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Eine Gesellschaft aufbauen, die den grundlegenden Bedürfnissen der Erziehung dient - Ansichten zur Erziehung im 21. Jahrhundert

In diesem Vorschlag konzentriert sich SGI Präsident Ikeda auf die Probleme, denen sich das japanische Erziehungssystem gegenüber sieht und zieht Schlüsse über die grundlegende Natur und Aufgabe der Erziehung. Er betont, dass die Probleme, die die jungen Menschen heute haben, vor allem durch die Degeneration der Erziehungsfunktion der Gesellschaft als Ganzes verursacht werden. Dies ist ein Phänomen, das den Verfall der Ethik in der Erwachsenen-Gesellschaft wiederspiegelt.

Die Tendenz unserer Gesellschaft ist es, Erziehung eher als ein Mittel denn als Ziel zu betrachten. Indem er betont, dass es wesentlich ist, diese Tendenz umzudrehen, drängt Herr Ikeda darauf, dass die Gesellschaft reformiert werden muss, um den grundlegenden Bedürfnissen der Erziehung zu dienen. Er fordert die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Einzelnen sowie zwischen der Menschheit und der Umwelt zum Wohle unserer Kinder, die sich inmitten einer Krise befinden, die durch einen Zusammenbruch der Kommunikation auf akute Weise symbolisiert wird.

Als Gründer der Soka Universität und des Soka Schulsystems bietet er mehrere konkrete Vorschläge für die Reform des japanischen Erziehungssystems an.

Die Erziehung in der Krise

Beim Eintritt in das 21. Jahrhundert steht die Erziehung wieder einmal im Mittelpunkt ernsthafter Diskussion. In Japan hat sich diese Diskussion auf eine Erziehungsreform konzentriert, und ich möchte diese Gelegenheit ergreifen, um auf die kürzlich vorgebrachten Punkte einzugehen und frei heraus einige Gedanken dazu anzubieten sowie konkrete Vorschläge zu unterbreiten.

Ein weitverbreitetes aktuelles Problem ist, dass Kinder sich aus den verschiedensten Gründen, insbesondere aus Angst vor Schikanierung, weigern, zur Schule zu gehen. Es heisst, dass dieses Problem fast jedes Kind in Japan betrifft: der jährliche Bericht des Kultusministers über die japanischen Schulen enthüllt, dass das Wegbleiben vom Unterricht in der Grund- und den weiterführenden Schulen die noch nie dagewesene Anzahl von über 130.000 Schülern im Jahre 1999 erreicht hat. Das bedeutet, dass in der Grundschule 1 von 290 Schülern nicht in der Lage ist oder sich weigert, die Schule zu besuchen. In den weiterführenden Schulen ist es 1 von 40, im Schnitt ein Schüler in jeder Klasse.

In Japan gab es eine schreckliche Serie von Schüler-Selbstmorden und anderen Tragödien infolge der Schikanierungen. Die Krise verschlimmert sich, während sich das weltweite Problem des Drogenmissbrauchs in Japan ebenfalls allmählich verbreitet. Zusätzlich gab es in den letzten Jahren einen Anstieg der Jugendkriminalität: eine Folge von Morden, begangen von 14- und 15jährigen sowie - gerade erst im letzten Jahr - Verbrechen, die die japanische Öffentlichkeit schockiert haben wie die Entführung eines Expressbusses ohne Motiv durch einen 17jährigen, der dabei einen Mord beging und allen anderen Passagieren schwere Traumata zugefügt hat, oder der Junge, der seine Mutter mit einem Baseballschläger brutal zu Tode geprügelt hat. Verbrechen, die noch vor wenigen Jahren in Japan undenkbar gewesen wären.

Experten auf dem Gebiet der Jugendpsychologie und Erziehung analysieren diese Dinge auf der Suche nach Lösungen. Realistischerweise ist es jedoch so, dass die Erwachsenen-Gesellschaft bis jetzt darin versagt hat, mit diesen Problemen umzugehen. Geschockt von ihrer Monströsität, fühlen wir uns angesichts solcher unergründlichen Trends hilflos.

Als ein Einzelner, der danach strebt, das gesunde Wachstum der jungen Menschen, die unsere Zukunft auf ihren Schultern tragen, zu unterstützen, verfasste ich vor 16 Jahren anlässlich einer landesweiten Generalversammlung der Erzieherabteilung der Soka Gakkai einen Vorschlag mit dem Titel “Persönlichkeit und Erziehung”.^1^ Auf der Grundlage des Prinzips, dass eine Erziehungsreform vom Humanismus und nicht der Politik angetrieben werden sollte, wies ich in diesem Vorschlag auf ein humanistisches Ideal, durchdrungen von Kreativität, Internationalität und Ganzheit hin.

Ich erinnere mich, dass die Krise in der Erziehung auch zu dieser Zeit eine Sache von größter Besorgnis war und dass Eltern, Lehrer und viele andere besorgte Menschen über die Fragen schwierigen Verhaltens, Gewalt an den Schulen und Wegbleiben vom Unterricht zutiefst beunruhigt waren. Gute 15 Jahre sind seitdem vergangen und traurigerweise hat es nicht nur keine Verbesserung gegeben, sondern diese Situation ist nun - ungeachtet der Bemühungen von Seiten der betroffenen Personen - zur Normalität geworden und unzählige neue Probleme sind in der Folge entstanden.

Die Flucht vor dem Lernen

Eines der ernstesten Probleme der letzten Zeit ist der Zusammenbruch der Disziplin in den Schulen. Der Unterricht ist aufgrund des störenden Verhaltens der Schüler unkontrollierbar geworden. Dieses Problem trat zunächst in den weiterführenden Schulen auf, betrifft aber in den letzen Jahren auch die Grundschulen. In den schlimmsten Fällen sind die Kinder schon zu der Zeit nicht mehr disziplinierbar, wenn sie vom Kindergarten in die Grundschule kommen und dort den Unterricht aufs Gröbste stören.

Umfragen zeigen, dass ein Drittel der Lehrer, die für die Kinder verantwortlich sind, so frustriert sind, dass sie bereits darüber nachgedacht haben, alles aufzugeben. Wenn nichts unternommen wird, könnte es passieren, dass wir die Disfunktion des gesamten Schulsystems beobachten.

Ein weiteres akutes Problem ist der Verfall der akademischen Leistungen. Der Widerwille der Schüler zu lernen, wie es an ihrer Abneigung gegenüber Fächern wie Mathematik und Natur-wissenschaft ersichtlich ist, wird zu einem ernsthaften Problem. Verschiedene Studien zeigen, wie sich das gesamte akademische Niveau der japanischen Kinder verschlechtert, und das betrifft nun die weiterführenden Schulen und Universitäten. Es gibt Berichte (die fast komisch wären, wären sie nicht so schockierend) von Universitätsstudenten, die sogar die grundlegendsten Konzepte nicht verstehen.

Ich würde diese Situation als eine “Flucht vor dem Lernen” beschreiben. Ich glaube nicht, dass es überdramatisierend wäre, diesen Trend als die Niederlage der Erziehung, das Versagen unseres Erziehungssystems bei der Erfüllung seiner grundlegendsten Aufgaben zu beschreiben: die Bereit-stellung geistiger Nahrung, die es uns ermöglicht, unsere Kreativität durch das Lernen von der Weisheit unserer Vorgänger zu entwickeln und so den Zugang zu den gemeinsamen kulturellen Werten zu gewinnen, die die Menschheit von Generation zu Generation weitergibt.

2002 wird Japan die phasenweise Reduzierung der Unterrichtswoche von den traditionellen sechs Tagen auf fünf Tage abgeschlossen haben. Zeitgleich damit wird das Kultusministerium ein neu überarbeitetes Curriculum einführen, das danach strebt, den “Lebenshunger” der Kinder zu entwickeln, indem es die Freiheit ihres Wachstums sichert. Ich denke, dass dieser Zug eine Kritik an der hergebrachten Einpauk-Methodik wiederspiegelt, die zuviel Betonung auf Auswendiglernen und wilde Prüfungswettbewerbe legt, eine der Hauptursachen der “Flucht vor dem Lernen”.

Es gibt jedoch viele Zweifel, ob diese Veränderung zu einer echten Wiederbelebung des Lernens oder einer umfassenden Verbesserung der akademischen Fähigkeiten unter den Schülern führen wird. Diese Zweifel basieren auf der Überlegung, dass die zusätzliche freie Zeit - wenn die Anzahl der Unterrichtsstunden wie geplant reduziert wird - höchstwahrscheinlich dazu führen wird, dass die Kinder entweder mehr Zeit in “Paukschulen” oder vor Fernsehern und Videospielen verbringen werden und nicht dazu, dass das freiwillige Lernen gefördert würde, wie beabsichtigt. Folglich würden die erwarteten Ergebnisse nicht notwendigerweise erreicht werden.

Ich teile diese Befürchtungen. Obwohl das Leiden der Kinder, wie es durch das Wegbleiben vom Unterricht deutlich wird, umgehend angegangen werden muss, kann ich nicht wirklich glauben, dass die zugrunde liegenden Probleme durch ein Herumbasteln am System in Ordnung gebracht werden können.

Kinder sind der Spiegel der Gesellschaft

Was steckt also hinter dem krankhaften Wegbleiben von der Schule, dem problematischen Verhalten und der “Flucht vor dem Lernen” unserer Kinder, was in der gegenwärtigen Gesellschaft überhand nimmt? Ich glaube, die grundlegende Ursache ist das totale Versagen der Erziehungsfunktionen, die nicht nur die Schulen, sondern auch unsere Gemeinden, Familien und die Gesellschaft als Ganzes haben sollten.

Wenn es die Erziehung im weitesten Sinne ist, die die Menschen in die Lage versetzt, ihre Menschlichkeit wirklich auszudrücken, dann muss es eine funktionale Störung in der heutigen japanischen Gesellschaft geben, die den Einzelnen daran hindert, wirklich reif zu werden. Dieser Zusammenbruch zeigt sich auf akuteste Weise bei dem zerbrechlichsten und empfindlichsten Bestandteil unserer Gesellschaft - den Kindern. Auf die Gefahr der Vereinfachung hin: wir dürfen niemals das althergebrachte Sprichwort “Kinder sind der Spiegel der Gesellschaft” vergessen, wenn wir die Probleme der Erziehung betrachten.

Solange die Erwachsenen nicht eine selbstreflektierende Haltung zeigen, das, was ihnen von ihren Kindern wiedergespiegelt wird, in sich selbst zu korrigieren, werden die Versuche, das System zu reformieren - wie gut beabsichtigt sich auch sein mögen - letztlich nur Überbrückungs- bzw. vorübergehende Massnahmen sein, die quasi am Rande des Systems herumdoktern.

Die folgenden Worte aus einem Artikel über moralische Erziehung von dem Schriftsteller Taichi Yamada fand ich sehr bewegend: “Unsere Kinder brauchen mehr als leere Predigten über Werte. Als Erwachsene müssen wir ihnen irgendwie zeigen, wie man in der Praxis ein besseres Leben führt.”^2^

Die Wahrheit ist jedoch, dass sich die Welt der Erwachsenen nach dem Ende von Japans Phase des schnellen wirtschaftlichen Wachstums und in den Nachwirkungen des Zusammenbruchs der “Seifenblasen”-Wirtschaft plötzlich in einem extrem miserablen und düsteren Zustand gezeigt hat und sich dem neuen Jahrhundert praktisch ohne jede Lebenskraft nähert. Sei es in der Politik, der Bürokratie, dem Geschäftsleben oder in den Medien, die Elite hat sich schändlich verhalten. Darauf erpicht, sich selbst zu rechtfertigen, der sozialen Verantwortung auszuweichen und ihre eigenen Interessen zu schützen.

Japans Gesellschaft fliesst vor Materialismus und skandalöser Korruption unter den Erwachsenen über. Diese Situation zeigt unseren Verlust von Werten und dem Gefühl für Sinn und Zweck, wie es beispielsweise an der Flut von Versicherungs-Mordfällen ersichtlich ist. Dies hat mit Sicherheit einen dunklen Schatten auf die Herzen unserer Kinder geworfen. In einer Gesellschaft, in der Rollenmodelle fehlen, die die nächste Generation inspirieren könnten, kann die Erziehung natürlich nicht richtig funktionieren.

Ohne Zweifel gibt es eine große Zahl Einzelner, die von der Sensationsmache der Medien unberührt bleiben und im Glauben, dass es wesentlich ist, ‘in der Praxis zu zeigen, wie man ein besseres Leben lebt’ - um mit den Worten Herrn Yamadas zu sprechen - weiterhin aufrichtig daran arbeiten. Selbst diese Menschen finden es jedoch schwierig, ihre Prinzipien aufrecht zu erhalten. Die Tatsache, dass die Menschen mehr und mehr ein überidealisiertes Bild der “guten alten Zeit der Meiji-Ära”^3^ preisen, spiegelt vielleicht wieder, dass die Menschen ein spirituelles Manko in der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft fühlen.

Überprüfung des Grundgesetzes der Erziehung

Ich glaube, diese Probleme gehören ebenfalls zu den Hintergründen der Rufe nach einer Überprüfung und möglichen Neufassung des Grundgesetzes der Erziehung, der Hauptstütze des Erziehungs-systems der Nachkriegszeit, als Teil einer ganzen Reihe von Plänen zur Erziehungsreform.

Der Julibericht des Nationalen Rats zur Erziehungsreform (National Council on Educational Reform, NCER) - persönlicher Ratgeber des Premierministers - zeigte die mehrheitliche Ansicht, dass eine Neufassung des Grundgesetzes der Erziehung nötig sei und dass es “in der Präambel und in Bestimmungen im Artikel 1 eine Überbetonung der individuellen und universellen Humanität und einen Mangel an Respekt gegenüber der Nation, der Gemeinschaft, der Tradition, Kultur, Heimat und der Umwelt gibt.”

Tatsächlich ist es schwierig, etwas an den Prinzipien, wie sie in der Präambel und in Artikel 1 stehen, auszusetzen zu finden. Artikel 1 des Grundgesetzes der Erziehung legt die Gegenstände der Erziehung wie folgt fest:

“Erziehung soll auf die volle Entwicklung der Persönlichkeit abzielen, nach der Erziehung von Menschen streben, die - gesund an Körper und Geist - Wahrheit und Gerechtigkeit lieben, den Wert des Individuums schätzen, Arbeit respektieren, ein tiefes Gefühl für Verantwortung haben und erfüllt sind von einem unabhängigen Geist als Erbauer einer friedvollen Nation und Gesellschaft.”^4^

Das ist eine absolut akzeptable Aussage über das universelle Prinzip der “vollständigen Entwicklung der Persönlichkeit” auf Grundlage des Respekts vor der Würde des Individuums, und ist den Menschen aller Zeiten und Kulturen angemessen.

Um dieses universelle Prinzip anzuwenden, muss seine Relevanz im sozialen und ethischen Zusammenhang geprüft werden. Mein Gefühl ist, dass diejenigen, die dieses Gesetz verfasst haben, in dieser Hinsicht nicht genau genug waren. Die Menschen vertiefen sich nicht in die Frage, was “Individuum” in diesem Zusammenhang wirklich bedeutet. Tatsächlich kann ein Individuum nur in der Interaktion mit Anderen als Individuum vollständig erkannt werden, und dafür ist es notwendig, den Egoismus zu kontrollieren. Vielleicht ist dies so offensichtlich, dass die Verfasser dieses Gesetzes dem deshalb nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet haben. Sie versäumten, sich den Gefahren des Herabsinkens von Individuen in selbstsüchtigen Egotismus angemessen bewusst zu sein.

Folglich muss jede Überprüfung oder Überarbeitung des Gesetzes, die vom NCER vorgeschlagen wird, auf einem klaren Verständnis der Art und Weise basieren, in der universelle Prinzipien innerhalb kultureller Besonderheiten ihren Ausdruck finden. Ich glaube, dass es diese Besorgnis war, die den Kultusminister Tatsuo Morito, der bei dem Verfassen des Grundgesetzes der Erziehung eine wesentliche Rolle gespielt und später Zweifel an seiner Wirksamkeit geäussert hat, angetrieben hat.

Obwohl es in dem Bericht des Rats nicht erwähnt war, gibt es eine reaktionäre Stimmung im Land, die nach einer Rückkehr zu dem Geist des nachfolgenden Abschnitts des Kaiserlichen Edikts zur Erziehung verlangt, um diese Mängel zu korrigieren.

“Ihr, Unsere Untertanen, seid gehorsam Euren Eltern, liebevoll zu Euren Brüdern und Schwestern; als Mann und Frau seid harmonisch, als Freunde wahrhaftig; übt Euch in Bescheidenheit und Mäßigung; schliesst alle in Eure Güte mit ein.”^5^

Den Text mit Verweisen auf Kultur, Tradition und Heimat gleichsam zu füllen, wird nicht viel Wirkung haben, glaube ich. Ohne Frage wäre eine Wiedereinsetzung der Tugenden, wie sie in dem Kaiserlichen Edikt zur Erziehung gerühmt werden, absolut anachronistisch, wenn man die Rolle des Edikts betrachtet, die es in den kaiserlichen und patriarachalischen Systemen Japans vor dem Krieg hatte.^6^

Das Grundgesetz der Erziehung ist die Hauptstütze des Erziehungssystems der Nachkriegszeit in Japan gewesen und aus diesem Grund glaube ich, dass jegliche Überarbeitung nur nach sorgfältiger Überlegung und Überprüfung unternommen werden sollte; übereilte Überarbeitung ist zu vermeiden.

Ein Wechsel in der allgemeinen Grundauffassung

Das moderne japanische Erziehungssystem hat einen kritischen Zeitpunkt erreicht. Wir sind Zeugen der Konsequenzen, die die Unterordnung der Erziehung unter die verschiedenen bürokratischen und politischen Tagesordnungen unter Aufsicht des Kultusministers hat.

Der Fortschritt des modernen Japans, sei es die Vorkriegspolitik des Aufbaus nationalen Wohlstands und militärischer Stärke oder der Schwerpunkt in der Nachkriegszeit, eine wirtschaftliche Supermacht zu werden, ist angetrieben von dem bedingungslosen nationalen Gebot, die fortgeschrittenen Ländern des Westens einzuholen und sie zu überflügeln. Zur gleichen Zeit - schon seit der Meiji-Ära - wird Erziehung zwangsweise als Mittel benutzt, um diese Ziele zu erreichen. Beide Ansätze haben nun offensichtlich in eine Sackgasse geführt, da Japan gezwungen ist, einen enormen Richtungswechsel von der Industrialisierung zur Anpassung an das Informations-Zeitalter zu unternehmen.

Wenn ich an die Erziehung im 21. Jahrhundert denke, möchte ich daher behaupten, dass ein Wechsel in der allgemeinen Grundauffassung von “Erziehung dient dem Wohle der Gesellschaft” zu “die Gesellschaft dient den grundlegenden Bedürfnissen der Erziehung” das ist, was am dringendsten benötigt wird.

Bei der Formulierung der konzeptionellen Grundauffassung von “einer Gesellschaft, die den grundlegenden Bedürfnissen der Erziehung dient” war ich von Professor Robert Thurman von der Columbia Universität inspiriert. Jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit hatte, ihn zu treffen, war ich von der Tiefe seiner Vision beeindruckt. In einem Interview mit dem Boston Research Center (BRC)^7^ wurde er gefragt, wie er die Rolle der Erziehung in der Gesellschaft sähe. Er entgegnete: “Ich denke, die Frage sollte viel eher sein, was die Rolle der Gesellschaft in der Erziehung ist. Denn meiner Ansicht nach ist die Erziehung der Zweck des menschlichen Lebens.”

Dies ist in der Tat eine scharfsinnige Einsicht. Professor Thurman sagt, dass diese Ansicht größtenteils durch Einflüsse der Lehren Shakyamunis begründet ist, den er als einen der wichtigsten Lehrern der Menschheit betrachtet. Das passt zu Kants ethischer Philosophie, die fordert, dass wir die Autonomie der Anderen respektieren und dass Menschen niemals als Mittel zum Zweck benutzt werden dürfen.

Lernen ist der wahre Zweck des menschlichen Lebens, der Hauptfaktor in der Entwicklung der Persönlichkeit, das was Menschen wirklich menschlich macht. Nichtsdestotrotz ist die Entwicklung der Persönlichkeit ständig auf eine untergeordnete Position reduziert und als Mittel zu anderen Zwecken betrachtet worden. Diese Ansicht war während der modernen Geschichte weltweit vorherrschend, besonders im 20. Jahrhundert.

Das Erziehungssystem ist daher auf einen bloßen Mechanismus reduziert worden, der nationalen Zielen dient, seien sie politischer, militärischer, wirtschaftlicher oder ideologischer Art. Eine bestimmte Art von Persönlichkeit - nicht die vollständige Entwicklung der Persönlichkeit - wurde angestrebt, wie wenn man Menschen in einer Einheitsform formt. Erziehung als Mittel anstatt als Ziel zu behandeln verstärkt eine zweckorientierte Betrachtungsweise des menschlichen Lebens selbst.

Es ist eine schreckliche Tragödie, dass das 20. Jahrhundert unaufhörlich Kriege und Gewalt erleiden musste und zu einer beispiellosen Ära der Massenmorde wurde. Unnötig zu sagen: Dies zeigt einen Anstieg des Tötungspotentials, das negative Erbe des technischen Fortschritts. Darüberhinaus denke ich, dass dies zu einem großen Teil auch an der Verkehrung von Werten in der modernen Zivilisation liegt, die dadurch versursacht wurde, dass der Mensch nicht mehr als Grundlage der Werte betrachtet und der Erziehung (die eine fundamentale und vorrangige menschliche Aktivität sein sollte) stattdessen untergeordnete Aufgaben zugeschrieben wurden.

In dieser Hinsicht bin ich etwas besorgt, was die Haltungen gegenüber der IT-Revolution betrifft. Wie in der Okinawa Charta zur Weltweiten Informationsgesellschaft beim diesjährigen Okinawa-Kyushu Gipfel beschrieben wurde: “Die Informations- und Kommunikationstechnologie (IT) ist eine der mächtigsten Kräfte, die das einundzwanzigste Jahrhundert formen wird.”^8^ Es kann keinen Zweifel geben, dass die IT-Revolution einer der Mega-Trends im kommenden Jahrhundert werden wird, und natürlich ist es wichtig, nicht zurück zu bleiben.

Universitätsprofessoren und andere Offizielle haben oft bemerkt, dass die Verschlechterung der akademischen Leistungen unter den japanischen Schülern - besonders in Mathematik und den Naturwissenschaften - Japans Wirtschaft und technologisches Potential negativ beeinflussen und Japan infolgedessen im weltweiten Wettbewerb in der IT-Revolution zurückwerfen könnte, wenn sie nicht aufgehalten wird. Es ist nur richtig, in dieser Hinsicht besorgt zu sein.

Während die Globalisierung natürlicherweise positive wie negative Aspekte beinhaltet, wird der Trend zur Internationalisierung im 21. Jahrhundert nicht aufzuhalten sein. Kein Land kann davon unberührt bleiben.

Mein persönliches Unbehagen betrifft jedoch die Wahrscheinlichkeit des Wiederholens der Beispiele der Vergangenheit, das heisst, die Rückkehr zu der Idee der “Erziehung zum Wohle der Gesellschaft”, um das Problem anzugehen, wie das akademische Niveau unserer Schüler verbessert werden kann.

Soweit wie die IT-Revolution natürlicherweise das Potential hat, einen Wechsel der allgemeinen Grundauffassung in der gegenwärtigen Gesellschaft zu verursachen, enthält ihr Einfluss positives und negatives Potential. Meine Beobachtung des aktuellen Stands der Dinge ist jedoch, dass nur die optimistischen und positiven Aspekte betrachtet worden sind.

In den Vereinigten Staaten, die die IT-Revolution - besonders auf dem Finanzsektor - zuerst vorausgesehen haben, und manchmal so erscheinen, als ob sie für sich selbst eine Monopolposition herausgearbeitet hätten, in der Materialismus und “Kasino-Kapitalismus” gedeihen, wirft die Dunkelheit der IT-Revolution zweifellos immer größer werdende Schatten. Wenn alles, was die neue Erfindung der IT der menschlichen Gesellschaft bringt, eine Tendenz zum Materialismus ist, was ist dann der Nutzen dieser Revolution?

Eine Gesellschaft, die “Glück” mit “Vergnügen” verwechselt

Angesichts dieser Tendenz müssen wir zu den Kernpunkten menschlicher Werte zurückkehren. Ich glaube, dass wir das wesentliche Konzept der “Entwicklung der Persönlichkeit” neu definieren müssen.

Die Menschen sind dazu übergegangen, diese Phrase - die als der Zweck der Erziehung im Grundgesetz der Erziehung beschrieben wird - als etwas selbstverständliches zu betrachten. Aber es ist ein universelles Ziel, das wir zu verwirklichen und durchzuführen anstreben müssen. Es ist ein fundamentales Konzept und kann nicht oft genug als Schlüssel zur Erziehungsreform betont werden.

Zu diesem Zweck lassen Sie uns mit dem Ersetzen der Phrase “Entwicklung der Persönlichkeit” durch das Wort “Glück” experimentieren. Der erste Präsident der Soka Gakkai Tsunesaburo Makiguchi, der ein herausragender Erzieher war, wurde nie müde zu betonen, dass der Zweck der Erziehung das Sicherstellen des Glücks der Kinder ist.

Die Pädagogik von Makiguchi gewinnt heute mehr und mehr internationale Anerkennung. Ursprünglich wurde sie aber unter dem Militärregime der Vorkriegszeit in Japan entwickelt, das jegliche Erziehungsinstitution dazu eingesetzt hat, gehorsame kaiserliche Untertanen zu formen. Gegen dieses Vorgehen hat Makiguchi protestiert, er bestand darauf, dass das wirkliche Ziel der Erziehung das lebenslange Wohlergehen der Kinder sein sollte, und kritisierte das Kaiserliche Edikt zur Erziehung, weil es nicht viel mehr als eine “minimale Zusammenstellung moralischer Werte” vorsehe.

Mit anderen Worten: Er war ein vorausblickender Mensch, der während einer Zeit fanatischen Militarismus´ an seiner Überzeugung festhielt, dass die Gesellschaft den tatsächlichen Bedürfnissen humanistischer Erziehung dienen müsse und dass die Erziehung niemals den nationalistischen Zielen geopfert werde dürfe.

Glück darf jedoch nicht mit bloßem Vergnügen verwechselt werden. Vorübergehendes Vergnügen fälschlich für ein Leben echter Befriedigung und Glück zu halten, veranschaulicht das Verdrehen von Werten, das meiner Ansicht nach seine Wurzeln in den Verzerrungen der japanischen Nachkriegs-gesellschaft hat. Diese falsche Haltung resultiert darin, dass die Freiheit der Schwäche und dem Egoismus weicht, der Frieden der Feigheit und der Trägheit weicht, die Menschenrechte der Selbstgefälligkeit weicht und die Demokratie der Pöbelherrschaft weicht.

Folgerichtig hört die Entwicklung der Persönlichkeit auf und wir bleiben mit unreifen und arroganten Individuen zurück, die nicht in der Lage sind, ihren kindischen Mustern zu entwachsen und Anderen nicht zuhören können. So beschrieb es José Ortega y Gasset.^9^

Die Erfahrung eines wirklich menschlichen Lebens - echtes Glück - kann nur in den Bindungen und Interaktionen zwischen Menschen verwirklicht werden. Hierin steckt die Essenz der buddhistischen Betrachtungsweise des menschlichen Lebens und des Glücks. Feindschaft, Widerspruch und Streit scheinen unvermeidbare Aspekte der Beziehungen zwischen Menschen untereinander und zwischen uns und der Natur und dem Universum zu sein. Aber durch den Prozess des Ausdauerns trotz dieser Konflikte und des Veränderns derselben sowie durch den Prozess des Wiederherstellens und Erneuerns der Bindungen zwischen uns, sind wir in der Lage, unsere Individualität und Charakter zu polieren.

Wenn diese Bindungen getrennt werden, kann der menschliche Geist nur noch ziellos in der pechschwarzen Dunkelheit der Einsamkeit umherirren. In der Psychologie könnte man dies als “Kommunikationsstörung” bezeichnen, ein Krankheitsbefund der modernen Gesellschaft aufgrund einer Schwächung der Bindungen unter den Menschen.

Antisoziales Verhalten und die ansteigende Bösartigkeit der Jugendkriminalität sind akute Mani-festationen dieser sozialen Krankheit. In Japan gibt es eine laufende Debatte über eine Verbesserung des Jugendgesetzes, aber das Ändern des Jugendgesetzes wird nicht aus sich selbst heraus zu einer Lösung des Problems führen. Es ist die Verantwortung der Erwachsenen, die Fähigkeit zu kommunizieren wiederherzustellen, indem sie den Stimmen der isolierten Kinder zuhören, die aus der Dunkelheit um Hilfe rufen.

Es gibt eine berühmte Geschichte über Sokrates, in der sein Einfluss auf die Jugend wie mit einem elektrisierenden Strahl vergleichbar beschrieben wird, der denjenigen anstachelt, der ihn berührt. Er sagte, er könne Andere elektrisieren, weil er selbst elektrisiert sei. Gleichermaßen muss ein Lehrer ständig kreativ sein, wenn er Kreativität in seinen Schülern wecken will. Dies ist eine wesentliche Eigenschaft eines Erziehers.

Das Wichtigste ist die Einstellung der Lehrer selbst. Menschliche Interaktion ist der Schlüssel.

Das Wiederherstellen menschlicher Bindungen

Kreative Koexistenz ist ganz klar eines der Schlüsselkonzepte für das

  1. Jahrhundert. Darauf habe ich mich ebenfalls schon vor einigen Jahren in einem Vorschlag mit dem Titel “Renaissance der Hoffnung und Humanität” bezogen.^10^

Kommunikation zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung ist ebenfalls lebenswichtig. Auch in dieser Hinsicht war Makiguchi ein Mann mit scharfer Voraussicht. Zu Beginn seines Buches “Die Geographie des menschlichen Lebens”^11^ betont Makiguchi die Bedeutung des Einflusses auf die natürliche Umgebung im Hinblick auf die Entwicklung der Persönlichkeit, indem er ein Werk des einflussreichen Erziehers und Reformisten Yoshida Shoin (1830 - 1859) zitiert. “Menschen entwickeln sich nicht in der Isolation von ihrer Umgebung, menschliche Beziehungen sind nur Spiegelungen der Menschen. Um menschliche Beziehungen zu verstehen, muss man daher zuerst den lokalen Kontext verstehen, in dem die Menschen sich entwickelt haben.” Makiguchi stellte weiter fest, dass man Qualitäten wie Mitleid, guten Willen, Freundschaft, Freundlichkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit sowie das Kultivieren eines edelmutigen Herzens nur innerhalb der lokalen Gemeinschaft fördern kann.

“Die Geographie des menschlichen Lebens” wurde 1903 veröffentlicht, mehr als ein halbes Jahrhundert bevor Umweltproblematiken wie die Knappheit von natürlichen Ressourcen und Energie sowie Luft- und Wasserverschmutzung die Menschheit dazu zwangen, unsere Beziehung mit der Natur zu überdenken. Selbst damals nahm Makiguchi sehr deutlich wahr, dass ein Zusammenbruch der Kommunikation mit der Natur nicht nur den Menschen physischen Schaden zufügt, sondern zudem zu der Zerstörung von Werten wie Mitgefühl führt, die wesentlich für die Entwicklung der Persönlichkeit sind.

Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert, in dem die Menschen weltweit wie raubgierige Invasoren die Umwelt brutal zerstört haben. Daher ist es für die Erziehung unserer Kinder und jungen Menschen, die die Verantwortung für das 21. Jahrhundert tragen sollen, absolut unverzichtbar, dass die Kommunikation und der Kontakt mit der Natur aufrecht erhalten werden. So wie bei der Kommunikation unter den Menschen, müssen wir unsere Möglichkeiten vergrößern, unmittelbar mit der Natur zu interagieren, anstatt mit der Welt der virtuellen Realität. Was kann die virtuelle Realität anbieten, das mit dem wirklichen Empfinden der Kommunikation mit der Natur - dem Atmen derselben Luft und dem Baden in demselben Sonnenlicht wie die Erde, die Bäume, das Gras und die Tiere - und der dynamischen Weite des Lebens vergleichbar wäre?

Ich erinnere mich an einen bewegenen Abschnitt eines Essays von Nobuyuki Takahashi, einer Authorität auf dem Gebiet der Waldforschung. “Die Schönheit eines Waldes am Abend, besonders bei Vollmond, erlaubt einen scharfen Kontrast zum Bereich zwischen dem Himmel und den Bergrücken, so als ob man einen hölzernen Blockdruck betrachtet. Es ist eine Welt von Schwarz und Weiss. Es ist ebenfalls eine Welt, die nur von denen genossen wird, die sie erfahren. Auf Photos oder Videos eingefangen, können Sie diese Welt vielleicht bis zu einem gewissen Grad wahrnehmen, aber Sie können sie niemals in der gleichen Weise empfinden. Denn wenn Sie dort sind, werden Sie nicht nur durch das was Ihre Augen sehen berührt: Ihre Haut fühlt die Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Sie riechen den abendlichen Wald; flüchtig wahrgenommene Geräusche, die Definitionen trotzen, huschen an Ihren Ohren vorbei. Gehen Sie hinaus in einen nächtlichen Wald, heben Sie ein Blatt auf und untersuchen es von vorne bis hinten. Wieviel Schönheit können Sie dort entdecken!”^12^

Wenn wir eine Gesellschaft aufbauen sollen, die den grundlegenden Bedürfnissen der Erziehung im 21. Jahrhundert dient, dürfen wir nicht getrennt oder isoliert werden. Viel eher müssen wir die menschlichen Bindungen vertiefen, die die Unterschiede der Rassen und Nationalitäten überwinden. Zudem müssen wir uns in freier und vollständiger Kommunikation mit der Natur befinden. Höchste Priorität müssen wir dem Kultivieren der Stärke des Charakters und der Werte in den jungen Menschen geben, was es ihnen ermöglichen wird, die Führung bei der Errichtung einer Welt kreativer Koexistenz zu übernehmen.

Die Unabhängigkeit der Erziehung

Als nächstes möchte ich einige konkrete Vorschläge im Hinblick auf die Reform des Erziehungs-systems machen.

In Anbetracht der Krise in der Erziehung wurde im März 2000 der Nationale Rat zur Erziehungs-reform (NCER) als Ratgeber des japanischen Premierministers gegründet, um die Richtung der Erziehungsreform gemeinsam mit verschiedenen Organen des Kultusministeriums zu diskutieren.

Wenn es auch natürlich ist, dass Erziehung als eine Frage von äußerster nationaler Bedeutung erkannt wird, so darf eine Reform nicht stückchenweise durchgeführt werden, indem man nach Heilmitteln für bestimmte Probleme sucht, sie sollte mit einer langfristigen Perspektive erfolgen. Da die Erziehung untrennbar mit der Gesellschaft verknüpft ist, mag der Prozess des Eingehens auf die Veränderungen der Zeit natürlich eine Form von Versuch und Irrtum beinhalten. Die Ausrichtung einer Reform wird jedoch oftmals von den politischen Gegebenheiten der Zeit stark beeinflusst, oder besteht aus kurzsichtigen Gegenmaßnahmen, die einfach nur Reaktionen auf Veränderungen der unmittelbaren Umgebung sind.

Dies war ebenfalls ein Problem im Japan der Vorkriegszeit. In “Das System der werteschaffenden Gesellschaft”^13^, das vor siebzig Jahren veröffentlicht wurde, weist Makiguchi auf das folgende hin: “Wie es die Schwierigkeit bei jeder alten, lang-bestehenden Struktur ist, ist unser völlig inkonse-quentes Erziehungssystem mit einer endlosen Folge von Notbehelfsmaßnahmen zusammengeflickt worden. Unsere Schulen sind nicht in der Lage, auf die Notwendigkeiten der neuen Ära zu reagieren und lenken daher die weitere Entwicklung der jungen Menschen, die diese Schulen besuchen, in die falsche Richtung. Dies ist eine wirklich quälende Situation.”

Die kurzsichtige und oberflächliche Natur der damaligen japanischen Versuche einer Erziehungsreform in Frage stellend, schlug er vor, dass zwei neue Institutionen gegründet werden sollten, um eine erzieherische Vision für eine neue Ära zu entwickeln: Ein “Erziehungs-hauptquartier”, das als eine ständige unabhängige und zentrale Erziehungsinstitution dient und ein “Nationales Forschungsinstitut der Erziehung”, das ihm assistiert. Das letztere ist in der Tat bald nach dem Krieg gegründet worden, aber eine zentrale Institution, wie sie ihm vorgeschwebt hatte, ist bislang noch nicht realisiert worden.

Das NCER könnte diese Funktion potentiell erfüllen, aber da dies eine ad-hoc Institution ist, bestünde die Gefahr, dass dieses wichtige Thema auf eine notbehelfsmäßige Art behandelt werden könnte. Deshalb möchte ich die Einrichtung einer dauerhaften zentralen Kommission für die Erziehung vorschlagen, die sich dem langfristigen Neuaufbau des gesamten Rahmenwerks des Erziehungssystems widmet. Sie sollte als eine unabhängige Institution gegründet werden, das von jeglichem politischem Einfluss unberührt bleibt. Die Unabhängigkeit sicherzustellen ist unverzichtbar, um einen Verlust der Kontinuität in der Erziehungspolitik im Falle von Veränderungen in der Regierung zu verhindern, und um willkürliche Reformen, die durch politische Einflussnahmen verursacht werden, ebenfalls zu vermeiden.

In der Vergangenheit habe ich gefordert, dass das Prinzip der Gewaltenteilung dahingehend erweitert wird, dass der Erziehung eine eigene Stellung und Unabhängigkeit verliehen wird, die der Exekutive, Legislative und Judikative einer Regierung gleichberechtigt ist. Weil die Erziehung ein tiefgründiges Unterfangen ist, das die Individuen der zukünftigen Generationen formt, sollte sie absolut unab-hängig von politischer Einflussnahme sein. Dies war auch die Haltung Makiguchis und seines engen Verbündeten und Nachfolgers Josei Toda, die beide während der 1920er und 1930er Jahre selbstlos gegen die nationalistische Erziehung gekämpft haben, die Japan auf den Weg des Krieges gebracht hat.

Eine solche zentrale Kommission sollte dann die Führung übernehmen und feste Prinzipien und langfristige Richtungen für die Erziehungsreform festschreiben, während sie mit Organisationen wie dem Nationalen Forschungsinstitut der Erziehung in Japan kommuniziert.

Zusätzlich zu dieser lebenswichtigen Aufgabe würde diese dauerhafte zentrale Kommission einen erweiterten Fokus haben, der Japan in die Lage versetzen könnte, einen neuen Weg zu internationalen Beiträgen zu öffnen. Internationaler Austausch und Kooperation im Bereich der Erziehung über nationale Interessen hinweg, sind es, was als Grundlage für den Weltfrieden dient. Aus diesem Grund werbe ich für eine Vision, die ich vor über 20 Jahren hatte, etwas, das wir “Vereinte Nationen der Erziehung”^14^ nennen könnten und das daran arbeitet, auf der ganzen Welt die Erziehung unabhängig von politischer Einflussnahme werden zu lassen.

Wenn Japan die Rolle übernehmen würde, die Unabhängigkeit der Erziehung auf der ganzen Welt zu fördern, indem es eine derartige dauerhafte Kommission für Erziehung einrichtet, so würde dies zweifellos dabei helfen, Japan eine neue Identität zu erschaffen als ein Land, das sich der Erziehung widmet.

Im April 2000 unterstützte Japan den ersten G8 Erziehungs-Gipfel, an dem Kultusminister teil-nahmen. Ich möchte vorschlagen, dass Japan in der Zukuft das regelmäßige Abhalten internationaler Erziehungs-Gipfel, die eine große Bandbreite des Austauschs - nicht nur auf Regierungsebene, sondern ebenso zwischen Einzelpersonen, die im Erziehungswesen tatsächlich tätig sind - fördern, aktiv unterstützt. Wie der G8 Erziehungs-Gipfel bestätigt hat, sind Erziehungsfragen nicht auf einzelne Länder beschränkt. Daher sollte Japan eine zentrale Rolle dabei übernehmen, andere Länder zu einer internationalen Zusammenarbeit zu führen, um einen neuen Horizont für die Erziehung im 21. Jahrhundert zu öffnen.

Ausgewogene Reform

Als nächstes möchte ich einige Punkte erwähnen, die zu der Erziehungsreform in den Schulen gehören, in der letzten Zeit ein zentrales Thema in Japan.

Das Herzstück dieser Reform war die “strukturelle Deregulierung”. Die Absicht ist, dass eine Liberalisierung in dem Bereich der Erziehung dadurch gefördert wird, dass die Prüfungen zwischen der Unter- und Mittelstufe im öffentlichen Schulsystem abgeschafft und zudem eine größere Auswahl an Schulen eingeführt werden. Die Reform beinhaltet ebenfalls eine Reduzierung der Unterrichts-stunden mit dem Ziel einer größeren Freiheit für die Entwicklung der Kinder durch die Einführung einer fünf-Tage-Schulwoche. Diese Maßnahmen resultieren vermutlich aus der Erkenntnis der Bedeutung der Förderung von Wettbewerb unter den Schulen und sind zugleich eine Reaktion auf reines Pauken.

Wenn diese Reformen in Kraft gesetzt werden, ohne dass sie vollständig durchdacht und die Mittel bereitgestellt werden, die ihr Funktionieren sichern, könnte es - im japanischen Kontext - darauf hinauslaufen, dass wir zuviel von der Eigenmotivation der Kinder verlangen. Makiguchi beschrieb den Einfluss, den die unkritische Befürwortung der “Freiheit” auf den Prozess der Erziehung haben kann: “Bloße Freiheit, die nicht von einem kreativen und konstruktiven Element begleitet wird, führt zu orientierungsloser Genusssucht. Wenn man über den Einfluss auf den erzieherischen Aufbau bei unschuldigen Schülern nachdenkt, ist es unmöglich, dies mit Gleichgültigkeit zu betrachten.”

Diese Warnung aus der Vergangenheit sollte heute nicht unbeachtet bleiben. Unsere Gemeinden, Schulen und Familien brauchen gründliche, besonnene Vorbereitung. Wie Makiguchi betont: Methodischen Reformen müssen unzweideutige Definitionen des Sinn und Zwecks der Erziehung im Hinblick auf das Glück der Schüler vorausgehen. Institutionelle Veränderungen, die nicht von klar definierten Zielen und Prinzipien geführt werden, könnten schnell nach Hinten losgehen, wie es in der Vergangenheit bereits der Fall war.

Makiguchi schlug ein Halbtags-Schulsystem vor. Und obwohl dies die Menge der Zeit reduzieren würde, die in der Schule verbracht würde, war seine Motivation dabei nicht bloße Opposition zu der Überbewertung des Paukens, wie sie heute betrieben wird. Seine Absicht war es, ein geistig und körperlich ausgewogenes Wachstum zu erreichen, bei dem die Kinder gleichzeitig die Bereicherung erfahren, die dem Lernen in der Schule entspringt, und die, die der praktischen Erfahrung in der Gesellschaft entspringt.

Makiguchi betonte: “Das Elend der gegenwärtigen Erziehung ist nicht so sehr, dass es eine Überbewertung des Faktenwissens gibt, sondern dass die Herangehensweise der Erzieher auf das Konzept der geistigen Erziehung nicht angemessen ist.” Er forderte eine umfassende Veränderung der japanischen Haltungen gegenüber der Erziehung, einen Wechsel von der Betonung des alleinigen Faktenwissens hin zu der Entwicklung von Intellekt und Weisheit. Er glaubte, dass dies die Herausforderung ist, denen sich die Schulen stellen sollten.

Anstatt sich darauf zu konzentrieren, das existierende Schulsystem zu kritisieren und seine Funktionen zu beschneiden, indem seine absoluten Grundlagen angegriffen werden, sollten wir - wie ich glaube - einen Reformprozess anstreben, der von dem Standpunkt des Wiederaufbaus der grundlegenden Aufgaben unserer Schulen als Forum für die Vermittlung geistiger Erziehung im wahrsten Sinne des Wortes ausgeht.

Kreativität und Experimentieren

Wenn wir die Erziehung in der Schule wirklich verändern wollen, muss die Befähigung von Lehrern ein Bestandteil sein. Ich möchte ein Übergehen auf einen dezentralisierteren Ansatz vorschlagen, der jeder Schule freiere Hand lässt und den Direktoren durch Demokratisierung und Transparenz bei den Ernennungsverfahren mehr Autorität gibt, und das zudem die Kreativität und das Einfallsreichtum der Lehrer fördert. Weil Reformen in der Vergangenheit einheitlich auferlegt wurden, glaube ich, dass es für die Lehrer schwierig war, neue Ideen zu formulieren. Diverse Beschränkungen haben sie dahin geführt, einfach nur ihren Job adäquat zu erledigen und sonst nichts. Die schulische Erziehung sollte dem Wohle der Kinder dienen und nicht unter der monopolistischen Kontrolle der Regierung stehen. In Japan befasst sich die Regierung sehr intensiv mit Dingen wie der Durchsicht der Schulbücher und Auflagen für das Curriculum, was bedeutet, dass wir weder das Fördern der Autonomie der Schulen und Lehrer, noch die Individualität und Kreativität der Kinder bislang kultiviert haben

Einheitliche Standards sollten auf ein grundlegendes Rahmenwerk reduziert und die Unabhängigkeit der Schulen in praktischen Angelegenheiten sollte respektiert werden. Zugleich sollten sich die Lehrer gegenseitig ermutigen, die Qualität der Erziehung durch einen Prozess von Versuch und Irrtum zu verbessern.

In den letzten Diskussionen über die Reform gab es eine längere Debatte über die Qualität einzelner Lehrer sowie Vorschläge, dass die Lehrbefähigung in gewissen Abständen erneuert werden solle. Was allerdings wirklich nötig ist, ist jedoch ein Zusammenschluss des gesamten Schulwesen unter der Herausforderung der Verbesserung der Qualität ihrer Erziehung. Ein Beispiel dafür könnte sein, dass alle Lehrer ihren Unterricht regelmäßig für eine Beobachtung durch ihre Kollegen öffnen, oder auch die Förderung des Austausches unter den Lehrern anderer Fachrichtungen und benachbarter Schulen zum Zwecke der wissenschaftlichen Arbeit.

Das traditionelle japanische System erreicht seine Grenzen, wie es am Zusammenbruch der lebenslangen Anstellung und dem System der Beförderung nach Dienstalter in unseren Firmen erkenntlich ist. Positiver Wettbewerb ist nötig, wenn wir unsere Gesellschaft wiederbeleben sollen. Um die schulische Erziehung zu bereichern, brauchen die Lehrer gegenseitige Inspiration und Motivation, Ermutigung und Solidarität. Darüberhinaus werden regelmäßige offene Tage für die Familien der Kinder und Gemeindemitglieder sowie der Austausch von Ansichten unter Grundschullehrern und Lehrern der weiterführenden Schulen der gleichen Gemeinde nützlich sein, um die Kooperation zu vertiefen.

In diesem Zusmmenhang möchte ich vorschlagen, dass neue und andere Arten von Schulen offiziell anerkannt werden und “experimenteller Unterricht” gefördert wird - ein Wechsel zur Dezentrali-sierung für eine echte innere Transformation der schulischen Erziehung in Japan durch die Förderung der kreativen Energie der Erzieher.

Andere Länder erkennen eine Vielzahl von Schulen an, die mit verschiedensten Erziehungsansätzen arbeiten - “Steiner-Schulen”, die auf eine einzigartige Erziehungsphilosophie fußen, konzessionierte Schulen in den Vereinigten Staaten, und “freie Schulen”, die es den Kindern ermöglichen, ihre Fächer nach eigenem Interesse auszuwählen. Japan muss ebenfalls eine ähnliche Vielfalt von Schulen haben, eine Tatsache, die viele Menschen mittlerweile erkennen. Die NCER erwägt die Frage der Genehmigung von Gemeindeschulen, eine neue Art öffentlicher Schule, die von der Gemeinde eingerichtet und betrieben wird. Das ist sicherlich ein Weg, der es wert ist, in Betracht gezogen zu werden.

Um die Umsetzung kreativer Ideen in die Praxis zu ermöglichen, möchte ich vorschlagen, dass die Kriterien für die Genehmigungen neuer Schulformen gelockert werden. Wir müssen auch den experi-mentellen Unterricht innerhalb des bestehenden Systems fördern und Wege finden, Informationen über innovative Maßnahmen, die erfolgreich ausprobiert worden sind, zu verbreiten.

Angesichts der Probleme der Schikanierung, der Gewalt und des Wegbleibens vom Unterricht, hat die Erzieherabteilung der Soka Gakkai eine Sammlung von Aufzeichungen der praktischen Schritte zusammengetragen, die sie als Lehrer zur Lösung dieser Probleme unternommen haben. Dieses Projekt wurde als Reaktion auf den Vorschlag zur Erziehung durchgeführt, den ich vor 16 Jahren gemacht habe. Ich war ungeheuer dankbar, als ich kürzlich hörte, dass über 10.000 solcher Erfahrungen zusammengetragen wurden, Beweise der schmerzhaften Bemühungen von Lehrern über die Jahre. Dies sind kostbare Aufzeichnungen und Berichte über erzieherische Methoden, wie sie auf diesem Gebiet in die Praxis umgesetzt worden sind. Solche Aufzeichnungen stellen sehr gute Möglichkeiten dar, die Erfahrungen der Lehrer zu teilen.

Inmitten der wachsenden Sorge bezüglich der “Flucht vor dem Lernen” ist es nun die lebenswichtige Aufgabe der Erziehung, danach zu streben, die Arten von Schule zu erschaffen, wo die Kinder immer die Freuden des Lernens und Lebens finden können.

Das Kultusministerium hat dieses Jahr eine Verordnung verabschiedet, derzufolge eine Schule sich darum bewerben kann, eine “Forschungsentwicklungsschule” zu werden, mit der Freiheit, ihr eigenes Curriculum zu entwickeln. Das System steht sowohl den öffentlichen wie den privaten Schulen offen und die Regierung stellt finanzielle Unterstützung bereit. Ich begrüße dieses System, das in sich selbst die Kreativität und Imagination im Klassenzimmer fördert. Ich glaube auch, dass die Analyse der gesammelten Ergebnisse und das Teilen der Informationen dem Erziehungssystem als Ganzem zugute kommen wird.

Interaktion zwischen Theorie und konkreten Ergebnissen von Experimenten ist eine Voraussetzung. Ein gutes Beispiel dafür ist in der Arbeit des amerikanischen Philosophen John Dewey zu finden, der seine Erziehungstheorien durch seine Erfahrungen an der “Chicago Laboratory School”^15^ weiterentwickelt und vertieft hat. Auf die gleiche Weise waren Makiguchis “System der Werte-schaffenden Pädagogik” und Todas “Deduktiver Führer der Arithmetik” (Suirishiki Shido Sanjutsu) beides Arbeiten, die auf tatsächlicher Praxis im Klassenzimmer basierten.

Toda, Makiguchis loyalster Unterstützer und mein eigener Mentor, baute 1923 eine Grundschule (die Jishu Gakkan) auf, als einen Ort, um durch experimentelle Umsetzung die Theorie der Werteschaffenden Erziehung zu beweisen. Makiguchi betrachtete die Jishu Gakkan als Materialisation seiner eigenen Vision für Grundschulen und beschrieb sie als den großartigsten Beweis seiner Arbeit. Entschlossen, Todas Werk weiterzuführen, habe ich mittlerweile ein Schulsystem von Grundschule bis Universität und Postgraduierten-Studiengänge auf der Grundlage von Makiguchis Prinzipien der werteschaffenden Erziehung gegründet.

Ehrenamtliche Aktivitäten

Abgesehen von der Erschaffung eines kreativen Lernumfeldes ist es ebenso wichtig, durch tatsächliche Erfahrungen den Humanismus in unseren Kindern zu enwickeln. Eine wohlbekante Tendenz der heutigen Kinder ist egoistisches Verhalten und schwache menschliche Beziehungen, während das intensiv konkurrierende Prüfungssystem zum einzigen Fokus im Leben der Kinder wird. Zudem sind viele so sehr in die virtuelle Welt des Internet, dem Fernsehen und der Videospiele versunken, dass sie für die Stimulierungen der realen Welt abgestumpft sind.

Wie können wir Kinder dazu ermutigen, direkt mit der Gesellschaft und der Natur zu kommunizieren? Ein verbreiteter Gedanke: Erfahrungen in ehrenamtlichen Aktivitäten. Ich glaube, dass das gefördert werden sollte

In der letzten Zeit sind die Kinder immer gewalttätiger geworden und die Häufigkeit der Jugendkriminalität nimmt zu. Eine Einbindung in konstruktive, kreative Aktivitäten würde zu einem ausgewogenem körperlichen und geistigen Wachstum der Kinder führen. Nachdem sie sich in konstruktiven Aktivitäten und Projekten engagiert haben, würden die Kinder mit gesünderen Emotionen und friedlicherem Geist zurückkommen. Sie würden die Worte des Philosophen William James bestätigen, mit denen er die Notwendigkeit eines “moralischen Gegenstücks zum Krieg” beschrieb, um Disziplin und das Kanalisieren von Aggression zu entwickeln.

In diesem Zusammenhang erklärte Makiguchi, dass die überschüssige Energie der jungen Menschen, die oft auf antisoziale Ziele gerichtet ist, durch seine Vision eines Halbtags-Schulsystems in einer Weise genutzt werden kann, die für die Gesellschaft von Wert ist und so zum Glück des Einzelnen und - zur selben Zeit - zur Gesellschaft beitragen kann. Das Gefühl zu erfahren, dass die eigenen Handlungen für Andere von Wert sind, gibt jungen Menschen Vertrauen und wird zu einer soliden Grundlage für geistiges Wachstum.

Die UNO hat das Jahr 2001 zum “Internationalen Jahr des Ehrenamts” erklärt. Wir sollten diese Gelegenheit ergreifen und die Würdigung ehrenamtlicher Aktivitäten in der ganzen Gesellschaft - nicht nur in dem begrenzten Umfeld der Schule - vertiefen und den Weg in eine humanitäre Gesellschaft im 21. Jahrhundert ebnen.

Grundlegende Reform der Universitäten

Als nächstes möchte ich gerne das System der Aufnahmeprüfungen für Universitäten ansprechen, ein zentraler Punkt der Erziehungsreform in Japan. Da sich der ohnehin exzessive Druck auf Prüfungen intensiviert, besteht aktuell ein ernstes Problem in der Tendenz, aus den weiterführenden Schulen nichts weiter als Vorbereitungsinstitute für Universitäten zu machen. Nun, da die Größe der Familien abnimmt und der Druck auf den Zugang zu höherer Bildung niedriger wird, bietet sich der japanischen Gesellschaft eine günstige Gelegenheit, dieses System zu überprüfen und zu erneuern, so dass es ein System werden kann, dass sowohl für die Studenten als auch für die Universitäten nützlich ist.

Worüber zuerst nachgedacht werden muss, ist eine andere Gestaltung des Aufnahmeverfahrens. Ich denke, das gegenwärtige Aufnahmeverfahren der Universitäten sollte dadurch verbessert werden, dass das wählerische Aussieben durch eine Eignungsprüfung ersetzt wird. Die Methode der Zulassung zur Universität sollte nicht auf schriftliche Aufnahmeprüfungen beschränkt sein. Es sollten größere Möglichkeiten durch verschiedenartige Vorgänge eröffnet werden, wie zum Beispiel Zulassung aufgrund besonderer Talente oder Verdienste. All diese Bemühungen sollten den Lernwillen des Bewerbers respektieren und fördern.

Zudem sollte der Beginn des akademischen Jahres an den Universitäten von April auf September verlegt werden. Auswärtigen Studenten und den vom Studium im Ausland zurückkehrenden Studenten würde der Übergang erleichtert und die japanischen Abiturienten hätten zwischen Schulabschluss und Studienbeginn mehr Zeit und Möglichkeiten. Diese Zeitspanne könnte als Möglichkeit genutzt werden, Erfahrungen in der Gesellschaft zu erwerben, ausgiebig zu lesen und sorgfältig über das Leben nachzudenken.

In diesem Zusammenhang möchte ich das Wesen der universitären Erziehung ansprechen. Das wichtigste ist, dass wir unseren Erziehungsansatz hinsichtlich des Beinhaltens sowohl von Spezialisierungen als auch abgerundeter Allgemeinbildung überdenken sollten. In einer sich rapide verändernden Gesellschaft werden akademische Fächer leicht weiter unterteilt und hochspezialisiert, wodurch sich der Anteil der grundlegenden geisteswissenschaflichen Fächer in den Universitäts-curricula verringert. Dies begrenzt die Bandbreite der Ausbildung, die ein Student erhalten kann. Den Geisteswissenschaften an den japanischen Universitäten fehlt gegenwärtig ein klar umrissenes Ziel oder Grundsatz. Daher möchte ich eine Neueinschätzung unseres Ansatzes in diesem wesentlichen Bereich fordern. Zur gleichen Zeit müssen wir die Ausbildung in speziellen Bereichen erweitern und die Koordination mit den Kursen in der Oberstufe der Schulen gewährleisten.

\ Die Beiträge der Soka Universität

Es ist absolut wesentlich, dass wir die ideale Richtung einer humanistischen Erziehung definieren und einen neuen Trend der Erziehung für das 21. Jahrhundert erschaffen. Die Soka Universität von Amerika, Aliso Viejo, wird 2001 als eine geisteswissenschaftliche Universität eröffnen, deren Haupt-augenmerk auf einer abgerundeten Allgemeinbildung liegt, während sie die Studenten gleichzeitig darauf vorbereitet, spezialisiertere Studiengänge (einschliesslich Postgraduiertenstudiengänge) einzu-schlagen. Als ihr Gründer habe ich mich zu unerschrockenem Experimentieren und vollständiger Umsetzung der Gedanken der werteschaffenden Erziehung verpflichtet.

In allen Bereichen der Universitätserziehung, besonders aber in den Geisteswissenschaften, müssen wir die strengen Abgrenzungen zwischen den Fachbereichen aufheben und einen organischeren und fächerübergreifenden Ansatz einführen. Zu diesem Zweck sollten die Fakultätsmitglieder dazu gedrängt werden, ihre Unterrichtsmethoden drastisch zu reformieren. Ein Grund, warum viele Studenten den Unterricht unattraktiv finden, sind die überholten Inhalte des Unterrichts, die Jahr für Jahr wiederholt werden. Auf die Disfunktion des Erziehungssystems der Schulen habe ich bereits hingewiesen; die Probleme, denen sich die Universitäten in dieser Hinsicht gegenüber sehen, werden tendenziell eher vernachlässigt.

Der Zwischenbericht des Universitätsrats des Kultusministeriums betonte die Notwendigkeit, die Lehrfähigkeiten der Fakultätsmitglieder der Universitäten zu verbessern. Die Fakultätsmitglieder müssen unaufhörliche Bemühungen unternehmen, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern und Trägheit zu vermeiden, damit die Gesamtqualität der Universitätserziehung nicht geschädigt wird.

Die Soka Universität in Japan hat im Jahr 2000 ein “Zentrum für Vortrefflichkeit im Lehren und Lernen” gegründet. Das Zentrum wird die Fakultät bei verschiedenen Projekten unterstützen, um innovative Lehrmethoden zu entwickeln. Ebenso wird es den Studenten Lernhilfen anbieten, so dass sie die Fähigkeit gewinnen, Schwierigkeiten selbständig zu lösen.

An der Soka Universität von Amerika wird indes jeder Student und jedes Fakultätsmitglied an dem Kernprogramm teilnehmen, eine einmalige Folge von vier Kursen, die sich auf einige zentrale Fragen konzentrieren, denen sich unsere Welt im 21. Jahrhundert gegenübersieht:

Was ist ein individuelles menschliches Leben?

Was ist die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der physischen Umgebung, in der wir leben?

Was ist die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der menschlichen Umgebung, in der wir leben?

Globale Fragen des Friedens, der Kultur und der Erziehung.

Jedes Thema wird von einer Reihe von Perspektiven - historische, multikulturelle, analytische und experimentelle - aus betrachtet, um damit die Grundlage für dauerhaftes Lernen zu legen.

Ich glaube, dass auch in Japan eine geisteswissenschaftliche Erziehung das Herzstück der ersten Hälfte eines jeden Universitätsstudiengangs bilden sollte, da sie ein allgemeines Verständnis der menschlichen Natur vermittelt. Für die zweite Hälfte der Studiengänge brauchen wir eine flexiblere Universitätsverwaltung, mit der ein Zwei-Hauptfächer-System sowie ein System, das die Anerkenn-ung von Leistungsnachweisen und Wechsel zwischen den Universitäten erlaubt, eingeführt werden können. Letzteres würde es den Studenten ermöglichen, an Universitäten mit spezialisierten akademischen Bereichen zu wechseln.

Bei der Auswahl der Universität müssen die Studenten in Japan den Universitäten oder Fach-bereichen den Vorrang geben, in die sie leichter hineinkommen. Wenn diese Situation bestehen bleibt, werden niemals positive Ergebnisse hervorgebracht werden, weder für die Studenten, noch für die Universitäten. Um das zu vermeiden, sollten Universitäten dahingehend kooperieren, dass sie Studiengänge in den Bereichen anbieten, die die Studenten wirklich einschlagen möchten. Während ihrer Zeit an der Universität ist es durchaus möglich, dass die Studenten - mit weiter entwickelndem Interesse - in einen ganz anderen Studiengang wechseln möchten, was den Besuch einer anderen Universität mit sich bringen könnte. Das gegenwärtige System erlaubt jedoch keinen Transfer von Leistungsnachweisen und schreckt daher von einem solchen Vorgang ab.

Um diesem Problem zu begegnen, fangen Universitäten in einigen Teilen Japans damit an, Übereinkünfte zu treffen, die den Transfer von Leistungsnachweisen ermöglichen. Dies sind zuversichtliche Reformen, die von großer Bedeutung für die Studenten sind. Idealerweise sollten die Universitäten dem Einzelnen erlauben, das zu studieren, was er will, wann er es will und wo er es will. Um dies zu erreichen, müssen wir Mobilität erlauben und uns auf die akademische Disziplin und Spezialisierung konzentrieren, nicht auf die Universität. Das wird ein Teil der Entwicklung eines Systems des lebenslangen Lernens sein.

Die Förderung internationalen Austauschs

Eine weitere Aufgabe, der sich die Universitäten meiner Meinung nach widmen sollten, ist das Öffnen ihrer Türen für den internationalen Austausch. Ganz besonders Japan muss dringend die Internationalisierung in allen Institutionen der höheren Bildung fördern.

Die Soka Universität erhebt den Anspruch, eine neue Art von Universität zu sein, die auf den Prinzipien des Humanismus basiert. Aus diesem Grund hat sie seit ihrer Gründung den Austausch mit Universitäten in anderen Ländern der Welt aktiv gefördert. Sie hat bereits mit mehr als 70 Universitäten akademische Austauschvereinbarungen unterzeichnet. Durch solche Austausche haben viele Studenten die Möglichkeit erhalten, im Ausland zu studieren. Regelmäßige Austausche von Fakultätsmitgliedern sind ebenfalls gefördert worden. Wir streben die Globalisierung des pädagogischen Umfelds durch das Erweitern des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Kulturen an.

Die hohe Qualität des erzieherischen Standards an amerikanischen Universitäten im Vergleich zu dem an den japanischen Universitäten wird hier oft diskutiert. Ich bin davon überzeugt, dass die Quelle der Vitalität der amerikanischen Universitäten in dem geistigen Klima dieses Landes liegt, das Vielfalt und Freiheit respektiert und Erzieher und Studenten vieler verschiedener Nationalitäten willkommen heißt.

In Japan hat das Lehrpersonal dazu tendiert, hauptsächlich aus Karrieregründen im Ausland zu arbeiten, die Studenten betrachten ein Auslandsstudium oftmals nur aus der Perspektive der zukünftigen Karrierechancen. Aber von dem Standpunkt des kulturellen Austauschs und der Verbesserung der Qualität der Erziehung in Japan müssen wir dringend Wege finden, den Zustrom von Austauschstudenten, die nach Japan kommen, zu steigern. Stipendien werden ein wichtiges Mittel der Unterstützung von Studenten sein, die im Ausland studieren, sowie ein Anreiz für ausländische Studenten, in Japan zu studieren. Von dem Standpunkt des Aufbaus einer Identität Japans als ein Land, das der Erziehung höchste Priorität beimisst, wird das Erschaffen eines Vollstipendiensystems daher wesentlich sein.

In dem gleichen Zusammenhang möchte ich auf die Bedeutung der Spracherziehung - besonders Englisch - im frühen Alter hinweisen. Selbst wenn wir strukturelle Vorbereitungen für internationalen Austausch auf Universitätsebene treffen, solange wir die Sprachbarrieren nicht gründlich nieder-reissen, wird sich der Bereich der Austausche nicht erweitern und die diesbezüglichen Pläne bleiben ein schöner Traum. Mehr noch, Globalisierung bedeutet, dass sprachliche Fähigkeiten zu unverzicht-baren Fähigkeiten im Leben werden. Sprachkenntnisse können dabei helfen, die Welt zusammen zu bringen. Sprache ist ein Werkzeug, das es uns ermöglicht, unsere Möglichkeiten zu erweitern, über das Leben und die Unterschiede der Wertvorstellungen von Menschen überall auf der Welt zu lernen, sowie den Herz-zu-Herz Austausch zu fördern.

Es ist - als eine konkrete Maßnahme - wichtig, Englischunterricht in den Grundschulen aktiv zu fördern. Dies sollte jedoch nicht nur darauf abzielen, den späteren Englischunterricht in den weiterführenden Schulen zu verbessern. Das Hauptaugenmerk sollte darauf liegen, Konservations-fähigkeiten in einer angenehmen Umgebung zu lernen, die zudem das Verständnis der Kultur vertieft. (Natürlich sollten wir das Studium der japanischen Sprache, Geschichte und Kultur nicht vernachlässigen.)

Einem Jahrhundert entgegen, das vom Lächeln der Kinder erstrahlt

Als letztes möchte ich erneut die globale Herausforderung betonen, die uns erwartet: die Erschaffung einer menschlichen Gesellschaft, die den grundlegenden Bedürfnissen der Erziehung dient. Wenn “Erziehung” durch solche Aktivitäten definiert wird, die die Talente und den Charakter der Menschen formen, so ist sie in keinster Weise nur auf das Klassenzimmer beschränkt, sondern ist eine Aufgabe, die von der gesamten menschlichen Gesellschaft übernommen und realisiert werden muss. Wir müssen nun zu dem ursprünglichen Zweck der Erziehung - lebenslanges Glück der Kinder - zurückkehren und über den Zustand unserer jeweiligen Gesellschaften und unsere Lebensweisen nachdenken.

Was für eine Welt, die unsere Kinder erben werden, sollten wir errichten? An der Schwelle eines neuen Jahrhunderts haben wir die große Chance, uns diesen Fragen ernsthaft zu stellen - eine Chance, die wir ergreifen müssen.

Die UNO hat das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts (2001 - 2010) zum “Internationalen Jahrzehnt für eine Kultur des Friedens und Gewaltlosigkeit für die Kinder der Welt” ernannt. Ich begrüße diese Ernennung von ganzem Herzen, da dies ein Thema ist, über das ich über die Jahre hinweg unaufhörlich gesprochen habe. Die UNESCO wird eine zentrale Rolle in diesem Feldzug übernehmen, aber ihr Erfolg hängt von einer breitgefächerten öffentlichen Unterstützung und Kooperation ab.

Die Jugendabteilung der SGI-USA hat sich seit 1999 in der “Sieg über die Gewalt (Victory Over Violence - VOV)”-Kampagne engagiert, eine Bewegung, um Menschen zu Gewaltlosigkeit zu erziehen. In dieser Bewegung wird der Dialog gefördert, um den Geist der Gewaltlosigkeit zu verbreiten. Das größte Ziel ist es, die im Laufe des 20. Jahrhunderts - dem Jahrhundert des Krieges und der Gewalt - in dem Geist unserer Kinder tief verwurzelte Tendenz, die Heiligkeit des Lebens herunterzuspielen, zu verändern. Die VOV-Bewegung entwickelt sich in der US-Gesellschaft rasant und erhält von vielen Menschenrechtsorganisationen, Schulen und anderen Erziehungseinrichtungen Unterstützung. Vor allem ist sie zu einer ungeheuren Quelle von Hoffnung und Mut für junge Menschen geworden, die unter den Auswirkungen von Gewalt gelitten haben.

Wie die USA muss sich auch Japan um diese Tendenz der Geringschätzung des Lebens kümmern. Sensationsartiges Berichten über tragische Vorfälle, ein Fingerzeig auf die Dunkelheit in den Herzen der Kinder - damit wird das Problem niemals gelöst werden. Die Werte der Gesellschaft sind es, die umgekehrt worden sind. Als Erwachsene müssen wir nun aufstehen und handeln. Die Soka Gakkai hat beständig die Förderung der Friedenserziehung auf Grasswurzel-Ebene betont. In Überein-stimmung mit dem internationalen Jahrzehnt der UNO fordere ich die Jugendabteilung und die Erzieherabteilung der Soka Gakkai auf, zentrale und aktive Rollen bei der Förderung der Erkenntnis der Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit in der japanischen Gesellschaft zu übernehmen.

Ich glaube, dass wir durch ein solches Engagement danach streben können, eine werteschaffende Gesellschaft zu errichten und wahrhaft nicht-egoistische Leben zu führen, die auf gegenseitigem Respekt basieren.

Erziehung getrennt von der Gesellschaft kann keine Lebenskraft haben; genauso gibt es keine Zukunft für eine Gesellschaft, die der Tatsache nicht mehr ins Auge sieht, dass die Erziehung ihre wahre Aufgabe ist. Erziehung ist kein reines Recht oder Verpflichtung. Ich glaube, dass Erziehung im weitesten Sinn die Aufgabe jedes Einzelnen ist. Dieses Bewusstsein in der ganzen Gesellschaft zu erwecken, muss in all unseren Unternehmungen höchste Priorität haben.

Als letztes möchte ich mit dem Schwur schliessen, dass ich all meine Energie der Erschaffung eines Jahrhunderts widmen werde, in dem das Leben der Kinder vor Glück erstrahlen wird und das großartige Versprechen der Erziehung letztlich erfüllt wird.

Endnoten:

Daisaku Ikeda, Persönlichkeit und Erziehung, Hrsg. SGI-D 1984

Chuo Koron, Ausgabe September 1999

1868 - 1912. Wird als Beginn der modernen Zeit Japans betrachtet.

Kyoiku Kihon Ho. Bekanntgabe am 31. März 1947

Kyoiku Chokugo. Erlass des Meiji-Kaiser vom 30. Oktober 1890, blieb in Kraft bis zum Ende des 2. Weltkrieges.

Das Kaiserliche Edikt zur Erziehung wurde als absolutes Leitprinzip der Erziehung benutzt und diente als machtvolles Mittel zur ideologischen Indoktrination; es glorifizierte die Werte der Loyalität und kindlicher Ehrfurcht.

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Tsunesaburo Makiguchi, Jinsei Chirigaku, The Complete Works of Tsunesaburo Makiguchi,\ Vol 1-2 (1903 reprint, Tokyo: Dai-san Bunmei-sha, 1987)

Nobuyuki Takahashi, Mori ni asobu: Dorokame-san no sekai (Tokyo: Asahi Shimbunsha, 1992)

Tsunesaburo Makiguchi, Soka Kyoiku Gakkai, The Complete Works of Tsunesaburo Makiguchi,\ Vol 5-6 (1930 reprint, Tokyo: Dai-san Bunmei-sha, 1987)

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The University of Chicago Laboratory Schools Site <http://www.ucls.uchicago.edu>

Quelle: SGI-D Newsletter vom 28.12.2000

englische Übersetzung aus der Seikyo Shimbun vom 29.09. und 03.10.2000

deutsche Übersetzung von Monika Fieber <mcfieber@gmx.de>

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