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Forum 3/92

Itai Doshin

Martin Reiners

Das Konzept von Itai Doshin

Das Prinzip von Itai Doshin (getrennte Körper - gleicher Geist) ist wohl eines der abgegriffensten Prinzipien, die in der SGI-D-Organisation verbreitet sind. Abgegriffen in dem Sinne, dass es sehr oft und zum Teil auch parolenhaft benutzt wurde, etwa in der Formel: "Machen wir Itai Doshin!" Bis vor kurzem hätte ich mir nicht vorstellen können, länger als zehn Minuten über dieses Thema zu reden, ohne Langeweile zu erzeugen. Der konkrete Anlass dafür, dass ich heute trotzdem über Itai Doshin spreche, war eine Diskussion bei unserer ersten Studentinnen- und Studenten-Generalversammlung. Bei dieser Versammlung ging es darum, ob Mitglieder der Frauen- oder Männerabteilung an den Aktivitäten der Studentinnen- und Studentenabteilung teilnehmen können oder nicht. Diese Diskussion war ein Beispiel für etwas, das ich schon häufiger erlebt habe und für typisch deutsch halte: eine lange Grundsatz Diskussion, die letztlich zu keiner Einigkeit darüber führte, was wir denn eigentlich tun wollen.

Itai

Interessanterweise setzt sich das erste Wort des buddhistischen Konzeptes von Einigkeit aus den Zeichen "I" (verschieden, verschiedenartig) und "Itai" (Körper) zusammen. Ausgangspunkt für die Einigkeit ist also die Verschiedenartigkeit der Menschen: ihr unterschiedliches Aussehen, Alter und Geschlecht, ihre verschiedenen Charaktere, politischen Auffassungen, Moralvorstellungen und all ihre sonstigen Eigenschaften. In der Gosho "Das Erbe des letztendlichen Gesetzes des Lebens" steht: "Alle Schüler und Gläubigen Nichirens sollten Nam Myoho-Renge-Kyo in Itai Doshin chanten und alle Unterschiede zwischen sich überwinden, um so untrennbar zu werden wie Fische und das Wasser, in dem sie schwimmen." (Dt. Gosho, Band 1, S. 137). "Alle Unterschiede überwinden" mag im ersten Moment nach Gleichmacherei klingen, die Gegenüberstellung von Fischen und Wasser macht jedoch deutlich, dass genau das Gegenteil gemeint ist. "Alle Unterschiede überwinden" heißt folglich, alle oberflächlichen Unterschiede als solche zu belassen. Wenn Egon versucht, wie Erna zu sein, oder Deutsche versuchen, wie Japaner zu werden, so ist dies vergleichbar mit dem Versuch eines Fisches, wie das Wasser zu sein. Und doch stellen wir fest, dass sich zahlreiche Organisationen und Gruppierungen nach dem Prinzip der Gleichförmigkeit formieren und Individualität oder Anders-Sein nur in mehr oder weniger begrenztem Ausmaß zulassen. Auch in unserer Organisation besteht mit Sicherheit die Gefahr, dass Menschen versuchen, anderen eine bestimmte Form aufzuzwingen. Wichtig ist, dieser menschlichen Tendenz entgegenzuwirken, denn sonst wird die freie Entfaltung des Einzelnen behindert. Eine starke Einigkeit entsteht jedoch nur, wenn die äußeren Strukturen flexibel sind. Es ist undenkbar, dass Erna, wenn sie ihre Buddhaschaft hervorbringt, wie Egon wird. Nur wenn Erna so sein kann, wie sie ist, wird sie ein erfülltes Leben führen können.

Doshin

Was bleibt nun bei aller Verschiedenheit als Gemeinsames übrig? Der gleiche Geist (Doshin). Bei einer allgemeinen Betrachtung ist zunächst gleichgültig, was dieser Geist beinhaltet. In der Gosho nennt Nichiren Daishonin folgendes Beispiel: "Wenn Itai Doshin (verschiedene Körper, ein Geist) die Vorherrschaft unter den Leuten gewinnt, werden sie all ihre Ziele erreichen, während sie in Dotai Ishin (gleiches Äußeres, verschiedener Geist) nichts Besonderes erreichen werden (...). König Chou von Yin führte 100.000 Soldaten in die Schlacht gegen König Wu von Chou mit lediglich 800 Männern. Dennoch verlor die Armee König Chous wegen ihrer Uneinigkeit, während die Männer König Wus wegen ihrer vollkommenen Einigkeit siegten." ("Itai Doshin", Dt. Gosho, Bd 1, S. 24). Das Schlagwort "Gemeinsam sind wir stark!" kennt jeder, ob diese Einigkeit jedoch zu etwas Gutem oder Schlechtem führt, hängt vom jeweiligen gemeinsamen Ziel ab.

Für diejenigen, die an Nichiren Daishonins Buddhismus glauben, heißt Doshin daher im engeren Sinne, dass man den gleichen Geist wie Nichiren Daishonin hat. In der Gosho „Die acht Winde“ steht: "Wenn Meister und Schüler mit unterschiedlichem Geist beten, dann werden ihre Gebete so vergeblich sein wie der Versuch ein Feuer auf dem Wasser anzufachen. Selbst wenn sie in einem Geist beten, werden ihre Gebete unbeantwortet bleiben, wenn sie seit langem den Wahren Buddhismus durch den Glauben an unterlegene Lehren verleumdet haben. Schließlich werden sie beide ruiniert sein." (Dt. Gosho, Bd. 1, S. 79).

Wie kann ich nun sicher sein, den gleichen Geist wie Nichiren Daishonin zu besitzen? Die beste Gelegenheit, meine Beziehung zu Nichiren Daishonin zu überprüfen, habe ich, wenn ich aufrichtig zum Gohonzon chante. Zum Thema "aufrichtiger Glaube" steht in der Gosho "Das Reisgeschenk": "Ein aufrichtiger Glaube ist im tiefsten Sinne der Wille, den Geist der Sutras - nicht deren Worte - zu verstehen und danach zu leben. (Dt. Gosho, Bd. 1, S.65). Der Wille, die Lehren des Buddhismus im eigenen Leben umzusetzen, ist also die Garantie dafür, dass man Doshin hat. Die wichtigste Funktion unserer Organisation ist, uns dabei zu helfen, einen aufrichtigen Glauben beizubehalten. Indem wir gemeinsam studieren, können wir den Geist der Sutras verstehen", statt eine eigensinnige oder falsche Interpretation der Lehre zu entwickeln. In der Auseinandersetzung mit anderen, die selbst praktizieren oder sich für den Buddhismus interessieren, erhalten wir die Anregungen, die wir brauchen, um "danach zu leben", also unseren Glauben in die Tat umzusetzen.

Ich hoffe, es ist mir gelungen klarzustellen, dass Itai Doshin nichts mit Einigkeit auf Kosten der eigenen Überzeugung oder einer Art Kompromiss mit sich selbst zu tun hat. Der Schlüssel zur Einigkeit, wie ich sie als Verantwortlicher der Studentinnen- und Studentenabteilung suche, liegt in folgendem Satz aus der Gosho "Itai Doshin“: "Selbst ein einzelner Mensch mit sich widersprechenden Zielen wird am Ende gewiss versagen.“ (S.24). Dass mich die anfangs erwähnte Diskussion bei der Generalversammlung so beschäftigt hat, lag daran, dass ich mit mir selbst nicht darüber einig war, was ich wollte. Wie kann ich mit jemandem wirklich einig sein, der selbst nicht weiß, was er will? Im Zeitalter der „soft power“, der sanften Kraft, in dem Faktoren wie Wissen, Information, Kultur und Ideen an Bedeutung gewinnen, wird Einigkeit da entstehen, wo sich Menschen - aus eigenem Entschluss heraus

Anmerkungen:

1) Byakuren und Sokahan sind Mitglieder, die Versammlungen unterstützen und beschützen.

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