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Im Hinblick auf den „Weg des sinnvollen Lebens“

Präsident Ikedas Rede über Lew Tolstoi

(3) Die Lösung von „Leben und Tod“ findet sich nur im Glauben

Lebe für das Glück anderer, wenn du dein eigenes Glück wünschst!

Kurz vor seinem 50. Geburtstag stieß Lew Tolstoi auf die größte Krise seines Lebens; es handelte sich um das grundlegende Problem: „Was bedeutet Leben und Tod?“

Tolstoi beschreibt sein inneres Gefühl wie folgt (aus „Beichte“, sinngemäße Rückübersetzung):

„Mein bisheriges Leben kann damit verglichen werden, dass ich in ein Boot einstieg und mich der Strömung des Flusses überließ. Obwohl ich das Boot eigentlich aufs andere Ufer hin hätte rudern müssen, habe ich doch den Bestimmungsort vergessen, weil ich von der so schnell fließenden Strömung überwältigt war. In meiner Umgebung gab es Bootsfahrer, die sich nur vom Wasser treiben ließen und vor Freude jauchzend flussabwärts getragen wurden. Jedoch am Unterlauf des Flusses kam immer mehr lautes Wasserplätschern zu hören. Sollte man auf die Furt stranden, würde das Boot letztlich kaputt gehen. In der Tat konnte ich manche Boote sehen, die zerbrochen waren. Plötzlich kam ich wieder zum Bewusstsein und begann, gegen die Strömung zu rudern.“

Tolstoi verlor seine Eltern, als er noch klein war. Sein ältester Bruder Nikolai, den er sehr respektierte, starb schon jung an einer Krankheit. Tolstois Herz wurde immer wieder mit dem Problem „Tod“ konfrontiert. Wie ein Wassertröpfchen, das immerzu auf die selbe Stelle tropft, hatte sich der Tod wie ein schwarzer Fleck an sein Herz geheftet.

Tolstoi fragte sich selbst: „Ich weiß, dass ich sterben werde. Ich lebe und sterbe. Ich liebe das Leben und fürchte den Tod. Wie soll ich mich selbst retten?“ (aus „Beichte“, sinngemäße Rückübersetzung)

Der Alltag rast dahin: die Verwaltung seines Gutes, die Erziehung der Söhne, der Erwerb großen Ruhms durch seine Werke.

„Was soll das überhaupt heißen?“

„Wozu soll das überhaupt dienen?“

ruft seine innere Stimme. Aber er konnte die Fragen nicht beantworten.

„Ich muss eine Antwort finden“, dachte er.

So begann er, sich mit seinen Gedanken über Religion und Philosophie auseinander zu setzen.

Ich wurde von einfachen Menschen gerettet

Er sann nach und vertiefte seine Gedanken. Er begab sich unter die Menschen, hörte ihnen aufmerksam zu und studierte sorgfältig theologische Schriften. Trotzdem konnte er keine Antwort finden. Schließlich näherte er sich „einfachen Menschen, die arm und ungebildet, aber tief gläubig waren“.

Ihr Glaube war mit ihrem täglichen Leben direkt verbunden; er war unentbehrlich für ihr Leben. Solche Menschen waren sich der Bedeutung des Lebens bewusst und akzeptierten ruhig und gelassen sowohl das Leben als auch den Tod.

Sie waren weder Gelehrte, die sich nur in einer ideellen Welt aufhielten, noch heuchlerische Geistliche. Im Volk erkannte Tolstoi den lebendigen Glauben.

„Die Rettung kam aus dem Volk“ – in der Biographie Tolstois erkannte Romain Rolland (1866-1944):

„Für die einfachen Menschen, die ihr Leben mit dem Glauben verbanden, setzte er sich entschieden ein.“ (aus „Das Leben Tolstois“, sinngemäße Rückübersetzung)

Selbst in der Soka Gakkai gibt es unzählige Menschen, die „Doktor des Glücks“, „Doktor der Hoffnung“ und „Doktor der Freundschaft“ sind. Zudem gibt es tapfere und großartige „Professoren der Menschenlehre“.

Dass man beispielsweise Personen mit geringer Schulausbildung voller Überzeugung zu Universitätsprofessoren über die große Lebensphilosophie des Daishonin sprechen sieht – einen derart wunderschönen Anblick gibt es seit der Gründungszeit der Soka Gakkai. Das ist die Stärke sowie der Stolz der Soka Gakkai.

Letztendlich finden wir den Weg, der zur Lösung dieses grundlegenden Problems von Leben und Tod führt, nur im Glauben. Nichiren Daishonin lehrt uns, „dass wir zuerst über den Tod und dann über andere Angelegenheiten lernen sollten“. (Japanische Gosho, Seite 1404)

Der Glaube ist es, der die Leiden von Leben und Tod ins Glück verwandelt.

Das Glück bedeutet sicher nicht, dass wir keine Schwierigkeiten und Hindernisse haben, sondern dass wir uns davon nicht besiegen lassen. Der Daishonin sagt hierzu: „Allein das Herz ist es, was wichtig ist.“ (Gosho Band I, Seite 57; japanische Gosho, Seite 1192)

Wichtig ist, dass wir unser unzerstörbares Selbst aufbauen, das alle möglichen hohen Wellen in die Kraft zum Sieg verwandeln kann.

Nichikan Shonin (1665-1726) erklärt klar und deutlich: „Das heißt, dass wir aufgrund der Kraft und Wirkung des Mystischen Gesetzes soeben (soku) als Nichiren Daishonin entfüllt werden.“ (aus „Erläuterung zu ‚Über die Wesenheit des Mystischen Gesetzes’“)

Die Kraft, die der des Buddhas gleicht, quillt in unsrem Leben hervor. Darin liegt die Quintessenz des Glaubens. Indem wir um des Gesetzes willen, um der Menschen willen und um des Friedens willen handeln, können wir mit der Überzeugung „sowohl Leben als auch Tod sind von Freude erfüllt“ auf dem Weg zum ewigen Glück voranschreiten.

Wenn jemand beginnt, sich selbst zu ändern, dann setzt er die Ursache dafür, dass sich seine Familie, sein Arbeitsplatz und seine regionale Gemeinschaft verändern. Dies führt schließlich zur Veränderung der ganzen Welt. Hierin liegt das Prinzip der Hoffnung, das die Menschliche Revolution genannt wird.

„Beichte“ ist ein autobiographischer Roman, in dem Tolstoi den Prozess seiner Suche nach der Religion niederschrieb. Mit 51 Jahren begann er damit (1879) und beendete ihn mit 53 Jahren. In „Beichte“ erklärte er entschieden:

Von nun an führe ich mein Leben getreu meiner religiösen Überzeugung!

Das Leben, das er bis dahin geführt hatte, verneinte er dezidiert. Das heißt mit anderen Worten, dass ein Mensch, der den Gipfel der gesellschaftlichen Ehre erreicht hatte, öffentlich erklärte: „Ich werde mein Leben noch mal von vorne anfangen!“

Was wollte Tolstoi in seinem Roman „Beichte“ zum Ausdruck bringen? Es ging sicher nicht nur um die Geschichte seines eigenen Lebens. Er entdeckte im Volk den lebendigen Glauben. Was die Kirche predigte, konnte ihn keineswegs überzeugen. Lew (Leo) Tolstoi forderte die damalige russisch-orthodoxe Kirche direkt heraus; er übte scharfe Kritik daran, dass im Namen der Religion Gewalttaten, Todesstrafe und Kriege durchgeführt wurden.

Lew (Lev) Tolstoi enthüllte die Heuchelei der Kleriker ohne Zückhaltung und verabschiedete sich von solchen Religionen, die „die Menschen als Mittel zum Zweck benutzen“ und „die Menschen unterdrücken“. So zu handeln war äußerst gefährlich für ihn, denn die russisch-orthodoxe Kirche und die Staatsgewalt gingen konform. Zu jener Zeit sahen die Kleriker auf das Volk herab. Wer sich der Staatsmacht widersetzte, wurde streng überwacht.

Sein Manuskript „Beichte“ unterlag der Zensur und wurde von der Zeitschrift, in der die „Beichte“ erscheinen sollte, gestrichen. Das Manuskript wurde aber später in der Schweiz, in Genf veröffentlicht (1884).

Religion für die Menschen und Philosophie, die die Größe der Menschen erstrahlen lässt, sie müssen sich unweigerlich mit der Macht auseinandersetzen, denn nichts ist hinderlicher als der selbständige Geist, der den Machtausübenden nicht gehorcht.

Tolstoi notierte in seinem Heft: „Aus seiner wahren Eigenschaft heraus darf es nicht vorkommen, dass Glaube, wenn er überhaupt Glaube sein sollte, sich der Macht unterwirft – Vögel leben und fliegen frei.“ (sinngemäße Rückübersetzung)

Tolstois „zweites Leben“ bestand im Kampf gegen eine gewaltige Macht.

Leben Sie für das Glück anderer, wenn Sie Ihr eigenes Glück wünschen!

Letztlich bedeutete Religion für Tolstoi nicht eine Zeremonie oder eine Formalität oder wies auch nicht auf eine bestimmte Schule hin, sondern sie war sowohl ein System der lebendigen Überzeugung als auch ein Gerüst, um selbständige Menschen zu schaffen.

Tolstoi glaubte: Ohne Glauben kann man kein unzerstörbares Glück erlangen. Menschen werden in eine animalische Lebensweise verfallen, wenn sie nicht zu einer erhabenen Spiritualität erwachen. Menschen, die nur an sich denken, können nie glücklich werden. Wer sich wünscht, für sein eigenes Glück zu leben, muss für das Glück anderer leben.

In der zweiten Hälfte des Lebens, in der man sich normalerweise zurückzieht, wurde Tolstoi immer jugendlicher und vitaler.

Was ist rechtes Leben?

Welcher ist der Weg, den die Menschheit beschreiten sollte?

Tolstois Suche wurde immer tiefgründiger. Und es war sein tiefer Wunsch, das, was sich in seinen Gedanken kristallisierte, den Menschen auf dieser Welt leidenschaftlich zu erklären.

Leo Tolstoi war in seinem Innern entschieden: Von nun an werde ich mit dem Volk leben, für das Volk und mit der Sprache des Volks verständlich schreiben. Und ich werde diese Idee in die Tat umsetzen!

Er gründete einen Verlag und gab eine Zeitschrift für das Volk heraus. Währenddessen veröffentlichte er viele Volkerzählungen wie z. B. „Der Narr Iwan“, „Wozu lebt man?“ (sinngemäße Rückübersetzung) usw..

Tolstoi widmete sich voll und ganz seiner wiedereröffneten Schule. Wurde ein Bauer in der Nachbarschaft krank, eilte er sofort zu ihm, ließ ärztliche Hilfe holen und wies seine Tochter an, Medikamente vorzubereiten. Er arbeitete für die Armen und Waisen, pflügte deren Acker, säte und brachte die Ernte ein.

Er schuf heiter und munter. Einer seiner Schüler erinnerte sich daran: „Selbst heute kann ich mich lebendig an die lebhafte, frohe Stimmung erinnern, mit der uns Lew Tolstoi ansteckte.“ (sinngemäße Rückübersetzung)

Er hatte einen Freund, der in die Sackgasse geriet. Ihm erzählte Tolstoi eine folgende Geschichte:

Es gab einmal einen Zaren, dem alles misslang, was er auch unternahm. Als er einen Weisen um Rat bat, sagte dieser:

„Das kommt daher, weil du die wichtigste Zeit, die wichtigste Person und die wichtigste Arbeit nicht kennst.“

Der Zar ahnte aber nicht im geringsten, was damit gemeint war.

Dann sagte ein kleines Mädchen zu ihm: „’Jetzt’, das ist die wichtigste Zeit. Der wichtigste Mensch ist derjenige, mit dem Sie es jetzt zu tun haben. Und die wertvollste Arbeit ist die, demjenigen, mit dem Sie es jetzt zu tun haben, Gutes zu tun.“

Das heißt, Tolstoi lehrte:

Leben Sie das unersetzbare „Jetzt“ reuelos, bevor Sie hin und her grübeln!

Retten Sie den „einen Menschen“, der sich vor Ihren Augen befindet!

Er hinterließ auch solche Worte:

„Herzlose Menschen pflegen zu sagen, sei seien stets beschäftigt, um ihre eigene Gefühllosigkeit in Schutz zu nehmen.“ (sinngemäße Rückübersetzung)

Die Menschen, die Tolstoi unterstützen wollten, kamen zusammen. Ihn erreichten auch viele Briefe von denjenigen, die nach dem Weg suchten. Darunter war ein Schreiben, das ein einundzwanzig Jähriger aus Frankreich verfasste. Aus diesem Brief lässt sich entnehmen, dass er bei Tolstoi nach der Rettung seiner Seele suchte, nachdem er tief über das Leben und die Kunst nachgedacht hatte. Diesem namenlosen Jugendlichen schrieb Tolstoi einen 38 Seiten langen, wirklich mitfühlenden Antwortbrief. Der junge Mann war begeistert, und wurde später zu einem großen Schriftsteller, Romain Rolland.

Tolstoi setzte sich auch für die Rettung hungernder Menschen ein:

„Ich kann nicht zu Hause wohlbehütet leben und mich völlig dem Schreiben hingeben. Obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass die Arbeit, die ich mache, unvollkommen ist, kann ich nicht alles perfekt und ohne Makel durchführen. Dennoch bin ich nicht imstande, untätig zu sein.“ (sinngemäße Rückübersetzung)

Nichts anderes bleibt übrig als die Seele der Menschen aufzumuntern – das war eine seiner Schlussfolgerungen. Tolstoi war davon überzeugt:

Diese Welt ist wunderschön und von Freude erfüllt. Wir können diese Welt für diejenigen, mit denen wir zusammen leben, und weiter für diejenigen, die nach uns leben, noch schöner und freudevoller gestalten. Nein, wir haben sogar eine Verpflichtung, sie so zu schaffen!

(aus „Seikyo Shimbun“ vom 20. Dezember 2002)

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