1600041779 a:2:{s:7:"content";s:23735:"
Dr. Ji Xianlin,
Ex-Vizerektor der Peking Universität
Menschen! Hört den Gesang von Himmel und Erde!
Herr Ji Xianlin ist jetzt 91 Jahre alt.
Er ist ein herausragender Gelehrter, der in China als „Schatz des Staates“ bezeichnet wird.
Es ist bekannt, dass ihm der Staatspräsident Chinas, Jiang Zemin, anlässlich des 100 jährigen Gründungsjubiläums der Universität Peking einen Besuch abstattete und ihm seinen tiefen Respekt zum Ausdruck brachte, indem er sagte: „Obwohl ich schon lange Zeit von Ihrem wie der Donner hallenden Ruf gehört habe, bedeutet die Gelegenheit, Sie heute höchstpersönlich zu treffen und kennen zu lernen, für mich ein ewig andauerndes Glück.“ Das geschah im Jahr 1998.
Dr. Ji Xianlin ist nicht jemand, der in geeigneter Umgebung und unter angenehmen Umständen studieren konnte. Er überwand mehrmals Hungersnöte, Kriegsunruhen und lebensbedrohliche Verfolgungen, überlebte sie und erklomm den überragenden Gipfel des Wissens. Und während des Erklimmens dieser hohen Berge befand sich in der Tiefe seines Herzens nur ein einziges Antlitz – das seiner Mutter, an die er stets mit großer Sehnsucht dachte.
Er erzählte: „Meine Familie gehörte zu den Ärmsten der Armen, sie war selbst innerhalb des armen Dorfes die ärmste. Es mangelte uns ständig am Essen. Mein Vater ging in eine Dattelbaum-Plantage, die einer fremden Familie gehörte, und sammelte die Datteln auf, die auf dem Boden lagen, um seinen Hunger zu stillen. Der Grund, warum er, der so arm war, gleichwohl heiraten konnte, lag darin, dass die Familie meiner Mutter genauso arm war. Daher kam es für meine Mutter überhaupt nicht in Frage, in die Schule zu gehen. Sie konnte kein einziges Schriftzeichen lesen und selbst bis zum Ende ihres Lebens nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben.“
Ji Xianlin wurde im August 1911 geboren. Es war fünf Monate vor dem Fall der Qing (Ching)-Dynastie (1616-1912) zur Zeit der Gründung der Volksrepublik China. Also ist er noch während der Ära der letzten chinesischen Dynastie auf die Welt gekommen. Sein Geburtsort heißt Guanzhuang im Kreis Qingping, der heutigen Stadt Linqing, in der Provinz Shandong (Shangdong).
Ich werde das „Herz meiner Mutter“ niemals vergessen!
Hinter seinem Haus gab es einen Teich, in dem Schilf wuchs, und am Teich stand ein Weidenbaum. Der Acker, den seine Familie zu pflügen hatte, war nicht größer als die Stirn einer Katze, wie man in Japan sagt.
Es gab „drei Arten von Zeug“, das unter den Dorfbewohnern gegessen wurde: „Weißes Zeug“, „gelbes Zeug“ und „rotes Zeug“. „Weißes Zeug“ war etwas, das aus Weizenmehl hergestellt wurde, und es war seiner Familie völlig fremd. „Gelbes Zeug“ waren Teigwaren, die aus Kolbenhirse oder Maismehl hergestellt wurden, damit hatte sie ebenfalls kaum zu tun. Das minderwertigste „rote Zeug“ wurde aus Kaoliang hergestellt.
„In meiner Familie, sagt er, aßen wir immer ‚rotes Zeug’. Es schmeckte übel fast wie Schweineleber, und es kostete mich große Mühe, es überhaupt hinunterzuschlucken, dennoch musste ich es essen, denn ansonsten wäre ich verhungert. Als ich später auch nur vom „roten Zeug“ hörte, wurde mir noch schlecht. Meine Mutter aber nahm ihr ganzes Leben lang nur ‚rotes Zeug’ in den Mund. Und in den Jahren der Missernte war es uns nicht möglich, selbst ‚rotes Zeug’ zu essen. Uns blieb nichts anderes übrig als Blätter wilder Gewächse zu essen.“
Der kleine Xianlin fragte die wohlhabenden Familien und holte die Erlaubnis ein, auf ihren Acker zu gehen und Ähren zu lesen. Auch wenn der Weizen einmal sorgfältig geerntet wurde, lagen da und dort noch Ähren. Diese sammelte er mit viel Zeit und Geduld auf. Selbst ein fünfjähriges Kind konnte in einem Sommer doch eine ganze Menge einsammeln.
Er erzählt weiter: „Meine Mutter machte aus diesem Weizen Mehl und backte damit Kuchen als Belohnung für mich. Ich war froh und glücklich. Ich aß ihn schmatzend und kaute mit vollen Backen.“
Eines Jahres konnte der junge Xianlin wesentlich mehr Weizenähren als sonst lesen. Dann kam der Feiertag des Mittleren Herbstes. Nicht bekannt, woher und von wem, brachte seine Mutter einen „Reiskuchen“.
„Als ich ein kleines Stück davon bekam, setzte ich mich neben einen großen Stein und fing an, etwas nach vorn gebeugt, ihn rasch zu essen. Das konnten wir normalerweise sehr selten essen; es übertraf für mich alles an Wert und war auch weit seltener als die ‚Leber des Drachen’ oder die ‚Leber des Phönix’! Ich, da ich noch klein war, machte mir gar keinen Gedanken darüber, ob meine Mutter mitaß oder nicht. Wenn ich aber jetzt versuche, mich daran zu erinnern, bin ich sicher, meine Mutter nahm kein Stück davon für sich. Es ging nicht nur um den Reiskuchen. Auch wenn es ganz selten ‚weißes Zeug’ gab, probierte sie es selbst kein einziges Mal. Alles bewahrte sie extra für mich auf ...“
Als er sechs Jahre alt wurde, musste er sich von seiner liebevollen Mutter trennen. Denn er sollte zu seinem Onkel, der in Jinan, der Hauptstadt der Provinz Shandong, lebte, gehen und unter dessen Obhut lernen. Seit dieser Zeit war es Herrn Ji Xianlin nie mehr möglich, in seiner Heimat zu leben.
Als ich die Peking Universität besuchte, ergab sich für mich zum ersten Mal die Möglichkeit, Professor Ji Xianlin zu treffen; es war mein vierter China-Besuch. (18.September 1978)
In „Lin Hu Xuan“, dem Gästehaus der Universität, von dem man einen Blick auf den „Mo-Ming See“ werfen konnte, wurde ich von Herrn Ji Xianlin, dem Vizerektor, und vielen namhaften Persönlichkeiten empfangen. Es war genau in der Zeit, in der die „zehnjährige Katastrophe“, die Kulturrevolution, gerade zu Ende ging. Welch leid- und qualvolle Erlebnisse er während dieser verhängnisvollen Kulturrevolution erdulden musste! Ihm wurden unbeschreiblich schwere Verfolgungen zugefügt; Folterung, Demütigung, Zwangsarbeit, Hungersnot und Gewalttat. Außerdem wurden ihm wertvolle Forschungsunterlagen weggenommen. Er stand, wie ich erfahren habe, bereits kurz vor dem Selbstmord.
Ungeachtet dessen schien sein Antlitz an diesem Tag leuchtend. Tiefblau und kristallklar wie der herbstliche Himmel Pekings war sein lächelndes Gesicht vom Sieg geprägt. Sein schlichter und einfacher Charakter voller Bescheidenheit strahlte die Frische eines großen Gelehrten aus.
Heute noch kann ich mich gut daran erinnern, dass er sagte: „Es freut mich besonders, dass wir Sie im goldenen Herbst, der besten Jahreszeit, in Peking empfangen konnten.“ Wie seine Worte belegten, fingen die Blätter der Ginkgobäume an, auf dem Campus der Universität überall golden zu schimmern.
Ji Xianlin kam zum ersten Mal nach Peking, als er neunzehn Jahre alt war, um an der Qinghua (Tsinghua)-Universität, die genauso berühmt war wie die Peking Universität, zu studieren. Unweit des Hauses, in dem er seine erste Unterkunft fand, stand ein alter „Baum der Matrimonyrebe“, der hoch ragte. Der junge Xianlin pflegte, wenn er vom Lesen müde wurde, zu diesem Baum zu kommen und darunter einen Spaziergang zu machen.
Wenn er sich dem Baum näherte, konnte er beobachten, dass auf vielen Blättern grüne Insekten krochen. In den Blättern, die von den Insekten zerfressen wurden, gab es viele Löcher wie auch lasurblaue Flecken. Während er die Sprenkel am Baum ansah, kamen ihm diverse Assoziationen in den Sinn; sie ließen sich wie Aquarellbilder und Landkarten anschauen. Ein schwarzer Punkt auf der Landkarte verwandelte sich in seine Heimat, in der seine Mutter auf ihn wartete. Andere dunkle Flecken sahen aus wie die Seen und Berge, wo er einst spielte. Nein, er konnte sie nicht nur so ansehen, sondern dachte auch darüber nach, dass jedes Blatt selbst in der Tat eine Welt darstellen könnte, wie er schreibt:
„Dieser voller Grün üppig hochgewachsene Baum der Matrimonyrebe war mein Universum. Nein, jedes einzelne Blatt des Baums stellte mein eigenes Universum dar.“
Das erinnert mich an ein berühmtes Gedicht von William Blake (1757-1827), dem englischen Dichter:
“Die Welt in einem Sandkorn
und den Himmel in einer wilden Blume zu sehen
Die Unendlichkeit in deiner Handfläche
und die Ewigkeit in einem Augenblick zu halten“
(sinngemäße Rückübersetzung)
Der Spitzname, den Prof. Ji Xianlin während seiner Mittelschulzeit hatte, hieß „Dichter“.
Bald danach zog er in die Nähe der Universität um, dennoch dachte der junge Xianlin stets daran, sein Studium so schnell wie möglich abzuschließen, eine Arbeitsstelle zu finden und seine Mutter aus der Heimat zu holen, um mit ihr zusammen zu leben. Seit der Trennung mit sechs Jahren hatte er kaum Gelegenheit, sie zu sehen. Ihr letztes Weidersehen kam zustande, als er vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war. Er besaß auch kein Photo von ihr. Denn für seine Mutter gab es keine Möglichkeit, sich fotografieren zu lassen.
Er sagt: „Ich kann mich überhaupt nicht an das lächelnde Gesicht meiner Mutter erinnern. Ich glaube, meine Mutter hat ihr ganzes Leben lang kein einziges Mal gelacht. Ihre Familie blieb arm, und ihr Sohn lebte weit weg von ihr getrennt. Sie hat alle möglichen, bitteren Leiden erlebt. Ein lächelndes Gesicht ... woher sollte es kommen?“
Dr. Ji Xianlin erfuhr später, dass seine Mutter immer und immer wieder sagte: „Wenn ich gewusst hätte, dass mein Sohn nie wieder zurückkommen würde, sobald wir uns einmal verabschiedet haben, hätte ich ihn niemals gehen lassen!“
In seinen Augen quollen die Tränen über, während er erzählte: „Welch große Bitternis und welch tiefer Kummer in diesen kurzen Worten enthalten sind! Mit welchem Gefühl sie unzählige Tage und Nächte in die Ferne sah und nur auf den Moment wartete, ihren Sohn wiederzusehen!“
Jedoch war er noch auf die Hilfe anderer angewiesen und weiterhin finanziell nicht unabhängig. Er wollte schnellstmöglich selbständig werden und seine Dankesschuld seinen Eltern zurückzahlen. Und ganz offen wollte er seiner Mutter sagen, „Mutter! Vielen herzlichen Dank für deine ganzen Mühen! Von nun an brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen!“ und ihr große Freude machen.
Mutter, die kein einziges Mal gelacht hat:
Lasst uns jetzt jeden Tag lachend leben!
Mutter, die nur „rotes Zeug“ essen konnte:
Lasst uns von jetzt an Wohlschmeckendes essen!
Der junge Student Xianlin träumte von diesen Tagen. Jetzt stehe ich kurz davor! Bald kann ich mein Studium in der Universität abschließen!
Jedoch erhielt er eines Tages eine Todesnachricht. Seine Mutter starb kurz vor dem Abschluss seines Studiums. Aufs schnellste brach er von Peking auf. Ein langer, langer Weg, der ihn in seine Heimat führte.
„Ich versuchte zwar, mir vorzustellen, wie sehr sich eine Mutter über ihren geliebten Sohn Sorgen machte, aber diesen Gedanken konnte ich ganz und gar nicht ertragen. Wenn ich aber dennoch daran dachte, schien mir mein Herz aufzuplatzen, und die Tränen liefen mir über.“
Acht lange Jahre sah er sie nicht, und er sagt:
„Als ich den Sarg meiner Mutter und das armselige baufällige Haus sah, dachte ich dabei ernst, ich will meinen Kopf auf ihren Sarg schlagen und ihr nachfolgen. Ich habe bereut, ich bereue es von ganzem Herzen. Ich hätte von meiner Mutter absolut nicht weggehen sollen!“
Auch nachdem Prof. Ji Xianlin einen weltweit glänzenden Ruf erworben hatte, nennt er dies noch immer „meine ewige Reue“. Der 82 jährige Ji schrieb:
„Kein einziger auf dieser Welt auch nur erdenkbarer Ruhm, keine Position, kein Glück und keine Erhabenheit kann wertvoller sein, als in der Nähe der eigenen Mutter zu sein, völlig unabhängig davon, ob sie kein einziges Schriftzeichen lesen kann und immer nur ‚rotes Zeug’ zu Essen hat. Das ist meine ‚ewige Reue’.“
Als er dies schrieb, waren schon 60 Jahre vergangen, seitdem er von seiner Mutter den letzten Abschied genommen hatte.
Kürzlich habe ich die Sammlung meiner Dialoge mit dem Großen Lehrer Ji Xianlin unter dem Titel „Die Weisheit des Orients“ veröffentlicht. Unserem Gespräch schloss sich Prof. Jiang Zhongxin (geb. 1942) an, es fanden also Gespräche zu dritt statt. Prof. Jiang war ein Lieblingsschüler des Lehrers Ji und ein prominenter Gelehrter in der Erforschung der verschiedenen Abschriften des Lotos-Sutras. Zu meinem tiefsten Bedauern ist er an einer Krankheit am siebten dieses Monats verstorben. Dr. Jiang setzte sich voll und ganz für unsere Gespräche ein; es ist ihm viel zu verdanken. Er war ein Lehrer voller Liebe und Wissen, jemand, der durch und durch redlich und aufrichtig war. Mit Hochachtung möchte ich ihm dieses Buch widmen.
Einer der Hauptpunkte, die in diesem Buch behandelt werden, ist die Geistesströmung „Die Einheit von Himmel und Menschen (trian ren he yi)“, die in der Tiefe der Gedanken im Osten fließt. Was die Bedeutung vom „Himmel (trian)“ angeht, gibt es seit langer Zeit unzählige Interpretationen. Dazu sagte Prof. Jiang, dass der hier gemeinte „Himmel (trian)“ konkret als „große Natur“ verstanden werden kann.
Er unterstrich, dass wir unsere Zivilisation nicht dahingehend, die Natur zu erobern, sondern in eine Richtung, mit der Natur eine freundschaftliche Beziehung herzustellen und mit ihr zusammen zu existieren, verwandeln müssen, weil die Menschen und die große Natur eigentlich eins sind. Darüber hinaus bekräftigte er, dass die Lebensführung, sich das Herz des Himmels zu eigen zu machen, für uns das wertvollste Leben ist.
Seine Worte und Sätze stellen keine bloß am Schreibtisch ausgedachte, magere Theorie dar, sondern basieren sowohl auf einer wissenschaftlichen Tiefe als auch auf einer grundlegenden Spiritualität, „selbst nur ein Blatt eines Baumes anzuschauen und darin den großen Kosmos wahrzunehmen“ und „sich den Gesang von Himmel und Erde anzuhören“. Während Intellekt und Sinnlichkeit zusammen verschmelzen, kommt es mir so vor, als entstehe eine Legierung der festen Überzeugung.
Obwohl ich die Einzelheiten der Gespräche lieber dem Buch überlassen möchte, denke ich jetzt daran, dass sowohl das Prinzip „Die Einheit von Himmel und Menschen (trian ren he yi)“ als auch seine Grundidee darauf hinweisen, dass wir das „Herz der Mutter“ sowie die „Menschenliebe der Mutter“, der großen Natur, die durch den Himmel dargestellt wird, nie vergessend leben sollten.
Die alten Worte Chinas besagen: „Die große Tugend von Himmel und Erde wird Leben genannt.“ (aus „I-Ching (chinesische Astrologie)“, sinngemäße Rückübersetzung) Himmel und Erde, das Universum zugleich, trachten, alle Lebewesen zu gebären, zu pflegen und ihr Leben wertvoller führen zu lassen. Gerade diese große Tugend ist das „Herz von Himmel und Erde“.
Mein Mentor Josei Toda sagte ebenfalls: „Der Lauf des Universums selbst drückt das „Jihi (buddhistisches Mitgefühl)“ aus.
Die zwei großen Strömungen des Denkens in China sind der Konfuzianismus und der Taoismus. Im Konfuzianismus wird die „Güte/Menschenliebe (ren)“ gelehrt, während als der erste der Drei Schätze im Taoismus die „Barmherzigkeit (ci)“ hervorgehoben wird.
Das Schriftzeichen für die „Güte/Menschenliebe (ren)“ symbolisiert „zwei Menschen“, und die Tugend, diese beiden Menschen zu verbinden, heißt die „Güte/Menschenliebe (ren)“. Außer dieser Interpretation gibt es noch viele. Eine andere Erläuterung lautet: Das Schriftzeichen für die „Güte/Menschenliebe (ren)“ symbolisiert den „Samen der Pflanzen“. Das Herz, diesen Samen vorsichtig und mit großer Sorgfalt zu pflegen, und mit demselben Herzen mit Menschen umzugehen, bedeutet die „Güte/Menschenliebe (ren)“.
Und das Schriftzeichen für die „Barmherzigkeit (ci)“ besteht wiederum aus zwei Schriftzeichen, die auf die „Barmherzigkeit (ci)“ und das „Herz“ hinweisen. Das Schriftzeichen für die „Barmherzigkeit (ci)“, also ohne das Schriftzeichen, das das Herz darstellt, hat eine Bedeutung, dass Pflanzen und Bäume wachsen. Und das Herz, barmherzig zu beobachten, dass alle Pflanzen und Bäume aus der Erde gen Himmel ohne Probleme und Schwierigkeiten wachsen können, bedeutet die „Barmherzigkeit (ci)“, und im weiteren wird gelehrt, dass man alle Menschen aus diesem Herzen lieben sollte.
Sowohl die Lehre von Konfutse (551-479 v. Chr.) als auch die Lehre von Laotse (579-499 v. Chr.) zeigen deutlich den Weg auf, der alle Lebewesen dazu führt, zum tiefen Wert ihres Lebens zu erwachen und ihn voll zu entfalten.
Laotse lehrt: „In der ganzen Welt gibt es einen Anfang. Deshalb wird er die Mutter der ganzen Welt genannt. Wenn es einem bereits gelingt, auszumachen, was die Mutter meint, werden ihre Kinder sie erkennen. Und wenn die Kinder sich dessen bewusst sind, werden sie ihre Mutter beschützen. Somit können sie bis zum Ende ihres Lebens in Ruhe und Sicherheit leben.“ (aus dem Kapitel 52, sinngemäße Rückübersetzung)
Dies könnte folgendermaßen verstanden werden:
Etwas Ursprüngliches, das alle Lebewesen im ganzen Universum zum Entstehen brachte, ist die „Mutter der ganzen Welt“. Wir sollten das Herz dieser „Mutter“ und ihre grenzenlose Sanftmut erkennen! Wenn wir sie erkannt haben, dann wird es uns gelingen, selbst unsere eigene Würde zu erkennen. Und wenn wir dies begriffen haben, werden wir unsere Mutter hoch schätzen und ihrer Erwartung gemäß leben. Dann können wir unser ganzes Leben lang in Frieden und Sicherheit leben.
In der ganzen Welt ist das „Herz der Mutter“ vorhanden,
während die Mutter der Menschen das „Herz der ganzen Welt“ in sich trägt.
Mutter!
Mutter, die dem Herzen der ganzen Welt am nächsten steht.
Sollte er seine Mutter nicht vergessen,
kann der Mensch sein Leben korrekt führen.
Sollte der Mensch seine Mutter doch vergessen,
fängt sein Herz an, zu verderben.
Ich glaube fest daran, dass die Menschheit ihr Leben auf dem korrekten Weg führen kann, solange sie ihre große Dankesschuld ihrer Mutter gegenüber nicht vergisst.
Nach dem Tod seiner Mutter ging der junge Ji Xianlin nach Deutschland (1935) und studierte an der Universität Göttingen. Zu dieser Zeit übernahm Hitler die politische Führung in Deutschland. Innerhalb kurzer Zeit brach der Krieg aus und er konnte nicht heimkehren; letztlich blieb er zehn Jahre in Deutschland.
Je mehr sich die Niederlage für Deutschland abzeichnete, desto heftiger setzten die Alliierten ihr Bombardement fort. Die Nahrungsration verringerte sich drastisch. Vom Hunger gequält, unter der Kälte leidend und der Todesgefahr gegenüberstehend gab der junge Ji dennoch seine Bücher nie aus der Hand.
Er studierte bei Professor Walter Schmidt, einem Experten auf dem Gebiet alter indischer Sprachen und des Buddhismus, sowie bei Professor Sieg und vertiefte sich in die Erforschung einiger toter Sprachen wie z. B. des Sanskrits, des Pali und des Tocharian. Seine Originalität liegt darin, dass er durch die Erforschung der „in den buddhistischen Sutras verwendeten Sprachen“ die historische Entwicklung des Buddhismus klar darlegte.
Dr. Ji fand heraus, dass das Lotos-Sutra den Dialekt von Magada, den Shakyamuni selbst sprach, widerspiegelt und überwiegend dem östlichen Teil Indiens, wo Shakyamuni seine Lehren eifrig verbreitete, entstammt. Die Zeit der ersten Zusammenstellung als Sutra, stellt er fest, führt uns zurück ins erste bzw. zweite Jahrhundert vor Christus. Obwohl es zwar zahlreiche Abschriften des Lotos-Sutras gibt, wird in seiner Erforschung aber festgestellt, dass es, je älter die Abschriften sind, desto mehr „Elemente der Dialekte und der gewöhnlichen Sprachen“ gibt. Und je neuzeitlicher die Abschriften sind, desto mehr„Elemente des Sanskrits“ können festgestellt werden.
Seiner Forschung zufolge soll Shakyamuni seine Schüler eigentlich angewiesen haben, Dialekte oder gewöhnliche Sprachen zu sprechen, und weigerte sich vehement, Sanskrit, die Sprache der Elite, zu benutzen. Das galt nicht nur als eine verwegene Herausforderung gegenüber dem Brahmanismus, der Autorität der damaligen Gesellschaft, sondern auch als sein großer Aufruf aus tiefem Mitgefühl, für Menschen, inmitten von Menschen und mit Menschen zusammen zu reden.
Nichiren Daishonin ordnete bei seinen Schülern ebenfalls streng an, die „heimatlichen Dialekte zu sprechen“, anstatt eine affektierte Sprache zu benutzen. (Japanische Gosho, Seite 1268)
Dr. Ji Xianlin sagte: „Der buddhistische Gedanke von „Großes Mitgefühl und Großes Mitleiden (Daiji-Daihi)“ stimmt mit dem chinesischen Gedanken von „Die Einheit von Himmel und Menschen (trian ren he yi)“ überein. Gerade das ist der bedeutungsvolle Gedanke, um die Menschheit aus der Krise und Gefahr zu retten.“
Ji Xianlin, der große Lehrer, der die turbulente Geschichte Chinas – seit den wüsten letzten Tagen der Qing-Dynastie bis zum 21. Jahrhundert – erlebt hat, steht jeden Morgen um halb fünf Uhr auf und führt seine Schreibarbeit regelmäßig aus, bevor er in die Universität geht. Diesen Tagesrhythmus behält er bereits 50 Jahre lang bei, denn er muss danach verschiedene Aufgaben der Universität erledigen, an vielfältigen Konferenzen teilnehmen und zahlreiche Menschen treffen.
Er sagt: „Nachdem ich die 80 überschritt, habe ich einen neuen Anlauf genommen. Die Folge davon ist, dass fast alle Bücher, die ein großes Echo gefunden haben, erst nach dem Alter von 80 Jahren von mir geschrieben worden sind. Ich denke und trachte danach, 120 zu werden!“
„Die himmlische Bewegung ist stetig und gesund. Aufgrund dessen strengt sich der Tugendhafte an, ohne aufzuhören.“ (aus „I-Ching“, sinngemäße Rückübersetzung)
Der Geist, vorwärts und immer weiter voranzuschreiten, mag wohl der Kern der Lehre „Die Einheit von Himmel und Menschen (trian ren he yi)“ sein. Und gerade der Kampf dafür kann uns wohl zum Weg führen, jener „Großen Dankesschuld der Mutter“ gegenüber zu entsprechen.
Während unseres Dialogs habe ich ihm gesagt:
„Wie sehr Ihre geliebte Mutter sich freut, wenn sie sieht, dass Sie für den Staat und die Menschheit einen herausragenden Beitrag leisten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Ihre liebe Mutter stets in Ihrer Nähe gewesen ist und Sie beschützt hat, während Sie hohe Berge wie tiefe Täler in ihrem turbulenten Leben überwunden haben. Herr Ji, Ihr Sieg ist der Sieg Ihrer Mutter. Ihre großartige Mutter hat mit Ihnen gesiegt und einen triumphalen Sieg errungen. Jetzt lächelt Ihre geliebte Mutter; sie hat bestimmt ein munteres und heiteres Lachen im Gesicht. Daran glaube ich fest!“
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 14. Oktober 2002)
";s:12:"content_meta";N;}