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Buddhismus und Gesundheit (II)
GESUNDHEIT - dieser Begriff umfasst eine ganze Welt voller positiver Assoziationen! Jeder von uns möchte gesund sein, denn Gesundheit bedeutet Kraft, Unversehrtheit, Harmonie mit sich selbst. Gesundheit ist eine innere Ordnung und damit Voraussetzung für ein aktives, tatkräftiges Leben. Sie ist ein Gut, das wir wenig beachten, solange es uns wie selbstverständlich zufällt und oft erst dann zu schätzen lernen, wenn es bedroht oder sogar verloren gegangen ist.
Aber was genau ist Gesundheit und was ist ihr Gegenteil? Ist sie einfach nur die Abwesenheit von Krankheit, oder kann sie sogar neben und trotz einer Krankheit existieren? Ist sie ein objektivierbarer, messbarer, oder doch nur ein subjektiv zu bestimmender Zustand?
Jeder von uns weiß, dass diese Fragen nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten sind. Wir können eine Erkältung haben und uns sterbenskrank fühlen, wir können uns aber auch als aktiv und gesund empfinden, obwohl wir körperlich eingeschränkt sind, wenn wir mit dieser Einschränkung umzugehen gelernt haben. Es gibt Menschen, bei denen schwere Erkrankungen erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium entdeckt werden, weil sie kein Gefühl für ihren Körper und dessen Warnsymptome entwickelt haben. Andere wiederum laufen von einem Arzt zum nächsten und unterziehen sich wegen geringfügigster körperlicher Abweichungen aufwendigen Untersuchungen, obwohl sie völlig gesund sind.
Es ist also keinesfalls leicht festzulegen, was Gesundheit ist, weil sie ein vielschichtiges Phänomen zu sein scheint. In der WHO-Definition wird diesem Umstand Rechnung getragen, indem es dort heißt: „Gesundheit ist ein Zustand völligen physischen, geistigen und gesellschaftlichen Wohlbefindens und nicht einfach das Fehlen von Krankheit oder Schwäche.“ Dies deckt sich weitgehend mit der buddhistischen Auffassung von Gesundheit, die eben nicht nur eine körperlich oder seelisch definierte Freiheit von Krankheit meint, sondern einen Lebenszustand bezeichnet. Dieser Lebenszustand ist geprägt von einem umfassenden Mitgefühl für alle menschlichen Wesen und basiert auf einer unerschöpflichen Lebenskraft, die uns mit der Fähigkeit ausstattet, mit jeder noch so großen Schwierigkeit und Herausforderung fertig zu werden und sie in tiefes Glück zu verwandeln.
Bevor ich weiter darauf eingehe, vorab eine Bemerkung, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es steht außer Frage, dass Gesundheit natürlich auch im buddhistischen Verständnis auf eine weitgehende Freiheit von Krankheit abzielt. Die Erhaltung bzw. Wiederherstellung körperlicher und/oder seelischer Gesundheit mit all unserer Umsicht und Weisheit und mit den Mitteln der heutigen Schul- oder Alternativmedizin, hat selbstverständlich Vorrang vor allen philosophischen Erwägungen. Jeder, der einmal richtig krank war, weiß, wie wichtig die Beseitigung quälender Schmerzen oder anderer Einschränkungen ist, um sich im eigenen Körper wieder wohl zu fühlen. Dennoch geht es aber im Buddhismus darum, den Blick von einer äußerlichen Betrachtungsweise in eine tiefere Dimension des Lebens zu lenken, dorthin, wo sich so geläufige Gegensatzpaare wie Gesundheit und Krankheit auflösen, oder zumindest relativieren. Dabei werden nicht einfach Grenzen und Unterschiede verwischt, sondern es soll das Bewusstsein geweckt werden, dass das Leben ein Potenzial hat, welches weder durch Krankheit, noch durch sonstige Leiden und noch nicht einmal durch den Tod einfach ausgelöscht werden kann. Die buddhistische Lehre möchte die Menschen dahin führen, ihre Sehnsucht und Suche auf das in uns zu richten, was heil, was ursprünglich und in vollkommener Ausstattung in uns vorhanden ist. Um es in einen Begriff zu fassen, spricht der Buddhismus von der Buddhaschaft, dem erleuchteten Zustand des Lebens und der tiefsten Quelle von Gesundheit. Gerade in Krankheitssituationen besteht ja die große Gefahr, durch die ausschließliche Konzentration auf das Gestörte und Krankhafte, die verbliebenen gesunden Fähigkeiten gar nicht mehr wahrzunehmen, sich nur noch als krank und beschädigt zu definieren und damit das Potenzial in der Tiefe des Lebens zu vergessen. Selbst wenn unsere Buddhaschaft durch körperliche oder seelische Leiden, durch Negativität, Ängste, Selbstzweifel und Hader so überlagert zu sein scheint, dass wir nicht einmal theoretisch an sie glauben können, lebt sie, wie der Buddhismus es lehrt, als Keim in uns fort und wartet nur darauf, entdeckt und aktiviert zu werden. Buddhaschaft ist ein Juwel, das wir in unserem Inneren erleben können, ein Schatz, den wir heben sollten. Sie ist der Ursprung unseres Lebens, eine innere Kraft und Gewissheit, heil und in Harmonie mit sich selbst, wie auch mit allem Leben im Universum zu sein. Entgegen der Meinung von Kritikern des Buddhismus ist Buddhaschaft aber nicht nur eine individuelle innere Entdeckung, die damit zu einer Quelle des Egoismus werden könnte. Ganz im Gegenteil bedeutet sie immer auch, dass die tiefe Freude, mit der sie unser Leben durchströmt, zu einer Öffnung nach außen führt und sich in konkreten Taten für das Wohl anderer Menschen zeigt: In Mut, in Weisheit, in Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl! Wir sprechen dann im Buddhismus auch vom Weg und von der Tat des Bodhisattvas.
Gesundheit, als Seinszustand der Buddhaschaft verstanden, bedeutet daher viel mehr, als bloße körperliche Intaktheit und Vitalität, auch wenn sie diese idealerweise einschließt. Ein vor Gesundheit geradezu strotzender Mensch kann aus buddhistischer Sicht sehr wohl krank sein, nämlich im geistigen, spirituellen Sinne, wenn in seinem Inneren die sogenannten drei Gifte vorherrschen: Ärger, Habgier und Dummheit (letztere im Sinne der Ignoranz), eben nicht nur als vorübergehende Phänomene, sondern als grundlegende Tendenzen. Dagegen kann die kraftvolle Vitalität der Buddhaschaft auch einen kranken, sogar todkranken Körper durchströmen und mit ungeahnten Erfahrungen von Heilung, oder auch der Überwindung von Todesangst einhergehen, wie viele Beispiele Praktizierender es zeigen.
Die Lehre des Buddhismus zielt nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch durch eine konkrete tägliche Ausübung darauf ab, alle Lebewesen auf der wesentlichen Ebene des Lebens gesund, im spirituellen Sinne heil werden zu lassen. So heißt es in einem der Briefe Nichiren Daishonins: „...Dieses Sutra [das Lotos Sutra, Anm. d. Ref.] ist die wirksame Medizin gegen die Krankheiten der gesamten Menschheit.“ Diesen Brief mit dem Titel „Über die Verlängerung des Lebens“ schrieb Nichiren zwar an eine körperlich erkrankte Schülerin zu deren Ermutigung, dennoch besteht kein Zweifel daran, dass er den Begriff „Krankheiten der gesamten Menschheit“ als Synonym für alle Leiden, Konflikte, Krisen und negativen Tendenzen benutzte, die Unglück über die Menschen bringen. Wenn es darum geht, die Ursachen von Leiden, die durch das Vorherrschen von Ärger, Habgier und Dummheit ausgelöst werden, an ihrer Wurzel zu verändern, kann dies nach buddhistischer Auffassung nur durch die beständige Reinigung und Vervollkommnung des inneren Lebenszustandes geschehen. Nur die Symptome zu kurieren, wird die grundlegenden, krankmachenden Tendenzen nicht nachhaltig beeinflussen können. Gesundheit im ganzheitlichen, spirituellen Sinne entsteht vielmehr in der Tiefe des Lebens, also dort, wo Körper und Geist/Seele nicht mehr getrennt, sondern eine Einheit sind. Wenn wir durch unsere tägliche Praxis zu dieser verborgenen, normalerweise unzugänglichen Ebene unseres Lebens vordringen, wird sich auch der hartnäckigste Ärgerzustand nach und nach in Mut und Gerechtigkeitssinn verwandeln – denn dies ist die positive Seite von Ärger – aus Habgier wird Barmherzigkeit erwachsen und aus Dummheit/Ignoranz wird Weisheit entstehen. Mit anderen Worten, die Seiten in uns, die uns innerlich von unseren Mitmenschen und unserer natürlichen Umgebung abtrennen und Leiden und Krankheiten nach sich ziehen, verwandeln sich allmählich in altruistische Bodhisattva-Eigenschaften, durch die unser Leben von innen her gesund, heil und erleuchtet wird.
Daher ist es wichtig, unsere buddhistische Praxis mit der leidenschaftlichen Sehnsucht im Herzen auszuüben, den Zustand der Buddhaschaft in unserem Leben gerade jetzt in diesem Augenblick und genau so, wie wir eben sind, erfahren zu wollen. Denn der Grund, weshalb Nichiren Daishonin den Gohonzon, sein eigenes erleuchtetes Leben in graphischer Form eingeschrieben und allen nachkommenden Generationen hinterlassen hat, war einzig der, jeden einzelnen Menschen durch die Erweckung seiner/ihrer Buddhaschaft zu heilen und, von dem einzelnen ausgehend, auch dessen unmittelbare Umgebung, die Gesellschaft, das Land und schließlich die ganze Welt. Daher sind nicht körperliche Schwäche und Krankheit die eigentliche Bedrohung für Gesundheit in diesem tiefsten, spirituellen Sinne, sondern es sind die falschen Ansichten vom Leben, der Egoismus, die Illusion der Getrenntheit, der Verlust von Einheit und Harmonie, die Krankheit und Leiden hervorrufen. Präsident Ikeda drückt es so aus: „Die Grundlage von Gesundheit ist ein starker Glaube, der es uns ermöglicht, immense Lebenskraft hervorzuholen, über negative Kräfte zu siegen und unser Karma umzuwandeln.“ (aus: Forum März/April 2004, S. 8).
Vielleicht mag das bisher Gesagte diejenigen enttäuschen, die gerade ganz konkret gegen eine schwere Krankheit ankämpfen, welche ihre Vitalität, ihre Unversehrtheit oder sogar ihr Leben bedroht. Da mag die angesprochene Veränderung des inneren Lebens- und Seinszustandes wie ein schwacher Trost erscheinen, der am eigentlichen Thema vorbeigeht, nämlich an dem verzweifelten Wunsch, gesund, schmerzfrei, unbehindert zu sein. Ich möchte diese vollkommen nachvollziehbaren Gefühle nicht im Mindesten herunterspielen und bin mir sicher, dass ich selbst mich hart mit ihnen konfrontieren müsste, wenn ich eine entsprechende Krankheit bekäme. Aber was ich bislang referiert habe, schließt den Entschluss für eine vollständige Genesung und für die Überwindung einer – schulmedizinisch gesehen – unheilbaren Krankheit keinesfalls aus. Im Gegenteil, Präsident Ikeda fordert uns dazu auf, uns mit all unserer Kraft, mit all unserem Kampfgeist dafür einzusetzen, unsere Wünsche, unsere Träume und Hoffnungen Wirklichkeit werden zu lassen. So sagt er bspw.: „Die Kraft unseres Lebens ist unendlich. Die Kraft, die durch unser Chanten hervorgerufen wird, besitzt eine grenzenlose Heilungskapazität. Dies ist wie eine Explosion unserer inneren Heilungsenergie. Die Heilungsenergie hat auch die Kraft, unser Leben in unsere Ursprungsform zurückzuversetzen. Chanten Sie Nam Myoho Renge Kyo. Zapfen Sie das enorme Potenzial Ihres Lebens an. Sammeln Sie Ihre inneren Ressourcen im Kampf gegen die Krankheit. Dies ist der Weg des Buddhismus hin zu einem langen Leben und zu einer guten Gesundheit.“ (Aus: „Art of Living“ November 2002). In demselben Artikel steht auch der Absatz: „Das mystische Gesetz hat die Kraft, unser wahres Selbst zu öffnen … Das mystische Gesetz hat die Kraft, uns wiederzubeleben … Das mystische Gesetz hat die Kraft, uns voll auszustatten. So wird alles, was für uns notwendig ist, in unser Leben gelangen. Gesundheit ist eine der vielen natürlichen Ausstattungen oder Wohltaten, die wir durch das Chanten von Nam Myoho Renge Kyo erfahren.“
Gesundheit wird also nicht nur als sublime innere Angelegenheit verstanden, sondern auch ganz konkret als Wirkung unserer Glaubensausübung, die sich in körperlicher Vitalität und seelischer Stabilität zeigt. Aber der Weg führt von der inneren Veränderung zur äußeren Wirkung und nicht umgekehrt – zumindest nicht bei schwerwiegenden Erkrankungen, für die die Schulmedizin kein wirkliches Heilmittel kennt. Dennoch können wir – gerade als Buddhisten – nicht die Augen verschließen vor der Tatsache, dass Krankheit ebenso zum Leben gehört, wie die anderen drei Grundleiden, die der Buddhismus noch benennt, nämlich geboren zu werden, altern und schließlich sterben zu müssen. Wir können und sollen die Bedingungen des Lebens nicht aushebeln, sondern wir sollen sie dazu benutzen, um unser größtes Potenzial hervorzubringen und jedes, wirklich jedes noch so schwere Leiden in ein unerschütterliches Glück zu verwandeln. Und je nach Aufgabe in unserem Leben kann unser Weg auch eine Krankheit beinhalten, die vielleicht nicht im konventionellen Sinne geheilt, aber im spirituellen Sinne das Sprungbrett zu einer unzerstörbaren Gesundheit – nämlich der Öffnung der Buddhaschaft werden kann. So sollten wir tief über eine Äußerung eines Dialogpartners von Präsident Ikeda nachdenken, der, Ikedas Ausführungen bestätigend, sagte: „Vom Standpunkt des Glaubens her könnte man sogar sagen, dass Krankheit die Quelle der Gesundheit ist.“ (aus: „Dialog für das Jahrhundert der Gesundheit (1996)“.
In demselben Dialog führt Ikeda den Wissenschaftler, (Nobelpreisträger?) und häufigen Dialogpartner von ihm selbst, Dr. Norman Cousins an, der in seinem 50. Lebensjahr an einer Autoimmunkrankheit (Kollagenose) litt, mit 65 einen Herzinfarkt bekam und beide großen Krankheiten nicht nur überlebte, sondern sich völlig davon erholte und bis zu seinem Tod mit 75 Jahren noch ungemein wertvolle Arbeiten schrieb und sich für seine Mitmenschen engagierte. Auf die Frage, woher Cousins diese enorme Lebenskraft entwickeln konnte, erwidert Ikeda: „Die Frage ist, was war es, das seine Lebenskraft verstärkt hatte? Es war, wie mir scheint, die Liebe zur Menschheit und das Aufgabenbewusstsein. … Cousins selbst bezeichnete es mit einem Wort als Hoffnung. Er sagte, dass Hoffnung seine geheime Waffe sei. Weiter sagte er: <Die größte Tragödie des Lebens ist nicht etwa der Tod, sondern eher der Tod im Leben. Obwohl man am Leben ist, ist irgendetwas in einem abgestorben. Es gibt keine größere Tragödie als dies. ...> Ein Zustand ohne Krankheit bedeutet nicht einfach Gesundheit. Sich durch das ganze Leben zu etwas herauszufordern, etwas kreativ hervorzubringen und so stets nach vorn den Horizont der eigenen Welt zu öffnen: so ein schöpferisches Leben muss ein wahrhaft gesundes Leben sein.“
Es gibt viele Erfahrungsberichte Praktizierender, die dieses Resümee bestätigen. Vielmehr als in der Anzahl und Sorglosigkeit unserer Jahre, zeigt sich die Bedeutung unseres Lebens darin, welche Werte wir durch unsere Taten, unsere mitmenschlichen Beziehungen und unser innerstes Sein erschaffen. Aber natürlich ist es ein mehr oder minder langwieriger Prozess, zu einer solchen Tiefe der Hoffnung und des Vertrauens vorzudringen und so unabhängig und frei in unserem Verständnis von Gesundheit zu werden, wie Ikeda es am Beispiel von Cousins beschreibt. So ist die buddhistische Botschaft, dass wir uns gar nicht so sehr um unsere Gesundheit – im körperlich-materiellen Sinne – sorgen und grämen, sondern uns tief dazu entschließen sollten, Tag für Tag mit aufrichtiger Sehnsucht und hartnäckiger Entschlossenheit zu der tiefsten Quelle unseres Lebens vorzustoßen, wo ein von äußeren Umständen unabhängiges Glück, ein überfließendes Mitgefühl, unerschöpfliche Weisheit und der Mut eines Löwen für uns bereit stehen. Wenn wir einen solchen großartigen Lebenszustand in uns öffnen können, dann sind wir ohne weiteres dazu in der Lage, uns für unseren Weg, für unsere Aufgabe und für das Glück anderer Menschen zu entscheiden, unabhängig davon, ob wir mit einer Krankheit zu kämpfen haben, oder nicht. Dann haben wir aus buddhistischer Sicht die besten Voraussetzungen, um ganz gesund, ganz glücklich und ein Mensch voller Mitgefühl und Überzeugung zu werden. Dann sind wir von innen her, spirituell geheilt!
Dr. med. Barbara Krausnick
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