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Xie Bing-xin,
Die erste Schriftstellerin im modernen China
Alle waren erstaunt.
Welch ein erfülltes, wunderschönes Leben sie geführt hatte!
Mehrere tausend purpurrote Rosen umgaben Frau Xie Bing-xin, die in aller Ruhe lag.
Welle auf Welle kamen die Menschen zur Trauerfeier; alle hielten eine dieser Blumen, die Xie Bing-xin (Xie Wanying, 1900-1999) so innig liebte, in der Hand. Jeder einzelne von ihnen legte, einer nach dem anderen, eine rote Rose an die Seite der Verstorbenen und verabschiedete sich von ihr.
Allen schien, als ob sie lächelnd in einem Meer roter Rosen gelegen hätte. Es war im Frühling 1999, als diese Zeremonie stattfand. Die im Herbst 1900 geborene „Große Literatin Chinas im zwanzigsten Jahrhundert“ wurde 98 Jahre alt. Nein, nein, sie war zurecht erst 18 Jahre alt. Denn sie war gerade die Person, die erklärte: „Mein Leben beginnt mit 80 Jahren.“
Frau Xie Bing-xin war 79 Jahre alt, als ich sie traf.
„Ist das eine Frau, die den erfreulichen Lebensabschnitt von 77 Jahren [nach chinesischer Tradition ein „rundes“ Alter] überschritten hat?“, dachte ich. Sie ließ sich ihr fortgeschrittenes Alter überhaupt nicht anmerken; sie lachte herzlich und sie erzählte strahlend. Die durch ihre Intelligenz untermauerten Worte kamen prompt, wie eine Trommel, die mit dem Schlag gleichzeitig widerhallte.
Mit ihrer willensstarken, klar und freundlich klingenden Stimme erzählte sie:
„In Japan gibt es wunderschöne Literatur, die von Frauen geschrieben wurde. „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ habe ich in der englischen Übersetzung gelesen. Etwa zeitgleich mit deren Autorin Murasaki Shikibu lebte in China eine Dichterin, die Li Qing-zhao (1084-1141) hieß.“ Sie hinterließ exzellente Schriften in der Song-Zeit (960-1279), während sie beständig gegen die widrigen gesellschaftlichen Umstände kämpfte.
Es ist mir noch lebhaft in Erinnerung, dass wir über die stilistischen Unterschiede der beiden Schriftenstellerinnen sprachen, indem wir ihr Leben miteinander verglichen. Murasaki Shikibu lebte in der Friedenszeit der Heian-Periode (794-1185) in Japan, während Li Qing-zhao unter den kriegerischen Zuständen in China leiden musste. Ihre Tochter Wu Qing war auch anwesend.
Damals reiste Frau Xie Bing-xin als Vizevorsitzende der Delegation der chinesischen Schriftsteller nach Japan. Zusammen mit Ban Jin, dem Delegationsleiter, und dem Dichter Lin Lin kam sie in unser Trainingszentrum in der Präfektur Shizuoka zu Besuch (5. April 1980). Als ich sie „zum Gedenken an den heutigen Tag“ herzlich bat, etwas zu schreiben, schrieb sie an Ort und Stelle folgendes nieder:
„Mir wurde erlaubt, am vortrefflichen Berg zu verweilen
und ferner einen unterhaltsamen Freund zu gewinnen.
Das ist die große Freude auf der Japan-Reise.
Was ich mir wünsche, ist nur, dass es jemanden gibt, der uns nachfolgt,
und dass zwischen den beiden Völkern China und Japan
in den Generationen der Kinder und Kindeskinder
die Freundschaftsbeziehung verwirklicht wird.
Dadurch kann der Wunsch der Alten erfüllt werden.“
(sinngemäße Rückübersetzung)
Sie lebte unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zusammen mit ihrer Familie in Japan (1946-1951). Denn ihr Ehemann Wu Wen-zao, der herausragende Anthropologe, wurde im Status eines Gesandten nach Japan entsandt. Dort sah Frau Xie Bing-xin: „Städte in Schutt und Asche ... bleifarbene Gesichter der Menschen ... und junge Japanerinnen, die sich mit Lumpen bedeckten ... „ Wie grausam und elend die Folgen des Krieges sind!
Jedes Mal, wenn sie während des Krieges in China Nachrichten über das schwere Bombardement über Tokio hörte, dachte die mitfühlende Bing-xin an die Frauen in Japan, die in einem Inferno von Bomben getroffen wurden; sie hatte das Gefühl, als ob ihr Herz völlig in Stücke gerissen werde, so erzählte sie.
Obwohl sie selbst von der japanischen Armee bombardiert wurde, hegte sie gegenüber Japanern nicht den geringsten Groll, sondern sie machte sich sogar Gedanken über diejenigen, die ebenso wie sie betroffen waren und unter der gleichen Situation leiden mussten. Es war das Herz von Frau Bing-xin, die erzählte:
„’Wie schrecklich es für sie ist! ... Wie traurig sie sind!’ Dieses Gefühl war mein nackter Ruf als Frau und Mutter, ein Ruf, der alle Unterschiede der Völker überstieg.“
Am 15. August (1945) hörte sie die Nachricht über die Kapitulation Japans in der Provinz Sichuan, in der sie sich wegen der Evakuierung aufhielt. Die Menschen in ihrer Umgebung ließen ihrer Freude freien Lauf. Sie führten acht Jahre lang Krieg gegen Japan und besiegten es endlich! Dennoch blieb Frau Bing-xin ganz allein, ganz still besonnen, nachdenklich, ohne mitzulachen und ohne sich dem Kreis der Menschen, anzuschließen, die ihren Becher auf den Sieg erhoben.
Der Krieg war vorüber; er war endlich vorbei, und China hatte gewonnen. Dennoch – wie lange müssen die Menschen noch eine derartige Leidensgeschichte fortsetzen, und wie soll die Zukunft der Kinder aussehen, dachte sie.
„Nie wieder Krieg! Und wenn die Männer auf der Welt irgendwann wieder Kriege führen wollen“, entschloss sich Frau Bing-xin fest „Dann dürfen wir Frauen nicht zulassen, dass sie Gewehre in die Hand nehmen.“
„Wir Frauen müssen, bevor uns die Angst übermannt‚ dass der Krieg wieder ausbrechen könne, mit der starken Entschlossenheit ‚niemals mehr kriegerische Kampfhandlungen!’ jede Gefahr abwenden.“ (aus „Erwartung an japanische Frauen“, sinngemäße Rückübersetzung)
„Alle Mütter der Menschheit und alle Frauen in der ganzen Welt, die Zeit ist gekommen, dass wir aufstehen!“
Frau Bing-xin sagte klar: Es geht nicht vorwärts, solange Frauen die Verantwortung für die Kriege nur den Männern zuschieben. Denn alle Frauen dieser Welt haben bislang trotz ihres Widerwillens doch zu Kriegen beigetragen. Lasst uns diesen Fehler niemals wiederholen!
Das stimmt. Selbst Mütter in Japan, einst „Mütter des Militärreiches“ genannt, mussten ihre Kinder an die Front schicken, indem sie selbst ihr wahres Herz täuschten und zu ihnen sagten: „Kämpfe tapfer!“
Jetzt wollen wir mit dem Selbstbetrug aufhören!
Und hören wir auf, uns ausnutzen zu lassen!
„Wenn uns unsere Söhne und Töchter, die uns vertrauen, fragen, können wir dann klar und entschieden sagen, was sie tun sollten? Sind wir überhaupt in der Lage, ihnen furchtlos zu erklären? ‚Der Krieg widerspricht dem Weg des Menschen! ... Groll und Hass kennen keine Grenzen! ... Gewalt und Eroberung enden mit absolutem Misslingen!“
Vollkommen gleich, wenn jemand sagen würde: Wie könnte Krieg überhaupt geführt werden, wenn alle Frauen dieser Welt voller Widmung laut dazu aufrufen würden, „Nein, ich, deine Mutter, lasse gar keinen Krieg zu!“
Mütter!
Lassen Sie ihre liebevollen Augen scharf blicken!
Lassen Sie sich von wohl klingender aber trügerischer Propaganda nicht täuschen!
Mütter!
Lassen Sie ihre sanftmütige Stimme wie den herrlichen Klang einer im Himmel wehenden Brise hörbar werden!
Lassen Sie diesen Klang in den blauen Himmel emporsteigen und in der ganzen Welt ertönen!
Mütter!
Alle Mütter Japans!
Frau Bing-xin rief sie dazu auf:
„Nun, reichen Sie uns gegenseitig die Hand! Auch wenn uns das Meer trennt, können sich unsere Herzen von Liebe und Freundschaft wie der Wind, der über dem Meer weht, für immer friedlich austauschen.“ (aus „Für Frauen Japans“, sinngemäße Rückübersetzung)
An jenem Tag empfingen die Schülerinnen der Mittelschule, die anlässlich eines Seminars von Tokio nach Shizuoka gekommen waren, die Gruppe aus China, der Frau Bing-xin angehörte, mit dem Chorgesang.
„Das einundzwanzigste Jahrhundert der Hoffnung“ und „Mit der Kraft der Jugend“ – Lieder, die im Garten voller Frühlingsgefühle gesungen wurden. Während sie zuhörten, nickten Bing-xin und Wu Qing, Mutter und Tochter, einander zu. In ihren Gesichtern konnte man lesen, wie sehr sie sich darüber freuten. Der Klang des Chors stieg durch das junge Grün der Bäume hinauf in den blauen Himmel.
Mit Frau Bing-xin konnte ich mich schon bald darauf, noch im gleichen Monat, in Beijing, während meines fünften China-Besuches wieder treffen. Sie nahm meine Einladung zum Bankett an, das am letzten Tag meines Aufenthaltes für diejenigen stattfand, die zum erfolgreichen Gelingen meines Besuchs in China beigetragen hatten. (24. April 1980)
Ihre enge Beziehung zum Ehepaar Zhou En-lai
Der Hauptgast der Feier war Deng Ying-chao, die Ehegattin des verstorbenen chinesischen Premierministers Zhou En-lai (1898-1976).
Die beiden Frauen, Bing-xin und Deng Ying-chao, sagt man, waren wie „Geschwister“, die sich gut miteinander verstanden. Das Paar Bing-xin wurde vom Ehepaar Zhou En-lai direkt wie indirekt durch stetige Ermutigung unterstützt.
Nachdem Wu Wen-zao, Ehemann von Bing-xin, im Jahr 1957 als politisch rechts gebrandmarkt worden war, fing seine Verfolgung an.
„Das ist totaler Unsinn!“ dachte das Ehepaar.
Obwohl es in dieser politisch unruhigen Zeit viele Ehepaare gab, die sich trennten, erklärte Frau Bing-xin unmissverständlich:
„Angenommen, mein Mann würde zur Rechten gehören, dann wäre ich auch eine Rechte.“
Auch zu diesem Zeitpunkt lud das Ehepaar Zhou En-lai Wu Wen-zao und Xie Bing-xin zu sich nach Hause ein und ermutigte das Paar.
Noch Jahre nach diesen stürmischen Zeiten machte sich das Ehepaar Zhou En-lai bei jeder Gelegenheit Gedanken darüber, ob das Ehepaar Bing-xin im Alltag zurecht käme und wie es Bing-xins Mann gesundheitlich ginge oder ob ihre Kinder mit dem Lernen in der Schule keine Schwierigkeiten hätten.
Während jener Kulturrevolution (1966-1976) wurde Frau Bing-xin gezwungen, zwei Jahre lang in der Zentrale des chinesischen Schriftstellerverbands die Toiletten zu putschen. Dieser Ort war eigens dafür ausgesucht worden, um sie dort zu demütigen, wo sie einst mit größtem Respekt behandelt worden war. Außerdem befahlen die jungen Soldaten der Roten Armee, dass das Ehepaar jeden Morgen vor der Pforte der Zentrale drei bis vier Stunden knien sollte.
Die Soldaten verschafften sich gewaltsam Zutritt zu ihrer Wohnung und beschlagnahmten fast die gesamte Einrichtung. Kurz danach veranstalteten sie eine Ausstellung „Der Lebensstil der Bourgeoisie Wu Wen-zao und Xie Bing-xin“, indem die Soldaten viele Luxusartikel – Lederschuhe, Anzüge aus reiner Wolle, ausländische Uhren und ausländische Literatur – womit sie nichts zu tun hatten, mit ausstellten.
„Schau! Das ist der klare Beweis dafür, dass sie vom Kapitalismus vergiftet sind!“
Aber die Exponate, die wirklich zu ihnen gehörten, schenkte man ihnen meistens als Erinnerungsstück, während Frau Bing-xin als Vertreterin des Neuen China ins Ausland reiste. Mit weit mehr als der Hälfte der Geschenke kam sie privat gar nicht in Berührung.
Ruhm und Reichtum gegenüber war Frau Bing-xin gleichgültig, sodass die Menschen in ihrer Umgebung es mit Erstaunen aufnahmen. Sie war diejenige, die ihr Vaterland so sehr liebte, die Jugend so tief liebte und dabei Gewinn oder Verlust völlig vergaß; sie war auch jemand, der – von tiefem Mitgefühl erfüllt – nicht untätig zusehen konnte und immer den Menschen in Not half.
Nichtsdestotrotz waren die Soldaten nicht in der Lage, das zu verstehen. Bei ihnen spielte die „Wahrheit“ keine Rolle; für sie war alles egal. Sie wollten die Menschen nur zu Bösewichten machen. Dafür nutzten sie alles, was ihnen in die Hände kam, und behaupteten: „Das ist das Beweismaterial!“
Sie dachte: „Aha, alle, die diese Ausstellung angeschaut haben, werden womöglich ihren Lügen Glauben schenken!“
Wu Qing, Tochter von Bing-xin, sagte in Erinnerung an die damalige Zeit folgendes: „Es war zum Erbarmen, wie meiner Mutter Haar im Nu grau wurde.“
Dennoch konnten alle diese bösen Absichten Frau Bing-xins Herz, das so rein und klar wie ein Kristall war, nicht trüben.
Ihr Name Bing-xin (Eis-Herz) bedeutet „das wie das Eis klare unbefleckte Herz“.
„Sollten die engsten Freunde von Luo-yang nach mir gefragt haben,
befindet sich ein Stück Eis-Herz im Topf aus Edelstein.“
(sinngemäße Rückübersetzung)
Frau Bing-xin übernahm eine Stelle aus diesem Gedicht als ihren eignen Pen-Name; das war ein Gedicht, das Wang Chang Ling (?-755), Dichter in der Blüte der Tang-Zeit (618-907), seinem Freund, der sich gerade auf Reisen begeben wollte, zum Abschied schenkte.
Damals scheint es viele Menschen gegeben zu haben, die über den Schriftsteller Wang Chang Ling üble Gerüchte verbreiteten. Deshalb bat Wang Chang Ling seinen Freund, seine Unschuld denjenigen gegenüber zu beteuern, die in der Stadt Luo-yang nach ihm fragen würden.
Wie dem auch sei, welch große Stütze für sie könnte die tiefe Empfing „Wenigstens versteht uns das Ehepaar Zhou En-lai“ gewesen sein. Es war dann auch der Premierminister Zhou En-lai, der das Paar aus der Provinz, in die es verbannt worden war, wieder in ihre Heimatstadt zurückkommen ließ. Nach dessen Tod gedachte sie jeden Tag dem Premierminister, indem sie sein Porträt an der Wand aufhängte und Blumen davor legte.
Im selben Jahr, in dem wir uns zweimal trafen, erkrankte sie an einer Hirnthrombose. Außerdem brach sie sich bei einem Sturz die Hüfte, wodurch ihre rechte Körperhälfte gelähmt wurde.
„Ich kann nicht mehr schreiben“, dachte sie. Von dieser schrecklichen Vorstellung wurde sie heimgesucht. Sie war die „erste Schriftstellerin im modernen China“. Durch die „Bewegung des 4. Mai“ im Jahr 1919 inspiriert, begann sie, zu schreiben, und veröffentlichte bereits 18-jährig ihren ersten Roman; sie schrieb über 60 Jahre lang ununterbrochen.
Ihre Werke wurden als Serie gleichzeitig mit dem Meisterwerk von Lu Xun (1881-1936) „Die wahre Geschichte des Ah Q“ in einer Zeitschrift veröffentlicht. Unter welchen Umständen auch immer, sie schrieb unaufhörlich, obwohl sie wegen einer Krankheit unter Schmerzen litt. Während ihres Studienaufenthaltes in den USA schickte sie alles, was sie schrieb, an ihre Mutter nach China, einschließlich der gesammelten Essays „An die kleinen Freunde“, die sie den Kindern in China widmete.
Sie erzählte:
„Auch nach der Heirat, obwohl ich viel im Haushalt zu tun hatte, dichtete ich im Kopf und schrieb es später in einem Atemzug aufs Papier nieder. Ich habe nie aufgehört, zu schreiben. Selbst während des Kriegs gegen Japan schrieb ich, obwohl ich meine Aufenthaltsorte ständig wechseln musste. Während dieser Zeit erschien das Buch ‚Nochmals, an die kleinen Kinder’. Aber jetzt – wo ich mich gar nicht bewegen kann. Wie kann ich überhaupt noch schreiben? Alles war mir schwer und lästig.“
Im Oktober beging sie ihren 80. Geburtstag im Krankenbett. Sie schaute ein Bild an, das ihr zum Geburtstag geschenkt worden war, ein Bild, auf dem ein Kind gezeichnet war; voller Lachen im Gesicht, einen purpurroten Bauchschurz umgebunden, zwei große Pfirsiche auf den Schultern tragend.
„Wie niedlich es ist!“ dachte sie.
Während sie dieses Bild anschaute, stieg ein unsagbares Gefühl der Liebe zu den „kleinen Freunden“ wie von stürmischen Wellen getragen in ihr empor. In einer Ecke des Bildes stand geschrieben:
„Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag!“
„Achtzig Jahre ...! Bin ich schon 80 Jahre alt!“ sagte sie zu sich.
Sie hatte vollkommen vergessen, dass sie selbst eine betagte Frau geworden war, und sie konnte das auch vergessen. Warum? Weil sie sich ständig mit jungen Menschen umgab!
Diene ich der Jugend, so kann ich auch verjüngt werden!
Sie erzählte:
„Einst sagte Herr Konfuzius (552-479 v. Chr.), das sei der Ausdruck eines Gefühls, dass man unwissend bleibt, obschon das Altern naht. Was mich angeht, bin ich jedoch sosehr unwissend geblieben, obwohl das Altern bereits gekommen ist! Und jetzt dafür, dass ich unwissend bleiben konnte, muss ich allen der mehreren Zig-Millionen ‚kleinen Freunde’ danken. Ich fing mit 23 Jahren an, Essays „An die kleinen Freunde“ zu schreiben, und habe bis heute nahezu 60 Jahre lang ununterbrochen geschrieben. Der Grund, warum ich so lange schreiben konnte, ist sicher den Briefen derer zu verdanken, die meine Essays gelesen haben. Ich bin dafür sehr dankbar. Der Wunsch, dem aufrichtigen Gefühl aller kleinen Freunde unbedingt entsprechen zu wollen, verhalf mir, mich unendlich jung zu fühlen.“
Sodann fing Frau Bing-xin wieder an, schreiben zu üben. Zuerst nahm sie sich vor, an einem Tag 50 Schriftzeichen zu schreiben; sie waren völlig verbogen. Ihre Hand zitterte. Ihr schmerzte der ganze Körper. Sie ließ sich nicht besiegen und schrieb 50 Schriftzeichen; beim nächsten Mal konnte sie etwas besser zeichnen. Dann 60 Schriftzeichen und bald darauf 80 Schriftzeichen.
Sie warten, sie warten sehnsüchtig – ich habe viele „kleine Freunde“, die auf mich warten. Schau bitte an, heute habe ich stolz 100 Schriftzeichen schreiben können!
In dieser Art und Weise schaffte Frau Bing-xin es, bis 400 Schriftzeichen zu schreiben. „Mein Leben beginnt mit 80 Jahren!“ war ein Satz, den sie während dieser Zeit zeichnete.
„Um diese etwas über hundert Schriftzeichen zu schreiben, habe ich eine halbe Stunde benötigt. Aber, im nächsten Jahr werde ich wieder ganz gesund und ich realisiere den Wunsch, etwas an die kleinen Freunde zu schreiben. Es gibt ein westliches Sprichwort, das lautet: ‚Das Leben beginnt mit 40 Jahren.’ Demnach bin ich entschlossen, mit einer Geisteshaltung ‚Mein Leben beginnt mit 80 Jahren’ zusammen mit meinen ‚kleinen Freunden’ voranzuschreiten.“
Dieser Satz wurde zum Vorwort des Buches „Zum dritten Mal, an die kleinen Freunde“. Die Rose öffnete sich wieder.
Frau Bing-xin pflegte zu sagen:
„Der Mensch muss arbeiten, solange er am Leben bleibt, um der jungen Menschen willen und um der nächsten Generation willen.“
Sollten wir in uns verschlossen bleiben, kann die Blume des Lebens nicht aufblühen. Wenn wir unser Herz erschließen und der Jugend dienen, können wir selbst verjüngt werden. Denn der „Frühlingsgeist“ der Jugend tritt in unser eigenes Herz ein!
Für die Förderung des „Projekts der Hoffnung“, das alle Grundschulkinder im ganzen Land unterstützen sollte, sowie zum Fonds für die Weiterbildung der Frauen auf dem Land stiftete Frau Bing-xin von Herzen ihre Honorare. Sie bemühte sich, die Rahmenbedingungen der Schullehrer zu verbessern, und freute sich riesig wie ein kleines Mädchen, wenn sie junge Talente in der literarischen Welt entdecken konnte.
Anderen zu geben und anderen zu dienen, war die ihr angeborene Eigenschaft; es war ein Leben, in dem sie ihre purpurrote Liebe zu Menschen wie ein Garten voller Pracht erweiterte. Allein durch ihre aus überströmender Liebe und Mitgefühl gewonnene Energie überlebte sie ein turbulentes Jahrhundert Chinas und errang den Sieg.
Bei ihrer Trauerfeier waren in der Mitte des Raumes die von Frau Bing-xin handgeschriebenen großen Schriftzeichen auf einem Transparent zu lesen:
„Wo es Liebe gibt, gibt es alles.“
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 30. Juni 2002)
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