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Deutschland – alte Burgen am Rhein
Von Präsident Toda hatte ich geträumt.
Es war in der vorangegangnen Nacht des Tages, an dem ich mich im Jahr 1992 auf den Weg von Japan nach Deutschland machte.
Herr Toda war in einen Kimono gekleidet. Indem ich seinen Körper stützte, erlaubte ich mir, ihm zu eröffnen:
„Sensei! Jetzt breche ich auf, um Ihre Philosophie und Ideale in der ganzen Welt zu verbreiten.“
Präsident Toda erwiderte mit Tränen in den Augen:
„Ich freue mich! … Ich freue mich sehr!“
„Das macht mich glücklich. Danke, ich danke dir!“
Unter Tränen nahm er mich in die Arme.
Präsident Toda ging nicht nach Übersee. Nichtsdestotrotz machte er sich um Ereignisse, mit der Tragödie des geteilten Deutschlands angefangen, sowie um die Zukunft der Menschen in der ganzen Welt stets Sorgen.
Es war im Herbst 1956, als sich der Aufstand in Ungarn ereignete; die Bewegung des ungarischen Volkes, das nach einer Reform suchte, wurde durch sowjetische Truppen brutal niedergeschlagen.
„Wie bemitleidenswert es ist! Wie sehr das Volk darunter leiden muss!“
Von Herzen klagend, sagte er:
„Im Moment habe ich keinerlei Mittel noch eine Methode, jenes Volk zu retten. Zutiefst wünsche ich mir, eine Welt ohne derart elende Ereignisse so schnell wie möglich zu erschaffen“, so vertraute er die Zukunft der Jugend an.
Die Jugend! Möge sie die große Philosophie der Lebenswürde in der ganzen Welt verbreiten! Selbst wenn dies ein großer Umweg zu sein scheint, gibt es außerdem keine andere Möglichkeit, die Menschheitsgeschichte grundlegend zu verändern! – diesen Aufschrei Präsident Todas tief in meinem Herzen hegend, bereiste ich den Globus.
Auf dem Rhein, dem König der Flüsse, fuhr ich flussabwärts. An seinen beiden Ufern ragten grüne Weinberge. Alte Burgen, die Jahrhunderte lang Schnee und Sturm trotzten, erschienen auf den Bergen und verschwanden dann nacheinander – wie ein Panorama. Mir kam es vor, als ob ich inmitten des großen Flusses, der Geschichte, reisen würde.
„In ganz Europa“, sagt man, „gibt es keinen anderen Ort, wo sich derart zahlreiche Burgen und Schlösser an beiden Ufern eines Flusses so dicht aneinander gedrängt finden.“ Die meisten von ihnen wurden nicht zum Residieren, sondern eher zu militärischen Zwecken benutzt. Außerdem dienten sie auch als Stützpunkt dazu, von den auf dem Rhein, der Schlagader, verkehrenden Schiffen Steuern zu erheben. Es war im Mittelalter, einem Zeitalter, in dem vielerorts rivalisierende Heerführer, feudale Fürsten und „Raubritter“, um Burgen und Domänen stritten.
Es war am 2. Juni 1983. Der Regen, der andauernd bis zwei Tage zuvor gefallen war, hörte völlig auf, und der Wind des Frühsommers wehte fröhlich über die Oberfläche des Flusses.
Ich war mit Dr. Josef Derbolav (1912-1987), einem renommierten Pädagogen, zusammen und führte einen „Dialog an Bord“, um ein gemeinsames Buch „Auf der Suche nach einer neuen Humanität“ herauszugeben. Während wir rege vorbeifahrende Schiffe verschiedener Größe beobachteten und die sich ständig verändernden Schauspiele der Landschaft genossen, führten wir lebhaft unser Gespräch über die Geschichte.
Der „Mäuseturm“, von dem eine Sage erzählt, dass eine große Schar von Mäusen geizige Kleriker überfallen haben sollte, ließ sich sehen. Es gab die Felsen der „sieben Jungfrauen“, die einer Sage nach in Felsen verwandelt wurden, weil ihre Herzen so kalt wie Felsen waren.
Plötzlich erklang eine Melodie aus dem Lautsprecher. Es war eine bekannte Melodie – das Loreleylied. Wir kamen schon in die Nähe des Loreley-Felsen, der durch das Gedicht von Heinrich Heine (1797-1856) berühmt wurde. Das ist einer Sage nach der Sitz einer Nixe, die die Schiffer durch ihren Gesang anlockte und sie ertrinken ließ.
„Ich weiß nicht was soll es bedeuten
Dass ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn …“
Die Freunde, die mit an Bord waren, sangen leise vor sich hin.
Nach einer kurzen Zeit erschien eine Burg mit zwei spitzigen Türmen. Sie wurde von Graf Wilhelm II. von Katzenelnbogen im 14. Jahrhundert (um 1371) als Wehr- und Militärstützpunkt errichtet und nennt sich nach dem Namen des Grafen „Burg Katz“. Um ihm diese Burg zu rauben, wurde eine Intrige geschmiedet, die Gräfin mit Gift zu ermorden.
In vielen Orten am Rhein entlang waren heftige menschliche Dramen entfacht; das Wohlergehen der Könige und Adligen, Siegeslieder der Ritter sowie Liebe und Hass der Prinzessinnen: Ihre Silhouetten, die sich an der Oberfläche des Flusses widerspiegelten, sind jedoch jetzt von den Wellen der Geschichte spurlos weggewischt.
Was ist Historie?
Was ist Ewigkeit?
Was ist wahrer Sieg der Menschen?
Der französische Dichter Victor-Marie Hugo (1802-1885), der den Rhein liebte, dachte über den Aufschrei Martin Luthers (1483-1546), der zur Reformation aufstand, öfters nach, während er in dieser felsigen Region wanderte.
„Wenn man die ‚Seele der Gerechtigkeit’ eines Menschen zugrunde richtet, sollte man eher Bischöfe, Könige und Fürsten, Klöster, Abteien, Kirchen und Paläste zugrunde richten!“
Indem er den Aufschrei Luthers von vor 300 Jahren in seinen Ohren wahrnahm, fühlte sich der Dichter, der die umliegenden Ruinen betrachtete, vom Wechsel der Zeiten tief ergriffen.
„Oh, Luther! Bischöfe, Könige und Fürsten, Klöster, Kirchen und Paläste sind zugrunde gegangen!“
Die Zeit rennt, und die Zeit wandert. Das, was über die Zeit hinweg übrig bleibt und mit der Zeit erstrahlt, ist nur die „Spur der großen Seele“, die unvergleichbar grausame Verfolgungen aushielt und ihnen trotzte und ferner ihre Überzeugung konsequent beibehielt.
Du, entwickle dich deshalb zu einer Persönlichkeit – einem großen Flusse gleich! Werde ein Fluss, der trotz vieler den Weg versperrender Hindernisse seine Herausforderung nach vorne und immer weiter unermüdlich fortsetzt!
Du, der du voll von unvorstellbar tiefem Mitgefühl, Weisheit und unbeugsamer Leidenschaft bist, werde zum großen Fluss!
Der große Fluss versiegt nicht.
Das Band von Meister und Schüler besteht auch ununterbrochen.
Weil er nicht versiegt, heißt es Ewigkeit.
Weil sie ihren Lauf unaufhörlich fortsetzten, wurden sie zu einem großen Fluss. Das gilt auch hier in Deutschland.
Es gab junge Leute, die mich zu Beginn der sechziger Jahre zur weltweiten Kosen-rufu aufbrechen sahen und mit dem Entschluss „Lasst uns unserem Meister folgen!“ von Japan nach Deutschland übersiedelten.
Sie arbeiteten in Kohlenbergwerken. Ihre Arbeitsplätze waren tausend Meter unter der Erde. In den Zechen, in denen es über 30 Grad heiß war, wurden sie, von Kohlenstaub beschmutzt, durch die überall herumfliegenden Splitter der Steinkohle verletzt. Die Maschinen, die sie bedienten, waren schwer, sodass sie an ihren Händen harte Blasen bekamen, wodurch sie ihre Finger kaum mehr biegen konnten. Die ungewohnte Nahrung konnten sie nur schwer essen. Dennoch zwangen sie sich, die Speisen zusammen mit Wasser zu schlucken.
„Ich lasse mich nicht besiegen!“
Die Ritter des Mystischen Gesetzes bissen die Zähne zusammen.
Wenn sie einen freien Tag hatten, machten sie sich auf den Weg und legten Hunderte von Kilometern zurück, um ein einziges Mitglied zu besuchen und den Buddhismus zu verbreiten. Sie waren verwegen und tapfer, wie Heine, der Revolutionsdichter, der nach dem Motto „Ich bin ein Schwert. Ich bin eine Flamme“ geradewegs voranschritt.
– Wir brauchen weder Namen noch Beifall. Nur damit, das edle große Gesetz des Friedens zu verbreiten und die buddhistische Beziehung bis zum Ende zu erweitern, wollen wir unser Leben beenden!
Aus dem Gefühl, angesichts ihres Mutes zu weinen, ermutigte ich sie fortgesetzt aus ganzer Kraft. Viele Male schickte ich Hemden, Unterwäsche zum Wechseln und japanische Lebensmittel. Meine Frau packte alles in einen Karton ein.
Heute sind unsere Freunde in vielen Orten Deutschlands, darunter in den Städten der ehemaligen DDR aktiv. Auch in Ungarn und weiter in anderen osteuropäischen Ländern – die Glorie der Freunde in der Pionierzeit bleibt über zehntausend Jahre hinaus unsterblich.
In der Strömung der Geschichte gibt es Windungen und Krümmungen; es gibt Zeiten, in denen sie eine große Biegung macht. Nichtsdestotrotz fließt sie schließlich in Richtung des großen Meeres und in Richtung der Erweiterung der Humanität.
Schaut deshalb weit in die Ferne!
Werdet nicht kurzsichtig!
Betrachtet die tiefe Strömung der Geschichte!
Ist es nicht so, dass das Reich der Nazis, die behaupteten, es bleibe tausend Jahre lang bestehen, zwölf Jahre später zugrunde ging?
Ist es nicht so, dass die „Berliner Mauer“, von der man meinte, sie bleibe „ewig wie die Alpen“, zusammenbrach?
Der Fortschritt menschlichen Wissens kann womöglich die Strömung des Rheins versperren. Dennoch kann der natürliche Schrei derjenigen, die sich innig wünschen, dass sie als Menschen glücklich werden wollen, und gerade diese Strömung des Volkes von keinem einzigen Menschen gestoppt werden.
Der Kalte Krieg ging zu Ende.
Im Jahr 1991 teilte ich die Freude der „Vereinigung Deutschlands“ mit Bundespräsident von Weizsäcker. Es war im Bundespräsidialamt in Bonn. Jenseits des Fensters des Raumes, in dem unser Treffen stattfand, floss der ewige Rhein in Stille und tiefem Blau.
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 26. März 2004)
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