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Das neunte Bewusstsein
Vortrag von Dr. Yoichi Kawada,
gehalten am 27. April 2002 in der Villa Sachsen
Das neunte Bewusstsein ist das kosmische Leben selbst. Shakyamuni hat es als erster Mensch geschafft, zum kosmischen Bewusstsein zu erwachen. Nachdem er seine endlose Selbstkasteiung aufgegeben hatte, weil sie ihn nicht zu dem gewünschten Ziel führen konnte, war es letztlich die reine Konzentration, die ihm die Erleuchtung ermöglicht hat. Damals haben alle Menschen versucht, durch strenge asketische Übungen die Erleuchtung zu erlangen, haben darüber aber oft ihr Leben verloren, weil sie zu weit gegangen waren, oder auch einfach die Lust, weiterzumachen, weil die Übungen eine so extreme Disziplin abverlangten. Nur Shakyamuni ist es gelungen, die Erleuchtung zu verwirklichen. Dabei hat er aber massive Hindernisse überwinden müssen!
Die asketischen Übungen damals waren wirklich extrem. Außer striktem Fasten bestanden sie auf ihrem Höhepunkt sogar darin, nicht mehr bzw. kaum noch zu atmen. Durch diese Selbstkasteiung erhofften sich die Menschen eine totale Reinigung des Geistes, als Voraussetzung dafür, die Erleuchtung verwirklichen zu können. Shakyamuni erkannte aber, dass dies ein Irrtum war. Er konnte auch die teuflischen Funktionen als spezifische Hindernisse identifizieren, die aus dem fünften bis neunten Bewusstsein kommen und versucht hatten, ihn einzuschüchtern: So war ihm die Tochter des Teufelskönig erschienen und versuchte ihn zu verführen, indem sie ihm alle drei schönen Töchter des Teufelskönig als Geschenk anbot und sogar die Herrschaft über ganz Magadha in Aussicht stellte, wenn er seine Meditation aufgäbe. Nachdem Shakyamuni aber allen materiellen Versuchungen (Reichtum, Ruhm und Lust) widerstanden hatte, sah er sich der Gefahr des Verlustes seines Lebens ausgesetzt. Der Teufelskönig selbst erschien ihm nämlich und “warnte” ihn sinngemäß: “Mach nur weiter mit deiner Meditation, dann verlierst du dein Leben!” Nachdem er auch diese teuflische Funktion durchschaut und überwunden hatte, kam Shakyamuni zur Erleuchtung, in der er das kosmische Leben als identisch mit seinem eigenen Leben erkannte. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele von Menschen, die ihren spirituellen Weg wegen der Verlockungen von gesellschaftlicher Position, Frauen und der Angst um ihr Leben aufgegeben haben. Auch Nikken hat diesen Hindernissen und Versuchungen nicht widerstehen können. Wie hat Shakyamuni dies denn schaffen können? Er konnte es schaffen, weil er mit seiner Erleuchtung einen Beitrag für die gesamte Menschheit leisten wollte! Dies war sein Versprechen und deswegen konnte er seine Angst überwinden.
Shakyamuni erläuterte das Licht seiner Erleuchtung in drei Stufen: bei Sonnenuntergang, um Mitternacht und in der Morgendämmerung.
Als die Venus die Dunkelheit durchbrach, erlangte Shakyamuni die Erleuchtung. Der Dharma, das kosmische Leben und wir als Menschen, stehen miteinander in ständiger Wechselbeziehung. Vom Ursache und Wirkung aus gesehen, entspricht dies dem Prinzip des abhängigen Entstehens, “ENGI”. Vom Buddhismus Nichiren Daishonins aus gesehen, handelt es sich dabei aber um ein Phänomen der neunten Bewusstseinsschicht: Die phänomenale Erscheinung des kosmischen Lebens ist dargestellt im Prinzip von Engi; es geht also nicht um das kosmische Leben an sich. Das war der erste Schritt von Shakyamunis Erleuchtung, “Sonnenuntergang”.
Um Mitternacht, dem zweiten Schritt der Erleuchtung, verschwand dieses Gesetz der entstehenden Beziehung.
Im dritten Schritt der Erleuchtung erschien der Dharma: Alle Armeen der teuflischen Funktionen waren besiegt worden, verschwanden und es erschien in Shakyamuni die Sonne selbst, ein Zustand ohne Hindernis, eine 100%ige Liebe. Die Sonne der Erleuchtung war im Herzen von Shakyamuni aufgegangen, diese Sonne ist Nam Myoho Renge Kyo selbst.
Als er den Dharma der Sonne, das kosmische Leben als Sonne in sich selbst entdeckte, war Shakyamuni erstmals in der Geschichte ein Buddha in Menschengestalt. Er war voll unendlicher Freude, Weisheit und Mitgefühl. Dennoch überlegte er, wie es möglich sein könnte, diesen Lebenszustand, diese Lehre und Erfahrung anderen Menschen zu vermitteln und hielt es zunächst für unmöglich. Wie es im Sutra steht, dachte er: Wenn ich es weitererzähle, wird es niemand verstehen, ich werde mich ganz umsonst bemühen. Wir kennen das auch von unseren eigenen Shakubuku-Bemühungen! Eigentlich wissen wir, dass jeder die Buddhanatur hat, aber im täglichen Leben denken wir oft, der oder die hat sie nicht und suchen Menschen, die sie haben könnten. Aber der Buddha lehrt: Ohne eine einzige Ausnahme haben alle Menschen die Buddhanatur. Diesen Konflikt, ob er an die Buddhanatur der anderen Menschen glauben konnte oder nicht, hatte Shakyamuni auch.
Dazu gibt es eine Episode über Bonten: Obwohl dieser damals in Indien die höchste Gottheit war, bat er Shakyamuni nach dessen Erleuchtung, seine neue Lehre zu verbreiten. Diese Bitte bedeutete, dass Shakyamunis Lehre über der Gottheit Bonten stand. Bonten jammerte, dass die Menschheit zugrunde gehen würde, wenn Shakyamuni seine Lehre nicht verbreiten wollte und bat ihn immer wieder von ganzem Herzen, es doch zu tun. Er wies ihn darauf hin, dass es auch Menschen gäbe, die die Weisheit hätten, seine Lehre zu verstehen und die Erleuchtung durch sie zu erlangen. Shakyamuni fing daraufhin an, sich die Menschen genauer anzusehen und erkannte ihre vielfältigen und unterschiedlichen Qualitäten und Fähigkeiten. Schließlich entschloß er sich doch dazu, seine Lehre zu verbreiten. Mit diesem Entschluss von Shakyamuni war das Tor der Unsterblichkeit für alle Menschen geöffnet!
Wenn Shakyamuni seine Erleuchtung nicht weitergegeben hätte, wäre seine eigene Erleuchtung nicht vollkommen gewesen, sondern nur eine Teilerleuchtung, also egoistisch, nur für sich selbst. Als Buddha konnte man ihn erst bezeichnen, als er sich dazu entschlossen hatte, seine Lehre bzw. Erkenntnis an andere weiterzugeben. Diese Entwicklung, von der Erleuchtung nur für sich selbst zum Buddha, ist vom neunten Bewusstsein her so zu verstehen: Wenn wir uns nach dem neunten Bewusstsein sehnen, danach suchen und es in uns finden, so ist das die eine Richtung. Wenn wir den Dharma in uns entdeckt haben und anderen davon erzählen, schlagen wir eine andere Richtung ein. Diese Bewegung “hin und zurück”, suchen und weitergeben, macht die Essenz des neunten Bewusstseins aus. Wenn wir mit der Entdeckung des kosmischen Lebens in uns selbst Boddhisattwas werden, kommt die Buddhanatur in uns hervor. Dadurch überwinden wir unser Karma, das in der achten Bewusstseinsschicht gespeichert liegt und unsere Begierden, die im siebten Bewusstsein angesiedelt sind.
In dem Moment, in dem wir aus vollem Herzen Nam Myoho Renge Kyo chanten, kommt unser kosmisches Leben an die Oberfläche. Wir brauchen keine Selbstkasteiung! Aber es gibt Hindernisse! Wenn das kosmische Leben nach oben kommen möchte, gibt es Gegenströmungen vom Karma her, die das verhindern wollen. Wenn das kosmische Leben die siebte Bewusstseinsschicht durchdringt, zeigen Begierden ihre positiven Eigenschaften, aber natürlich muss man sie ( die siebte Schicht) erst mal erreichen. Wenn das kosmische Leben die anderen Bewusstseinsschichten durchdringt, gibt es ganz verschiedene Umwandlungsformen, ganz unterschiedliche Formen, wie Weisheit sich zeigt, es gibt keine pauschale Lösung. Jeder Prozess ist anders, z. B. Begierden in Erleuchtung verwandeln, schlechtes Karma in gutes verwandeln u.ä. In diesem Sinne bedeutet Nam Myoho Renge Kyo, sein Leben ständig in Richtung Verwirklichung der Buddhaschaft voranzutreiben, bis zum Ende des Lebens. Shakyamuni hat das neunte Bewusstsein 100%ig erlebt, aber als er angefangen hat, es zu lehren, hat er einen ständigen Kampf gehabt, dass das kosmische Bewusstsein immer wieder unter den Karmahindernissen hervorkommen konnte. Insofern war seine Erleuchtung nicht nur ein einmaliges Ereignis unter dem Bodhi-Baum.
Sensei hat vor 30 Jahren mit Dr. Toynbee in London einen Dialog geführt. Während sie sich in allen übrigen Themen vollkommen einig waren, waren sie sich uneinig in Bezug auf Euthanasie und Karma. Sie waren aber in Übereinstimmung darüber, dass die Verwandlung von schlechtem Karma in gutes Karma der Weg des Buddhas ist. Wenn wir Nam Myoho Renge Kyo chanten, verstärken wir gutes Karma. Mit einem einzigen Daimoku setzt man bereits die Ursache für gutes Karma. Wir sollten ein so entschlossenes Daimoku chanten, dass wir unser schlechtes Karma ändern können und wir sollten auch für das Glück anderer Menschen chanten.
Leider sind viele Menschen für den Prozess der Umwandlung von schlechtem Karma in gutes zu ungeduldig. Wenn wir uns als Metapher gutes und schlechtes Karma in zwei Waagschalen vorstellen, haben die meisten Praktizierenden kein Problem, wenn ihr gutes Karma überwiegt und sich entsprechende Wirkungen zeigen. Wenn dagegen längere Zeit das schlechte überwiegt, hören viele Menschen mit der Praxis auf. Aber gerade dann, wenn wir in einer verzweifelten, hoffnungslosen Situation, oder aber voller Zweifel sind, sollten wir umso intensiver anfangen zu chanten und zwar solange, bis wir das eigene negative Karma im Sonnenlicht des kosmischen Lebens deutlich sehen können (bis wir es also als Illusion erkennen). Wer nicht so weit kommt und vorher aufhört, kann keine karmische Veränderung erreichen!
Shakyamuni hat bis zu seinem Tod versucht, seine eigene Erleuchtung an andere Menschen weiterzugeben,. Am Ende seines Lebens fragte sein Schüler Ananda ihn: “An was sollen wir uns halten, wenn du nicht mehr da bist?” Shakyamuni antwortete: “Sei selbst die Insel im Wasser, so wie der Dharma die Insel für dich ist. Sei das Licht in der totalen Dunkelheit, so wie der Dharma dein Licht ist!” Es geht also darum, keine Erwartungshaltung an andere zu haben, sondern selbst die Stütze für andere zu sein. Das ist das ganze Vermächtnis von Shakyamuni. Dieses Selbst, das er angesprochen hat, ist nicht das kleine egoistische Selbst, das im sechsten Bewusstsein existiert, sondern das sogenannte große Selbst des neunten Bewusstseins. Wie entwickelt man in sich aber dieses große Selbst?
Nam Myoho Renge Kyo ist selbst der Dharma und in Einheit mit diesem Dharma zu leben, bedeutet, die von Shakyamuni genannte “Insel” zu sein. Nach Shakyamunis Tod wurden seine Lehren zusammengefaßt und sein Vermächtnis im Mahayana, besonders aber im Lotos Sutra weitergetragen und deutlich ausgesprochen. Buddhologen sagen, dass die Menschen, die das Lotos Sutra verfasst haben, den Dharma selbst in ihrem Leben erfahren haben mussten. Nichiren Daishonin hat den Dharma und den Buddha, also den dazu erleuchteten Menschen (Person und Gesetz) als Nam Myoho Renge Kyo dargestellt. Shakyamunis Lehre ist vom Lotos Sutra auf Nichiren übertragen worden. Als dieser den ursprünglichen Buddha (den Dharma) in sich erkannte, geschah die Beinahe-Hinrichtung in Tatsunokuchi, die nur durch das plötzliche Auftauchen eines leuchtenden Kometen am Himmel verhindert wurde. Als er am 28.4.1253 zum ersten Mal öffentlich Nam Myoho Renge Kyo chantete, erfüllte er sein erstes Versprechen der Verbreitung. Als er die Tatsunokuchi-Verfolgung erlitt, erfüllte er sein zweites Versprechen.
Die Erleuchtung und das Versprechen der Verbreitung ist identisch mit der eigenen Verwirklichung der Buddhaschaft. In den drei Tugenden des Buddhas als Herrscher, Lehrer und Eltern zeigt sich das kosmische Leben. Die Tugend des Herrschers zeigt sich in der Haltung: Keiner darf unglücklich bleiben; die des Lehrers in dem Bemühen, die dafür nötige Weisheit zu entwickeln. Die Tugend der Eltern drückt sich aus in dem Wunsch, den Menschen zu ihrem besten Gedeihen zu verhelfen, sie zu erziehen und zum Glück zu führen. Die drei Tugenden des Buddhas bezeichnen also den Bodhisattwaweg.
Sensei erläutert es so: Die Tugend des Herrschers bedeutet, alle Menschen gleich und unparteiisch zu behandeln und sie zu beschützen. Die Tugend des Meisters besteht darin, die kausalen Zusammenhänge des Lebens zu verstehen und Antworten auf alle Geschehnisse zu haben. Die Tugend der Eltern zeigt sich in großem Mitgefühl und in der Solidarität mit allen Lebewesen. Wenn sich diese drei Tugenden im eigenen Leben entwickeln, zeigt sich das kosmische Leben in den Menschen. Die drei Präsidenten der SGI verkörpern zusammen auch die drei Tugenden. Makiguchi und Toda haben gegen den Krieg gekämpft und dafür ihr Leben gegeben. Nach Senseis Erläuterung ist Todas Erleuchtung im Gefängnis (“der Buddha ist das Leben selbst”), der Beweis dafür, dass Toda das kosmische Leben in seiner Gefängniszelle selbst erlebt hat. Todas Erleuchtung beinhaltete seine Anwesenheit bei der Weitergabe der Verantwortung für Kosen rufu an die Bodhisattwas aus der Erde; sie beinhaltete daher auch sein Versprechen, den Buddhismus, die Erleuchtung, an andere Menschen weiterzugeben.
Im Lotos Sutra gibt es die Geschichte von einem Bodhisattwa, der extrem viel gutes Karma angesammelt hatte, sich aber dennoch dafür entschied, in äußerst missliche Umstände wiedergeboren zu werden, um den Menschen erneut beweisen zu können, wie negatives Karma der Ausgangspunkt für die Verwirklichung der Buddhaschaft werden kann. In dem Moment, in dem man erkennt, dass man sein negatives, leidvolles Karma selbst gewollt hat (Ganken Ogo), weil darin die persönliche Aufgabe in diesem Leben liegt, hat man sein Karma schon in gutes verwandelt. Entscheidend ist immer, wie man auf sein Karma reagiert: Wenn man denkt, <scheiße, schon wieder, warum immer ich> etc., setzt man gleich wieder eine negative Ursache. Wenn wir dagegen die Einsicht haben, <ich habe das gewollt, ich kann dadurch anderen helfen>, dann entsteht Bodhisattwakarma, genau in diesem Moment der Einsicht. Negatives Karma aus der Vergangenheit ist eigentlich nur eine neutrale Energie. Wenn wir in unserem Leben auf Bodhisattwa- und Buddha-Energie hinsteuern, verwandeln wir diese Energie sofort in gutes Karma. Durch die Tugenden des Beschützers (MUT), des Lehrers (WEISHEIT) und des Lehrers (MITGEFÜHL), kann man negatives Karma sofort ändern.
Weil es 10 mal 10 Welten gibt, gibt es in jedem Augenblick ganz verschiedene Auswirkungen von negativem Karma, das ist nicht pauschal zu sehen. Auch bei Nichiren war das so: Sein Exil auf Sado war eigentlich die Hölle in der Hölle. Dennoch hat er diese Situation als Erfüllung seines Versprechens, als seinen Eid verstanden und hat sie mit den Augen des Buddhas gesehen. Das ist die Quintessenz des Glaubens für uns alle. In der Herausforderung von negativem Karma liegt unsere totale Chance. Das nennt man die Verwirklichung der Buddhaschaft.
Mitschrift von Barbara Krausnick nach der mündlichen Übersetzung von Yoshi Matsuno. Keine Gewähr!
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