeutendes Wort auf und machten daraus willkürlich ein großes Problem, um einen zu verfolgen.
„Die Administration der Regierung unter der Leitung Zhous wurde allmählich gelähmt. Die siegestrunkenen Rotgardisten schleppten die erfahrenen Beamten im höheren Dienstgrad sowie die professionellen technischen Beamten weg, um sie zu kritisieren, zu beleidigen, zu schlagen und ins Gefängnis zu werfen. Einige Monate nach dem Ausbruch der heftigen Revolution konnte im Ministerium des Inneren nur noch einer von sieben am Arbeitsplatz zurückbleiben. ‚Außer Li Xiannian ist niemand mehr da, der mir helfen kann’, so tief betrübt war Zhou.“ (aus „Zhou Enlai“, Dick Wilson)
Eine Faktion der Viererbande begann ebenso, Vizepremier Li Xiannian intensiv zu attackieren: „Du bist ein Reaktionär der Bourgeoisie!“
Im November 1966 gab es den Plan, dass der Vizepremier Albanien, einen sozialistischen Staat auf der Balkan-Halbinsel, besuchen sollte. Dennoch wollte sie ihn nicht gehen lassen. Das brachte Premier Zhou in die Rage, und er berichtete Mao, dem Chef der KP, darüber. Mao gab dann seine Einwilligung zum Staatsbesuch Li Xiannians in Albanien, mit der Begründung: „Er ist ein General, der seine Aufgabe bis zum Ende durchführt.“
Der junge Li Xiannian stellte sowohl bei jenem „langen Marsch“, als auch während des Kriegs gegen Japan, sowie während des Kampfes im Inland sein unerschütterliches, unentwegtes Aufgabenbewusstsein unter Beweis. Er war 11 Jahre jünger als Zhou Enlai und 16 Jahre jünger als Mao Tse-tung. Er war eine Persönlichkeit, die Mao Tsu-tung selbst mehrmals als Held der Jugend pries.
Als sie einsah, dass sie ihren Vorsatz nicht durchsetzen könne, solange Li Xiannian unter der Obhut Maos stand, fing sie an, Mao Tsu-tung „falsche Anschuldigungen“ einzuflössen. Kurz darauf wurde Li bei einer Demonstration vor 100.000 Menschen in Beijing namentlich angeprangert. Bei der „großen Versammlung, Li Xiannian zu kritisieren“, an der 140.000 Menschen teilnahmen, wurden Flyer verteilt, in denen er in 155 Punkten beschuldigt wurde.
„Li Xiannian ist der Boss der Verräter“ – ein großes Transparent wehte über die große Straße in Beijing. Er wurde sinnlos öfters zum Verhör geladen: an einem Tag drängte man ihn von 19:30 Uhr bis ein Uhr nachts, auf Fragen zu antworten: „Wie oft hast du ihn getroffen?“ „Wie oft hast du ihn zuhause besucht?“ „Worüber habt ihr gesprochen?“ Er wurde auch zur Arbeit in ein Sägewerk geschickt. (aus „Li Xiannians Weg in der Notlage“)
Eigentlich soll die Revolution dazu da sein, die Stärke, die Erhabenheit und die Freundlichkeit der Menschen hervorzubringen. Daraus resultierte aber, dass man die Schwäche, die Hässlichkeit und die Niederträchtigkeit der Menschen hervorbrachte. Die Ambitionierten entfalteten mit unverändert üblen Worten eine mit böser Absicht erfüllte Kritik gegen Zhou Enlai.
Die Haare des Premiers Zhou Enlai wurden weiß, seine Augen waren eingesunken und um sie entstanden schwarze Ränder. Das Gesicht zu verzerren und mit den Zähnen zu knirschen – seine Gewohnheit, die er im Moment des Leidens zeigte – war zusehends zu beobachten. (aus „Die zehnjährige Chronik der großen Kulturrevolution)
„Die revolutionären Slogans und die großen Prahlereien auf der Bühne“ – sie hören sich gut an. Aber was soll das Volk denn essen, wenn man jetzt Produktionstätigkeiten einstellt? Dennoch machten sich die Ambitionierten lediglich darüber Gedanken, wie sie selbst die Macht ergreifen konnten. Als Finanzminister Li Xiannian berichtete, „Die Wirtschafts- und Finanzlage in dieser Legislaturperiode hat ein Defizit“, so verschmähten sie ihn, indem sie behaupteten: „Das ist ein Ergebnis der Passivität. Damit hast du die große Kulturrevolution befleckt.“
Was sagt Ihr?
Ihr seid doch diejenigen, die ihr die Wirtschaft durcheinander gebracht habt!
Trotz alledem blieb ihm nichts anderes übrig, als zu erdulden, zu ertragen und seine Arbeit beharrlich fortzusetzen. Denn ihm war klar, dass, wenn er mit seiner Arbeit aufhören würde, das Volk schließlich darunter leiden musste.
Inmitten solch großer Hindernisse!
Unter solch tiefer Mühsal!
Trotz solch starker Schwächung!
Premierminister Zhou Enlai machte sich weit über seinen Tod hinaus Gedanken über die Zukunft des Volkes und setzte sich mit einer großen Vision auseinander, indem er all seine Kräfte aufbot. Nämlich bahnte er dabei innerhalb von China den Weg zu den „vier Modernisierungen“, den Ausgangspunkt der gegenwärtigen Reform- und Öffnungspolitik. Zudem stabilisierte er den internationalen Status Chinas durch die „Schließung der Freundschaft mit den USA und den Beitritt in die UNO“ einerseits und durch die „Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen mit Japan“ andererseits.
Das war eine aufsehenerregende Tat, die nur durch solch einen Menschen geleistet werden kann, der sein ganzes Leben dafür einsetzt, die Menschen durch und durch zu lieben. „Es macht mir nichts aus, auch wenn ich persönlich beschimpft oder übel zugerichtet werde. Nichtsdestotrotz werde ich niemals damit aufhören, für Menschen zu arbeiten!“
Wer ein Herz hatte, konnte diesen Herzton wahrnehmen. Wenn sie an den Premier dachten, bemerkten alle in sich ein heißes Gefühl. „Schaut! Hier ist ein Mensch, der sich über uns, das Volk, ernsthaft Gedanken macht!“
Bei meinem zweiten Chinabesuch, der ein halbes Jahr später erfolgte, traf ich den Premier Zhou Enlai. Das war in der Nacht zum 5. Dezember im Krankenhaus Beijing 305. Seine Stimme: „So schnell wie möglich möchte ich mit Japan einen Friedens-Freundschaftsvertrag abschließen!“ nahm ich mit meinem ganzen Leben entgegen. Das war eine Stimme voller Entschlossenheit, dass er, bevor die Flamme seines Lebens ausgehe, zumindest das Fundament für den Frieden der Menschen der beiden Nationen unbedingt mit seinen eigenen Augen sehen wollte.
Im großen und ganzen konnte man sich seitens Japans nicht vorstellen, mit welcher Ernsthaftigkeit die Bemühungen seitens Chinas um die Schließung eines Vertrags gemacht wurden. Im Hintergrund hatten sie ein starkes Gefühl, dass sie nicht beruhigt leben können, solange sie nicht eine Garantie bekommen, dass Japan sie kein zweites Mal angreift. Später erzählte ein Mensch: „Man sagt, Japan sei zum Friedensstaat wiedergeboren. Es mag stimmen. Wenn wir aber von der Seite der Angegriffenen aus schauen, können wir jedoch erkennen, dass sich Japan mit seiner Haltung je nachdem, wer an die Macht kommt, jählings ändert.“
Am 8. Januar 1976 erlöschte die Feuerflamme schließlich. Premierminister Zhou Enlai schied hin. Die traurige Nachricht schlug direkt in das Herz der Menschen ein. Auch solche Männer von ungehobeltem Charakter weinten laut. Man sagte hierzu: „Auch die Gebirge und Flüsse Chinas beweinten ihn.“ Das Licht erlosch.
Vize-Premierminister Li Xiannian wurde in einen Gemütszustand versetzt, als ob er in den tiefen Grund der Finsternis versinken würde. Premier Zhou pflegte zu sagen: „In der Finsternis muss man an das Licht der Morgendämmerung denken.“ (aus „Dragon Pearl“) Aber kommt die Morgendämmerung ohne den Premierminister?
Die Viererbande jauchzte, „Der uns im Wege Stehende ist jetzt verschwunden!“ und entfachte ihre Gier nach Macht umso stärker. Sie verhinderte alle Trauerfeierlichkeiten, die für den Premierminister veranstaltet werden sollten. Sie mischte sich auch in die Medien ein und gab lästige Anweisungen wie zum Beispiel: „Benutzt nicht den Ausdruck ‚Der verehrte Premierminister Zhou’ als Überschrift in der Zeitung! (…) Macht die Überschrift noch kleiner!”
Aber je strenger die Viererbande versuchte, die Menschen zu hemmen, desto stärker entfachten ihre Gefühle, dem Verstorbenen sehnsüchtig zu gedenken. Alle trugen spontan einen Trauerflor. Viele Menschen hingen ein Foto des verstorbenen Premierministers zuhause auf und errichteten sogar privat eine Gedenkstätte für ihn.
Die Viererbande hielt sogar den Termin, an dem der Leichnam Zhous wegen der Feuerbestattung zum staatlichen Revolutionsfriedhof Babaoshan verlegt werden sollte, geheim. Sie wollte die Menschen dadurch hindern, die Gelegenheit zum Gedenken gemeinsam wahrzunehmen. Jedoch am 11. Januar stellten sich die Menschen, die durch Hörensagen von einem Gerücht erfuhren, schon in den frühen Morgenstunden an den Straßen auf, die zum Friedhof führten. Sie warteten im kalten Wind, der bei einer Temperatur von Minus 12 Grad schneidend wehte, standhaft darauf. Nach und nach vermehrte sich die Menge, sodass schließlich ein „sich auf 40 Kilometer erstreckender Abschied“ durch weit über eine Million Menschen entstand. Als sich der Leichenwagen der Menge nährte, nahm sie ihren Hut stillschweigend ab und beugte sich tief, ohne ihre fließenden Tränen abzuwischen. Es wurde bekannt gegeben, dass seine Asche drei Tage lang im Kulturpalast der Arbeiter (östlich des Tors des Himmlischen Friedens) aufbewahrt werde.
Zum Platz am Tor des Himmlischen Friedens kamen immer mehr Menschen, die eine weiße Blume aus Papier an ihrem Kragen trugen. Am Denkmal des Volkshelden, das sich auf dem Platz „Tor des Himmlischen Friedens“ befindet, wurden ab dem Zeitpunkt der Todesmeldung Zhous ununterbrochen Blumenkränze niedergelegt. Innerhalb weniger Tage war das Fußgestell des Denkmals mit Blumen bedeckt, und die grünen Kieferbäume, die unweit des Denkmals standen, wurden von unzähligen daran gebundenen Papieren völlig weiß.
Auf dem Platz las man Kondolenzen vor und hielt Reden, um den Premierminister zu würdigen. Obwohl sie von der Obrigkeit immer wieder zum Einstellen aufgefordert wurden, sangen die Menschen Lieder, lasen Gedichte und riefen laut: „China gehört dem chinesischen Volk! Es ist nicht das Eigentum einer Handvoll Ambitionierter!“ (aus „Die zehnjährige Chronik der großen Kulturrevolution“)
Bald darauf begann überall im ganzen Land ungehemmt Kritik gegen die Viererbande. Auf die Wagons der Züge, die vom Bahnhof Nanking (Nanjing) in Richtung Norden abfuhren, waren Slogans, die gegen die Viererbande protestierten, mit wasserfester Ölfarbe gemalt. Die Menschen, die diese sahen, bekamen Mut.
Der Tag des Qingmin-Festes im April rückte immer näher. Das ist ein Tag, an dem traditionell die Gräber der Vorfahren gereinigt und die Toten geehrt werden. Man begann wieder, um das Denkmal der Volkshelden Blumenkränze niederzulegen. Es wurden auffallend große Opfergaben dargebracht, weil sie nicht so einfach weggeräumt werden konnten. Darunter gab es einen riesengroßen eisernen Blumenkranz, der 7.5 Meter Hoch war und eine Tonne wog. Er wurde von den Arbeitern einer Fabrik für große elektrische Geräte in Beijing angefertigt. Zudem wurden auch immer mehr Gedichte angebracht. Eins davon lautete: „Herr Premierminister, wenn Sie sich umdrehen, werden Sie bestimmt lächeln können. Denn uns folgen unzählige Jugendliche nach, um die Gespenster zu vertreiben.“
Sie waren die erste offene Kampfansage gegen die Viererbande sowie ein deutliches „Nein“ zur großen Kulturrevolution. Der verstorbene Premierminister fing an, die lebendige Viererbande zu vertreiben. Am 4. April versammelten sich über zwei Millionen Menschen auf dem Platz „Tor des Himmlischen Friedens“. Das Meer der Blumen, Gedichte und Reden – wenn sie an den verstorbenen Premier Zhou gedachten, merkten sie in sich Mut hervorquellen und konnten den Entschluss fassen, die Menschenliebe in die Tat umzusetzen, selbst wenn sie ihr Leben opfern müssten.
Aber am nächsten Morgen wurden die Menschen völlig überrascht. Denn alles war wegtransportiert worden! Das Denkmal war vollkommen nackt. Es ließ sich vermuten, dass man alles in der Nacht beseitigte. Die Blumen und auch Photos des Verstorbenen Premierministers waren spurlos verschwunden.
Die Spannung erhöhte sich im Nu. Der Menge, die zum Platz kam, erteilte man den Befehl, dass sie nach Hause gehen sollte: „Alle müssen heimkehren! Das Qingminjie (Totenfest) ist vorüber!“ Aber die aufgebrachte Menschenmenge wollte einfach nicht gehorchen. Die Menge rief: „Was sagt Ihr? Gebt unsere Blumenkränze zurück! Und gebt unseren Premierminister zurück!“
„Wir können zwar ein namenloses Volk sein. Dennoch sind wir keine Insekten, sondern Menschen! Wie lange wollt ihr uns mit Füßen treten?“ Die Menschen riefen zum Himmel empor: „Herr Premierminister, die für Sie gerichteten Blumenkränze existieren in unserem Herzen. Niemand kann die Blumenkränze in unserem Herzen entfernen.“
Dieser Anblick bewegte Vizepremierminister Li sehr. Das ist, das ist das Licht. Das Licht ist hier. Der Premier lehrte mich stets . . . Glaube an das Volk und gerade das Volk ist die Hoffnung!
„Li Xiannian sah, dass das Volk der gewaltigen Macht der Viererbande trotzte. Er sah eine großartige Bewegung der Menschen. Er konnte darin eine Hoffnung für den Staat und das Volk ausfindig machen und sich entschließen, die Viererbande auszumerzen.“ (aus „Li Xiannians Weg in der Notlage“)
Es war im September 1978, als ich Vizepremier Li wiedertraf, und zwar während meines vierten Chinabesuchs. Die Atmosphäre in China war total verwandelt, sie war so hell und fröhlich. Die Kulturrevolution war bereits beendet. Manche meinten: „So wie sich die dunklen Wolken verzogen haben.“
Die roten Fahnen, die überall gehisst wurden, und die Slogans wurden auffallend weniger. Auch Menschen, die früher steif ausgesehen hatten, machten auf uns einen heiteren Eindruck. Als ich in den Abendstunden in einem Park in Beijing spazieren ging, ruderten junge Leute noch ein Boot auf dem Teich.
In jenem Jahr 1976, fünf Monate nach dem Tumult auf dem Platz „Tor des Himmlischen Friedens“, verstarb der Staatspräsident Mao Tse-tung. Die Viererbande regte sich, da sie die „Chance, die Macht zu ergreifen“, sah, und arbeitete ihre Intrigen nunmehr aus.
„Wenn jene Kerle die Macht ergreifen würden, würde es für China das Ende bedeuten!“
Vizepremier Li versuchte, sich mit den zuverlässigen Leitern insgeheim in Verbindung zu setzen. Um zu vermeiden, abgehört zu werden, schrieben sie sich gegenseitig, und wenn sie sprachen, machten sie das Radio sehr laut. Sie trafen öfters in der Toilette wie auch im Kino zusammen. Aufgrund der sorgfältigen Vorbereitungen nahm man die Viererbande in der Nacht zum 6. Oktober auf einen Schlag fest. Sobald diese Nachricht durch die Medien verbreitet wurde, kamen die Menschen auf die Straßen gesprungen, gratulierten und tanzten.
Das „zehnjährige Unheil“ war abgeschlossen. Vizepremier Li rief tief in seinem Herzen: „Herr Premierminister, schauen Sie bitte! Wir haben gesiegt. Herr Premier, das Volk, das Sie so sehr liebten, hat gesiegt!“
Der Vizepremier, den ich nach vier Jahren wieder traf, sah gelassen und zuversichtlich aus. Er strahlte ein Gefühl aus, dass „wir uns diesmal offen unterhalten können“. Neben dem Amt des Vizepremierministers bekleidete er auch das des Vizestaatspräsidenten.
Selbst der „Friedens-Freundschaftsvertrag“, dessen Abschluss sich der verstorbene Premier Zhou viele Jahre lang innigst gewünscht hatte, stand soweit und es wurde erwartet, im nächsten Monat die Dokumente der Ratifizierung auszutauschen. Alles war klar und heiter.
Vizestaatspräsident Li sagte: „Der Vertrag ist auch auf dem besten Wege. Wir sind Freunde seit alten Zeiten. Daher möchte ich Sie alle im besten Sinne willkommen heißen. Meine Sorge ist, ob Sie sich wohl fühlen können, da just jetzt alle Hotels ausgebucht sind . . .“ Solche Fürsorge könnte er wohl direkt vom Premierminister Zhou übernommen haben.
Ich fragte ihn: „Der japanisch-chinesische Friedens-Freundschaftsvertrag ist nun fertig. Haben Sie vor, mit den USA einen Freundschaftsvertrag abzuschließen?“
Einen Monat davor traf ich den amerikanischen Botschafter in Japan, Michael Joseph Mansfield. Nachdem der Vizestaatspräsident bestätigt hatte, „Herr Mansfield ist dann unser gemeinsamer Freund“, erzählte er mir: „Sicher möchten wir die zwischenstaatliche Beziehung normalisieren. Wir haben ebenso eine Idee, einen Vertrag abzuschließen. Jedoch müssen wir den Partner berücksichtigen. Es hängt nunmehr vom Entschluss des US-Präsidenten Jimmy Carter (geb. 1924) ab.“
Knapp drei Monate, nachdem diese Nachricht in der ganzen Welt verbreitet worden war, also am Neujahrstag im Jahr 1979 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen China und den USA wiederhergestellt. Herr Li verwirklichte im Jahr 1985 als Staatspräsident (6.1983-4.1988) die erste historische USA-Reise.
„Was wünschen Sie sich von Japan?“
„Dass Japan mit unserem Land eine freundschaftliche Beziehung herstellt, und zwar nicht nur in unserer Generation, sondern auch in den Generationen unserer Kinder und Kindeskinder. Die beiden Staaten dürfen keinen Krieg mehr führen. Der Krieg versetzt uns in unvorstellbares Unwohl. Wir haben mit Ihrem Land acht Jahre lang Krieg geführt. Das wollen wir nicht zum zweiten Mal. Selbst um die Vier Modernisierungen zu verwirklichen, brauchen wir viele Jahrzehnte. Wir wünschen wirklich den Frieden.“ Es war eine von tiefem Herzen kommende Stimme.
China, ein riesengroßes Land von Menschen: Die Partner, mit denen ich dort zum ersten Mal in Berührung kam und sprach, waren außer den Mitarbeitern des Empfangskomitees vier Frauen mittleren Alters. Da es zu Zeiten meines ersten China-Besuchs von Japan aus noch keine direkte Flugverbindung gab, gingen wir vom Bahnhof Luohu in Hongkong aus zu Fuß über die eiserne Brücke, reisten in die Stadt Shenzhen ein und fuhren weiter nach Guangzhou (Kwangchow), der Hauptstadt der Provinz Guangdong.
Als wir im Hauptbahnhof Guangzhou aus dem Zug stiegen, waren im Warteraum vier Frauen zu sehen. Sie saßen auf einer langen Bank und unterhielten sich über etwas. Die Atmosphäre war friedlich. Ich näherte mich ihnen und grüßte sie: „Es ist schön, Sie zum ersten Mal zu sehen. Wir sind um der Freundschaft mit China willen aus Japan gekommen.“
Obwohl die Frauen augenblicklich überrascht waren, lächelten sie sofort und antworteten uns erfreut zunickend: „Willkommen, herzlich willkommen! Wir heißen Sie herzlich willkommen!“ Wir lächelten uns zu. Ich war glücklich. Ich kam nach China, um diese Menschen zu treffen. Mein Wunsch wurde bereits zu 100 Prozent erfüllt, wenn ich die einfachen Menschen in China treffen konnte.
„Solange wir, die einfachen Menschen, von Herz zu Herz miteinander kommunizieren, haben wir nichts zu fürchten.“ Das war meine Freundschaftsphilosophie. Als ich in Beijing von einem Mädchen ebenso gefragt wurde, „Lieber Onkel, warum sind Sie nach China gekommen?“, antwortete ich darauf auch aus diesem Grund, indem ich ihr in die klaren Augen schaute: „Ich bin gekommen, um Sie zu treffen.“
Dieses mein Gefühl zu den Menschen kannte Premierminister Zhou in der Tiefe seines Herzens, daran glaube ich fest.
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 23. Dezember 2002)
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