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Die Royal Opera Englands,
von der Min-On Konzert Association in Japan engagiert
„Bringe deine Stimme hervor!
Bringe eine Stimme, die das Herz anderer berührt, hervor!“
Es war die überwältigende „Kraft der Stimme“.
Ohne ein Mikrophon zu benutzen, hallte der Gesang im großen Raum der Halle des NHK (Japans öffentlichrechtlicher Nachrichtensender) wider und drang direkt zum Publikum. Auch ohne durch die Klangfülle des Orchesters übertönt zu werden, war die Halle bis in alle Ecken und Enden von der Stimme erfüllt. Dennoch war das sensible Ausdrucksvermögen, das tief bis ins Herz eindrang, zu spüren.
Das Stück, das uns die Royal Opera Englands an diesem Tag darbot, war „Turandot“, ein unvollendet hinterlassenes Werk Giacomo Puccinis (1858-1924), sein gewagtes Opernwerk, dessen Drama sich am chinesischen Kaiserhof abspielte.
Wie dem auch sei, wie versteht sich dieses „Wunder der Stimme“?
Die hohe Stimme, als könne sie zum Himmel gelangen. Die tief ertönende Stimme, die einem zu denken gibt, als werde sie die Erde erschüttern. Und der bewundernswerte langatmige Gesang, als werde er ewig fortwähren.
Stimmen übermitteln mehr als Worte. Wenn man mit jemandem redet, was davon würde in der Erinnerung zurückbleiben? In Untersuchungen eines amerikanischen Psychologen stellte sich heraus, dass in Bezug darauf, Gesprächspartner zu beurteilen, der „Inhalt“ der Gespräche mit den jeweiligen Personen lediglich sieben Prozent ausmache, der „Gesichtsausdruck“ der Personen 55 Prozent, und der Rest, 37 Prozent, bei der „Stimme“ und der „Art und Weise der Reden“ liege.
In meinem Leben habe ich viele Menschen getroffen und dabei festgestellt, dass die Art und Weise, wie sie ihre Stimme hervorbringen, von Person zu Person sehr verschieden ist; manche bringen ihre Stimme so schwer hervor, als ob sie sie von der Tiefe ihres Leibes hinausschieben würden. Es gibt auch solche, deren Stimme brüchig nur in ihrer Nähe schwebt und sich jedoch nicht auf andere hin erstreckt. Gerade solche Menschen scheinen beim Reden einem nicht in die Augen zu schauen.
Im Gegensatz dazu gibt es auch Menschen, die, obwohl ihre harte, metallisch klingende Stimme sicher bis zu ihren Gesprächspartnern gelangt, jedoch in einer Art und Weise wie eine Einbahnstraße sprechen, als ob sie ihre Gesprächspartner umstoßen würden.
Des Weiteren gibt es Menschen, die in einer Art und Weise sprechen, dass, obwohl ihre Aussprache klar und deutlich ist und der Inhalt ihrer Rede sich ebenso logisch anhört, als wenn man einen Text liest, ihre Stimme, hart und schrill widerhallend, zwar bis zum „Kopf“ anderer gelangt, aber nicht tief „ins Herz eindringen“ kann.
Und die „Gewohnheit“ der Art und Weise, wie man spricht oder wie jeder einzelne seine Stimme hervorbringt, scheint mit der „Gewohnheit“, wie er sein Leben führt, äußerst eng verbunden zu sein.
Warme Stimme, kalte Stimme, schwache Stimme, straffe Stimme, glanzvolle Stimme, reife Stimme und tief gefühlvolle Stimme: Selbst wenn man das gleiche erklärt, hört es sich je nach der Stimme anders an; eine Stimme, die eine Überzeugungskraft ausstrahlt, oder eine andere Stimme, die einem das Oberflächliche eines Redners ausmachen lässt.
Stimme ist das Leben, und die Stimme offenbart den Lebenszustand eines jeden. Die Worte könnten einen täuschen, jedoch die Stimme nicht. Es stellt sich offen heraus, inwieweit ein jeder seine eigene Menschlichkeit kultiviert hat. In diesem Sinne offenbart die Stimme das „Selbst“ schlechthin.
Das Royal Opera Haus befindet sich in einem sehr geschäftigen Viertel, in dem viele einfache Bürger der Stadt London zusammentreffen. Ein Filmkenner erklärte mir: „In dem Musikfilm ‚My Fair Lady’ mit Audrey Hepburn (1929-1993) in der Hauptrolle ist zu Beginn eine Szene zu sehen, wie ein Blumenmädchen namens Eliza versucht, den Menschen, die vom Opernhaus herauskommen, Blumen zu verkaufen. Das ist das vorgenannte Royal Opera Haus am Covent Garden.“
In diesem Film musste sich Eliza einer Ausbildung unterziehen, damit ihr starker Slang durch eine intensive „Sprecherziehung“ korrigiert werden sollte. In ähnlicher Weise ist es in Europa und den USA üblich, dass unter anderen Politiker häufig solchen Unterricht nehmen, um ihre Aussprache sowie Rhetorik zu verbessern. Neuerdings höre ich gelegentlich, dass so genannte „Voice-Trainer“, die die korrekte Aussprache unterrichten, auch in Japan zunehmend gefragt sind.
Die Stimme ist das beste Musikinstrument, das alle Menschen besitzen. Jedoch gibt es ein großes Problem. Jede feine physisch-psychische Veränderung nimmt nämlich unmittelbar auf dieses Musikinstrument Einfluss.
Aus dem Grund dürfte es besonders Sängern wie Sängerinnen nicht daran fehlen, sich 24 Stunden am Tag zu bemühen, von Essen, Trinken, Schlafen und sich keine Erkältung zuzuziehen, über nicht viel zu reden bis hin zu – ihren Gemütszustand stabil zu halten.
In einem seiner drei Hauptwerke „Große Konzentration und Einsicht (Maka-Shikan)“ erläutert T’ien-t’ai (538–597), ein buddhistischer Gelehrter in China, dass es drei Arten von Ärzten gibt: „Ein erstklassiger Arzt hört sich die Stimme an, ein durchschnittlicher Arzt schaut auf die Farbe (den äußeren physischen Zustand) und ein gewöhnlicher Arzt fühlt den Puls.“ Das heißt, ein hervorragender Arzt legt mehr Wert darauf, sich die Stimme anzuhören, als die äußere Erscheinung anzuschauen oder den Puls zu fühlen, um den Gesundheitszustand der Patienten zu diagnostizieren.
Der Zustand des Herzens zeigt sich unverhohlen in der Stimme. Wenn sich ein Sänger zum Beispiel in einem depressiven Zustand befindet, kann er keine Stimme hervorbringen, die zu den Körpern des Publikums gelangt, so sagt man. „Zu den Körpern zu gelangen“ ist kein Gleichnis.
Angenommen, Sie sehen ein kleines Kind plötzlich auf eine Straße zulaufen, dann werden Sie ihm spontan zurufen: „Halt! Bleib stehen! Es ist gefährlich!“ Diese Stimme gelangt in aller Schnelligkeit zum Rücken des Kindes. Sie wirkt wie eine Verlängerung Ihrer Arme, mit denen Sie das Kind aus Leibeskräften zu sich holen.
Eine „klar durchdringende Stimme“ ist jedoch anders als eine „laute Stimme“. Um eine klar durchdringende Stimme hervorzubringen, muss man nicht extra angestrengt, sondern ganz natürlich sprechen, wie man vom tiefen Bauch heraus lacht. Sie ist also anders als eine so genannte „Stimme ohne Stütze“.
Eine Sängerin, erfuhr ich, geriet psychisch in Bedrängnis, weil sie aus dem Bauch keine Stimme mehr hervorbringen konnte, sodass sie nur mit der Kehle singen musste. Dadurch wurde ihre Kehle verletzt, sie musste wie in einem Teufelskreis noch mehr darunter leiden.
Auf der Bühne ging die Geschichte der chinesischen Prinzessin Turandot mit dem „eiskalten Herzen“ vonstatten; die Prinzessin wies alle, die sie heiraten wollten, zurück, indem sie ihnen drei Rätselaufgaben stellte, und sie ließ alle Bewerber hinrichten, falls sie die Rätsel nicht lösen konnten. So verloren alle Heiratswilligen einer nach dem anderen ihr Leben. Aber der Prinz, der jetzt erschien, löste alle drei Rätsel. Dennoch war die Prinzessin nicht willens, seinen Heiratsantrag anzunehmen. Wie sollte es weiter gehen?
Während der Pause zwischen den Aufzügen besuchte ich zusammen mit meiner Frau die Direktorin der Royal Opera, Frau Eva Wagner-Pasquier, und den Verwaltungsdirektor des Opernhauses, Herrn Richard Wright, und bedankte mich als Gründer der Min-On Konzert Association für ihre große Mühe.
Frau Wagner-Pasquier ist eine Urenkelin Richard Wagners (1813-1883), jenes „Opernriesen“. Die beiden, Frau Wagner-Pasquier und Herr Wright, waren gut darüber informiert, dass bis dahin das Mailänder Tertro alle Scala (1981) sowie die Wiener Staatsoper (1980) durch die Min-On in Japan gastierten, und lobten die Geschichte der Min-On, die sich für den Aufschwung der Musikkultur stark engagierte.
Abgesehen von der Darbietung der eifrigen Künstler auf der Bühne bat ich sie, allen hinter den Kulissen beschäftigten Mitarbeitern meine Belobigung auszusprechen. Die Oper ist eine Kristallisation des gemeinsamen Strebens aller, bestehend aus Regie, Bühnenbild, Kostüm, Requisit, Verwaltung usw.
Bei der Darbietung, die an diesem Tag gezeigt wurde, hingen zuerst sechs rote Streifen aus Stoff wie ein Vorhang herab. Mit dem Beginn des Dramas wurden sie hochgezogen und zum Schluss wieder herabgelassen. Dadurch konnte man die Geschichte von der Prinzessin, dem Prinzen und der Sklavin, die sich nach dem Prinzen sehnte, wie ein schön umrahmtes wunderbares Bild erblicken.
In der Tat ist die verborgene Hauptdarstellerin in diesem Opernwerk möglicherweise die junge Sklavin Liu. Sie ist es, die sich nur aus dem Grund, „einst wurde sie vom Prinzen angelächelt“, viele Jahre lang nach dem Prinzen gesehnt hat. Während sie einem König der Tataren hilft, der wegen eines Aufruhrs aus seinem Land verwiesen wurde, muss sie viele Länder durchwandern, und nach langen Leiden und Mühen kann sie dem Prinzen endlich wieder begegnen. Nichtsdestotrotz wird der Prinz von der Schönheit der Prinzessin Turandot bezaubert.
Die Szene geht dem Ende zu: Liu wird gefoltert und dazu gezwungen: „Nenne den richtigen Namen des Prinzen!“ Warum? Weil es im Verlaufe der Handlung der Prinzessin zusteht, doch den Prinzen, der alle drei von ihr gestellten Rätsel gelöst hat, töten zu lassen, falls sie seinen richtigen Namen erraten kann.
Liu ist es, die den richtigen Namen des Prinzen kennt. Sie erträgt alle Qualen und gesteht keinesfalls seinen Namen. Und als sie dem Scharfrichter seinen Degen entwenden kann, sticht sie sich damit in ihre Brust.
– Es ist gut so. Wenn ich sterbe, kann mein geliebter Prinz gerettet werden. Und ich kann es ihm ermöglichen, seine Liebe zur Prinzessin zu erfüllen.
„Die Liebe, heimlich und uneingestanden,
sie ist so groß, dass Dinge wie diese Qualen
mir süß sind,
denn ich bringe sie zum Geschenke
meinem Herrn …“
Lius überquellende Liebe war der letztendliche Aufschrei eines Menschen, der wirklich nur durch den Gesang auszudrücken ist. Die Flamme dieser höchsten Reinheit veranlasste, dass im eiskalten Herzen der Prinzessin ein Riss entstand.
„Gibt es überhaupt eine solch tiefe Liebe? Warum kann sie derart handeln?“
Lius Gesang und ihre Stimme konnten die Prinzessin, von der teuflischen Natur der übermütigen Macht bezaubert, wieder zur Besonnenheit führen.
Stimme lebt. Weil sie lebt, kann sie anderes Leben erschüttern. Das Gefühl, das man in seine Stimme hineinlegt, tritt durch die Ohren, also durch die zur Seele führende Pforte desjenigen, der hört, ein, gelangt zum Herzen, rührt einem ans Herz, holt irgendetwas vom Herzen heraus und wird auch den Körper in Bewegung setzen.
Das „Singen“ bedeutet, eine „Stimme zu erheben“.
Das Singen, sollte es gen Himmel gerichtet sein, so verwandelt es sich ins Gebet. Und wenn man die Stimme an einen wendet, verwandelt sie sich in eine Brücke, die zwei Herzen verbindet und sie heilt. Das Singen verfügt über die Kraft, das Leben von Innen zu verändern, zu verstärken und zu reinigen. Folglich war die Musik von alters her eins mit Religion und Medizin. Im antiken Ägypten nannte man die Musik die „Medizin der Seele“.
In einer Stadt Europas, so erfuhr ich, gab es eine Protestaktion gegen den Bau eines Opernhauses, mit der Begründung, dass mit dem Etat lieber ein Krankenhaus gebaut werden sollte. Dabei entstand jedoch ein Gegenargument: „Das Opernhaus ist eine Art Krankenhaus, in dem alle vor einer Erkrankung präventiv geschützt werden.“ Und dies überzeugte die Bürger der Stadt, sodass der Etat genehmigt wurde.
Wenn man dabei nicht nur hört, sondern auch die Stimme positiv hervorbringt, wird das für unsere Gesundheit noch besser wirken. Wenn man die Stimme hervorbringt, tritt eine Energie aus einem hervor. Und dadurch, dass man die Stimme aus vollen Leibeskräften hervorbringt, wird das Gehirn stimuliert. Das führt dazu, die Atmung zu beleben und den Kreislauf des Bluts zu beschleunigen. Aufgrund dessen ist es heute bei weitem anerkannt, dass es für die Verzögerung des Alterungsprozesses sowie für die Vorbeugung der senilen Demenz eine Wirkung gibt.
Auch beim Sport wird gesagt, dass man „mit Stimmen siegt“. Es ist bekannt, dass, sobald man keine Stimme mehr hervorbringen kann, man in Bedrängnis getrieben wird. Es gilt möglicherweise ebenso für unser Leben.
Lasst uns deswegen die Stimme ungeniert erheben! Die Befreiung der Stimme führt zur Befreiung unseres Selbst. Hiroatsu Takata (1900-1987), ein japanischer Bildhauer, der mit Romain Rolland (1866-1944) und Mahatma Gandhi (1869-1948) eine tiefe Freundschaftsbeziehung schloss, war in der Musik gut bewandert. Als er, der [nach achtundzwanzigjährigem Aufenthalt in Frankreich] von Paris nach Japan zurückkehrte, wieder japanische Schlager zu hören bekam, kamen diese ihm aber vor, als seien sie eine Nachahmung europäischer Lieder. Das versetzte ihm einen Schock.
Er schrieb: „Eine kriecherische feudalistische Mentalität, genährt ausschließlich durch die Untugend, sich der Macht zu unterwerfen, hat den Japanern die Kraft zur Selbstdisziplin entzogen.“ Er fuhr fort: „Wenn die Musik der unmittelbarste Ausdruck des Inneren der Seele sein sollte, kann die Kunst nicht aus dem ‚Selbstlosen’ hervorgehen und somit die Kunst des Volkes auch nicht.“ (aus „Meine Musiknotizen“)
Man unterdrückt sich selbst und schaut nur nach den Gesichtern anderer, ohne etwa zu sagen, was gesagt werden muss – aus solch einer Lebensweise kann man keine fröhliche heitere Stimme hervorbringen.
Unterdrückte Stimme, kriecherische Stimme – während man solch eine „affektierte Stimme“ fortgesetzt hervorbringt, hat man seine „eigene Stimme“ vergessen, als ob man sein Selbst verloren hätte. Das ist eine Tragödie. In der Gesellschaft, in der die aufrichtige Stimme zurückgehalten wird, findet sich kein humanistischer Fortschritt.
Deshalb lasst uns unsere Stimme hervorbringen! Lasst uns durch die Stimme siegen! Lasst uns uns selbst mit der Stimme ermuntern! Bezwingen wir die „betrügerische Stimme“ und die „täuschende Stimme“ durch die „wahre Stimme“, die aus dem tiefen Bauch kommt! Vergessen wir nicht, dass uns Nichiren Daishonin doch ein Vorbild zeigte, indem er uns immer und immer wieder sagte!: „Ohne sich davor zu scheuen, einen Laut auszustoßen“, „Ohne sich davor zu scheuen, eine Stimme hervorzubringen“ und „Ohne sich davor zu scheuen, die Worte auszusprechen“.
Ein großartiger Sänger lässt sein Publikum fühlen, „als singe er nur für mich allein“, so sagt man. In Bizets „Carmen“ der Min-On Aufführung hatte das „goldene Paar“, dargestellt von Agnes Baltsa in der Rolle der Carmen und José Carreras in der Rolle des José, einen guten Ruf. Herr Carreras ist einer der weltbekannten „drei Tenöre“. Er sagt: „Gute Sänger gibt es viele. Jedoch sind sie meistens nicht in der Lage, ihr Gefühl zu übermitteln. Folglich können sie bei den Zuhörern auch kein Gefühl erwecken.“ (aus „Autobiographie – José Carreras“)
Technik ist absolut wichtig, dennoch reicht sie allein nicht aus. „Für die Stimme sind Herz und Seele vonnöten. … Das heißt, von Herzen muss man singen“, so Carreras.
Dieser herausragende Sänger Carreras brach zusammen. Es war 1987, ein Jahr nach seiner Japan-Tournee. Seine Krankheit wurde als akute Leukämie diagnostiziert. Er war gerade 40 Jahre alt. Ihm wurde erklärt, dass die Überlebenschance, selbst wenn eine Knochenmarksimplantation durchgeführt werden könnte, nur bei 20 Prozent liege.
Eine leidvolle Strahlenbehandlung, begleitet von einem Übelkeitsgefühl, setzte sich weiter fort. Während dieser Zeit konnte er es „irgendwie durch die Oper“ überstehen. Er hielt durch, indem „er leise vor sich hinsang oder zeitweise nur im Hinterkopf wiederholt eine Arie sang.“
Dann seine wundervolle Genesung: Alle Opernfans waren begeistert. Seine Heimat, Barcelona in Spanien: Unweit des Triumphbogens wurde nachts sein „Comeback Konzert“ veranstaltet. Während der etwa 25 Sekunden, derer er bedurfte, auf die Bühne zu gelangen, tauchten in seinem Gehirn die Szenen seines bisherigen Lebens auf und verschwanden blitzschnell wieder; schwere Kämpfe in den jungen Jahren, die Erkrankung, die er auf dem Zenit des Erfolgs erfuhr, die Nächte, in denen er in tiefer Verzweiflung versunken war, Schauder dieser Krise des Lebens, Hoffnung, Schmerzen und Leiden …
Als er im Nu wieder zu sich kam, war er noch nicht am Klavier angekommen. Das Dröhnen des Beifalls und der Zurufe war zu hören. Richtete er den Blick empor, sah er Menschen und Menschen, soweit das Auge reichte. Auf Straßen und Parkplätzen, überall, gabt es eine Menschenmenge. Mehr als 150.000 Menschen kamen zusammen!
Tief ergriffen, war sein Hals wie zugeschnürt, sodass er unsicher wurde, ob er überhaupt seine Stimme hervorbringen könnte. Nachdem er sich selbst langsam beruhigt hatte, begann er zu singen. Er bedankte sich innerlich dafür. Eine derart große Menge Menschen versammelte sich mit dem Gedanken: „Dieser Mann hat mit dem Tod gekämpft. Er ist vom Kampf zurückgekehrt. Es ist ihm gelungen. Und jetzt singt er für uns alle.“
Es war eine Sympathie, die nicht dem Sänger Carreras, sondern dem Menschen Carreras gewidmet wurde.
Er überlegte, welches Lied er zum Abschluss des Konzerts singen sollte. So entschied er sich für ein Lied aus „Turandot“, das Prinz Kalaf singt – „Keiner schlafe!“
„Entweiche, o Nacht!
Geht unter, Sterne! Geht unter, Sterne!
Im Morgengrauen siege ich!
Siege ich! Siege ich!“
Das war gerade das Lied, das sein Herz offenbarte: Komme das Morgengrauen! Ich siege!
Und in diesem Lied ließ er sein Gefühl, die eigene Finsternis überwunden zu haben, widerhallen:
„Ich habe mich bislang nicht gebeugt! Auch von nun an werde ich mich nicht beugen! Ich tue alles, um in diesem Leben zu siegen!“
Und er betete, indem er sang:
„Mögen es alle, die hier sind, fühlen! Dieses Lied ist mein Lied. Es ruft mir zu.“
Die Stimme gelange zu den Herzen aller!
Der Mut quelle hervor, aus dem Herzen aller!
Alle! Singet!
Werdet sicher und stolz darauf!:
„Mein Leben ist ein Drama, das zum Schluss sicher mit einem Sieg enden wird.“
Das war der Augenblick des Wunders, in dem sich das eine „Drama der Stimme“ auf der Bühne und das andere „Drama der Stimme“, fürs Leben zu kämpfen, vereinten.
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 11. April 2004)
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