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Provence in Südfrankreich – der Berg „Sainte-Victoire“
„Noch ein bisschen, . . . noch ein paar Atemzüge, dann kann ich zum anvisierten Bestimmungsort gelangen . . .“
Die Augen eines Malers, der auf den Berg starrte, waren vor Hartnäckigkeit entbrannt. Weil er ihn jedoch zu sehr anstarrte, kam es ihm selber vor, als würden seine Augen bluten.
Das war Paul Cézanne (1839-1906), Vater der modernen Malerei genannt. Und der Berg, auf den er Tag für Tag starrte, heißt Sainte-Victoire, der heilige Siegesberg, in Südfrankreich.
Cézanne wollte diesen Berg unbedingt zu seiner vollsten Zufriedenheit malen. Schwierig. Er malte viele Male und sogar zig Male. Dennoch war er damit nicht zufrieden. Es war ein hartes Ringen zwischen dem Berg und ihm selbst. Er schreibt:
„Ich arbeite mit Leib und Seele voll konzentriert.“ (aus „Briefe Cézannes“, 1903)
Cézanne, der bereits die Sechzig überschritt, war dennoch in der Welt nahezu namenlos. Selbst in Paris kannte kaum jemand seinen wahren Wert, geschweige denn in seiner Heimat in Südfrankreich. Dort wurde er fast als Versager angesehen.
Jeden Tag stand er früh auf, verließ sein Zuhause und trug seinen Farbenkasten unter dem Arm. Die Bengel der Ortschaft folgten ihm nach, indem sie ihn neckten. Manche von ihnen warfen mit Steinen nach ihm.
Dennoch setzte er seinen Weg schweigsam fort.
Ich will mich nähern, jenem Siegesberg.
Ich will gelangen, zum wahren Wesen jenes Berges.
Schaut, ich werde bestimmt gelangen, zur Wahrheit, die sich im Gemälde offenbart!
Der Berg lag so nah, jedoch befand sich der Berg Cézannes noch in der Ferne. Viele Hindernisse, der Weg war weit. Aber sehr bald werde ich ihn erreichen, denn mein „Siegesberg“ hat angefangen, verschwommen in Erscheinung zu treten!
Wenn ich diesen Berg aus starrenden Felsen sehe, ist mir zumute:
„Wahrhaft, es ist der Berg, den Cézanne sosehr liebte!“
Er hat eine wundervolle Anziehungskraft.
Jedes Mal, wenn ich zum Trainingszentrum nach Trets fuhr, schaute ich ihn morgens und abends an.
Während er eine Atmosphäre der Dichte der Zeit von Milliarden Jahren fast unmerklich ausstrahlt, hat er dennoch einen Schwung inne, als sei er heute Morgen geboren.
Obwohl er an sich eine Unerschütterlichkeit verkörpert, zeigt er doch eine Dynamik, als ob er Feuer ausstoßen würde.
Obwohl er ein Felsenblock ist, der aus der Erde hervortrat, sieht er aus, als sei er ein Geschenk, das vom Himmel herab gestiegen ist.
Das ist ein silbern glimmerndes Gebirge aus Kalkstein, das eine Form hat, wie eine dreieckige Säule, die quer liegt. Und je nachdem, von welcher Richtung man ihn anschaut, sowie je nach den Lichtnuancen verändert sich seine Erscheinung mannigfaltig.
Es war im Juni 1981, als ich ihn zum ersten Mal sah. Zu dem Zeitpunkt stattete ich beim Trainingszentrum meinen ersten Besuch ab. Meine Bewunderung teilte ich den Freunden aus verschiedenen Ländern mit:
„Schauen Sie mal an! Das ist ein bewundernswerter Berg. Er sieht aus, als ob eine riesengroße Persönlichkeit – wie zum Beispiel Shakyamuni – liege und sich ausruhe. Wiewohl majestätisch, strahlt er Anmut und Eleganz aus. Sein Erscheinen wirkt wie ‚Ichinen (ein augenblickliches Herz)’ unseres Glaubens. Er ist durch nichts beugsam, weist alles zurück. Stark und heftig, dennoch spüre ich eine unerschöpfliche Energie, die alles einschließt. Er wirkt wahrhaft tiefgründig und ewig. Bitte werden Sie alle ein starker, starker Mensch wie dieser Berg!“
Diesem „Siegesberg“ entgegen setzte Cézanne seinen Schritt immer weiter fort. Es war ein Leben, das aus Malen und immer wieder Malen bestand. Obwohl er malte und malte, wurde er nicht anerkannt. Er nahm an verschiedenen Ausstellungen teil, jedoch wurden seine Bilder nie gekürt. Kritiker beschimpften und verspotteten ihn mit grausamen Worten. Sie kritisierten seine Werke bitter, sogar so weit: „Das sind doch die Werke eines Verrückten!“
Und zwar die Bilder von ihm, Cézanne, dem später Henri Matisse (1869-1954) und Pablo Ruiz y Picasso (1881-1973) Achtung zollten, indem sie sagten: „Er ist unser Meister!“
Ganz gleich, wie wunderbar es ist, wird alles, wenn es neu ist, erst einmal abgelehnt! Die meisten Menschen sagen nachahmend: „Das ist gut.“ Nur deswegen, weil andere sagen: „Das ist gut.“
Seine Bilder ließen sich nicht absetzen.
In Paris lebte er mit geringen Mitteln, die ihm sein Vater zukommen ließ. Der Vater, der aus der Armut heraus einen gewissen sozialen Stand aufbaute und ein wohlhabender Mann wurde, schätzte seinen Sohn als Versager ein. Der Sohn wurde dessen gewahr, und weil er darüber Bescheid wusste, fühlte er sich verletzt. Seine Originalität konnte selbst von Emile Zola (1840-1902), Schriftsteller, seinem guten Freund aus der Jugendzeit, nicht verstanden werden. Er war einsam.
Nichtsdestotrotz setzte er fort, seinen eigenen Berg, Kunst genannt, keuchend zu erklimmen.
Was sollte mich stören, selbst wenn ich für dumm gehalten werde!
Letzen Endes wird das Echte siegen!
Um ein einziges Stilleben zu malen, stand er mindestens hundert Mal vor der Leinwand. Selbst an dem Tag, an dem seine geliebte Mutter starb, hörte er auch nicht auf, zu malen. Er war konsistent wie ein Felsen.
Am Lebensabend, weiterhin nicht anerkannt, kehrte er in seine Heimat Aix-en-Provence zurück und malte wiederholt den „Mont Sainte-Victoire“.
„Wie“, dachte er, „kann ich die Lebenskraft dieses Bergs auf der Leinwand wieder erschaffen? Die Tiefe, die der Natur innewohnt, . . . nur durch eine Farbgebung auszudrücken und die Dichte der Luft allesamt zu malen!“
Er war es, der einst dadurch, dass er einen Apfel malte, beabsichtigte, das Universum darzustellen. Farbgebung und Zusammensetzung, Wahrnehmung und Intellekt – ein Gemälde, in dem solche Elemente verschmolzen sind. Das sollte eigentlich zum Zielpunkt der langen Geschichte der konkreten Malerei werden.
Kann ich dort ankommen?
Kann ich ihn überhaupt erreichen?
„Um ein Bild auf einer 50 Zentimeter großen Leinwand fertig zu malen, arbeite ich bis zum ausgebrannt sein und starre dabei auf mein eigenes Leben. Ich lasse mich nicht stören! Das ist mein Leben. Ich will sterben, während ich male!“ (aus „Dialog mit Paul Cézanne“, J. Gaske)
Mein eigentlicher Wunsch ist erfüllt, wenn ich während des Malens sterben kann!
Cézanne, der dies sagte, errang bereits den Sieg.
Immer weiter kämpfen. Bis zum Ende kämpfen!
Dieses Herz triumphierte bereits über den Sieg, so denke ich.
Im Herbst 1906 malte er wieder im Freien und wurde in den Abendstunden von einem heftigen Regenguss überrascht. Er, der Stunden lang im Regen stand, brach zusammen. Ein Passant, der ihn liegen fand, brachte ihn nach Hause.
Eine Woche danach schossen sich seine flammenden Augen für immer. Er wurde 67 Jahre alt. Selbst auf dem Totenbett schien er willens zu sein, noch weiter zu malen. Er war ein fester Felsen. Er ertüchtigte sich selbst zum „Siegesberg“.
Hier geht es sicher nicht nur um die Geschichte eines außergewöhnlichen Genies. Für einen jeden gibt es seinen eigenen „Mont Sainte-Victoire“, den „Siegesberg“ des eigenen Lebens. Schaut diesen Berg an und besteigt ihn!
Vom Trainingszentrum bis zum Hafen von Marseille fährt man mit dem Auto etwa eine halbe Stunde. Nachdem das Seminar mit den Freunden aus europäischen Ländern zu Ende gegangen war, fuhr ich zum Hügel in Marseille.
Ich wollte vom Hügel aus die Insel D’if sehen, die mit jenem Roman Alexandre Dumas (1802-1870) „Der Graf von Monte Christo (japanischer Buchtitel: König der Felsenhöhle)“ in enger Beziehung steht. Aufgrund von Intrigen wurde Edmond Dantès, Protagonist des Romans, ins Gefängnis dieser Felseninsel geworfen und sollte lebenslänglich bleiben.
Das war ein Buch meiner Jugendzeit, von dem mein Meister und ich zusammen lernten. Im Meereswind, der über das Mittelmeer wehte, kam es mir vor, als hätte ich die Stimme meines Meisters, des Felsenhöhlenkönigs des Mystischen Gesetzes, gehört:
„Das ist doch der Weg, für den Du Dich aus fester Überzeugung entschieden hast. Behalte ihn bis zum Tode bei! Mein Schüler, selbst wenn Du Dein ganzes Leben lang verfolgt werden solltest, klage nicht, sondern freue Dich! Lächle im heftigen Gegenwind und kämpfe bis zum letzten Tag! Solch ein Mensch allein kann zum König des Glücks werden, das von Leben zu Leben in alle Ewigkeit unzerstört andauert!“
Als ich wieder zum Zentrum zurückkam, waren viele Freunde von Südfrankreich versammelt. Im sanft strahlenden Licht der Abendstunden gingen wir zusammen auf grünen Feldern spazieren, sangen Lieder und sprachen über die Freude, für Kosen-rufu zu leben.
Genau in diesem Moment ereignete sich etwas völlig Unerwartetes; am Firmament wurde ein großer, großer Regenbogen geschlagen. Es war dramatisch. Alle waren fasziniert und applaudierten. Warf ich meinen Blick auf jenen Berg aus Felsen, war seine silberne nackte Fläche, von der Abendsonne widergespiegelt, soweit das Auge reichte, in eine prachtvolle goldene Farbe verwandelt. Es war wahrhaft atemberaubend.
„Schaut, ich habe gesiegt!“
Vor uns befand sich die Gestalt eines Riesen, der voller Stolz lacht.
(aus „Seikyo Shimbun“ vom 3. Juli 2004)
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