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Essay Nr. 3

„Das Leben ist wunderschön“ von SGI-Präsident Ikeda

Norodom Sihanouk,

König Kambodschas

Vertreibung, Exil, Heimkehr und Hausarrest – inmitten des Sturms:

„Es macht mir nichts aus! Denn ich bin ans Kämpfen gewöhnt.“

Wenn ich jemanden über Kambodscha sprechen höre, schmerzt ein brennendes Gefühl meinen ganzen Körper. „Wer hat solch einem friedlichen Land derartiges Leid zugefügt!“

Das zwanzigste Jahrhundert, in dem die Erde vom riesigen Schatten des Teufels, der Gewalt, dunkel überzogen wurde: Unter unzähligen Tragödien war die Kambodschas besonders grauenvoll. Die Spuren dieser Wunden sind tief, und sie sind bis heute noch unauslöschlich eingeprägt.

Wir müssen wissen, wir müssen darüber nachdenken, warum so etwas geschah, was notwendig gewesen wäre und was wir jetzt zur Veränderung unternehmen können.

„Eure königliche Hoheit, was würden Sie Ihrem Volk vor allen Dingen sagen, wenn Sie in Ihr Land zurückgekehrt sind? Was ist Ihre erste Ansprache? ... Sie, Eure Hoheit Sihanouk, haben in diesen fünf Jahren unbeugsam gekämpft. Was war Ihr Rückgrat?“ Es war unendlich viel, wonach ich ihn fragen wollte. Schon die Wartezeit, bis die Dolmetscher seine Antwort fertig übersetzten, kostete mich große Geduld.

Die französischen Worte von König Sihanouk mussten zuerst ins Chinesische übersetzt werden und weiter ins Japanische. Meine japanischen Worte wurden ins Chinesische übersetzt und weiter ins Französische. Das war eine Doppelübersetzung durch zwei Dolmetscher.

Der Ort des Gesprächs war Beijing (Peking).

Ausgerechnet am Morgen, nachdem die Nachricht, dass der fünf Jahre andauernde Bürgerkrieg in Kambodscha zu Ende gegangen war, rund um den Globus lief; es war am 18. April 1975. Fünf Jahre davor (März 1970), während sich König Sihanouk gerade auf einer Auslandsreise befand, ereignete sich ein Staatsstreich, und der König, der zugleich Staatsoberhaupt war, wurde zum Tode verurteilt. Seit dieser Zeit war er des Landes verwiesen und musste ein langes Exilleben in China führen.

Während dieser Zeit wurden in seinem Heimatland Kambodscha ununterbrochen Schmähungen gegen ihn verbreitet. Er schrieb nieder, dass er unzählige Beleidigungen und Verrat erdulden musste und seine Familie ständigen Verfolgungen ausgesetzt war.

Vor allem wurde Kambodscha, eine friedliche Oase, die einst im vom Kriegsfeuer beherrschten Indochina als ein Wunder galt, unweigerlich mit in den Tumult des Krieges hineingerissen. Kambodscha, in vollem Grün, verwandelte sich in ein Land voller Blut. Das war der tiefste Gram. Während des Exils wurde er interviewt und erzählte dabei offen von seinen Gefühlen: „Meine persönlichen Wunden sind im Gegensatz zu den Leiden und Qualen meiner Landsleute nicht von Bedeutung.“ (aus „Indochina, von Beijing aus gesehen“, Sinngemäße Rückübersetzung)

Nach Angkor will ich zurückkehren!

Am Ende nach solch langem, langem Leidensweg wurde die Befreiung der Hauptstadt Phnom Penh wahr. Die Aufmerksamkeit aller Menschen wurde auf einmal auf Kambodscha und auf die Person Sihanouk gerichtet. Ich war der erste Ausländer, der dem König nach der Befreiung begegnete. Alle Welt dachte, wie sehr er die kaum beherrschbare Freude des Sieges genießen müsste. Aber entgegen allen Spekulationen war seine Stimme schwer gedrückt, als er sagte: „Ich kann nicht gleich nach Phnom Penh zurückkehren. Innerhalb eines Monats ist es wohl unmöglich zurückzukehren . . . denn meine Mutter ist schwer erkrankt.“

„Meine Mutter“ war die Königinwitwe Kossamak. Sie führte ein bewegtes Leben und brauchte all ihre Stärke, sie wurde als Heldin verehrt. Nachdem der König ins Exil gegangen war, wurde ihm lange nicht gestattet, seine Mutter zu treffen.

„Meine Mutter wird womöglich innerhalb weniger Wochen sterben. Ich denke, wenn ich heimkehre, möchte ich sie im Ankor Wat beisetzen. Folglich werde ich zuerst zum Ankor Wat fahren“, sagte der König und zeigte mit seinem Finger auf das Bild vom Ankor Wat, das sich in seinem Zimmer befand; das war ein großes Gemälde aus Stoff, das die ganze Wandfläche rechts von uns bedeckte.

Es ist sowohl das Symbol der Glorie des Khmer als auch ein Schatz der Kultur der Menschheit. Diese Ruine besuchte ich auch am 11. Februar

  1. Über den hochgewachsenen weiten Wäldern, die sie umgaben, flogen Vögel tanzend umher. Es war ein Schauspiel, in dem nur Stille und Frieden herrschten.

Der tiefblaue Grundton des Bildes zeichnete sich erhaben ab. Mir kam es vor, als ob ich von dieser Farbe aus die Trauer des Königs, der mit dem Tod seiner Mutter rechnete, hätte spüren können. Neun Tage später verstarb sie.

Jedoch der Grund, warum das Antlitz des Königs trotz der Befreiung der Stadt keine Freude ausstrahlte, mag nicht nur am Gesundheitszustand seiner Mutter gelegen haben, sondern er ahnte instinktiv auch die Gefahr, dass die Befreiung nicht Ankunft des Friedens, sondern schauderhafter Furcht sein würde.

Nach dem alten Regime des rechten Flügels, kam die Khmer Rouge (die Roten Khmer) des ultralinken Flügels, die von Pol Pot (gest. 1998), heute Hitler von Asien genannt, geführt wurde, an die Macht und regierte das Land. Wie sich später herausstellte, begann die Hauptstadt Phnom Penh bereits zum Zeitpunkt unseres Treffens damit, zur menschenlosen Metropole zu werden. Der Grund dafür lag darin, dass alle Bürger unmittelbar nach der Befreiung, also noch am Vortag unseres Treffens, plötzlich von den Roten Khmer den Befehl erhielten: „Ihr müsst alle die Stadt verlassen!“

Keine Widerrede war erlaubt. Wenn die Menschen zögerten, wurden sie durch die Soldaten an Ort und Stelle erschossen. Auch Schwerkranke, Säuglinge und alte Menschen bildeten keine Ausnahme. Die ganze Stadt geriet in Panik.

Ohne Hab und Gut fingen die Menschen an, aus der Stadt zu fliehen, die einst zwei Millionen Einwohner zählte. Die Flüchtlingswelle riss nicht ab. Ihnen wurde zwar erklärt, dass der Grund darin liege, dem Bombardement der US Armee zu entfliehen. In Wirklichkeit wurde aber bezweckt, die Leute zur Zwangsarbeit in die Dörfer zu schicken. Unter der großen Hitze kamen während des gewaltsamen Marsches mehrere tausend Menschen ums Leben. Es gab unzählige Menschen, die auch nicht einmal mehr nach Hause zurückkommen konnten und von ihren Familien Abschied auf ewig nehmen mussten. Das war der Anfang, dass das ganze Land sich in ein „höllisches (drei Jahre und neun Monate andauerndes) Konzentrationslager“ verwandelte.

Was wir wollen, ist nur Frieden

An jenem Tag in Beijing erzählte mir König Sihanouk:

„In der Zukunft habe ich vor, gemäß dem japanischen Tenno (Kaiser)-System, dem Premierminister alle politischen Geschäfte zu überlassen. Ich wünsche mir, auf internationaler Ebene tätig zu sein.“ Das hieß „Diplomatie Sihanouks“, und sie war seit jeher wohl bekannt.

Nachdem er im Alter von 18 Jahren den Thron bestiegen hatte, erlang er die Unabhängigkeit von der französischen Kolonialherrschaft. Danach wurde er vom König zum Staatsoberhaupt und war darum bemüht, sein Land vor dem Kriegsfeuer des „Vietnamkriegs“ und vor den Nachbarländern zu beschützen. Seine Diplomatie war ein Seiltanz, der sich darauf richtete, ein Neutral-Antibündnis zu schaffen. Eine friedliche Oase, inmitten des Kalten Kriegs, war eine Errungenschaft seiner Bemühungen.

Sobald der König wegen des Putsches vertrieben wurde, breitete sich das Kriegfeuer schließlich bis nach Kambodscha aus. Schonungslose Bombardements wurden pausenlos fortgesetzt. „Ein mehrfaches an Bomben, die während des Zweiten Weltkriegs auf ganz Japan abgeworfen wurden,“ suchte das Land der Menschen mit den großmütigen Gesichtern heim. Mehr als zweihunderttausend oder gar fünfhunderttausend Zivilisten, sagt man, mussten durch den Luftangriff sterben.

Aus diesem Zorn heraus nahm die Zahl der Jugendlichen zu, die in die Khmer Rouge eintraten. Das war eine historische Tatsache, die allen Menschen wohl bekannt ist. Bomben abzuwerfen hieß Samen des Zorns zu streuen.

Auch während unseres Gesprächs war seine Stimme, die Tyrannei der Großmächte zu kritisieren, unvorstellbar vehement. Mit großen, lebhaften Gesten erläuterte er ausführlich die internationale Lage und bekräftigte: „Ich wünsche, dass die Welt den Widerstand der schwachen Länder versteht und sie unterstützt. Was wir brauchen, sind nur Unabhängigkeit und Frieden.“ Das war eine feurige Rede. Gegenüber der japanischen Regierung, die dem durch den Putsch entstandenen Regime fortgesetzt beistand, äußerte er offen seine Unzufriedenheit.

Obwohl der König nicht davon sprach, gibt es einen Punkt, den wir Japaner nie vergessen dürfen; nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs verzichtete er Japan gegenüber auf Entschädigung für die durch den Krieg entstandenen Schäden, mit der Begründung: „Ich kann es nicht übers Herz bringen, Entschädigung zu fordern, zu einer Zeit, in der das japanische Volk wegen der Niederlage des Kriegs ein leidvolles Leben führen muss.“ Obwohl die japanische Armee einst dem kambodschanischen Volk durch und durch Leid zufügte; sie erlaubte den Bauern Kambodschas nicht, Reis zu ernten, sie nahm ihnen die Reisfelder und Arbeitsgeräte weg und schickte sie zur Zwangsarbeit.

Selbst wenn der König über manche Themen extrem strenge Äußerungen machte, gewann ich nicht den Eindruck, dass er aus Zorn außer sich geraten sei. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass seine angeborene Heiterkeit und die daraus entstandene lebhafte Atmosphäre wie ein warmes Sonnenlicht seine vehementen Worte umschlossen. Er war ein Mann von äußerst hohem Intellekt, noch ein junger König von 52 Jahren.

Der Ort des Treffens war im Staatsoberhauptamt des Exilregimes (Regierung der Volksvereinigung des Königsreichs Kambodscha). Das lag vom Hotel „Beijing Fan Dian“, in dem ich wohnte, nur einige Autominuten entfernt, in einem ruhigen Wohnviertel, in dem sich viele Botschaftsgebäude befanden. Die Ortsbezeichnung „Dong Jiao Min Gang (etwa: Volkshafen für Austausch mit dem Orient)“ war gerade unter der Kulturrevolution zu „Fan Di Lu (etwa: Straße gegen den Imperialismus)“ umbenannt worden.

Das Gebäude, hieß es, war früher, bevor „Neues China“ gegründet wurde, als Dienstwohnung des französischen Botschafters benutzt worden. Obwohl die chinesischen Soldaten Wache standen, gab es weder ein Gefühl der Strenge noch eine feierliche Atmosphäre, die Befreiung Phnom Penhs zu zelebrieren.

Vom Foyer, in dem Stille herrschte, wurde ich in den Raum geführt, in dem die Audienz stattfand. Am Eingang des Zimmers stand bereits der König, mittlerer Körpergröße, und wartete auf mich. Als unsere Augen einander begegneten, empfing er mich, indem er die beiden Hände zusammen faltete und sich lächelnd verbeugte. Zu mir, der ich seinen Gruß mit derselben Geste erwiderte, sagte er „bonjour“, sein Gruß kam auf Französisch. Die Tradition des Ostens und die Eleganz des Westens waren in der sanften Sittsamkeit einer Person verschmolzen; er war ein Mann, der sich mit äußerster Sensibilität und vollem Bedacht beim Gespräch um mich kümmerte.

„Der Mann, der den Geist des Löwen besitzt“

In der Tiefe des weiten großräumigen Raums stand ein bequemes Sofa. An der Wand über dem Sofa hingen zwei Porträts; das eine zeigte den Parteivorsitzenden Mao Tse-tung (1893-1976) und das andere König Sihanouk. Als ich ihn nach seiner Freundschaftsbeziehung mit Mao Tse-tung und Premier Zhou En-lai (1898-1976) fragte, sagte der König: „Hier ist ein Dankesbrief, den ich an den Premier Zhou En-lai geschrieben habe. Eine Abschrift davon werde ich Ihnen, Präsident Ikeda, übergeben.“ Von seinem großherzigen Vertrauen war ich fürwahr überrascht. Unsere Begegnung fand neun Monate vor dem Tod des Premiers Zhou En-lai statt. Seit der ersten und zugleich der letzten Begegnung zwischen dem Premier Zhou En-lai und mir waren schon vier Monate vergangen.

Als ich ihn fragte, „Eure Königliche Hoheit, was war für Sie in den letzten fünf Jahren das leidvollste? Und was ist Rückgrat Ihrer unbeugsamen Überzeugung?“, blitzten seine Augen scharf.

„Ich habe bis zum heutigen Tag immer wieder Kämpfe durchstanden. Früher habe ich gegen die französische Kolonialherrschaft gekämpft, ich habe auch den Kampf gegen den Staatsstreich geführt, und ich habe ebenfalls gegen die Einmischung der Großmächte gekämpft. Ich bin ans Kämpfen gewöhnt. Obwohl mir in den letzten fünf Jahren große Leiden und Schmerzen zugefügt wurden, war das deshalb nicht sonderlich problematisch. Es macht mir nichts aus!“, sagte er.

„Sihanouk“ bedeutet, der Mann, der den Geist des Löwen besitzt. Das war ein Augenblick, in dem ich etwas von seinem Charakter erblicken konnte. Es waren Worte, die die Pulsierung in seinem tiefen Inneren pochend hören ließ; ich will kämpfen, ich will siegen und ich will den Frieden herbeischaffen.

Es war bereits nahe eine Stunde vergangen. Es musste für ihn ein besonders anstrengender Tag gewesen sein. Als ich ihm sagte, dass ich mich langsam verabschieden wollte, begleitete er mich höflicherweise bis zum Ausgang, indem er selbst die Tür des Audienzzimmers öffnete. Ich war ihm sehr verbunden.

In der Stadt wurde an jenem Tag eine prunkvolle Parade abgehalten. Es war ein Zug, der Kim Il-sung (1912-1994), den Vorsitzenden der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea), der an dem Tag in Beijing eintraf, willkommen heißen sollte. Nordkorea unterstütze König Sihanouk mehrere Jahre lang.

Die Welt bewegte sich, und alles wandelte sich rasend. Zwölf Tage danach ereignete sich der „Fall Saigons“; der über dreißig Jahre lang andauende Vietnam Krieg ging endlich zu Ende.

Die Hölle existierte in dieser Welt

Der König kehrte fünf Monate später erstmals in sein Heimatland zurück. Am Ende desselben Jahres fing er an, dort permanent zu wohnen. Sein Anwesen war in Wirklichkeit ein völlig verödeter Königspalast, darin wurde er eingesperrt. Phnom Penh, einst als Paris des Ostens gepriesen, war in eine menschenleere „Geisterstadt“ verwandelt worden.

In diesem „Lager mit dem Namen Königspalast“ bot sich ihm eines Tages furchtbarer Anblick. Obwohl dies für uns unvorstellbar grausam ist, lasse ich Sie wissen, wie es war, um unsere Augen nicht davon abzuwenden.

Die jungen Soldaten von Pol Pot sperrten Mäuse in einen Käfig und machten Feuer! Der König schreibt:

„Die Mäuse liefen verzweifelt umher, um nach einem Fluchtweg zu suchen. Anzuschauen, wie sie schließlich lebendig verbrannt wurden und qualvoll sterben mussten, war für die jungen Soldaten ein unübertreffliches Vergnügen.“ (aus „Memoiren Sihanouks“, sinngemäße Rückübersetzung)

Ausgeweitet auf Hunde, Katzen, Affen usw. setzten sie jeden Tag ihre ekelhafte, grausame Spielerei fort. Obwohl der König erbittert abermals bat, dass sie damit aufhören sollten, „zeigten sie kein Scheibchen Geist vom Buddhismus.“ (aus „Memoiren Sihanouks“, sinngemäße Rückübersetzung)

Denn, während sie aufwuchsen, wurden ihnen von klein auf solche Spiele beigebracht. Im Laufe der Zeit gewöhnten sie sich daran, und ihre Grausamkeit wurde zu ihrer zweiten Natur, wodurch sich ergab, dass sie schließlich liebten, die Menschen zu töten, das heißt, sie liebten, den Krieg zu führen. Von ihren Eltern abgeschieden, erhielten sie eine konsequente Gehirnwäsche. Ihnen wurde beigebracht, dass der Roboter, der nicht selbst denkt, ihr Ideal sein sollte. Gegen alle Menschen, die von der oberen Leitung zum Feind erklärt wurden, konnten sie ihre Brutalität schonungslos unter Beweis stellen.

Nach der Befreiung wurden vor allen anderen die überwiegende Mehrheit der Gebildeten als Feinde gebrandmarkt. Und weil die Menschen lesen konnten oder Brillen trugen, wurden sie systematisch liquidiert. Die Menschen, die aus der Stadt vertrieben wurden, wurden im Gegensatz zu „Neues Volk“, den Bauern, als „Altes Volk“ bezeichnet und als Untermenschen differenziert oder gar als Untiere behandelt; auf sie wartete vom frühen Morgen bis in die späte Nacht nur Zwangsarbeit. Als Mahlzeit wurde ihnen zweimal am Tag eine wasserähnliche Brühe angeboten.

Schnell breiteten sich Hunger und Epidemien aus. Selbst wenn sie krank wurden, gab es keine Medikamente. Nach und nach starben die Menschen. Unzufrieden und Ungehorsam jeglicher Art endete für die Menschen mit sofortiger Exekution. Weinte eine Frau, weil ihr Mann umgebracht wurde, wurde sie genauso getötet, mit der Begründung: „Du bist auch ein Feind, wenn du den Tod eines Feindes der Partei betrauerst.“ Als eine Frau die Soldaten um Gnade bat, indem sie sagte, „Bitte töte mich anstelle meines Kindes“, wurden Mutter und Kind zusammen umgebracht.

Wegen Beobachtung, geheimen Abhörens und Denunziation konnte man selbst unter Familienmitgliedern nicht frei sprechen. Gewalttaten, Plünderungen und Zwangsheiraten geschahen ständig. Das waren die Tage, von Killerbanden, die die Schreie des Todeskampfes durch Lautsprecher im ganzen Dorf übertragen ließen.

Eigentlich soll das Leben wunderschön sein! Jedoch tobte die teuflische Natur der Macht, alle Hoffnungen vollständig zu zerreißen.

Eine Mutter dachte, als ihr Kind vor ihren Augen starb: „Ah, es ist besser so, dass mein Kind gestorben ist. Sterben ist viel glücklicher als in einer derartigen Welt länger zu leben.“ Eine andere Frau, die zusehen musste, wie all ihre Familienmitglieder massakriert wurden, dachte ständig: „Solch eine Welt will ich nicht mehr sehen, nie und nimmer.“ Als psychische Auswirkung wurde sie womöglich tatsächlich blind.

Auf den unzähligen Reliefen vom Ankor Watt gibt es ein wohlbekanntes Bild „Paradies und Hölle“. Die Darstellung der Hölle wies nicht auf die Welt nach unserem Tod hin, sondern die Hölle existierte in dieser Welt.

Die Zahl der Opfer, sagt man, belief sich auf eine Million und fünfhunderttausend Menschen (jeder fünfte der Bevölkerung) oder gar auf zwei Millionen Menschen. Es soll keinen Kambodschaner geben, in dessen Familienkreis niemand getötet wurde. Selbst König Sihanouk verlor fünf Kinder und vierzehn Enkelkinder.

Menschen, die vom Laster verzerrt wurden

Das war eine schreckliche Zeit, ein fürchterliches Zeitalter. Aber solange wir sie für „Gestört“ oder „Verrückt“ erklären, kann das Problem nicht gelöst werden. Nein! Nicht nur, dass das Problem beendet wird, sondern auch das Wesen des Problems würde wohl verdeckt werden.

Wir dürfen nie vergessen. Die frühere japanische Armee verübte nicht nur in China, sondern auch in weiten Teilen Asiens ähnlich grausame Taten. Es macht wahrhaft keinen Sinn, wenn wir die Missetaten von Pol Pot nur kritisieren, ohne diesen Punkt zu berücksichtigen.

Nichtsdestotrotz lebt heute noch der Gedanke, dass man die ideale Welt durch Töten aufbauen könne. Der Gedanke, dass man den künftigen Frieden durch Waffen und Bomben herbeischaffen könne, ist noch lebendig. Der Gedanke, dass man die Menschen, wenn sie Feinde seien, umbringen dürfe, lebt heute noch. Er lebt und beherrscht die ganze Welt!

Kann nicht verstanden werden, dass die Übeltaten der Pol Pot Anhänger aufgrund des Fortschreitens dieses Gedankens begangen wurden? Wenn das der Fall ist, muss gerade dieser Gedanke möglicherweise der Krankheitserreger der Abnormalität und Verrücktheit sein. Wenn das die korrekte Schlussfolgerung ist, bleibt uns nichts anders übrig, als dass wir diese Idee, dass weder Machthabern noch dem Staat gestattet wird, Menschen zu töten, zur goldenen Regel der Menschheit machen müssen.

Stellt die Maschinerie des Kriegs ein!

Stellt das Drehen der Kriegsmaschinerie ab!

Frieden kann nicht durch das Töten von Menschen geschaffen werden.

Je mehr Menschen (Feinde) man tötet, werden die Feinde nicht abnehmen, sondern zunehmen.

Demzufolge kommt der Frieden nicht näher, sondern er entfernt sich immer weiter.

Die Hinweise des Königs Sihanouk waren äußerst wichtig, wenn er sagte:

„Sie (Pol Pot Anhänger) haben zuerst damit angefangen, die buddhistische Moral, die im Land verbreitet war, zu säubern. ... Die Absicht der Khmer Rouge war extrem unrein, und sie waren vom Laster, vor dem der Buddha warnte, vollkommen beeinflusst. In Wahrheit wurden sie durch das Böse, Eifersucht, Hass und Ambition zu ihren Übeltaten getrieben. ... Zu den Menschen, die sich von diesem Laster nicht befreien konnten und immer weiter davon herumgezerrt wurden, sagte der Buddha klar, dass sie sich selbst unglücklich machen und ihren Nachkommen Unheil hinterlassen würden. Aber gab es Menschen, die sich an diese Lehre erinnerten?“ (aus „Memoiren Sihanouks“, sinngemäße Rückübersetzung)

Er stellte fest, dass die Tragödie damit begonnen hatte, sich auszubreiten, weil die Menschen selbst das Mitgefühl Shakyamunis vergaßen sowie dazu getrieben wurden, es zu vergessen. Dann müssen seiner Einschätzung zufolge das Mitgefühl (Jihi) und die Weisheit, auf die Shakyamuni hinweist, sicher unentbehrlich sein.

Auf jeden Fall sind die Wunden in Kambodscha ungemein tief. Durch die über zwanzig Jahre anhaltenden Kriege und Wirren war alles zerstört. Es geschieht heute immer noch, dass die Menschen durch die überall vergrabenen Landminen ums Leben kommen oder ihre Hände oder Füße verlieren.

Und selbst wenn der Frieden gekommen ist, sind die Wunden ihres Herzens, ihre geliebten Familienmitglieder verloren zu haben, viel größer als ihre Freude, allein überlebt zu haben. Es gab und gibt auch viele Menschen, die von Alpträumen geplagt viele Jahre lang haben nicht lachen können, weil ihre Herzen erstarrt sind.

Die Zeit wird heilen.

Jedoch gibt es Trauer, die auch die Zeit nicht heilen kann.

Gibt es eine Möglichkeit, solch eine Trauer (hi) zum Mitgefühl (Jihi) zu verändern?

Gibt es einen Weg, sie in die tiefe Zärtlichkeit zu verwandeln, die nur demjenigen bekannt ist, der die tiefe Trauer wahrhaft kennt?

Die Rache bedeutet nicht, wiederum andere zu töten, sondern

es muss eine Gesellschaft erschaffen werden, in der nicht mehr getötet wird.

Es gab einen Jungen, dessen Vater von einem Anhänger Pol Pots getötet und seine Mutter in den Hungertod getrieben wurden. Er schwor Rache. Aber sein Schwur, sagte er, war nicht, den Mörder zu töten, sondern sich zu einem vortrefflichen Menschen zu entwickeln.

Ein anderer Junge, dessen Eltern getötet wurden, gab auf die Frage, „was bedeutet die Rache für dich?“ eine Antwort: „Rache bedeutet, die bösen Menschen zu besseren zu machen.“ (aus „Die Erwachsenen machen Kriege, die Kinder leben weiter“, R. Rosenblatt, sinngemäße Rückübersetzung)

Ich glaube, es ist wohl möglich, dass uns die Kinder mit ihrer schlichten Antwort auf die tiefe Weisheit hinweisen. Hieße das anderenfalls nicht, dass sich diese Welt in aller Ewigkeit im Kreislauf des Hasses befände?

Hieße das nicht, dass wir uns vom Bösen und von der Gewalt beherrschen lassen würden, wenn wir das Böse mit Bösem und die Gewalt mit Gewalt vergelten würden?

Hieße das nicht, dass wir uns geschlagen geben würden, wenn wir dasselbe täten, was sie machen?

Hieße das nicht, dass der Teufel, die Gewalt, aus großer Freude laut lachen würde?

Wir wollen lieber eine Gesellschaft erschaffen, in der die Menschen keine Menschen mehr töten, als gegenseitig immer weiter zu töten – gerade das ist unsere Rache gegen den Teufel!

Möge die himmlische Frau in aller Ewigkeit tanzen!

Kambodscha wurde im Januar 1979 von der Herrschaft Pol Pots befreit. Jedoch war das Land von Wirren und Chaos noch lange nicht befreit. Die Kambodschaner mussten noch lange Windungen und Krümmungen hinter sich bringen. Der entmachtete König Sihanouk war gezwungen, wieder dreizehn Jahre (1979-1991) im Exil zu erdulden.

Im Jahre 1993 wurde endlich ein neues Königsreich Kambodscha geboren, und er hat den Thron wieder bestiegen. Es wurde eine Feier, den neuen Start des Landes zu zelebrieren, veranstaltet. Die Menschen, die viele Frauen auf die Bühne kommen sahen, hielten ihren Atem an:

„Ah, sie sind doch Apsara (die himmlischen Frauen) ... „

Sie sind genau wie die himmlischen Frauen gewesen, die aus den Reliefen vom Ankor Watt herausgekommen seien. Sie haben gestrahlt, als ob sie gerade vom Himmel herabgestiegen wären. Unter den Tänzerinnen ist die älteste Tochter des Königs Sihanouk, Prinzessin Buppha Devi, voller Anmut erschienen.

Ab diesem Mai wird die Vorführung der Royalballettgruppe Kambodschas auf Einladung von Min’on in Japan beginnen. Die Prinzessin war diejenige, die die Vertreter von Min’on zur Begrüßung im letzten Herbst empfing, als sie Kambodscha besuchten; sie nahm die Mühe auf sich, meinen eigenhändigen Brief, den ich als Gründer der Min’on dem Vertreter anvertraute, dem König zu übergeben.

An jenem Tag, sagte man, quollen im Herzen aller, die den Tanz der himmlischen Frauen sahen, die Gefühle hervor:

Wie wunderschön sie sind!

Wie zärtlich sie sind!

Das ist Kambodscha.

Das wahre Kambodscha ist zurückgekommen.

Endlich ist der Frieden zurückgekehrt ...

„Das meistgelittene Land wird zweifelsohne zum glücklichsten werden.“

Um so zu sagen, sind die Spuren der Wunden, die die Tragödie Kambodschas aufzeigen, viel zu groß und übersteigen alle Möglichkeiten, sie mit Worten zu beschreiben.

Dennoch wollen wir beten, wir müssen beten:

„Kambodscha, das im zwanzigsten Jahrhundert am meisten gelitten hat! Gerade aus dem Grund wünschen wir innigst, dass es im einundzwanzigsten Jahrhundert zum glücklichsten Land werden kann!“

(aus „Seikyo Shimbun“ vom 29. April 2002)

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