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Die Bewusstseinschichten des Menschen aus buddhistischer Sicht
Vortag von Dr. Yoichi Kawada\ gehalten am 16.09.2001 im Walldorfer Kaikan
(Fortsetzung eines Vortrags aus dem Vorjahr)
Aufgrund der tragischen Ereignisse in den USA hat Sensei ein Beileidstelegramm an Präsident Bush geschrieben und auch die amerikanischen Mitglieder ermutigt: Er hat sein tiefes Beileid über die Terroranschläge ausgedrückt und betont, wie wichtig es ist, die Bewegung der SGI noch kraftvoller zu verbreiten. Die Überwindung des Terrorismus sei nur möglich, wenn eine „Herz-zu-Herz-Verbundenheit“ zwischen den Menschen realisiert werde. In seinem Friedensvorschlag im Januar hat Sensei bereits klar gesagt: Frieden gibt es nicht an einem weit entfernten Ort oder mittels einer fremden Methode, sondern nur, indem man zu den Menschen seiner nächsten Umgebung Freundschaften aufbaut, sie respektiert und wertschätzt, kann man sich Schritt für Schritt auf den Weltfrieden zu bewegen.
Im Buddhismus wird sehr sorgfältig die Struktur des menschlichen Geistes erforscht. Die fünfte Bewusstseinsschicht entspricht unseren fünf Sinnesorganen, mit denen wir die unterschiedlichen Reize unserer Umgebung aufnehmen. Sich seiner selbst bewusst zu sein, ganz normal im Alltagsleben, entspricht der sechsten Bewusstseinsschicht. Sie hat eine Integrationsfähigkeit, nämlich die Informationen von der fünften Schicht zu sammeln und zu einem einheitlichen Bewusstsein zu verarbeiten. Das sechste Bewusstsein macht das Bewusstsein unseres täglichen Lebens aus.
Die siebte (Manas) Schicht reicht noch tiefer, sie umfasst den Bereich, den die Tiefenpsychologie als das Unbewusste bezeichnet. Unsere Träume kommen aus dieser siebten Schicht. Im Koma lebt man in bzw. durch dieses siebte Bewusstsein, denn dort ist auch der Selbsterhaltungstrieb „angesiedelt“. Das innere Gleichgewicht unseres Körpers, unsere Atmung, Körpertemperatur im Schlaf, alle unsere unwillkürlichen Funktionen werden von dem siebten Bewusstsein gesteuert. Unser Identitätsgefühl, kontinuierlich über unser ganzes Leben hinweg, stammt auch aus der siebten, zum Teil aber auch aus der achten Bewusstseinsschicht.
Das achte Bewusstsein (Alaya) ist noch tiefer als das siebte und entspricht einem heftigen Strom: Es zeichnet sich aus durch ständige Veränderung und Dynamik. Man kann sagen, das einzige feststehende der achten Schicht ist, dass nichts so bleibt, wie es ist. Das achte Bewusstsein nimmt großen Einfluss auf die siebte Schicht und die weiteren, höher gelegenen.
Alle Menschen haben ein Urangst vor dem Sterben. Durch unsere Geburt und Bewusstwerdung manifestiert bzw. vergegenständlicht sich die achte Bewusstseinsschicht [die nach dem Tod weiterexistiert, Anm. von mir]. Von unserem siebten Bewusstsein her neigen wir dazu, die achte Schicht als feststehend, unveränderlich zu betrachten. Aus dieser Sichtweise rührt auch die Vorstellung vom Anfang und Ende des Lebens, daraus wiederum entsteht unsere große Angst vor Verlust und Tod. Aus der Verlustangst, sich selbst nicht verlieren zu wollen, resultiert unsere Angst vor dem Sterben. Es entsteht eine Ich-Haftigkeit, die die Ursache für die Leiden der Menschen ist. Weil man sich selbst nicht verlieren, sich im Gegenteil beschützen möchte, kommt es zur Aggressivität und dem Gefühl, von anderen angegriffen zu werden. Weiter entsteht daraus Arroganz und die Neigung, andere zu diskriminieren. Die Unterschiedlichkeit der Menschen ist dann der Grund, aggressiv gegen andere zu werden. Um Diskriminierung zu rechtfertigen, wird eine Ideologie, oder sogar die Religion herangezogen, das ist eine große Gefahr. Sogenannte fundamentalistische (Religions- oder Ideologie-)Richtungen entstehen aus dieser Aggressivität und diesem Hass gegen das Andere, Fremdartige.
Es ist die Entdeckung des Buddhismus, dass die am eigenen Ich festhaltende, diskriminierende Haltung in jedem Menschen steckt, nicht in den Religionen und Ideologien. Bei Nikken und seinen Anhängern geht es um genau diesen Punkt: Sie haben eine Ideologie entwickelt, mit der sie andere Menschen diskriminieren, das kommt genau aus diesem Hintergrund. Wie Nikken klar sagte: Ich bin anders als die anderen Priester, wird in dieser Äußerung die Arroganz des Ich und die sich daraus entwickelnde Aggressivität gegen andere deutlich.
Aggressivität entsteht also aus Verlustangst, aus Angst vor dem Sterben. Die Aoum-Sekte mit dem Giftgasanschlag auf eine U-Bahn in Tokio handelte aus der gleichen Tendenz heraus. Dies alles zusammengefasst wird im Buddhismus als Ignoranz oder fundamentale Dunkelheit bezeichnet. Es ist eigentlich ein verzweifelter Zustand des Ego-Trips.
Fazit: Die siebte Schicht betrachtet die achte Schicht als feststehend, unveränderlich und alle Konflikte und Probleme auf unserer Welt entstehen aus dieser falschen Betrachtungsweise. Nicht nur ich selbst, sondern auch alle anderen Lebewesen haben ebenso diesen Energiefluss des achten Bewusstseins. Auch wenn man das nicht sehen kann, bedeutet die Vernichtung von anderen nichts anderes als Selbstverletzung.
Das achte Bewusstsein entspricht der Energie des Karmas oder des Lebens. Unsere individuelle karmische Strömung ist in ständigem Austausch mit der von anderen. Beispielsweise nähern sich Partner nach langjährigem Zusammenleben einander immer mehr an, werden sich immer ähnlicher. Ebenso ist es mit langjährigen Freundschaften, auch hier entwickelt sich eine ähnliche Atmosphäre des Lebens. Z.B. versteht man unter guten Freunden oft ohne Worte, was der andere denkt. Die Sprache ist eigentlich im sechsten Bewusstsein angesiedelt, hat aber eine noch tiefere Ursache in der achten Schicht. Beispiel: Auf der rein sprachlichen Ebene kann man jemanden anlügen, der dies mittels des achten Bewusstseins aber merken kann, besonders, wenn er dem anderen emotional sehr nah ist.
Den individuellen Austausch zwischen zwei Menschen nennt man im Buddhismus „Engi“ und kann dieses Prinzip immer mehr erweitern und vertiefen, auf die Familie, die Nation etc. Aus diesem „Engi“, dem gegenseitigen abhängigen Entstehen, entwickelt sich das Bewusstsein aller Menschen und aller Lebewesen auf der Ebene der achten Schicht. Wie Sensei es sagt: Frieden beginnt in der nächsten Umgebung, durch Freundschaft, Vertrauen und persönliche Beziehungen. Derartige Bemühungen entstehen aus dem Bodhisattwa-Herzen (dem guten Herzen), Menschen mit einer Bodhisattwa-Haltung haben die Angst vor dem Sterben bereits überwunden.
Wenn wir verstehen, dass Sterben nichts mit dem Verlust unseres Lebens zu tun hat, wir lediglich in das Leben des Universums hineingehen, werden wir keine Verlustängste mehr entwickeln und Aggressivität und Ignoranz überwinden können. Indem wir andere dazu einladen, das Leben so zu sehen, indem wir diesen Geist verbreiten, können wir uns von unserer Ich-Haftigkeit lösen und diese Ego-Tendenz hinter uns lassen.
Wir müssen unermüdlich den Austausch mit anderen Menschen pflegen, auch mit anderen Konfessionen, vielleicht ist es so möglich, alle Weltreligionen in eine gemeinsame Richtung zu führen; das ist der Wunsch von Sensei. In der Seikyo Shimbun wurde ein aktueller Dialog zwischen Sensei und einem Islam-Vertreter abgedruckt: Sensei sagte, egal um welche Religion es sich handelt, es geht immer nur um die Menschen. Nicht alle Moslems sind gewalttätig, sondern höchstens ein Bruchteil von ihnen. Es ist wichtig zu verstehen, dass aus dem Islam keine Terroristen hervorgehen, sondern dass es die Menschen sind, die den Islam als Ideologie für ihren Terrorismus missbrauchen.
Viele Religionen benutzen die Urangst vor dem Sterben, um die Menschen zu instrumentalisieren. Der Ausdruck „Dschihad“ - „Heiliger Krieg“ hat im Islam ursprünglich zwei Bedeutungen:
gegen andere (der ‚äussere’ Dschihad)
Prof. Tehranian sagte in dem Dialog, man sollte Dschihad nur im Sinne eines Kampfes gegen die eigene Negativität führen. Der „Heilige Krieg“ gegen sich, gegen Habgier und Hass entspricht dem buddhistischen Prinzip „Begierden in Erleuchtung verwandeln“. Im Christentum und im Islam wird versucht, diese Reinigung durch Gott zu vollziehen. Im Buddhismus versucht man, dies im eigenen Inneren des Lebens zu vollziehen, also das gute Herz, das Gute in sich zu entwickeln und an andere weiterzugeben.
Warum ist unsere SGI-Bewegung so wichtig für den Weltfrieden?
Beim Begriff des Karmas unterscheidet man zwei Kategorien:
a. einzigartiges, individuelles
b. gemeinsames Karma.
Durch Austausch in der Familie und unter Freunden entsteht immer mehr gemeinsames Karma im Leben. Zunächst wird innerhalb der eigenen Familie, dann im Wohnort, im Land, in Ost oder West und schließlich als Weltbürger strukturell gemeinsames Karma geschaffen. Wenn z.B. jemand in der Familie anfängt zu praktizieren, ist dies ein konkreter Schritt bei der Bildung gemeinsamen Familienkarmas. Das Karma eines Volkes und eines Landes hat oft eine viel längere Geschichte als das der Familie, und Gutes wie Schlechtes ist darin enthalten. Das gemeinsam geschaffene Karma hat durch uns, die wir leben, die Chance, geändert zu werden. So können Diskriminierung und Hass nur verschwinden, wenn wir als Individuen unsere innere Haltung dazu ändern. Nur durch die Änderung des Einzelnen verändert sich gemeinsames Karma.
Die SGI hat die Funktion, das gemeinsame Karma der Welt zu beeinflussen. Unabhängig von Rasse, Kultur und Konfession ist das einigende der Mensch, der die karmische Strömung der Welt vom Grund her zum Positiven beeinflussen kann. Das ist die Bewegung der SGI. Kern dieser Bewegung sind Menschen, die Daimoku chanten und von ganzem Herzen praktizieren.
Jetzt komme ich zum neunten Bewusstsein. Warum sollen wir Daimoku chanten? Ikeda versucht uns klarzumachen, wie man gutes gemeinsames Karma schaffen kann. Eine Möglichkeit besteht darin, Gutes zu tun, freundlich, fair, harmonisch mit anderen umzugehen. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Umgebung auf einer politischen oder wirtschaftlichen Ebene konkret zu beeinflussen, aber leider kommt dabei oft ebensoviel Schlechtes wie Gutes heraus. Unter dem Strich bleibt es oft bei plus/minus Null. Nichiren Daishonin lehrt uns, nicht nur Stück für Stück [vorwärtszugehen, sondern die eine große Ursache zu praktizieren, die an der Basis des Lebens alles verändert; Ergänzung von mir].
Alle Flüsse des achten Bewusstseins fließen zusammen in das große Meer des neunten Bewusstseins, in die „ursprüngliche, fundamentale Reinheit des kosmischen Lebens“. Shakyamuni hat das Vorhandensein der Urreinheit des Lebens zum ersten Mal erkannt und davon gesprochen; das war der Ursprung des Buddhismus. Nach Ikeda vollzog sich die Erleuchtung von Shakyamuni in drei Stufen:
Beginn seiner Erleuchtung (Sonnenuntergang): Shakyamuni hat verstanden, dass alle Dinge im Universum voneinander abhängig sind („Engi“)
Mittelteil (Mitternacht): Nachdem er dieses Prinzip verstanden hatte, konnte er es überwinden und „weitergehen“
Sensei sagt, wenn wir, jeder einzelne von uns, diese Urreinheit des Lebens realisieren, ist es möglich, auch die Umwelt in diese Urreinheit zu verwandeln. Dann entsteht die „Stätte der Wahrheit“. Nichiren Daishonin hat die „Stätte des Herzens“ in der Form des Gohonzon dargestellt. Indem wir zu diesem Gohonzon praktizieren, haben wir die Möglichkeit der Verschmelzung mit der Urreinheit des Lebens und können von da aus alle anderen Bewusstseinsschichten beeinflussen.
Die Aktivierung der neunten Schicht „Amala“ zeigt sich in der „Weisheit aus dem Wesen des Universums“, das ist die Weisheit des Universums selbst, die im Gohonzon verkörpert ist. Aus ihr folgt die „Weisheit des vollkommenen Spiegels“, durch die wir alle Dinge so klar, unparteiisch und gleichwertig wie in einem Spiegel erkennen und danach handeln können. Daraus entsteht die Weisheit, in jedem einzelnen Menschen seine Einzigartigkeit anzuerkennen und zu schätzen, statt alle gleichmachen zu müssen. Auf einer weiteren Stufe führt das dazu, die selbst erfahrene Weisheit auch in allen anderen zu entdecken. Diese verschiedenen Weisheitsstufen entsprechen dem Einfluss, den die Aktivierung der Urreinheit des Lebens auf die höhergelegenen Bewusstseinsschichten nimmt.
Mitschrift von Barbara Krausnick nach der mündlichen Übersetzung von Yoshi Matsuno;
ohne Gewähr und Autorisierung!
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