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Johan Galtung – Die Ursachen von Gewalt

Universität Hamburg– 27.09.2001

Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe der SGI-D Nord ‚Brücken der Hoffnung’

(www.bruecken-der-hoffnung.de)

transkribiert von Stefan Jürgensen und Adrian Schindler

Johan Galtung, geboren 1930 wird als Gründer der Friedensforschung etablierte 1959 das internationale Friedensforschungsinstitut in Oslo. Er ist Professor an verschiedenen

Universitäten und Leiter des globalen Netzwerkes von 150 Experten, die sich mit

Konfliktforschung befassen- ‚Transcend’. Er ist Träger den alternativen Friedensnobelpreises und hat über 1000 Artikel und 100 Bücher veröffentlicht. Er wurde bereits bei über 45 großen Konflikten zu Rate gezogen

GALTUNG:

„Die Ursachen von Gewalt“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe VeranstalterInnen. Es war für heute eigentlich eine Vorlesung über die Ursachen der Gewalt geplant. Dieses Thema ist sehr aktuell. Ich werde also damit anfangen, eine ganz kurze Fassung der Vorlesung, die ich eigentlich geplant hatte, zu geben und gehe dann direkt auf heutige Lage ein.

Polarisierung und Enthumanisierung

Gewalt ist eingetroffen und es stellt sich die Frage, wenn dies bereits die Phase drei ist, wie die Phase eins und zwei aussieht. Was hat vorher stattgefunden? Die Idee, dass Gewalt biologisch genetisch angelegt ist, ist einfach Wahnsinn. Genauso wahnsinnig ist die Idee, dass Frieden schon vorgeplant ist. Sie sind vielmehr als Ergebnis zu sehen und von Strukturen und

Ursachen abhängig. Wenn also die eingetroffene Gewalt Phase drei darstellt, was ist nun

Phase zwei? Ich würde sagen, Phase zwei ist die Enthumanisierung. Man sieht einen Teil der Menschheit als Nichtmenschen an. Es ist nicht, dass sie nicht wie Menschen aussehen, aber man teilt sie ein in Kategorien wie Amerikaner oder Terroristen zum Beispiel, und einer dieser Kategorien hat man die Menschlichkeit abgesprochen. Diese Polarisierung und Enthumanisierung kann man mit einer Spirale von Aufrüstung kombinieren, dann bekommt man einen sogenannten ‚Kalten Krieg’. Das haben wir schon gehabt. Wir haben das durchgestanden und wir haben es gemeistert, in dem Sinne, dass es nicht zu einem ‚Heißen Krieg’ gekommen ist. Ich möchte hier die These vertreten, dass dies zu 80% der

Friedensbewegung zu verdanken ist und zwar in Ost und West. Dazu gehört der Widerstand in den Oststaaten gegen den Poststalinismus und der Widerstand in den Weststaaten gegen den Nuklearismus. Man hat einen Erfolg gehabt, ich komme darauf später zurück. Wenn also diese Polarisierung und Enthumanisierung die Phase zwei ist, wie sieht dann Phase eins aus? Phase eins sind die Konflikte, die nicht gelöst sind. Die Konflikte ohne Lösung sind trotzdem vorhanden, sie sind dort unten oder hinten, wie eine tiefe Wunde. Vielleicht gibt es einen Verband, so dass man die Wunde nicht sieht, aber der Konflikt ist immer noch da. Ein Konflikt besteht aus Zielsetzungen, die unvereinbar sind oder zumindest so aussehen. Konflikt ist noch nicht dasselbe wie Gewalt, ein Konflikt ist im gewissen Sinne eher eine abstrakte Sache, ein Widerspruch, der ganz häufig in Hass und in gewalttätige

Verfahrensweisen umschlägt. Es gibt also Konflikte, die nicht transformiert sind, die ganz tief und fest verankert da sind aber ohne Lösung bleiben. Die Politiker haben keine Ahnung, wie man damit umgehen müsste, überhaupt keine. Die Bevölkerung ist unmündig, die meisten Leute sind leider Analphabeten auf dem Gebiet der Konfliktlösung. Ich komme auf einige Charakteristika dieses Analphabetismus zurück. Damit habe ich also eine Kette angedeutet, die ich nicht als Kausalkette bezeichnen würde, sondern als Ausdruck einer gewissen Zeitreihe. Es fängt mit einem Konflikt an und der Konflikt findet keine Lösung. Der Hauptkonflikt in unserer Welt heute ist der Klassenunterschiede zwischen den Zivilisationen. Andere Konflikte sind zu finden in den Gebieten Geschlecht und Generation. Es gibt eine Menge, sie sind da, sie sind wichtig, wir reden darüber, aber wir lösen sie nicht. Dann kommt es so langsam durch Irritation, durch Frust, durch einen psychologischen Mechanismus zu der Enthumanisierung der anderen Seite. Dann fängt man mit Gewaltvorbereitungen an und schließlich kommt es zum Gewaltausbruch.

Der Satan als Archetypus des Bösen im Außen

Da gibt es nun auch diejenigen, die sagen, diese These stimme nicht, die sagen Gewalt sei ihre eigene Ursache. Und man findet etwas das vor einem steht, außerhalb von einem steht und man gibt ihm einem Namen: ‚das Böse’. Woher stammt diese Idee? Die kommt selbstverständlich aus den abrahamitischen Religionen – die Idee vom Satan, vom Teufel. Das ist derjenige, der eigentlich nur eine Zielsetzung hat, nämlich das Böse auszuüben. Das macht er ganz schön geschickt, er hat dafür auch eine Werkstatt, die Hölle, und die ist sehr gut eingerichtet. Außerdem gibt es eine Menge Menschen dort unten, die leiden. Man hat also eine Figur geschaffen. Mir wurde mal von einem indischen Philosophen gesagt: „Man kann viele Dinge über den Hinduismus sagen, aber so satanisch, dass wir den Satan erfunden hätten, sind wir nicht – daran seid ihr im Westen schuld.“ Ich fand das ganz zutreffend. Wir haben also einen Archetypus. Wir erinnern uns natürlich auch daran, dass der Satan einmal ganz oben war, als Erzengel, der dann gefallen ist. Er hat einmal mit Gott

zusammengearbeitet, sagen wir doch einfach mal mit dem CIA und dann ist er gefallen und ganz böse geworden und wurde Terrorist. Ich empfinde diese These als eine ausgesprochen dumme These und denke nicht, dass es so ist. Ich denke eher es gab genau diese angesprochene Kette vorher und es könnte sein, dass man etwas genauer hinschauen muss, um Phase zwei und Phase eins zu finden. Heute haben wir einen anderen Namen für Satan – den Namen Terrorist. Je häufiger man das Wort Terrorist sagt, desto mehr hat man den Intellekt und die Möglichkeit der Analyse abgeschrieben. Man sagt damit eigentlich ‚ich werde alles versuchen, um es nicht zu verstehen’. Man will es überhaupt nicht verstehen und behauptet einfach nur, sie seien böse, und dass sie es deswegen getan haben. Wenn ein Mensch innerhalb von 20 min 26 mal das Wort Terrorismus angewandt hat, weiß ich analytisch gesehen etwas darüber, wo er steht. Hier kommt etwas sehr entscheidendes: wenn man nur behauptet, jemand sei halt ein Terrorist, dann ist man im Sinne von Piaget im Stadium eins ‚Absolutismus’, mit der Einstellung: was passiert könnte gut oder böse sein, ich habe damit aber nichts zu tun – es kommt von draußen. Wenn man etwas älter ist, sagen wir sieben oder acht Jahre, fängt die Idee von Reziprozität, von Wechselseitigkeit, an. Es könnte sein, dass ich etwas tun kann und damit kann ich das Gute oder das Schlechte im anderen herausholen und der andere könnte das mit mir tun. Das folgt zu einer Kette und es könnte eine gute Kette sein oder eine böse, eine sogenannte Vergeltungskette. Man könnte also sagen, dass die Regierungen, so wie sie heute reden, knappe vier Jahre alt sind, sieht man sie im Sinne Piagets. Das ist kein Kompliment und es soll auch keins sein. Ich finde es empörend, dass die Regierungen ihre Bürger so schlecht behandeln und ihre Einschätzungen als Analyse verkaufen wollen. Es ist eine Tatsache, dass es Gewaltspiralen gibt und man vergisst die Vergangenheit der Phase eins und Phase zwei und stattdessen sieht man nur noch die Gewalt von gestern und vorgestern. Die Gewaltspirale dreht sich weiter und weiter und wir nennen es die Vergeltungskette. Es stellt sich die Frage, wie man da aussteigen könnte und man raus kommt - das ist nicht so einfach. Es gibt ein einen Ausdruck, der kling religiös und ist auch so gemeint, die Phase vier, und die heißt ‚Versöhnung’. Die Meister der Versöhnung seid ihr, die Bundesdeutschen. So sehen sich die Deutschen selbst meist nicht, denn es ist meist nicht gut angesagt, in Deutschland gut über die Deutschen zu reden. Wenn man schlecht über die Deutschen redet, dann sind die Deutschen meist ganz glücklich. Ihre ursprüngliche Idee war schließlich, die Besten sein zu wollen. Nun sagen sie sich, wenn wir schon nicht die Besten sind, dann sind wir wenigstens die Schlimmsten. Und nun kommt also jemand und sagt, ihr seid doch gar nicht so schlimm. Ich verdeutliche das folgendermaßen: man hat 18 Länder besetzt während der Nazizeit, darunter auch mein eigenes Land, man hat alles versucht, um zwei Volksgruppen auszurotten, die Juden und die Sinti und Roma und heute hat man gute Verbindungen zu allen 20. Ich würde sagen, dass dies meisterhaft ist – ich kenne dafür kein anderes Beispiel in der Geschichte, wo man das geschafft hätte.

Diagnose, Prognose, Therapie

Es gab also einen Anschlag in Manhattan und diejenigen, die das verübt haben, haben einen Text hinterlassen, keinen Brief. Dieser Text ist auf drei Gebäude geschrieben, das ökonomische Amerika, das militärische Amerika und das außenpolitische Amerika. Wie kann man das verstehen? Um einen Text zu verstehen, muss man auch sehen, was nicht im Text steht. Der US-Kongress wäre ein einfaches Ziel gewesen, das Gebäude ist groß und deutlich zu sehen. Man hat also eine Wahl getroffen. Wenn man also sagt, es sei gegen die westlichen Demokratien, ist das ganz einfach eine Lüge. Wenn das der Fall wäre, hätte man dieses

Gebäude zerstört. Wäre es gegen die amerikanische Zivilisation und gegen die amerikanische Kultur, wäre das Lincoln Memorial, das Arlington Cemetery, das Museum of Modern Art, einige Kathedralen oder Hollywood, also Dinge an die die Amerikaner glauben und die sie sehr lieben, die Ziele gewesen. Das hat man aber nicht getan. War es also gegen Amerikaner – ja es war teilweise gegen Amerikaner. Es war verrückt, es war Gewalt, es war grausam und ich finde es absolut falsch. Ich möchte sehr viel lieber etwas Gewaltloses gesehen haben. Dennoch werde ich versuchen, es zu verstehen. Der Text ist kristallklar, gegen das Ökonomische, gegen das Militärische und gegen das Außenpolitische. Wir reden hier also auch von struktureller Gewalt, die von den USA ausgeht. Es handelt sich also um eine Vergeltung. Kann man es anders deuten, vielleicht als Eroberungsversuch –ich glaube nicht.

Ich glaube nicht, dass die Leute, die hinter dem Anschlag stehen, dies als Anfangsphase der Eroberung der USA ansehen. Warum glaube ich dies nicht? Dann hätte man das anders getan, dann hätte man mit dem Fernsehen angefangen, man hätte alle Fernsehkanäle versucht einzunehmen oder einen Coup gegen die Regierung zu machen. Die Regierung selbst hat man sogar außer Acht gelassen und als unwichtig empfunden.

Konflikt zwischen Arm und Reich

Um was für einen Konflikt handelt es sich also? Ich behaupte, es handelt sich um einen Klassenkonflikt. Der internationale Klassenkonflikt zwischen den reichen und armen Ländern und zwischen reichen und armen Menschen. Diese Konflikte sind weltpolitisch und innenpolitisch zu verstehen. Wie erklärt man dann, dass man diesen Konflikten so gerne arabische Namen gibt? Ich weiß überhaupt nicht ob das wirklich stimmt. Ich glaube um ganz ehrlich zu sein, Washington kein einziges Wort. Ich glaube zwar noch, dass Washington Washington heißt, aber das ist dann auch das einzige – ich kenne die Anschrift. Ich erinnere mich gut, wie das Gebäude in Oklahoma zerstört wurde. Da sah man eine Menge Menschen im Fernsehen, die Terrorismusexperten waren und viele haben behauptet, es sei typisch für den Osten. Ein Botschafter hat gesagt, es habe eindeutig die Signatur des Ostens. Und alles was wir dann noch brauchen ist zu wissen, von welchem Land der Terrorist kommt und dann kann man das Land bombardieren. Es hatte aber gar nichts mit dem Osten zu tun, sondern es kam aus dem Westen, aus den Vereinigten Staaten selbst. Ich war dann als Professor der Vereinigten Staaten eingeladen, um etwas dazu sagen. Ich habe dann gesagt, die Lösung sei doch völlig klar, der Mittlere Westen müsse unmittelbar bombardiert werden. Ich wollte, dass diese Leute endlich lernen, worum es geht. Dann hat aber jemand diese Worte benutzt, ohne die Einleitung dazu zu erwähnen und ich habe um Entschuldigung gebeten. Dies nur als kleine Seitenbemerkung.

‚Warum?’ ist wichtiger als ‚wer?’

Ich weiß noch nicht wer das getan hat, aber ich weiß warum. Ich glaube auch, dass die Fragestellung ‚warum?’ wichtiger ist als die Fragestellung ‚wer?’. Wenn man versucht so schlampig mit der Realität umzugehen, so dass man nur vom Terrorismus und vom Bösen spricht, dann ist ‚wer?’ wichtig, weil dann die Aufgabe klar ist: das Böse zu orten ‚and to crush’, wie Collin Powl das ausdrückt. Wenn man aber fragt ‚warum?’, dann gibt es fünf andere Möglichkeiten: die Konflikte zu identifizieren, Dialoge zu initiieren, Konflikte zu lösen, sich vielleicht – auf beiden Seiten, nicht nur die Vereinigten Staaten auch die andere Seite - für einige Dinge zu entschuldigen und Versöhnung. Das wäre ein Fünf-PunkteProgramm und ich werde das etwas detaillierter ausführen. Ich glaube jedenfalls dies wäre eine Lösung für die Menschen, die versuchen sich ein wenig über das Stadium des

Vierjährigen zu erheben. Es gab zum Beispiel im amerikanischen Fernsehen eine Psychologin und sie hatte als Problemstellung die schwierige Frage, was man den Kindern sagen solle. Sie hatte ein Beispiel: ein amerikanisches Kind hat gefragt: „Mama, was haben wir getan, dass diese Menschen uns so hassen?“ Das ist eigentlich keine schlechte Frage. Die Antwort war : „Sieh mal, es gibt eben böse Menschen und es gibt gute Menschen“. Nun frage ich mich also, wer denn im Piaget-Stadium 1 und wer im Stadium 2 ist – es ist keine Empfehlung für ihr Psychologiestudium.

Mit diesem Fünf-Punkte-Programm eröffnet man neue Möglichkeiten. Mit der

Vergeltungskette hat man keine Möglichkeiten, die Prognose für diese Wahl sieht nicht gut aus. Man muss hier einiges ganz klar sehen – die Zerstörungskraft der Vereinigten Staaten ist fast unbegrenzt. Es gibt eine bestimmte Zerstörungskraft und es gibt eine gewisse

Verletzbarkeit: Z - V. Auf der Gegenseite haben sie viel weniger Zerstörungskraft, aber eben auch viel weniger Verletzbarkeit. Wenn man diese beiden Differenzen vergleicht, könnte man feststellen, dass die Gegenseite überlegen ist, es ist also Vorsicht geboten. Das wissen sie auch in Washington und deshalb habe ich die Angst, dass sie alle möglichen Wurzeln, die sie Terrorismus nennen, ausrotten wollen. Ich möchte hier auch etwas über diese Wurzeln sagen. Ich könnte eine Liste von Ländern nennen, die etwas länger ist und in denen die USA seit dem zweiten Weltkrieg unschöne Dinge getan haben. Dadurch könnte es dazu kommen, dass es dort einige gibt, die gerne Vergeltung ausüben möchten.

Guatemala, Honduras, El Salvador, Dominikanische Republik, Nikaragua, Panama,

Kolumbien, Peru, Ecuador, Bolivien, Chile, Argentinien, Paraguay, Uruguay, Brasilien, Kuba, Grenada, Kongo, Angola, Mozambique, .... – wenn ich im Fernsehen an diesem Punkt angelangt bin, sagen die meisten Moderatoren „Herr Galtung, wird es noch lange dauern?“

Und ich sage dann „Ja, es wird noch lange dauern.“

... Somalia, Libyen, Palästina, Libanon, Syrien, Irak, Iran, Afganistan, Vietnam, Kambotscha, Laos, Indonesien, Korea, Nordkorea, Südkorea, Bosnien, Serbien, Kosovo, Macedonien. Es ist also eine lange Liste. Wenn man diese Liste nicht kennt und nicht weiß, was vor sich gegangen ist, hängt das damit zusammen, dass man nicht in einem freien Land lebt und keine freie Presse hat. Diese Liste ist elementar. Die Dissidenten der CIA haben gesagt, dass der CIA von 1947 bis 1987 sechs Millionen Menschen getötet hat. Was sind das für Menschen?

Kleinbauern mit Kooperativen, Gewerkschaftsleute, kleine Leute. Wo hat das stattgefunden.

Zum großen Teil in den Republiken der Anden, in Südasien, teilweise in Westasien und in Schwarzafrika. Es hängt mit Klasse zusammen. Ich könnte die ganze Länderliste durchgehen und müsste feststellen, dass es mit Klasse zu tun hat. Dieser Klassenkonflikt hat sich aber bewegt. Jetzt versteht man darunter in Washington und in der westlichen Welt einen Konflikt mit Fundamentalisten und meint damit Mensche, die nicht denken. Vor zwanzig Jahren war es nicht so. Vor zwanzig Jahren richteten sich die Ängste auf marxistische Studenten in den lateinamerikanischen Universitäten, die Verbindungen zu Gewerkschaftsleuten und Kleinbauern hatten. Sie waren aufständisch und man hat versucht, es mit der Vokabel Kommunismus zu brandmarken und mit der Gefahr der sowjetischen Einmischung zu rechtfertigen. Wenn man noch zwanzig Jahre weiter zurück geht, ist man am Anfang des Vietnamkrieges. Es handelte sich dort überwiegend um vietnamesische Kleinbauern, arme Leute also, sowohl im Süden als auch im Norden. Wenn man verstehen möchte, wie die Leute im Westen darüber gedacht haben, kann man das Buch von Roberts McNamara ‚In Retrospect’^1^ lesen. Noch zwanzig Jahre vorher war das Problem in Korea. Es gab ein Volk, das gerne zusammenleben möchte. Statt zu versuchen, zu verstehen, was es heißt, wenn ein Land in zwei Teile geteilt wird – die Deutschen haben es verstanden, aber sie hatten es nicht gewagt etwas zu sagen – schlägt man auf einen Teil los und versucht selbst gegen die Arbeiterklasse im Süden Bomben zu schmeißen.

Insgesamt sind ca. 10-12 Millionen Menschen gestorben, was vielfach mit der Gewalt der

Vereinigten Staaten zu tun hat. Es hat auch mit einer Mischung von Größenwahn und Paranoia zu tun. Es gibt Leute, die auf der selben Seite sind und ich glaube, dass sie der gemeinsame Nenner der Klasse verbindet.

Zivilisation und Islam

Man ist nach Irak, Iran und Afghanistan gekommen, durch Libyen, Syrien und den Libanon und den ewig andauernden Konflikt, der mit der Unterdrückung der Palästinenser zu tun hat. Amerika hat wahnsinnige Ängste, dass ein eigenständiger palästinensischer Staat als Ermunterung und Präzedenzfall dienen könnte für andere Volksgruppen, die auch in der Nähe und in den Vereinigten Staaten selbst Unabhängigkeitsbestrebungen zeigen. Schließlich richtet sich die Aufmerksamkeit nun diesem Teil der Welt zu. Korea und Vietnam sind fast vergessen und auch was sich in Lateinamerika abgespielt hat. Ich glaube aber, dass es nicht in den Herzen der Menschen vergessen worden ist. Und ich glaube auch, man sollte nicht das Solidaritätsgefühl im Süden, in der dritten Welt unterschätzen. Es könnte also sein, dass diejenigen, die die Terroranschläge begangen haben, das Gefühl haben, sie haben viele Leute hinter sich. Es gibt nicht nur die Opfer die getötet wurden, sondern auch immer mindestens zehn, die zurückgeblieben sind, Verwandte, Freunde, Kollegen, Nachbarn. Insgesamt könnte man dann von ca. 120 Millionen Menschen sprechen. Das könnte also ein außerordentliches Potenzial an Hass darstellen. Ich würde sogar mit 500 Millionen rechnen. Das vorhin erwähnte Kind, welches die Frage stellte, hat also eine gute Frage gestellt. Sieht man die Dinge auf diese Weise, ist die Prognose, dass es weitergehen wird. Diejenigen, die die Terroranschläge geplant haben, haben vielleicht auch noch weitere vierte und fünfte Phasen geplant. Man könnte in diesem Zusammenhang auch die Frage stellen, wo das Uran geblieben ist, das aus Russland verschwunden ist. Man könnte noch viele Fragen aufwerfen. Ich habe eine Liste von Methoden – als Friedensspezialist bin ich gleichzeitig auch Gewaltspezialist – aber diese Liste werde ich niemals veröffentlichen. Die wird mit mir sterben, denn ich möchte niemandem solche Ideen weitergeben. Ich kann aber sagen, dass ich schon seit wenigstens zwölf Jahren eine solche Situation, wie sie eingetroffen ist, befürchtet habe. Ich war mir außerordentlich sicher, dass so etwas eintreten wird.

Die Situation ist also sehr gefährlich, denn nun handelt es sich nicht um einfache Studenten in den Anden oder Kleinbauern usw.. Es ist nun potenziell eine Frage einer ganzen

Religionsgemeinschaft. Jeder Muslim ist, wenn der Islam als solches bedroht ist, im Prinzip bereit, sein Leben zu opfern. Damit habe ich nicht gesagt, dass sie gewalttätig sind. Ich glaube, dass dies nur eine kleine Minderheit ist und es große Gruppen gibt, die sich gewaltlos einsetzen könnten. Und 1,2 Milliarden Menschen sind einen Menge. Ich bin nicht davon überzeugt, ob 1,5 Milliarden Christen diese Bereitschaft aufbringen. Ist es also gegen den Islam gerichtet, wenn Bush über Kreuzzüge redet oder sein Verteidigungsminister davon spricht, dass es möglicherweise 6o Staaten auf der Welt gibt, die man als Wirtsstaaten für Terroristen bezeichnen könne. Das zeichnet ein düsteres Bild. Wenn Bush in eine Moschee hineingeht, sieht das schon besser aus. Wenn der Berlusconi dann ein Rede gibt und behauptet es gäbe noch Länder, die nicht vom westlichem Lebensstil erobert sind, und es Zeit werden würde, dass das geschieht, sieht es schon wieder schlimm aus. Ich würde aber trotzdem auch heute noch behaupten, dass es kein Krieg der Zivilisationen ist. Trotzdem gibt es etwas sehr gefährliches. In meiner Einleitung habe ich von der Phase zwei – Enthumanisierung und Polarisierung – gesprochen. Es gibt in den abrahamitischen Religionen – besonders im

Christentum und Islam, etwas weniger im Judentum – drei Figuren oder Archetypen, die in uns eingegraben sind. Sie sind Dualismus-Manichäismus^2^ und das Armageddon. Die Welt ist in zwei geteilt, und zwar die bösen und die guten Kräfte – wir sind natürlich auf der guten Seite – aber es wird trotzdem mit einem Armageddon enden. Ein Buch, das man Bibel nennt ist so geschrieben und man findet die selben Töne im Koran. Man könnte also sagen, dass die Gläubigen in diesen abendländischen Religionsgemeinschaften schon vom Ausgangspunkt aus vollständig polarisiert sind, wenn sie Anhänger der hart ausgelegten Fassungen dieser Religionen sind.

Es gibt im weißen Haus einen texanischen Fundamentalisten. Es gibt auf der anderen Seite auch Fundamentalisten, das stellt genau die harte Seite dar. Es ist also höchste Zeit, dass die sanfteren Kräfte im Islam und im Christentum sich die Hände reichen, und überall auf der Welt einen Versöhnungsdialog einleiten.

Wir dürften niemals die Politik den Harten überlassen. Den Fehler macht man leider ganz häufig, und zwar weil sie sehr überzeugend wirken und alle dasselbe sagen: wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das ist Dualismus. Das ist ganz klar Manichäismus. Und damit bereiten sie das Armageddon vor. Fahren wir nicht in diesem Kielwasser.

Was können wir also tun? Ich habe es bereits angedeutet, zuerst die Konflikte identifizieren und dann Dialoge und Lösungen finden. Ich werde unmittelbar zwei Lösungen vorschlagen, die ganz einfach sind, es wird nicht viel kosten.

Bin Laden - ob er etwas damit zu tun hat oder nicht spielt eigentlich keine Rolle - er artikuliert etwas. Es könnte sogar sein, dass das was er sagt wichtiger ist, als das, was er vielleicht getan hat. Er hat zehn Jahre lang auf der Seite Amerikas gegen die Sowjets gekämpft - 1979 bis

  1. 1986 hat Gorbatschow den Rückzug der Sowjetischen Truppen eingeleitet und Afghanistan war das Vietnam der Sowjets.

Die Afghanen sagen, dass sie fünf Millionen Menschen verloren haben - getötet, verletzt, vertrieben, Flüchtlinge und Diaspora. Sie sagen auch, dass es eigentlich ihnen zu verdanken sei, dass der kalte Krieg verschwunden ist, weil sie die Sowjets nicht nur gedemütigt sondern eigentlich geschlagen haben. Sie sagen weiterhin, dass sich niemand vom Westen bei ihnen bedankt hätte, kein einziges Wort. Der Hans Dietrich Genscher zum Beispiel hat sich höchstens selbst ein Lob für seinen Einsatz gegeben. Afghanistan könnte das durchaus anders sehen, aber das nur als Nebenbemerkung. Das ist nur ein Teil dessen was auch Bin Laden zum Ausdruck bringt, etwas anderes ist das folgende: Arabien ist das heilige Land der Moslems mit zwei heiligen Stätten. Und dort gibt es amerikanische Militärrechte. Bin Laden war, zu seinem Heimatort zurückgekommen, schockiert über das was er da vorgefunden hat. Und er hat gesagt: ”Weg mit euch - raus.” Doch die Moslems haben die Erfahrung, dass die Westler nie hören, was sie sagen. Selbst auf das Gebrüll hören sie nicht. Sie sagen sich:

„Wir haben 1400 Jahre versucht zu erklären, was Djihad^3^ heißt, es heißt nicht ‚Heiliger

Krieg’, es heißt ‚Anstrengung für die reine Lehre’.“ Die vierte Etappe davon ist die defensive

Verteidigung und das haben sie nur dreimal gemacht: gegen die Kreuzzüge, gegen den Zionismus und gegen den Kommunismus in Afghanistan, das war der große Djihad. „Aber es spielt keine Rolle, was wir sagen, die hören sowieso nichts. Also kommen wir ab und zu auf den Gedanken, dass die einzige Sprache, die die Westler verstehen, Gewalt ist - also werden wir es mit Gewalt sagen.“ Dies sagen wohlgemerkt Einzelne. Dann gab es zum Beispiel Angriffe auf amerikanische Militärbaracken und gegen ein amerikanisches Kriegsschiff. Die Beschlussfassung von Amerika gestern war, dass sie die Bombenangriffe auf Afghanistan von Basen in Saudi-Arabien ausüben werden und sie sind überzeugt, dass sie dort mitmachen, wenn man nur die Extremisten bebombt. Das ist keine gute Antwort. Die Antwort wäre, die Truppen zurückzuziehen. Die Welt würde dadurch nicht zusammenfallen.

Aber was tut man dann mit den Terroristen? Man könnte eine Polizeiaktion durchführen. Diese Polizeiaktion macht man genau so, wie man im allgemeinen bei Kriminellen eingreift – als erstes eine Fahndung. Wenn ein Mörder beispielsweise sich in einem Wald versteckt, bombardiert man auch nicht den ganzen Wald. Das ist nicht die geeignete Methode, man sollte eine Fahndung machen. Diese Methode wird von der Polizei in aller Welt angewandt, es gibt Polizeien, die es besser macht und es gibt Polizeien, die das nicht so gut können, aber es wäre möglich. Ich bin auch der Meinung, dass man die Schuldigen der Attentate finden muss und vor ein Gericht stellen sollte. Aber ich möchte gerne vor diesem Gericht hören, was sie zu sagen haben. Also nicht nur die Antworten auf die Fragestellung der Richter, sondern was sie wirklich zu sagen haben.

Erlauben sie mir eine kleine Randbemerkung. In Norwegen gab es einen Hochverräter, der behauptete, dass der wirkliche Feind in Europa die Sowjetunion und nicht Nazideutschland sei und deswegen mit Nazideutschland zusammen gegen die Sowjetunion gekämpft werden sollte. Er wurde hingerichtet, ohne die Möglichkeit im Gericht des rechtstaatlichen Norwegens zu haben, zu erläutern, wie er die Lage gesehen hat. Vier Jahre nachdem er erschossen wurde, wurde dies zur offiziellen Außenpolitik Norwegens. Er war also ein wenig zu früh damit. Ich bin kein Bewunderer, kein Anhänger von ihm, ich sage nur, dass man den Mut haben muss, diese Seite zu hören.

Also- Truppen zurück. Dürfte man sich entschuldigen? - ja. Ein Natokommando im Vatikanstaat wäre auch keine gute Idee. Es könnte sein, das einige Katholiken sich ein wenig verletzt fühlen würden. Ein Muslimisches Oberkommando in einem besetzten Vatikanstaat?

Auch keine gute Idee - es könnte sogar sein, dass es zu einem Rückschlag kommen würde.

Hat man also überhaupt verstanden, was das heißt. Oder kennt man nur die Vokabel Fundamentalisten für die Leute, die so reden, wie ich den Bin Laden zitiert habe. Damit werden Vernunft, Rationalität wirkliche Gefühle abgesprochen.

Globalisierungsfreihe Zonen und Demokratisierung

Versuch Nummer Zwei: Wenn man das ökonomische Amerika und das militärische Amerika zusammen legt, bekommt man die Globalisierung. Die Summe von diesen beiden Säulen ist Globalisierung. Könnte man sich globalisierungsfreie Zonen vorstellen? Es gibt die These, dass Globalisierung das Beste sei. Es gibt Leute, die diese These vertreten. Aber es es gibt Zonen in der Welt, die nicht bereit für eine solche Globalisierung sind. Ich habe drei erwähnt- die Republiken in den Anden, Bolivien, teilweise auch Chile, es beginnt also nördlich von Argentinien und es endet mit Mexiko. In Schwarzafrika und Südasien ist es genauso. Könnten sie dort nicht Globalisierungsfreiheit haben. Die dritte Welt hat ja die Kyotoprotokollfreiheit. Warum soll es da nicht möglich sein, über Globalisierungsfreiheit zu reden? Also liebe Bundesregierung- hier haben sie eine Initiative, nehmen sie es- die Idee ist frei, ganz frei und bietet eine Möglichkeit. Dies würde dann selbstverständlich mit anderen Initiativen vereinbar sein. Zum Beispiel einer massiven Offensive zur Unterstützung der Lokalökonomie. So könnten die zahlreichen Agrargemeinschaften in die Lage versetzt werden, für die

Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse zu sorgen. Das ist völlig möglich. Technologien gibt es genug, den Zugang könnte man über das Internet bekommen, besonders wenn Intellektuelle sagen würden, dass alles was sie erfunden haben und das für die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse wichtig sein könnte, frei sei. Es gäbe keine Patente. Wenn es Patente gibt, wehrt man sich eben gewaltlos und stellt das Wissen trotzdem zur Verfügung – so könnten es die guten Wissenschaftler machen. Ich meine damit nicht, dass es böse Wissenschaftler gibt, aber es gibt mit Sicherheit böse Strukturen. Dies wäre wirklich möglich und es würde eine große Veränderung bringen.

Gehen wir weiter zur Palästina und Israel. Heute ist die Lage nicht reif. Es ist so unreif wie die Lage 1987 in Südafrika und doch hat man fünf Jahre später die Lösung gefunden. Warum? Frederic LeClerk und Nelson Mandela haben zum Beispiel mir und vielen anderen Leuten das folgende gesagt: ”Die Apartheitsmenschen waren demoralisiert.” Wann ist man demoralisiert? Das entsteht durch das Verstehen, dass das, was man tut a –unmoralisch und b –nicht durchführbar ist.

Wenn es unmoralisch ist, aber möglich zu tun, dann bleibt man vielleicht dabei. Aber wenn es dazu auch noch unmöglich ist, dann kommt eine leichte Depression. Wir kriegen alle diese Depressionen ab und zu. Was tut man dann? Nachdenken, Denkpause, versuchen zu verstehen, was vor sich geht, Dialog, Konflikte lösen, Versöhnung. Das haben sie in Südafrika getan. Das haben Frederic LeClerk und Nelson Mandela und ihre Leute hervorragend gemeistert. Also setzen wir diese zwei Leute mit ihrer Erfahrung ein in Israel und Palästina. Also bitte: Nelson, Frederick, where are you, when we need you? Geht mal dort hin. Es spielt keine Rolle Nelson Mandela, wenn du ein wenig krank bist, Deine Austrahlung ist trotzdem fantastisch.

Ist Israel dazu bereit? Noch nicht. Am Ende des Weges auf dem Israel sich, geleitet von Sharon, befindet, gibt es keine Sicherheit. Das weiß die Mehrheit. Was man dort am Ende findet ist noch größere Unsicherheit. Daher wiederum wird man die Demoralisierung erfahren und die Demoralisierung wird eintreten, was tut man dann? Der Mittlere Osten, wie ich ihn als einen Mittleren Osten des Friedens verstehen würde, täte in dieser Region mit dem verhassten Israel genau dasselbe, was fünf Länder mit dem verhassten Deutschland getan haben. Die fünf Länder waren die drei Benelux-Länder, Italien und Frankreich. Dieser Prozess hatte seinen Preis und hat geschmerzt. Man hat also eine Gemeinschaft gemacht. Man sollte also eine Gemeinschaft des Mittleren Osten machen. Libanon, Syrien, Palästina – das es heute noch nicht gibt - und Israel. Eine Konsensgemeinschaft für Wasserprobleme, für Flüchtlingsprobleme, Waffenprobleme, Drogenprobleme, für Handel und Tourismus. Dann geben Jordanien und Ägypten ganz viele Quadratkilometer den Palästinensern - für 99 Jahre, weil Palästina zu klein ist. Palästina wird selbstverständlich anerkannt mit einer Hauptstadt in Ost-Jerusalem und dem Right of Return - über die Anzahl kann man diskutieren. Zwei palästinensische Kantone in Israel, in der Nähe von Nazareth und Haifa. Zwei jüdische Kantone auf der Westbank. Man macht einen Staatenbund und der Staatenbund könnte eine weitere Fortsetzung dieser Gemeinschaft sein, aber nicht nur mit Israel und Palästina. Andere müssen sich daran beteiligen. Auf die komplette Anerkennung folgt dann die positive und kooperative Zusammenarbeit. Ich könnte sehr viel mehr dazu sagen, ich habe das nur angedeutet, aber ich bin überzeugt, dass es ist komplett möglich wäre, so etwas zu realisieren. Welches sind nun die Staaten, die als Vermittler funktionieren könnten? Nicht die Vereinigten Staaten. Den Vereinigten Staaten sagt man: „Vielen Dank für ihre Bemühungen, sie haben leider nicht so ganz geglückt. Geht mal nach hause und macht aus den Vereinigten Staaten ein gutes Land, da gibt es viele Aufgaben.“

Die Nordische Gemeinschaft, die Europäische Gemeinschaft und Asien. Das sind Länder, die erfolgreich Gemeinschaften erbaut haben und dadurch besser mit Konflikten umgehen konnten. Dort gibt es auch noch ein wenig Geld – sie könnten also ihre Erfahrungen und ein wenig Geld einspritzen – es wird dort gebraucht.

Ich habe schon einige Vermittler angedeutet. Die Stunde dafür hat noch nicht geschlagen, die Zeit ist noch nicht reif, aber es möglich, so etwas zu tun, nicht heute, nicht morgen, aber bestimmt übermorgen.

Wir gehen weiter. Ich möchte eine Reihe von Widersprüchen aufzeigen, in die sich die Vereinigten Staaten verfangen haben.

Liebe Freunde in Washington, von diesen 14 Widersprüchen kommt ihr nicht los. Ihr habt keine Ahnung, wie ihr das meistern könnt. Das Wort Widerspruch ist nicht dasselbe wie ein Problem. Mit Problemen bist du meisterhaft, du nimmst Probleme an und das ist das Wunderbare an Amerika und an den lieben Amerikanern. “What- the car is in A and ist should be in B - ....roll up the sleeves, get the fucking car moving.”^4^ Das ist Amerika – ich habe es gern – ich liebe es. Es ist mutig, sehr häufig innovativ, optimistisch, kollektiv. Aber mit diesen Widersprüchen kommst du nur aus, wenn du dein System veränderst. Das heißt ganz einfach das folgende: Das Bestreben der momentanen Amerika-Ökonomie aufzugeben. Ich glaube es wird so enden, wie William Pfaff, ein Kolumnist der Herald Tribune es gesagt hat: Zurückziehung ist Rationalismus. Ich würde das begrüßen. Ich glaube, dass das eine Herausforderung für uns alle ist. Was sind die Alternativlösungen? Das Land das davon am meisten profitieren würde sind die Vereinigten Staaten. Man brauch diese Alpträume nicht mehr von diesen ganzen angeblichen Terroristen. Sehen wir auf die Blüte Londons nach der Aufgabe des Imperialismus. Guck mal Deutschland an- ich glaube man ist glücklicher heute als während der Nazizeit. Ganz einfach aus einem wesentlichem Grund, man hat weniger Probleme. Imperialismus tut dem Schlafen nicht gut – und schon gar nicht gegen Depressionen. Am Anfang scheint es vielleicht nicht so schlecht zu sein, aber dann wird es immer schlimmer. Ich habe jetzt also eine Liste von 14 Widersprüchen – 1980 hatte ich einmal eine Liste von fünf Widersprüchen für ein Land. Meine Vorhersage damals war, der Imperialismus und die Mauer können unmöglich noch mehr als zehn Jahre überleben. Der

Name des Landes ist Sowjetunion und diese Vorhersage habe ich ganz häufig gemacht, eines Tages auch in einer Gesellschaft in Dänemark, der Dänischen Geographischen Gesellschaft. Sie haben beim Mauerfall von Berlin ein Telegramm geschickt. „Lieber Johan, das hatte zwar gestimmt, aber mit knappen zwei Monaten Verspätung. Sei doch nächstes Mal bitte etwas genauer“ Das ist typisch dänisch.

Ich habe von 14 Widersprüchen geredet, das Attentat von Manhattan hat nur mit Widerspruch vier zu tun: der Wechselseitigkeit Terrorismus und Staatsterrorismus. Nur diese

Vergeltungskette ist entscheidend, obwohl es dreizehn andere gibt. Man stelle sich also vor: man sitzt dort oben mit vierzehn Widersprüchen auf dem Tisch und es sieht ein wenig hoffnungslos aus. Also die leichte Depression kommt. Dann kam der Bush und ich sage, das kann zwar 20 Jahre aber wohlmöglich auch nur 15 Jahre dauern, da der

Beschleunigungsfaktor G.W. Bush so hoch ist. Wie es sich weiterentwickeln wird weiß ich selbstverständlich nicht, aber meine Ahnung geht in die angedeutete Richtung.

Deutschlands Versöhnung

Ich komme dann zum Ende und ich möchte noch etwas über Versöhnung sagen. Deutschland, wie ich das Land kenne, hat vier Phasen durchlaufen:

Phase eins - nach dem Kriege. Diese Phase eins hat so ungefähr zwanzig Jahre gedauert. Die Einstellung war: Das mit Juden war grausam davon sind wir schon überzeugt, aber guckt doch auch mal auf Dresden, Hamburg- also ausgeglichen, ausgewogen. Also Gewalt eins plus Gewalt zwei gleich null. Eine ganz klare Gewaltmathematik, die sich von üblen Gefühlen frei machen kann.

Phase zwei: Manche sagen, dass es von der neuen Generation ausging, die fragte:. “Papa was hast du während des Krieges gemacht?” Und man fing an, sich ganz einfach zu schämen. Das kam als Gefühl aus dem Bauch, wo die Gefühle zu hause sind, nicht alle Gefühle, einige mehr als andere.

Phase drei: Diese Phase wird durch Willi Brandt – auf den Knien – symbolisiert. Diese Geste war sehr klar und hatte sich christlicher Symbole bedient. Es geschah vor einem Monument, dem Monument des Warschauer Ghettos. Es gab keine Worte, nur Stille. Ich bin sehr stolz, dass er fast Norweger war. Er hat auf einer Tagung in Götteburg gesagt – er rede sehr gut schwedisch und norwegisch, aber er träume auf norwegisch.

Phase 4: diese Phase hat in der Welt am meisten Eindruck gemacht. Die Schulbücher mussten neu geschrieben werden, was natürlich schon vorher angefangen hatte. Es wurden Museen gebaut. Es wurde Wert darauf gelegt, dass jeder es weiß und die Tatsachen für die kommenden Generationen ersichtlich sind. Das ist schon Besonders. Japan hat dies bis jetzt nicht geschafft. Und die USA schon gar nicht.

Ich glaube diese Phase wird auch für die Vereinigten Staaten kommen und auch für diejenigen, die 6000 Menschen kaltblütig ermordet haben. Ich habe einen Vorschlag:

Schicken wir 1000 deutsche Versöhnungsbürokraten nach Amerika. Mit

Versöhnungsbürokraten meine ich Bürokraten, die mit Versöhnungsdirektiven kommen und nach Amerika kommen, um Kurse in Versöhnungsstrategie Theorie und Praxis zu geben. Die Deutschen haben Kurse sehr gerne, sie geben gerne Kurse. Aber sind die Amerikaner bereit das zu hören? Heute nicht, morgen nicht, übermorgen vielleicht doch.

Eine gigantische Nord-Süd Friedensbewegung

Es gibt viele Dinge, die machbar wären und ich beginne mit dem letzten: Eine gigantische Nord-Süd-Friedensbewegung. Es gab eine große Meinungsumfrage in 31 Ländern. Es wurden etliche Menschen befragt und die Frage ließ nur zwei Antworten zu. Was möchten Sie gerne sehen – einen gigantischen Militärschlag gegen diejenigen, von denen man glaubt, dass sie daran schuld sind oder eine Polizeiaktion, um die Schuldigen zu finden und vor einen Gerichtshof zu stellen. In allen Ländern, mit zwei Ausnahmen war es nur eine ganz kleine

Minderheit, weit unter 20%, die dem Militärschlag zugestimmt hat. Die zwei Länder waren Israel mit 77% und die USA mit 54%. Das Land in Europa mit dem höchsten Prozentanteil für einen Militärschlag war Frankreich mit 29%. Lesen Sie den Text der Marseillaise und sie werden verstehen woher das kommt. Da steht sinngemäß, dass den Feinden wie Kühen der Hals durchschnitten wird um mit ihrem Blut den Acker zu bewässern. Eine landwirtschaftliche These?– ich denke sie ist nicht so ganz geglückt, aber da sollen die Franzosen selber drüber nachdenken.

Die Amerikaner sind für Demokratie und Globalisierung begeistert, also sind sie auch für die

Globalisierung der Demokratie begeistert. Ich glaube, dass dies das nächste Ziel ist, eine Globalisierung der Demokratie. Bis jetzt waren in den globalen Entscheidungen weder China und kaum islamische Länder einbezogen.

Eine gigantische Friedensbewegung in den Straßen mit Parolen wie: Nachdenken, Selbstreflektion – woher und warum kommt es, wo sind die Konflikte, Dialog, Lösungen finden, Versöhnung.

Ich danke Ihnen

Ich nehme ihren Beifall an im Namen der Opfer und der Hinterbliebenen - Mitleid mit allen, die Opfer der Gewalt geworden sind und dies verpflichtet uns alle, alles mögliche zu versuchen, um aus dieser Spirale herauszukommen. Danke noch einmal.

  1. „In Retrospect : The Tragedy and Lessons of Vietnam“ - von Roberts McNamara, Brian Vandemark, Vintage Books USA (März 1996)

  2. Manichäismus – von dem Propheten Mani (216 - 276). Streng dualistisch aufgebaut. Er sieht die Welt von zwei ewigen, im Grunde aber gleichrangigen Prinzipien durchwirkt: Zum einen das Gute und zum anderen das Böse, denen andere Gegensatzpaare, wie Licht und Dunkelheit, Körper und Seele, Leben und Tod, an die Seite gestellt werden.

  3. Djihad, derarabisch: Bemühen – der vom Islam geforderte unbedingte Einsatz eines gläubigen Moslems für Allah, die Verbreitung des Islams und die Verteidigung des islamischen Herrschaftsgebietes gegen Feinde.

  4. „Was – das Auto steht immer noch in A und sollte schon in B sein. Los krämpel die Ärmel auf und bring die Scheißkarre zum laufen.“
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