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Essay Nr. 16

„Das Leben ist wunderschön“ von SGI-Präsident Ikeda

Dr. Soorya B. Shakya,

Ex-Vizerektor der Tribhuvan Universität in Nepal

Noch höher! Menschheit!

Entwickelt Euch in Richtung Anti-Gewalt!

„Am Fuße des Schneebergs (Himalaya) gibt es einen Volksstamm; das ist das Volk der ‚Nachkommen der Sonne’, das mit Reichtum und Mut ausgestattet ist. Es wird ‚Familie Shakya’ genannt.“ (aus „uralten buddhistischen Schriften“)

„Herr Dr. Shakya! Ich habe erfahren, dass Ihr Familienname Shakya historisch auf die Familie Shakyamunis zurückzuführen ist! Ihr Land Nepal ist es, in dem Shakyamuni Buddha geboren wurde. Shakyamuni bedeutet der Heilige der Shakya Familie, nicht wahr?“

„Das ist korrekt! Shakyamuni wurde im Dorf Lumbini in Nepal geboren.“

„Was für eine Rasse war die Familie Shakya? War sie eine einheimische asiatische Rasse oder stammte sie aus dem arischen Volk, das mit den Europäern in Zusammenhang steht?“

„Dazu gibt es verschiedene Thesen. Dr. Chowdhary, ein namhafter indischer Gelehrter, äußert sich dazu: ‚Die arische These ist eher zweifelhaft.’ Ich bin auch der Ansicht, dass Shakyamuni aus der einheimischen Volksgruppe stammte. Außerdem gibt es Überlieferungen sowie Statuen, die zeigen, dass die Mitte seiner Stirn etwas angehoben war. In der Nähe des Palastes Kapilavastu, in dem Shakyamuni während seiner Jugendzeit lebte, ist die Volksgruppe Tahl (?) beheimatet, deren Angehörige auf ihrer Stirn ebenfalls eine kleine Erhebung haben. Shakyamuni gehörte meines Erachtens zu diesem Stamm.“

„Das ist hochinteressant, dass Shakyamuni aus einer einheimischen Rasse mit dem Licht hervortrat, das auf die Welt strahlt.“

„In meinem Land gibt es zahlreiche Stämme. Dr. Chowdharys These nach sind Tahler (?) als eine liebenswürdige, schlichte, anmutige und kooperative Volksgruppe bekannt.“

„Das ist sehr überzeugend! Shakyamunis Charakter war genauso.“

Noch heute sehne ich mich sehr nach dem Tag, an dem ich mich mit Dr. Shakya, der eine nepalesische Mütze trug, zum ersten Mal unterhielt. Die Gespräche um den Menschen Shakyamuni und über das Lotos-Sutra entwickelten sich zu einer fast grenzenlosen Weite. (am 7. November 1992 in Tokio)

Professor Dr. Soorya B. Shakya (1925-1999) erzählte:

„Shakyamuni wurde Gesandter des Friedens genannt. Der Frieden, der auf dem Buddhismus basiert, heißt sicher nicht Frieden durch Waffengewalt, sondern es ist der Frieden, der durch die Reform des Geistes herbeigeführt wird!“

Der Ausgangspunkt Shakyamunis selbst war auf den Frieden gerichtet.

„Die Menschen fürchteten sich, stritten untereinander wie die Fische in seichtem Wasser. Als ich sie sah, verspürte ich Angst.“

Leute! Warum streitet Ihr miteinander?

Shakyamuni lehrte: „Wenn man Groll mit Groll zu vergelten versucht, kann nichts (weder das menschliche Gemüt noch die Gesellschaft) Ruhe finden. Es wird erst dann ruhen, wenn man aufhört, Groll zu hegen.“

Unermüdlich predigte er die Erweiterung des Friedens aufgrund der Verbreitung des buddhistischen Mitgefühls (Jihi).

Vor Jahren unterhielt ich mich mit Dr. Harvey Cox, einem Professor für Religionswissenschaften an der Universität Harvard. In einem Buch, das er mit einigen anderen Gelehrten zusammen herausgab, steht folgendes:

„Die Tatsache, dass der Buddhismus aus dem Leiden, der Auseinandersetzung für die Lösung von Konflikten entstand, ist Grund genug, die Herzen derer anzuziehen, die sich für die Fähigkeit der Religionen zur Lösung von Konflikten interessieren.“ (aus „Weltreligionen und Konfliktlösungen“)

Die eroberte Shakya Familie

Shakyamuni beriet die Könige, darauf zu verzichten, Kriege zu führen, indem er sagte:

„Wir dürfen die Lebewesen nicht töten und ebenso nicht töten lassen. Wir dürfen den Menschen auch nicht erlauben, sie zu töten.“

Krieg ist trotz aller Prinzipien der Loyalität eine organisierte Massentötung und steht direkt im Gegensatz zum buddhistischen Gebot „Nicht-Töten“. Zwischen „Töten“ und „Nicht-Töten“ gibt es keinen mittleren Weg.

Eigentlich scheint Shakyamuni sich bei einzelnen Ereignissen mit seinem politischen Urteil zurückgehalten zu haben. Nichtsdestotrotz zeigte er ein einmaliges und unmissverständliches „politisches Urteil“, das lautete: „Hört auf mit dem Krieg!“

Zum Beispiel, als der König des Landes Magadha, Ajatashatru (Ajase), beabsichtigte, sein Nachbarreich Vaddhi (?) zu erobern, war Shakyamuni darum bemüht, mit ihm zu reden, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Der König nahm dann von seinem Plan Abstand. Jedoch konnte Shakyamunis geistige Einflussnahme nicht immer gelingen.

An Shakyamunis Lebensabend ereignete sich ein Überfall auf die Shakya Familie.

„König Virudhaka (Haruri) vom mächtigen Reich Kosara hegte Groll gegen die Shakya Familie. Der Grund dafür war: Als er während der Zeit, in der er noch ein junger Prinz war, das Heimatland seiner Mutter besuchte, erfuhr er, dass seine Mutter aus einer niedrigen Kaste stammte, und wurde während seines Besuches von den Menschen als Sohn eines Dienstmädchens beschimpft und erniedrigt. Der Prinz entschloss sich, sich an ihnen zu rächen. Sobald er den Thron übernahm, zog er mit seiner Armee aus, um die Shakya Familie anzugreifen.“

Shakyamuni, der von dem Vormarsch des Heeres Virudhakas erfuhr, blieb unter einem Baum am Rand des Wegs sitzen, auf dem der König vorbei marschieren sollte. Als der König dann Shakyamuni dort sitzen sah, fragte er ihn:

„Warum sitzen Sie an einem derart heißen Tag auf der Wurzel eines Baumes, der kaum Blätter hat und wenig Schatten bietet?“

Shakyamuni entgegnete:

„Der Schatten der Familie ist kühl. Er ist durch nichts andere zu ersetzen.“

Der König, der das Unausgesprochene im Herzen Shakyamunis, der König möge die Shakya Familie nicht angreifen, ausmachte, kehrte mit seiner Armee zurück.

Der Ruhm der Familie Shakya, die das „Nicht-Töten“ durchhielt

Das geschah in ähnlicher Weise dreimal. Aber als der König sich zum vierten Mal auf den Weg machte, war Shakyamuni nicht mehr zu sehen.

Es wurde gesagt, dass Shakyamuni nicht mehr versuchte, den Einmarsch des Königs Virudhaka zu verhindern, weil er erkannte, dass das Karma der Shakya Familie unauslöschbar gewesen sei. Einer Studie zufolge aber soll sich der vierte Versuch erst nach dem Tod Shakyamunis ereignet haben, und die ursprüngliche Geschichte habe erzählt, wie Shakyamuni gehandelt hätte, falls er noch am Leben gewesen wäre.

Dr. Shakya erzählte:

„In Thiraulakot (?) werden jetzt Ausgrabungen vorgenommen, an einem Ort, an dem das frühe Schloss Kapilavastu, in dem der König Shuddhodana (Joban-o) regierte und der junge Siddhartha als Prinz aufwuchs, gestanden haben soll.“

Gegen den Angriff des Königs Virudhaka (Haruri) leistete die Armee des Königs Shuddhodana Widerstand, indem sie aus dem Schloss herauskam und geschickt mit Pfeil und Bogen schoss.

Das war nur eine Drohgebärde, mit der die Armee versuchte, die gegnerischen Soldaten zu hindern, sich dem Schlosstor zu nähern; sie wollten die Angreifer weder töten noch verletzen. Die Pfeile flogen den Soldaten schwirrend um die Ohren. Die Soldaten schreckten davor zurück. Daher hetzten die Adjutanten des Königs Virudhaka (Haruri) die Soldaten auf, indem sie sagten: „Greift weiter an! Denn sie werden keinen Menschen töten.“

Somit konnten sie ins Schloss eindringen und massakrierten die meisten Mitglieder der Shakya Familie.

Dennoch hielt die Familie Shakya an dem buddhistischen Gebot des „Nicht-Töten“ fest und setzte das Prinzip „Ich nehme keinem anderen das Leben, selbst wenn ich dadurch sterben müsste“ bis zum Ende in die Tat um.

„Wir wollen dem Leben der Insekten nicht schaden, geschweige denn, dass wir das Leben der Menschen nehmen. Shakyamuni lehrte uns, dass, wer Menschen tötet, nach seinem Tod in die bösen Pfade fallen und nur ein äußerst kurzes Leben führen würde, selbst wenn er wieder als Mensch geboren werden könnte.“

Sie dachten: „Auch wenn wir umgebracht werden, fallen wir nicht in die bösen Pfade, aber wenn wir andere töten, fallen wir sicher in die bösen Pfade.“

Sie fürchteten sich mehr davor, ein Vergehen zu begehen, als ihr eigens Leben zu verlieren.

Nichtsdestotrotz gab es selbst innerhalb der Shakya Familie solche, die die Soldaten der gegnerischen Armee, durch ihre Wut getrieben, töteten. Ihnen gegenüber verhielt sich die Shakya Familie streng und tadelte sie:

„Ihr habt an der Lehre Shakyamunis nicht festgehalten. Das ist eine Schande für die ganze Familie.“ So wurden sie schließlich vertrieben.

Die Priester, die den Krieg rechtfertigten

Selbstverständlich geht es nicht darum, dass wir diese Episode der Familie Shakya sofort und unverändert in der modernen Zeit anwenden sollten. Ebenso wenig geht es um eine Diskussion, ob das Recht, sich selbst zu verteidigen, als rechtmäßige anerkannt werden soll oder nicht.

Meine Absicht war lediglich die Lehre, selbst unter extremen Umständen keine Lebewesen zu töten, als den Ausgangspunkt des Buddhismus zu bestätigen.

Trotz mannigfaltiger Veränderungen in der Geschichte des Buddhismus blieb die Lehre, keine Lebewesen, insbesondere keinen Menschen zu töten, unverändert als Basis aller fundamentalen Lehren des Buddhismus.

Auch Nichiren Daishonin zitiert in seiner Abhandlung „Über die Befriedung des Landes durch die Errichtung des Wahren Gesetzes (Rissho-Ankoku-ron)“ eine Stelle des Nirwana-Sutras:

„Obwohl sie Schwerter und Stangen tragen, sollten sie diese niemals benutzen, um Leben zu nehmen.“ (Gosho Band II, Seite 38; japanische Gosho, Seite 29)

Er stellt klar und deutlich dar, dass, selbst wenn man Waffen bei sich trägt, kein Töten von Lebewesen erlaubt sei.

Das Lotos-Sutra macht die „Herzen des Mitgefühls aller Menschen“ urbar

Dennoch gab es unter den Buddhisten auch nicht ganz wenige, die aufgrund ihrer Sicht der Realität Kompromisse schlossen und Mord zu rechtfertigen versuchten, wie zum Beispiel:

„Das Töten, Mitgefühl zum Vorwand nehmend (solange man das Herz des Mitgefühls besitzt, sollte das Töten doch erlaubt sein)“, „Einen töten, viele leben lassen (dadurch, einen Bösen zu töten, kann man viele Leben retten)“ oder „Um zu verhindern, dass die Verbrecher keine weiteren Verbrechen anhäufen, muss man sie selbst töten“ usw.

Derartige Behauptungen basieren jedoch auf der ursprünglichen Denkweise, dass, auch wenn es scheinbar unvermeidbare Gründe gegeben habe, das Vergehen, Lebewesen zu töten, unvermindert ein Vergehen bleibt und die Täter daher die Folgen davon selbst übernehmen und als Opfer des Vergehens in die bösen Pfade fallen müssen.

Im Laufe der Zeit ist die Betonung, dass das Vergehen unvermindert ein Vergehen bleibt, weggefallen, und der Sinn des Satzes verwandelte sich dahin gehend, dass man andere töten dürfe, wenn es sein müsse.

Schließlich wurde die Tat, Lebewesen zu töten, vollkommen gerechtfertigt, bis zum verheerenden Tiefpunkt, dass die Buddhisten den Krieg lobpreisten.

Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (9.9.1828-20.11.1910), russischer Schriftsteller, der sich dem japanisch-russischen Krieg (1904-1905) widersetzte, schrieb einem weltweit renommierten buddhistischen Führer Japans einen Brief mit dem Aufruf: „Lassen Sie uns gemeinsam dem Krieg entgegentreten!“

Jedoch war die Antwort des Priesters für ihn enttäuschend, Tolstoi fühlte sich vollkommen verraten. Er schrieb wütend:

„Die Priester sowie die buddhistischen Lehrer in Japan versuchen, die großartige Lehre des Buddhismus zu verdrehen, indem sie die Tötung der Menschen, die der Buddha verbietet, nicht nur übersehen, sondern sie auch noch rechtfertigen. Shakusoen, der namhafte Buddhologe, der über Macht in mehr als 800 Tempeln Japans verfügt, schreibt:

Obwohl der Buddha sicherlich Menschen zu töten verbietet, sagt er andererseits auch, dass es notwendig sei, Menschen bei Kämpfen zu töten, um den Menschen, die sich in Unordnung befinden, wieder eine Ordnung zu geben, solange alle Lebewesen mit der unbegrenzten Barmherzigkeit nicht vereint werden und deswegen keine Ruhe finden können.“

Tolstoi fuhr fort:

„Obwohl andere verschiedene konfuse Rechtfertigungen wie Selbstaufopferung, Verneinung böser Absicht, Seelenwanderung usw. fortgesetzt werden, dient jedes aufgeführte Argument nur als Mittel zum Zweck, das einfache klare Gebot des Buddha Shakyamuni, dass man nichts töten darf, vorzutäuschen.“

Wähle das Leben! Wähle die Anti-Gewalt!

Der Himmel über Nepal war weit und klar.

Im Spätherbst 1995 stand ich in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, und dachte zum Hochgebirge Himalayas hinaufblickend:

„Auf dem höchsten Teil der Erde wurde Shakyamuni, der höchste Gipfel der Menschheit, geboren. Seine Geschichte scheint an uns alle zu appellieren:

‚Die Menschheit!

Ragt so hoch wie dieser Himalaya!

Entwickelt Euch erhaben zu einem großartigen Lebenszustand!’“

Dr. Soorya B. Shakya war Vizerektor der Tribhuvan Universität. An der Feier vom 3. November, bei der mir die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen wurde, nahm er auch teil. Das war unser zweites Treffen innerhalb von drei Jahren. Mir schien, es ging ihm gut. Seine unbefangene Erscheinung wie auch sein klares, lächelndes Antlitz waren unverändert.

„Präsident Ikeda! Ich habe die nepalesische Übersetzung Ihres Dialogs mit Dr. Toynbee vollbracht!“

Unter seiner redaktionellen Leitung wurde das Buch „Wähle das Leben!“, eine Sammlung der Dialoge zwischen Dr. Arnold Joseph Toynbee (14.4.1889-22.10.1975) und mir, in der Tribhuvan Universität übersetzt.

„Wähle das Leben!“

In diesen Buchtitel haben wir unsere Überzeugung eingeprägt, dass uns für das Überleben der Menschheit keine andere Wahl mehr übrig bleibt, außer den Weg zum Frieden einzuschlagen.

Entweder die Anti-Gewalt oder die weltweite Verheerung wartet auf uns.

Jetzt den Weg der Anti-Gewalt zu wählen, bedeutet selbst die einzige und alleinige Wahl zum Überleben der Menschheit.

Die Anti-Gewalt hoch hissend, trotz extremer Situationen weder aktiv noch passiv töten.

Die Menschen, die darauf vorbereitet sind, müssen sich zweifelsohne selbst in unproblematischen Situationen ernsthaft darum bemühen, alle diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen und durch ihre Handlungen gegenseitiges Vertrauen zu fördern, um derart extreme Situationen erst gar nicht herbeizuführen.

Es gab sicher Zeiten, in denen solche Bemühungen nicht belohnt wurden. Aber die Menschheit hat sich Stück für Stück verändert. In der heutigen Zeit würde die internationale Gemeinschaft schwerlich annehmen, dass solch ein humanistischer Staat von anderen angegriffen werden würde. Von einer größeren Perspektive aus betrachtet glaube ich, dass die objektiven Rahmenbedingungen für den Weg „Töte nicht!“, auf den Shakyamuni hinwies, und der endlich von vielen Menschen akzeptiert werden kann, geschafft worden sind.

Dennoch können solche Stimmen wie „Nein, die Anti-Gewalt ist unrealistisch!“ womöglich nicht aufhören. Als Rabindranath Tagore (7.5.1861-7.8.1941), der bengalisch-indische Dichter, den Weg zum Frieden predigte, musste er extra betonen:

„Mir ist wohl bewusst, dass es selbst für die Straßenkinder ohne Erziehung leicht ist, meine Stimme mit dem Klischee ‚unrealistisch’ zu verwerfen.“ (aus seinem Vortrag „Geist Japans“ an der Keio Universität in Tokio, 1916)

Aber was ist realistisch?

Wenn wir schon das Wort „realistisch“ benutzen, müssen wir doch davon ausgehen, zunächst einmal geradewegs und aufrichtig zu betrachten, was Realität ist.

Und wenn wir die Realität im 20. Jahrhundert aufrecht unter die Lupe nehmen, werden wir eine Wahrheit feststellen, die klar und mit großer Überzeugungskraft aussagt, dass der Krieg sowohl für Sieger als auch für Verlierer eine große Tragödie verursacht und dass die militärische Macht als Mittel zur Lösung der Probleme zu viele Opfer verlangt. Das ist meines Erachtens die Lehre, die wir aus dem zwanzigsten Jahrhundert ziehen können, in dem allein Kriege mehr als 100 Millionen Menschenleben kosteten.

Die Menschen, die, ohne einer derartig grausamen Realität direkt ins Auge zu schauen, auf ihrer Idee beharren, dass man den Frieden durch den Krieg schaffen könne, führen meiner Ansicht nach vielmehr realitätsfremde Polemik.

Die Pervertierung der normalen Menschlichkeit

Ein unerwartetes Ergebnis von Untersuchungen besagt, dass nur etwa 15 bis 20 Prozent der amerikanischen Soldaten auf Schlachtfeldern während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) auf die Feinde schossen. Die meisten Soldaten versuchten, selbst in einer Notlage nicht zu schießen oder, selbst wenn sie schossen, absichtlich die gegnerischen Soldaten zu verfehlen.

Das zeigt auf, dass für gewöhnliche Menschen die Hemmung auf andere zu schießen unvorstellbar groß ist. Dieses Untersuchungsergebnis versetzte der Militärführung einen Schock.

Zur Gegensteuerung, habe ich gehört, wurde dann ein Programm entwickelt, das die Menschen dahin gehend umgestalten sollte, dass sie kein Gefühl des Vergehens oder der Sünde mehr empfinden, selbst wenn sie direkt auf Menschen schießen.

Um die Hemmung, andere zu töten – das heißt, um eine normale Menschlichkeit – zu beseitigen, wurden die Soldaten intensiv trainiert, sodass sie die Gegner nicht mehr als Menschen, sondern als Tiere anderer Gattung oder einfach als Zielscheiben betrachten. Eine derartige Gehirnwäsche wurde auch in der japanischen Reichsarmee durchgeführt.

Und die Soldaten müssen wiederholt üben und werden an Leib und Seele durchtrainiert, bis sie aufgrund einer reinen Reflexbewegung andere abschießen können, sobald sie eine „Zielscheibe“ sich bewegen sehen. Durch die Veränderung solcher Trainingsmethoden erhöhte sich die Schießquote beim Koreakrieg (1950-1953) auf 55 Prozent und während des Vietnamkriegs (1964-1973) sogar auf 90 bis 95 Prozent.“ (aus „Die Psychologie des Mordes“, D. Grossman)

Eine Zeugenaussage, die im obengenannten Buch wiedergegeben wird:

„Als ich zum Militär eingezogen wurde, fühlte ich mich total unsicher. Ich hatte gar keinen Grund, den Vietcong zu hassen. Aber als das Grundtraining vorbei war, war ich schon dazu motiviert, jederzeit töten zu wollen.“

Das betrifft sicher nicht nur einen bestimmten Staat. Es wird weiter dargelegt:

„Auf fast allen führenden militärischen Trainingsbasen der Welt wetteifern die Staaten, um junge Menschen zu Mördern umzugestalten.“

Weil man heute in der modernen Kriegsführung die Feinde aus sicherer Entfernung zerstören kann, braucht man immer weniger menschliche Schmerzen zu empfinden. Dennoch bringt die der Menschlichkeit widersprechende Umgebung zahlreiche Folgekrankheiten hervor, und der Körper wie die Psyche der Ex-Soldaten sind tief zerfressen. In diesem Buch wird über erschreckende Realitäten berichtet.

Was noch furchtbarer ist, dass eine solche „gegenüber Mord und Tod unempfindliche Kultur“ die ganze Gesellschaft zur ständigen Gewaltanwendung führt.

Wie können Jugendliche sowie Kinder vor solchem Einfluss verschont bleiben, wenn die Staatsführer selbst als Erste einen Handlungsstil, Probleme nur durch Gewalt zu beseitigen, vorweisen?

Erst wenn wir der „Realität der Menschlichkeit“ und „der Realität des Herzens“ direkt ins Auge schauen, wird uns sicher klar, dass es überhaupt nicht möglich ist, dass eine Gesellschaft „durch den Krieg siegt“.

Ein alter Mann, der im Teich versank

Dr. Shakya erzählte lächelnd mit lebhafter Stimme:

„Die Quintessenz der Lehren Shakyamunis ist das Lotos-Sutra. Es betont das Mitgefühl (Jihi) mit Nachdruck. Gerade Mitgefühl ist das, was das Lotos-Sutra als die höchste Lehre ausmacht. Der Bodhisattwa ‚Niemals Verachtend (Fugyo)’, der im Lotos-Sutra dargestellt wird, verbeugte sich selbst vor denjenigen, die ihn verfolgten. Gerade dieses Verhalten, das er durchhielt, symbolisiert die Lehre des Lotos-Sutras. Das Lotos-Sutra lehrt: ‚Im Inneren aller ist das dem des Buddhas gleichkommende Mitgefühl vorhanden. Hebe den Brunnen des Mitgefühls aus!’“

Ich kann mich an eine Episode erinnern, die aus der Zeit der tragischen Geschichte der Familie Shakya stammt:

Vor dem König Virudhaka (Haruri), der bis zum Schlosstor vordrang, erschien ein alter Mann, der sich Mahanama (Makanan) nannte. Einer Überlieferung nach soll dieser der Großvater des Königs Virudhaka gewesen sein. Der alte Mann flehte ihn an:

„Jetzt werde ich in den Teich gehen und mich reinigen. Könntest du bitte nur während dieser Zeit das Tor öffnen und die Leute aus dem Schloss frei gehen lassen?“

„Nur eine kurze Zeit“, dachte der König und erteilte ihm eine Erlaubnis. Unter Beobachtung aller ging er in den Teich hinein. Sein Körper verschwand langsam im Wasser, und endlich war sein Kopf auch nicht mehr zu sehen. Währenddessen flohen die Menschen aus dem Schloss. Die Soldaten dachten: Es ist langsam Zeit, so lang kann man seinen Atem nicht anhalten. Jedoch tauchte der alte Mann nicht aus dem Wasser auf. Die Zeit verging eine Minute nach der anderen. Es war schon sehr lang und unerklärlich. Es gab keinen Ort, wo der alte Mann sich im Teich verstecken konnte.

Der König wurde ungeduldig und befahl seinen Soldaten:

„Geht in den Teich und seht nach ihm!“

Die Soldaten sprangen hinein und kamen nach einer Weile wieder zurück und meldeten:

„Herr Mahanama ist tot.”

„Was?”

“Er hat seine Haare an der Wurzel eines Baumes festgebunden, um sicherzustellen, dass sein Körper nicht auftaucht. Er ist bereits tot!“

Ein langes Schweigen dauerte an. Niemand konnte etwas sagen.

Nach einer Zeit befahl der König:

„Holt seinen Leichnam aus dem Teich heraus!“

Durch den Mut der Anti-Gewalt, den der alte Mann hervorbrachte, konnten viele Menschenleben der Shakya Familie gerettet werden. Er sicherte nicht nur für die Menschen die Zeit, zu fliehen, sondern auch die Soldaten verloren ihren Kampfgeist, sie dachten:

„Warum können wir solche Menschen töten?“

Das tief verschüttete Mitgefühl der Soldaten wurde wieder ans Tageslicht gebracht.

Ob diese Erzählung geschichtlich nachgewiesen worden ist oder nicht, ist mir nicht bekannt.

Dr. Shakya fuhr fort:

„Es wird überliefert, dass viele Angehörige der Familie Shakya bei dieser Verfolgung an verschiedene Orte flohen und der Buddhismus dadurch in ganz Nepal verbreitet werden konnte. In Nepal gibt es einen archäologischen Fund, nämlich ein Gebäude für die Ausübung des Buddhismus, das vor etwa 2300 Jahren erbaut wurde.

Es war ein Kampf des Mitgefühls gegen den Militarismus!

Sowohl der König, der den Krieg jener Zeit gewann, als auch sein Königsreich sind längst zwischen den Wellen der Geschichte spurlos verschwunden.

Aber die Lebensweise der Shakya Familie, die den Krieg verloren haben muss, sowie die Philosophie Shakyamunis leuchten über die Zeit von mehreren Tausenden von Jahren hinaus den Weg für die Menschheit strahlend und fortwährend aus.

Und aus dem feierlichen Firmament rufen sie uns dazu auf:

„Alle Menschen in der ganzen Welt!

Vereinigt Euch zum Sieg der Anti-Gewalt!

Entwickelt Euch!“

(aus „Seikyo Shimbun“ vom 22. September 2002)

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