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Wole Soyinka,
Der erste Literaturnobelpreisträger Afrikas
Mit Zurückhaltung kann man nicht kämpfen.
Herr Wole Soyinka (geb. am 13. Juli 1934), Afrikas zorniger Mann, spricht direkt und geradeheraus. Es hört sich etwa so an:
„Meine geehrten Abgeordneten! Heute habe ich Kinder mitgebracht. Sie sitzen jetzt auf der Zuhörertribüne des Abgeordnetenhauses. Das ist gewiss meine sowie unsere Herausforderung. Was für eine Herausforderung? Sie bedeutet, dass Sie eine Politik machen, für die Sie sich nicht zu schämen brauchen, selbst wenn die reinen Augen der Kinder sie gesehen haben!“
Dies spielte sich im Abgeordnetenhaus in Lagos, der größten Stadt Nigerias, ab. Er begleitete die Kinder der Mittelschule, die er früher selbst besuchte. Die Besichtigung, begründete er, sollte dazu dienen, dass die Mitglieder des Abgeordnetenhauses die Tatsache genau erkennen, dass die Kinder in dieser chaotischen Gesellschaft leben und ständig der Gefahr ausgesetzt sind, verletzt zu werden. Er wünschte: „Sie sollten dessen bewusst werden, dass den Kindern in der Zukunft eine extrem besorgniserregende Situation bevorsteht. Die Kindheit, die Sie wie ich einst mit Freude verbrachten, ist jetzt durch die unverantwortliche Politik verschwunden.“
Er hat stets eine scharfe Zunge. Jedoch ist sein Angriff nicht um des Angriffs willen da, er ist auch kein Narzissmus, in dem man sich einbildet, ein gutherziger Mensch zu sein, während man andere beschuldigt. Sein Zorn strömt aus der brennenden Menschenliebe hervor.
Als sein Heimatland Nigeria noch unter dem Militärregime stand, verurteilte das Regime den Schriftsteller Ken Saro-wiwa und acht weitere Bürgerrechtler zum Tode und ließ sie hinrichten. (Nov. 1995) Zu dem Zeitpunkt war Herr Soyinka gerade in Japan.
Was zum Teufel ...! Er grämte sich darüber, er kochte vor Wut und er rief auf. Die ganze Welt soll diese Realität genau zur Kenntnis nehmen; sie soll daran noch mehr Interesse zeigen! Er sprach:
„Ich glaube, die Engländer würden sicher zum Protest aufstehen, wenn dasselbe, was jetzt der Diktator Nigerias tut, auch in England geschehen wäre. Wir dürfen keinen Doppelmaßstab zulassen, nämlich ‚Solange in Afrika fürchterliches passiert, ist es nicht so schlimm, aber in unserem eigenen Land muss Ordnung herrschen.’ Denn Menschen zu töten ist in allen Ländern ohne Unterschied strafbar.“ (aus seiner „Rede“ auf dem Literaturforum in Japan, sinngemäße Rückübersetzung)
Ich möchte an alle führenden Persönlichkeiten in der ganzen Welt energisch appellieren:
„Wenn Sie das Wort Humanität in den Mund nehmen und von den Menschenrechten sprechen, dann sollten Sie dem Menschenleben in anderen Ländern genau wie in Ihrem eigenen Lande die gleiche Achtung schenken! Ansonsten müssen Sie begreifen, dass das wohlklingende Schlagwort „Humanität“ nicht anders als eine Beschönigung verstanden werden kann, um Ihre wahre Absicht, Nutzen für Ihr eigenes Land zu ziehen, zu verbergen.
Im Jahr 1999 sprach er in Südafrika:
„Nun es würde uns sehr helfen, wenn wir einmal die Differenz sehen und zwar zwischen dem Militäretat, der für die Kriegsführung an einem einzigen Tag in Ländern Afrikas aufgestellt worden ist, und dem Etat für Bildung und Kultur in denselben Ländern. Wem nutzt überhaupt den Bürgerkrieg zu schüren und daraus enormen Nutzen zu ziehen? Es gibt keinen Zweifel, dass Bürgerkriege, die sich in der dritten Welt ereignen, sowohl der Waffenindustrie im westeuropäischen Wirtschaftsraum, als auch der (nach dem Kalten Krieg) zugrunde gegangenen Waffenindustrie im osteuropäischen Wirtschaftsraum, eine große Schubkraft geben.“
Dennoch schreibe ich!
Wird er als Nobelpreisträger mit Nachsicht behandelt, selbst wenn er alles sagt, was er sagen will? Um Himmels willen! Herr Soyinka hielt seine Reden stets selbst unter Lebensgefahr. Er wurde bereits dreimal aus seinem Heimatland vertrieben. Fortgesetzt stand er unter polizeilicher Beobachtung. Da ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde, musste er sich im Dschungel verstecken.
Und jener tragische Biafra-Krieg! (1967-1970)
Der Krieg entstand aus dem Konflikt zwischen der Landesregierung im Osten, in dem die Volksgruppe Ibo vorherrschend lebte und ihre Unabhängigkeit als Republik Biafra erklärte, und der nigerianischen Regierung, die sie nicht anerkennen wollte.
Es gab schauderhafte Massaker; zwei Millionen Menschen verhungerten und fünf Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen. Weil es in Biafra reichhaltige Ölfelder gibt, mischten sich die Großmächte ein, dadurch breitete sich der Krieg aus.
Herr Soyinka konnte hierzu nicht schweigen. Er rief alle zur Waffenruhe auf und handelte energisch; er besetzte die Rundfunkstation, um die propagandistische Sendung der Regierung, gerichtet an die Bürger, zu stoppen, und er nahm selbst das Mikrophon und übte scharfe Kritik an der Regierung. Als Folge davon wurde er verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Es war der Beginn wahrhaft schreckenerregender, fürchterlichster Stunden.
Zweiundzwanzig Monate lang war er in einer Einzelzelle eingekerkert. Sie war 2,4 Meter breit und 1,2 Meter hoch. Eng und einsam. Wenn es dort irgendetwas gab, waren es nur Eidechsen, Motten, Flöhe und Moskitos. Natürlich durfte er keine Bücher lesen. Es war völlig ungewiss, ob und wann er überhaupt lebend herauskommen könnte.
Ungeachtet solch äußerst schwieriger Umstände schrieb er weiter. Trotz Bewachung fuhr er in Geheimen fort, zu schreiben. Feder wie Tinte stellte er erfinderisch her. Er schrieb auf alles, was er finden konnte, selbst auf einen Zipfel des Toilettenpapiers, auf die Rückseite der Zigarettenschachteln, auf den Boden und auf den Seitenrand der Bücher, die er sich durch Bestechung verschaffte.
Gefühle, die hervorquollen, schrieb er nieder und dichtete. Er war fest entschlossen:
Ganz egal, in welcher Lage ich mich befinde, schreibe ich!
Ich werde mich selbst klar ausdrücken!
Ich lasse mich nicht zum Schweigen bringen!
Ich lasse meine Seele niemals fesseln!
Er schaute einmal auf sein Gefängnisleben zurück: „Was ich dabei verlor, war die Zeit, und was ich gewann, war die Selbstüberzeugung. Meine Überzeugung ist jetzt stärker als in der Zeit vor der Verhaftung.“
Aus welchen Gründen auch immer, warum können wir die Tragödie Afrikas nicht als unsere eigene Tragödie wahrnehmen und spüren? Obwohl sie im Leben von Menschen, die wie wir im selben Zeitalter und auf der selben Erde leben, passiert? Wir müssen eine Brücke schlagen, um die Kluft zu überwinden.
Meine Begegnung mit Herrn Soyinka war nur von kurzer Dauer. Es war 1987, ein Jahr, nachdem er den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte. Er nahm unsere Einladung zum Jugendkulturfest der SGI, das am 27. September in Hyogo (unweit von Osaka) stattfand, wahr. Er war groß und hatte ein unverzagtes Antlitz, jedoch sein Blick war unvorstellbar sanft.
„Ich heiße Sie herzlich willkommen!“ empfing ich ihn mit größtem Respekt, während ich eine Hand an die Brust legte. Ich verehre die Menschen, die gegen Verfolgungen durch autoritäre Macht kämpfen, weil gerade sie die wahren Könige für das Volk sind. Im lächelnden Gesicht glänzten seine Augen durchdringend; das waren die Augen eines Kämpfers. Das Gefühl, das ich zu Afrika habe, kam schnell aus meinem Herzen heraus:
„Afrika ist ein Kontinent, auf dem in der Menschheitsgeschichte am meisten herumgetrampelt wurde. Daher wünsche ich herzlichst, dass die Menschen in Afrika zu den glücklichsten Menschen werden, und dass Afrika sich am besten entwickeln kann. Meine größte Freude wäre, dass solche Länder, die bislang so leiden mussten, sich am weitesten entwickeln können. Ich wünsche mir zutiefst, dass sie sich weiter entwickeln als die einflussreichen Länder.“
Ich machte mir darüber Gedanken, was sich im Herzen eines Mannes bewege, der sich stetig darum bemüht, als Gewissen Afrikas zu allen Menschen zu sprechen, um sie zum richtigen Verständnis zu bringen.
In der Geschichte wurde Afrika stets seiner Stimme beraubt. In den vergangenen 400 Jahren mussten die Afrikaner nach der Zeit der Sklavenjagd weiter unter der grausamen Kolonialherrschaft leben. Selbst ihre Freude, die sie durch die Unabhängigkeit gewannen, dauerte nicht lang an, und ein chaotischer Zustand herrschte stattdessen. Es gab und gibt Bürgerkriege, Armut und Hungersnöte. Afrika wurde ständig durch Großmächte ins Chaos gestürzt und von den Machthabern verraten. Die einfachen Menschen kamen immer zuletzt. Es ist nicht viel, was sie sich wünschen, sondern nur, dass sie einfach als Menschen leben können. Selbst ihre Stimme, die diesen bescheidenen Wunsch ausdrückte, wurde auch noch durch Gewalt zum Schweigen gebracht.
„Ich rufe auf und schreibe für das Volk, und an seiner Spitze schreite ich voran. Ich werde niemals schweigen!“ Mir kam es so vor, diese Worte seines Herzens zu hören.
Die Zeit der Eröffnung des Kulturfestes nahte. Unerhofft hatten wir nur wenig Zeit, miteinander zu reden. Dennoch ließ er mir später folgendes ausrichten:
„Sie, Präsident Ikeda, sind ein Literator, und ich bin auch ein Schriftsteller. Obwohl ich an dem Ort des Festes nur wenig Zeit hatte, mit Ihnen zu sprechen, können sich die Literaten, wenn sie sich treffen, von Herz zu Herz unterhalten.“
Dreiundhalb Jahre später kam es zur Krise am persischen Golf. Die Lage wurde immer ernster, sodass der militärische Zusammenstoß unvermeidbar zu sein schien, falls der Irak seine Armee von Kuwait nicht zurückzog.
Ich setzte mich mit Herrn Soyinka in Verbindung, und wir gaben einen gemeinsamen dringlichen Appell für den Rückzug der Streitkräfte und die Rückkehr zum Dialog, bekannt. Das war am 15. Januar 1991. Diesem Appell schlossen sich Ricardo Diez-Hochleitner, (Ex)-Präsident vom Club of Rome, Federiko Maior, (Ex)-Generaldirektor der UNESCO, Tschingis T. Aitmatov, der russische Schriftsteller, und B. Benson, der englische Physiker, an.
Zu unserem großen Bedauern entwickelte sich die Golfkrise zum Golfkrieg. Inmitten der Kampfhandlung hielt Herr Soyinka an seiner Alma mater, der Universität Ibadan, in Nigeria einen Vortrag. (25. Januar) Das Thema lautete „Glaubensartikel über Sein und Nichts“.
Er sprach: „Wenn man sich über das Grundsatzproblem von Leben und Tod Gedanken macht, ist die Religion unentbehrlich. Jedoch die Geschichte vieler Religionen ist durch die Folgen von Gewalt und Massaker gekennzeichnet. Und in Afrika wurden die Kultur und das geistige Vermögen durch die Fremden zerstört. Ab jetzt aber müssen sie von der reichen Weisheit Afrikas lernen.“
Eigentlich ist Afrika ein Kontinent der reichen Weisheit sowie der Menschenliebe. Es ist bekannt, dass die Menschheit vor etwa vier Millionen Jahren in Afrika entstand. Von diesem Kontinent breitete sich die Menschheit aus. Daher sind wir alle, genetisch gesehen, Brüder wie Schwestern.
Als ein Kenianer sagte, „Mein jüngerer Bruder ...“, fragte ihn sein japanischer Freund etwas überrascht:
„Hast du denn einen jüngeren Bruder gehabt?“
Der Kenianer entgegnete:
„Es handelt sich um einen Cousin, der mit einem weiteren Cousin meines Cousins verwandt ist.“
Der Japaner konnte gar nicht begreifen und fragte weiter:
„Wieso musst du dich um einen so weit entfernten Verwandten kümmern?“
„Weil wir alle gemäß der afrikanischen Kultur verwandtschaftlich verbunden sind!“ so antwortete der kenianische Freund.
In Afrika war und ist eine Tradition, mit der Natur zusammen zu leben. Der ehemalige südafrikanische Präsident Nelson Rolihlahla Mandela (geb. 1918), mein verehrter Freund, erzählte mir einmal:
„Ein Häuptling von einer Dorfgemeinschaft sagte: ‚Wenn man die Bäume zu Brennholz machen will, muss man vorher eine Erlaubnis einholen. Die Tiere darf man auch nicht willkürlich jagen. Da wir sie weiterhin in Schutz nehmen wollen, kann man sie nicht einfach jagen, sondern nur dann, wenn man die Genehmigung eingeholt hat.’
Er erzählte auch folgendes: ‚Wir bestimmen einen Zeitraum, während dessen wir die Tiere jagen dürfen.’ Das heißt, der Naturschutz wurde schon lange Zeit, bevor die Weisen nach Afrika kamen, durchgeführt.“ (aus „National Geografik“ in japanischer Edition, September 2001, sinngemäße Rückübersetzung)
In der Volksgruppe der Yoruba, aus der Herr Soyinka stammt, gibt es ein Sprichwort: „Der Fluss, der seinen Ursprung vergisst, versiegt.“ (sinngemäße Rückübersetzung) Es ist womöglich notwendig, dass die Menschheit, die in eine Sackgasse geraten ist, noch einmal zu ihrer Urquelle, Afrika, zurückkehrt und die Weisheit von Afrika lernt.
Nach dem Vortrag veröffentlichte er seine Rede. Im Vorwort zitierte Herr Soyinka aus meinem Friedensvorschlag, den ich anlässlich des Tags der SGI (25. Januar 1991) veröffentlichte, eine Stelle, in der über den „heiligen Fanatismus“ gesprochen wurde.
Ich kann mir gut vorstellen, dass er die Gefahr sehr ernst erkannte, dass Religionen sowie Ideologien eine dogmatische Richtung einschlagen und missbraucht werden.
Wie grausam Menschen werden können, wenn sie Mitmenschen als Feinde betrachten!
Wieweit die Grausamkeit eskalieren kann, wenn diese Anfeindung ferner durch Religionen und Ideologien gerechtfertigt wird!
Das Bewusstsein, den Heiligen Krieg zu führen, ist gefährlich.
Das Bewusstsein, den modernen Kreuzzug zu führen, ist auch gefährlich.
Auf einem Kulturforum, das 1995 in Japan veranstaltet wurde, kamen von den Teilnehmern rege Fragen. Eine davon lautete:
„Mir scheint, dass in der Welt viele verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit zusammenstoßen und daraus Kriege entstehen. Was kann man dagegen tun?“
Herr Soyinka antwortete darauf:
„Die einfachste, klarste Gerechtigkeit ist die, dass man den anderen nur das antun sollte, was einem selbst nicht ausmacht, wenn es einem selbst angetan wird. Dass man sich in die Lage anderer versetzt und danach handelt, ist die Basis der Gerechtigkeit. In diesem Sinne ist es für mich unvorstellbar, dass es verschiedene Gerechtigkeiten, (die miteinander kollidieren), geben kann.“
„Nein!“ zur geistigen Kolonialisierung, die die Individualität zerstört.
Sich in die Lage anderer einfühlsam hinein zu versetzen, für sie zu denken und zu handeln – eine Gerechtigkeit ohne solche Vorstellungskraft wird dogmatisch, und lehnt die Dialoge ab und zwingt oder schikaniert andere Menschen. Diese Art der „Gerechtigkeit“ verwandelt sich in das Böse, das nur im Namen der Gerechtigkeit existiert.
Sich in die Lage anderer einfühlsam hinein zu versetzen, für sie zu denken und zu handeln – um diese Vorstellungskraft zu trainieren, müssen Literatur, Religion und Bildung vorhanden sein. Der Intellekt ohne eine Vorstellungskraft verwandelt sich in Barbarei und Gewalt, deren Name Zivilisation heißen kann.
Ihr größtes Opfer war Afrika. Seine unersetzbare Kultur und Charaktereigenschaften wurden erdrückt. Und die Kraft, den Menschen in Afrika eine bestimmte Wertanschauung aufzwingen und ihren Geist kolonialisieren zu wollen, ist heute immer noch nicht verschwunden. Mit der allmächtigen Marktwirtschaftsidee angefangen – als ob sie sagen wollten: es gebe für euch nur diesen einen Weg, um zu überleben, deshalb müsst ihr ihm folgen.
„Wie sollten wir in solch einer Gesellschaft leben! Die Erwachsenen machen immer nur das, was sie nach Lust und Laune machen wollen! Überall, wohin wir schauen, gibt es Lügen, lauter Lügen, alles ist mit Lügen erfüllt! Dennoch haben wir von ihnen immer wieder hören müssen: ‚Ihr seid Taugenichtse.’ Hoffnung? Es gibt keine!“
Es war ein belebtes Viertel von Kingston, der Hauptstadt von Jamaika, der karibischen Insel, in dem sich ein solch schmerzhafter Schrei durch den Wind vernehmen ließ. Als seine Theateraktivität in Nigeria in Gefahr geriet, zog Herr Soyinka nach Kingston um und projektierte ein Theaterstück. Als Darsteller engagierte er an Ort und Stelle etwa 80 Kinder, die im Alter zwischen 10 und 20 Jahren waren. Es waren nur Kinder, die bis zu dem Zeitpunkt nichts vom Theater wussten.
Mehr als die Hälfte der Kinder hatten nur noch einen Elternteil. Es gab Kinder, die mangels Geld nicht einmal in die Schule gehen konnten. Die meisten von ihnen wurden in irgendeiner Weise misshandelt. Ein 14jähriges Mädchen namens Sally hatte nur ein gesundes Auge. Das andere Auge war erblindet, weil sie von ihrem Vater, der stark betrunken war, ins Gesicht geschlagen worden war. Aston verlor seinen Vater, als der in eine Schießerei unter Gangstern geriet. Sein jüngerer Bruder starb auch bei dieser Schießerei, nachdem er von einer verirrten Kugel getroffen worden war. In den Ortschaften, in denen sich Gangsterbanden ständig Schießereien lieferten, schliefen alle unter dem Bett, weil sie vermeiden wollten, von verirrten Kugeln getroffen zu werden. Drogen waren auch weit verbreitet.
Wie kann man in solch einer Umgebung ordentlich leben?
Das Schauspiel konnte sie aber verändern. Ein Theaterstück zu spielen, bedeutete für sie, ihre Augen für eine andere Welt zu öffnen. Während der Arbeit machten sie sich zum ersten Mal darüber Gedanken, dass es eine andere Welt sowie eine andere Zukunft gab. Sie befassten sich mit der Möglichkeit, gewaltlos zu leben. Sie überlegten intensiv. Alle 80 Kinder bewegten sich lebhaft auf der ganzen Bühne; sie sangen, tanzten und redeten voller Kraft. Sie spürten ein Gefühl der Befreiung. Es war für sie eine neue Erfahrung, wodurch sie zu ihrem „neuen Selbst“ erwachen konnten. Außerdem stellten sie fest, dass die Erwachsenen nach der Vorführung des Schauspiels begeistert und zu Tränen gerührt waren.
Ein jeder dachte, ich kann auch etwas schaffen.
Wir können bestimmt irgendetwas zur Veränderung bringen!
Nachdem die Theatervorführung zuende gegangen war, sprachen alle einer nach dem anderen:
„Ich habe Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl gewinnen können. ... Bislang habe ich nur Sorgen gehabt, aber jetzt bin ich sicher, dass ich alles erfolgreich ausführen kann. ... Ich denke, alle haben jeweils große Kapazität und Talent, aber meine Fähigkeit ist, immer freudig zu sein und zu lächeln. ... Jetzt brauche ich andere nicht mehr zu hassen. Wir sind alle gemeinsam. ... Ich habe eine Zuversicht gewonnen, „Nein“ zu sagen. ... Mein Traum ist, dass alle Menschen in aller Welt zusammenkommen, in Frieden und Liebe leben und das Gemetzel beendet wird.“
Sie zerschnitten selbst die Ketten, die sie fesselten, und markierten ihre ersten Schritte nach vorne.
(aus seinem „Vortrag“ in Shizuoka 1999, sinngemäße Rückübersetzung)
Ich werde auch appellieren:
Jugend!
Lass dich von der Umgebung nicht besiegen!
Falls davon besiegt, wirst du zum Sklaven der Umgebung.
Lass dich nicht davon stören, was die anderen über dich denken!
Falls du davon abhängig bist, wird dein eigenes Leben verloren gehen!
Und die Augen anderer und die Rufe in der Gesellschaft, dich zu bestimmen, gewinnen die Oberhand.
Dann ist das Leben von Sinnlosigkeit erfüllt.
Lebe deinem Traum getreu!
Führe deine erhabene Überzeugung ein ganzes Leben lang durch!
Lass dich von der Gewinnsucht, die den Wert der Menschen minimiert, nicht besiegen!
Lass dich vom Gedanken, dass Menschen mit höherer Schulausbildung besser seien, nicht besiegen!
Lass dich vom Uniformismus nicht besiegen!
Lass dich weder vom Zynismus noch vom Nationalismus besiegen!
Dass unsere Herzen von solchen Ideen heimgesucht und beherrscht werden, bedeutet, dass unsere Herzen kolonialisiert und verkettet werden. Und wenn sich die Herzen des Volks verschließen und damit anfangen, einzuschrumpfen und sich mit freien Meinungsäußerungen zurückzuhalten, geht die Gesellschaft zur Neige in Richtung Krieg. Gerade deshalb können wir den Frieden schaffen, indem wir im Gegensatz dazu unsere unermüdliche Bemühung dafür fortsetzen, alle Menschen sich frei entwickeln zu lassen und ihre verborgene Schöpfungskraft hervorzurufen. Aus dem Grund bin ich darum bemüht, alle Menschen Selbstvertrauen gewinnen zu lassen!
Auch dafür hat Herr Soyinka gekämpft, indem er die Feder als Waffe benutzte. Und weil folgende Worte, gerade von solch einem Kämpfer stammen, ertönen sie in meinem Herzen schwergewichtig, aber auch durchdringend:
„’Glauben Sie noch mehr an Ihr Selbst, und glauben Sie noch mehr an Ihr eigenes Potenzial!’ Das ist, wie ich an die heutige Jugend am herzlichsten appellieren möchte. Beispielsweise, wenn Sie morgens aufstehen, haben Sie bitte Selbstvertrauen sowie einen starken Willen, sodass Sie zu sich sagen können, ‚Ich kann hundert Mal besser singen als Michael Jackson, oder ich habe hundert Mal mehr Kapazität als Madonna.’
Sie sollten nicht zu solchen Menschen werden, die mit einer zerbrechlichen Substanz nur nach einer Modeerscheinung jagen! Sie sollten niemals vergessen, ein Mensch zu sein, der eine unentbehrliche Charaktereigenschaft besitzt!“
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 25. Mai 2002)
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