1600041780 a:2:{s:7:"content";s:8569:"
Die Herausforderung des Friedensbildungsprozesses
Von Daisaku Ikeda
Sonderbeitrag in der „Japan Times“
„An der Spitze der Pyramide, die wir Zivilisation nennen, steht noch immer die schreckliche Tatsache des Krieges. Wir können uns selbst nicht ein vollständig zivilisiertes Volk nennen, solange diese Möglichkeit besteht, und tatsächlich auch genutzt wird.“ Dies sind die tief empfundenen Worte des John Kenneth Galbraith, eines Menschen also, der die Schrecken von Krieg und Gewalt des 20. Jahrhunderts am eigenen Leibe erfahren hat.
Professor Galbraith und ich befinden uns in ständigem Dialog, im Rahmen dessen wir auch unsere Anschauungen zu den Terrorangriffen des 11. September 2001 ausgetauscht haben. Wir alle sind – direkt oder indirekt – von diesem schrecklichen Verbrechen und seinen Folgen betroffen. Eins der Opfer war ein begabter Abgänger der Soka Universität, den ich persönlich kannte.
Wie tief jedoch unser Gefühl von Zorn auch sein mag, dürfen wir doch niemals zulassen, dass die Flammen von Hass und Wut unsere Welt noch weiter in die Richtung von Spaltung und Zerstörung treiben. Es ist entscheidend, dass unser Blick weiter nach vorne gerichtet bleibt und dass wir daran arbeiten, eine Zukunft von Frieden und harmonischer Koexistenz aufzubauen.
Ich glaube, es gibt zwei konkrete Wege, die wir betreten müssen, um den Herausforderungen dieser neuen Zeit positiv begegnen zu können.
Der erste besteht darin, die Effektivität des internationalen Rechts zu stärken, das sich auf die multilateralen Prozesse der Vereinten Nationen konzentriert. Ein stärkerer Glaube an die Gerechtigkeit und Durchsetzungskraft des internationalen Rechtssystems wird auf Dauer dazu beitragen, die Konflikte zu reduzieren und zu entwirren, auf deren Boden Terror wächst. Das zweite Element besteht in der Bemühung, das Bewusstsein der Menschen zu verändern, Beziehungen von Herz zu Herz auf- und auszubauen, die über Landesgrenzen hinausgehen und ethnische sowie kulturelle Unterschiede überbrücken. Damit meine ich den Weg anhaltender ‚grass-roots’-Aktivitäten für Dialog und Friedenserziehung.
Was den ersten Weg angeht, müssen wir zu allererst die Tatsache anerkennen, dass so genannte „hard-power-Reaktionen“ auf Konflikte, also Reaktionen mit den Mitteln militärischer Gewalt, nur zu „Lösungen“ führen, die im besten Falle zeitweiligen Bestand haben. Eben weil solche Vorgehensweise unausweichlich Blutvergießen und Leiden erzeugt, nicht zuletzt im Leben von unschuldigen Zivilpersonen, sind sie immer wieder der Same zukünftiger Gewalt. Im Gegensatz dazu wäre ein System des internationalen Rechts, das auf einer breiten Akzeptanz als gerechtes und unparteiisches Mittel aufbaut, in der Lage, Konflikte auf eine Art und Weise zu lösen, welche den Kreislauf der Vergeltung durchbrechen und die Menschen davon befreien können.
Ich habe meine Unterstützung für die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) schon oft zum Ausdruck gebracht, als ein Mittel der Rechtssprechung über Verbrecher, die sich schwerer Vergehen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben.
Obwohl der ICC in diesem Jahr offiziell seine Arbeit aufgenommen hat, ist er nach wie vor arg geschwächt durch die begrenzte Zahl der Ratifikationen besonders unter den Großmächten. Japan hat in der Phase des Vertragsentwurfes eine konstruktive Rolle gespielt und sollte ihn schnellstens unterschreiben und ratifizieren. Anschließend sollte sich Japan meiner Meinung nach dafür stark machen, auf internationaler Ebene für eine Einigkeit zu werben, dass das Wirken von Recht und Gesetz das einzig akzeptable Mittel zur Konfliktlösung sein sollte.
Die Arbeit an der Stärkung der strukturellen Werkzeuge für den Frieden muss von entsprechenden Bemühungen um eine positive Veränderung im Denken der Menschen untermauert werden. Dialog und Friedenserziehung kann uns dabei helfen, unsere Herzen von den Impulsen der Intoleranz und der Ablehnung anderen gegenüber zu befreien. Die Menschen müssen sich einer sehr einfachen Tatsache bewusst werden: Wir haben keine andere Wahl, als uns diesen Planeten zu teilen; diesen kleinen blauen Lebensraum, der in den unendlichen Weiten des Alls schwebt. Wir müssen ihn mit allen unseren „Mit-Passagieren“ teilen.
Es liegt in den Händen der jüngeren Generation, Frieden zu schaffen. Niemand wird mit Hass im Herzen geboren. Vorurteile und diskriminierende Haltung werden während des Erwachsenwerdens geprägt, wenn jungen Menschen eine Angst und ein Hass auf „die Anderen“ eingeimpft wird. Ich kenne diesen Vorgang aus meiner eigenen Erfahrung, da ich meine Jugend unter dem dunklen und gewaltsamen Druck einer Gesellschaft erleben musste, die von Militarismus bestimmt war.
Jeder kann sich an der Erziehung zum Frieden beteiligen. Es kann so einfach sein, nur mit den Kindern und Jugendlichen unserer Umgebung zu sprechen – zu Hause und in der Nachbarschaft. Sprechen wir mit ihnen über die Würde des Lebens und über die Gleichheit aller Menschen. Wir dürfen die Wirkung solch scheinbar kleiner Bemühungen nie unterschätzen.
Dieser Geist stand auch hinter der „Victory Over Violence“-Kampagne, die von der Jugendabteilung der Soka Gakkai International in den Vereinigten Staaten (SGI-USA) initiiert wurde. Diese Jungen Leute haben sich mit Zusammenkünften und Diskussionsgruppen an ihre Altersgenossen gewandt und ihnen die Möglichkeit aufgezeigt, den unausweichlichen Konflikten des täglichen Lebens mit gewaltlosen Mitteln zu begegnen und sie hatten damit sehr ermutigenden Erfolg.
Seit dem 11. September wurde viel über die Rolle der Religionen als Faktor des Terrorismus gesprochen. Das eigentliche Problem aber sind ausschließende Ideologien und fanatische Handlungen, die sich unter dem Deckmantel religiöser Sprache und Symbole verbergen. Wenn wir diesen Zusammenhang verkennen und die Ausübenden bestimmter Religionen vorverurteilen, werden wir das Misstrauen nur vertiefen und Spannungen verstärken. Es versteht sich von selbst, dass jede Religion, die Terrorismus oder Krieg gutheißt, die spirituelle Basis ihrer eigenen Existenz aushöhlt.
Ich glaube fest daran, dass die Aufgabe der Religion im 21. Jahrhundert darin bestehen muss, auf ganz konkrete Art zum friedlichen Zusammenleben der Menschheit beizutragen. Religiöser Glaube kann genau dies fertig bringen, indem er ein wahrhaft globales Bewusstsein fördert und die Verbindungen zwischen den Herzen der Menschen wiederbelebt. Dieses Potenzial kann allerdings nur durch den Dialog voll genutzt werden. Der im Iran geborene Friedensforscher Majid Tehranian drückte dies in einem unserer Gespräche mit den klaren Worten aus: „Ohne Dialog werden wir dazu verurteilt sein, auf dem dunklen Pfad der Selbstgerechtigkeit zu wandeln.“
Es ist an der Zeit, die Frage von „Freund oder Feind“ beiseite zu lassen. Wir sollten lieber lernen, vom Fundament unserer gemeinsamen Menschlichkeit aus zu sprechen.
Von dieser Perspektive aus haben die Mitglieder der SGI weltweit ihre Unterstützung für den Entwurf und die Entwicklung der „Earth Charter“ angeboten. Dieses Dokument hat zum Ziel, eine „gemeinsame Vision der Grundwerte“ zu entwickeln, „die ein ethisches Fundament für die sich entwickelnde Weltgemeinschaft bilden können.“ Die Sprache dieser Charta setzt sich aus der Weisheit und den Werten zusammen, die von den unterschiedlichsten kulturellen und religiösen Traditionen genährt wurden, etwa die einer grundlegenden Wertschätzung des Lebens.
Da Krieg und Gewalt letztendlich Produkte des menschlichen Herzens sind, betont der Buddhismus die Tatsache, dass das menschliche Herz ebenso in der Lage ist, Frieden und Solidarität hervorzubringen. Seit der Tragödie des 11. September sind zwei Jahre vergangen, und dieses schreckliche Ereignis hat Kräfte frei gesetzt, die immer noch einen Schatten auf unser Leben werfen. Dennoch ist mein Glaube ungebrochen, dass im Geist der Menschen die Weisheit zu finden ist, die wir brauchen, um diese Tragödie umzuwandeln und eine neue und bessere Zukunft für die gesamte Menschheit aufzubauen. Diese Zuversicht wird die Triebkraft für alle meine Anstrengungen für den Frieden bleiben.
The Japan Times: Sept. 11, 2003
Daisaku Ikeda ist Präsident der Soka Gakkai International und Gründer der Soka Universität
";s:12:"content_meta";N;}