**Ermutigung und Erfahrung von Tomaso Olivari (1995)** Was die Liebe angeht, scheinen wir in der tiefsten Illusion zu leben. In der heutigen Gesellschaft herrscht ein mangelndes Bewusstsein darüber vor, was Liebe und Verliebtheit eigentlich sind. Der grundlegende Irrtum besteht in der Verwechslung von egoistischen mit altruistischen Gefühlen. Verliebtheit wird für Liebe gehalten, obwohl es sich hier fast um Gegensätze handelt. Hinter dem Verliebtsein steht ein nahezu ausschließlich egoistisches Verlangen nach Verständnis, Zuneigung, Liebe und Respekt: nach Gefühlen, die uns die andere Person entgegen bringen soll. Liebe ist anders; wenn wir lieben, sind wir Gebende, wir geben etwas nach außen, der Umgebung den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Verliebtheit kann ein Auslöser dafür sein, eine Beziehung mit einer Person zu beginnen, aber man kann nicht 50 Jahre lang verliebt bleiben, was im übrigen auch nicht schlimm ist, da man die Verliebtheit in ein noch schöneres, größeres und befriedigenderes Gefühl verwandeln kann. Wenn wir immer nur nach dem Rausch des Verliebtseins suchen, wird uns das nicht viel weiterbringen; wenn wir hingegen versuchen fähig zu werden zu lieben, wird sich vor uns eine unendliche Perspektive für die Zukunft auftun und wir werden viele Erkenntnisse über uns selbst und unser Leben sammeln können. Es ist nicht einfach zu lieben. Wer liebt, ist im Grunde ein Buddha. Es ist wichtig, sich hierüber bewusst zu werden. Nichiren Daishonin spricht immer vom Weg des Bodhisattwas, von Bodhisattwa Jogyo und von der Ausübung des Bodhisattwas. In Wirklichkeit spricht er hierbei über eine Ausübung, die darin besteht, zu lernen zu lieben, d.h. zu geben. Geben kann man jedoch nicht nur anderen Personen, sondern auch dem eigenen Leben. Während manche Menschen das eigene Leben lieben und sich selbst auch etwas geben können, gibt es Menschen, die sich selbst nicht lieben und von sich selbst immer nur fordern, d.h. von sich selbst verlangen, fähig, tapfer schön, intelligent u.s.w. zu sein. Sie überlegen nicht, was sie ihrem Leben Gutes tun könnten. In einer Zweierbeziehung, die ja oft einen großen Teil unseres Lebens ausmacht, müssen wir uns auf dieselbe Weise bemühen. Wir müssen uns demselben Objekt der Verehrung widmen und die gleichen Ursachen setzen. Nichiren Daishonin drückt es ganz klar aus: Das Objekt der Verehrung ist die Buddhaschaft, das wahre Glück ist die Buddhaschaft, d.h. absolut glücklich zu sein und ganz und gar zufrieden damit, zu leben, unabhängig von äußeren Umständen. Nichiren Daishonin sagt: ,,Praktizieren wir das Lotos-Sutra, um ohne jegliche Reue zu sterben.” Genau das ist ein Kennzeichen der Buddhaschaft, sich in einem Zustand zu befinden, in dem Reue keinen Platz hat; nicht zu denken: ,,Wenn ich nur so wäre, wenn ich nur dies hätte, wenn ich nur jenes machen könnte, wenn nur schon nächstes Jahr wäre, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte”. Einfach nur vollständig damit glücklich zu sein, was man im Moment ist. Im Lotos-Sutra steht: ,,Sie sind immer glücklich und fühlen sich wohl”. Shakyamuni sagt: ,,Die Menschen in meinem Land sind glücklich und fühlen sich wohl”. So wird die Buddhaschaft beschrieben. Buddhaschaft bedeutet, immer glücklich zu sein und sich wohl zu fühlen, egal in welcher Situation man sich auch befinden mag. Die äußeren Umstände sind zweitrangig. Buddhaschaft ist das Glück, das von äußeren Umständen völlig unabhängig ist. Also ist es auch nicht abhängig davon, ob man mit einer bestimmten Person zusammen ist oder nicht. Wir müssen diese Art von Glück in uns selbst suchen. Der Gohonzon wurde nicht eingeschrieben um Ekstase (die sechste der 10 Welten) zu verwirklichen. Der Gohonzon funktioniert nicht, wenn wir nach Ekstase streben. Das wäre ungefähr so, als besäßen wir ein Auto für schnelle Fahrten auf der Autobahn und würden es für Unterwasserfahrten benutzen wollen. Wir schaffen dadurch nur Chaos und kommen nicht weiter. Wenn wir den Gohonzon gemäß seinem wirklichen Zweck gebrauchen, nämlich dazu, um absolutes Glück hervorzuholen, funktioniert er hervorragend. Sobald unser Glück von einer Bedingung, von einer Person, von einer äußeren Situation abhängt, handelt es sich nicht um das Glück der Buddhaschaft. Das Glück der Buddhaschaft ist das, was wir zu Beginn unserer Praxis spüren. Ganz einfach haben es viele beim Chanten erfahren, dass plötzlich eine immense Freude in ihnen emporsteigt, ohne dass etwas passiert wäre, ohne dass eine gute Nachricht eingetroffen wäre oder sich etwas an den äußeren Umständen geändert hätte. Wo unser wirkliches Ziel ,,Itai doshin” (verschiedene Körper, ein Geist) sein sollte sind wir leider oft in ,,Dotai ishin” (verschiedener Geist, gleiches Äußeres), da wir nach verschiedenen Objekten der Verehrung streben und keine klare Idee davon haben, welche Art von Glück wir anstreben müssen, nämlich das Glück, das von innen kommt, ein Lebenszustand, der uns in die Lage versetzt, jeden Moment freudig zu erleben, egal, was wir gerade machen und in welcher Situation wir uns befinden. Im Grunde hindert uns die Umgebung nicht. Sobald wir fordern, entsteht eine bestimmte Art von Problemen; wenn wir uns darauf konzentrieren zu geben, entsteht Freude. Bei der genauen Betrachtung unseres Lebens können wir feststellen, dass Leid immer entsteht, weil wir etwas haben wollen und nie, weil wir etwas geben wollen. Eine Situation ist also deshalb schrecklich für uns, weil wir etwas Bestimmtes nicht haben können: keinen Respekt, nichts zu Essen, keine Zuneigung, etc. bekommen. In diesen Momenten könnten wir trotzdem immer noch viel geben, aber wenn wir nur danach streben, zu haben, sind wir in solchen Situationen, in denen wir nichts bekommen, am Ende und werden unglaublich leiden. Wenn wir uns auf das Geben konzentrieren, können wir auch in diesen Momenten glücklich sein, da die Freiheit zu geben immer mehr oder weniger bestehen bleibt. Die Möglichkeit zu geben besteht immer, wohingegen die Möglichkeit zu haben von der Umgebung, von der Zeit und von anderen Dingen außerhalb von uns abhängt. Wenn die Umgebung uns gibt, was wir wünschen, sind wir glücklich; wenn wir von der Umgebung nicht bekommen, was wir wollen, sind wir unglücklich. Die Umgebung kann in diesem Zusammenhang eine Arbeit, ein Kind oder jede andere Person oder Sache sein. Die ,,Menschliche Revolution” die wir machen müssen, ist eine Umkehrung dieser Werte, nicht nur aus moralischen Gründen, sondern um wirklich glücklich zu werden. Revolution bedeutet immer eine Veränderung der vorherrschenden Wertvorstellungen. Momentan geht es in der Gesellschaft darum, zu haben. Das größte Ziel der meisten Menschen ist es, bestimmte Dinge haben zu können; hierbei muss es sich je nach Person und Situation nicht unbedingt um materielle Dinge handeln. Schon hinter dem einfachen Wunsch danach, dass es einem gut gehen möge zum Beispiel, steckt schon wieder die Haltung des Haben Wollens; man will nämlich eine bestimmte gute Wirkung im eigenen Leben, die Wirkung des Wohlergehens, der Kraft, der Freude u.s.w. Eine ganz andere Einstellung hingegen wäre es, sich zu fragen was wir, abgesehen davon, ob es uns gut oder schlecht geht, für unser Leben tun können, welche gute Ursache wir in diesem Moment setzen können. Durch das Glück zu geben, spürt man die Buddhaschaft, man fühlt sich frei dadurch, dass man praktiziert. Wenn wir anfangen, unser Leben und unsere Bemühungen nach diesem Streben auszurichten, fühlen wir uns in jedem Moment frei zu geben und sind unter allen Umständen zufrieden zu leben. Dies ist auch der Beginn einer realen Selbstverwirklichung, denn solange wir im Mechanismus des Haben Wollens gefangen sind, bleiben wir im tiefsten Innersten besorgt, auch wenn wir manche Dinge haben, denn wir wissen nur zu gut, dass wir diese Dinge durch eine Veränderung der Umgebung plötzlich aus irgendeinem Grund verlieren können. Heute sind wir zufrieden, aber wer weiß, was morgen ist? Es passiert sehr leicht, dass wir uns eine Maske aufsetzen, um etwas von bestimmten Personen oder von der Gesellschaft zu bekommen. Wir sind dann so, wie die betreffenden Personen das von uns erwarten. Das ist der typische Fall beim Verliebtsein: Wenn man die Zuneigung einer bestimmten Person gewinnen will, zeigt man ihr nur bestimmte Aspekte von sich. Man achtet darauf, sich nicht ganz offen zu zeigen, wie man ist. Je mehr man verliebt und verblendet ist, desto mehr werden Mechanismen ausgelöst, durch die man sich immer weiter von sich selbst entfernt. Man gibt sich z.B. hart, wenn man in Wirklichkeit sensibel und verletzlich ist. Am Ende lebt man ein Leben, das sich ganz und gar auf diesen Mechanismen gründet, ohne dass man sich darüber bewusst wäre. Man ist verwirrt und weiß nicht mehr, wer man wirklich ist, weil man Masken aufgesetzt hat, oder bestimmte Verhaltensweisen angenommen hat, nur um etwas von außen zu bekommen. In dem Moment, in dem wir anfangen zu geben, müssen wir unbedingt wir selbst sein, uns selbst entdecken, unser Leben öffnen und aus unserem Leben schöpfen, um es anderen, einer Situation oder einer Person zu geben. In genau diesem Moment entdecken wir, wie wir wirklich sind, wir beginnen aus uns selbst zu schöpfen und sehen, dass unser Leben voll von unfassbaren Schätzen ist. Wir entdecken, dass wir so viel zu geben haben, und dass die größte Freude aus dem Geben entspringt. Der ganze Buddhismus basiert auf der Ausübung des Gebens. Es war einmal ein Bodhisattwa, der sich im Darbringen von Gaben übte. Er führte diese Ausübung während mehrerer Existenzen durch. Eines Tages trifft er einen Brahmanen, der zu ihm sagt: ,,Ich habe Hunger, gib mir dein Auge”. Er gibt dem Brahmanen das Auge, dieser riecht daran, wirft es weg und tritt es kaputt. Der Bodhisattwa gerät so in Wut über den Brahmanen, dass er in die Hölle des unaufhörlichen Leidens fällt. Diese Geschichte soll uns erklären, dass es der Fehler der Person, die das Auge gegeben hat, war, etwas - Dankbarkeit - dafür zu erwarten. Wer für seine Gaben eine Gegenleistung erwartet, verdirbt damit bereits seine Tat, es handelt sich nicht mehr nur darum zu geben, sondern auch darum, etwas zu verlangen. Es ist nicht besonders wichtig, ob man liebt oder nicht. Entscheidend ist es, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, zu geben. Das bedeutet lieben. Wir müssen uns in allen Bereichen unseres Lebens darin üben, zu ,,lieben”. So können wir die Ausübung der Bodhisattwas auf unsere Realität anwenden. Das betrifft auch unsere Arbeit. Wir fordern zum Beispiel, eine gute Arbeit zu haben, Geld zu verdienen, etc. Eigentlich sollten wir uns aber fragen; ,,Was kann ich bei meiner Arbeit geben?” Dann erscheinen auch eine gute Arbeit, Geld usw. Aber da wir ständig nur fordern, erscheint meist gar nichts. Auch vom Gohonzon können wir so höchstens Krümel erbetteln. Im Idealfall bedeutet geben am Arbeitsplatz, dass man seine Arbeit mit größtmöglicher Freude ausführt, dass man mit dem was man macht zufrieden ist, dass man versucht, die Arbeit gut zu machen. Aber es ist nicht immer möglich, in guter Form zu sein, Freude zu haben und demzufolge alles sorgfältig zu tun. Entscheidend ist es jedoch, den Mechanismus des Gebens in Gang zu bringen, sich im Geben zu trainieren. Die Größe oder die Qualität der Gabe ist anfangs nicht so wichtig. Später (vielleicht in manchen Fällen erst viel später) wird sich die Qualität noch entwickeln. Oft gehen wir von der festen Vorstellung aus, dass man unbedingt etwas Schönes geben muss, all unsere Freude oder unsere größten Fähigkeiten etc. Wir vergessen dabei, dass es Momente im Leben gibt, in denen wir nicht über unsere gesamte Kapazität verfügen. Was können wir in einem solchen Moment geben? Es gibt immer etwas, was man geben kann, auch wenn man keinen starken Antrieb verspürt. Die Gosho berichtet über die Gebrüder Dojin, die während sie gerade im Schlamm spielten, den Buddha kommen sehen und ihm einen Schlammkuchen schenken. Shakyamuni schätzt nicht so sehr die Gabe als solche, sondern die Aufrichtigkeit, mit der sie gegeben wird. Da sie nichts anderes hatten, haben sie Schlamm geschenkt. Diese Handlung beweist die größte Aufrichtigkeit, denn die beiden haben mit ganzem Herzen alles gegeben, was sie im Moment besaßen. Deshalb wurde der eine der Gebrüder Dojin als König Ashoka, der andere als Minister wiedergeboren. Entscheidend ist also nicht, was wir geben, sondern dass wir in einem bestimmten Moment alles geben, was wir können, und sei es noch so wenig. Es gibt Phasen, in denen wir die negativen Wirkungen unseres Karmas zu spüren bekommen, dann fühlen wir uns müde, schwer und leidend. Wenn wir in diesen Momenten versuchen, große Freude und großes Glück aus uns hervorzubringen, werden wir es absolut nicht schaffen, wir werden uns frustriert fühlen und am Ende gar nichts geben. Wir sollten jedoch lieber nachdenken und uns sagen; ,,Gut, ich habe jetzt nicht meine ganze Kraft und Freude zur Verfügung, aber was kann ich trotzdem in diesem Moment geben?” Die Antwort kann lauten, 5 Minuten Daimoku für jemand zu chanten oder jemand ein Lächeln zu schenken, wenn wir die Person nicht mit Worten ermutigen können; oder wir können der Person einen Gefallen tun, in der Absicht, alles zu geben, was wir können, wenn es auch nur eine Kleinigkeit ist. Sich um andere zu sorgen und zu kümmern ist richtig, aber unsere erste Sorge muss unserer Fähigkeit gelten, der Person, die uns gerade gegenübersteht aus unserem Leben heraus etwas zu geben. Genau dies ist die Ausübung des Bodhisattwas und die Ursache für das Erscheinen der Buddhaschaft. Sich darauf zu beschränken, anderen Personen kein Leid zuzufügen ist eine zwiespältige Angelegenheit, denn kein Leid zuzufügen bedeutet manchmal auch, nichts zur Verbesserung der Situation beizutragen. Es ist daher nicht besonders positiv, einfach kein Leid zuzufügen. Das wäre ungefähr so als würde man, wenn man einen Ertrinkenden sieht, denken: ,,Ich werfe jetzt keinen Felsen auf ihn, daher füge ich ihm auch kein Leid zu.” Aber wir tun auch nichts für ihn, bieten ihm nicht unsere Hilfe an. Aus buddhistischer Sicht machen wir uns so zum Komplizen des Negativen, d.h. wir helfen einer Person zu sterben. Über viele Jahre hinweg mahnte mich Herr Kanzaki aufmerksam zu sein, um nicht durch kleine vermeintlich gute Taten das große Böse zu unterstützen, sondern noch eher kleine vermeintlich schlechte Taten zu begehen, die letztendlich einem guten Zweck dienen; d.h. unser Augenmerk muss darauf gerichtet sein, große gute Absichten zu verfolgen, und dafür muss man manchmal Schmerzen zufügen. Wenn zum Beispiel in einer Paarbeziehung ein Partner am anderen das Interesse verliert, seinem Partner aber, um ihn nicht zu verletzen, diesen Seelenzustand und die Gefühle nicht offenbart, begeht er eine kleine gute Tat, da der Partner ja im Moment nicht leiden muss. Spitzt sich die Situation im Laufe der Zeit aber zu, und können die Gefühle mit der Zeit nicht mehr zurückgehalten werden, wird die kleine gute Tat zum großen Übel. Daher wäre es besser gleich ehrlich zu sein und eine kleine schlechte Tat zu begehen. Wichtig ist, sich zu entscheiden den Worten Nichiren Daishonins zu folgen und die Herausforderung der Ausübung des Bodhisattwas anzunehmen. Warum ist dies aber in einer Zweierbeziehung so schwierig? Weil man in einer Paarbeziehung dieser Herausforderung nicht ausweichen kann. Bei Freunden liegt die Sache anders: Wenn wir in der Lage sind, etwas zu geben, treffen wir unsere Freunde; wenn wir nichts zu geben haben, können wir uns auch entscheiden, unsere Freunde nicht zu sehen. Unsere Grenzen überschreiten wir jedoch, wenn wir etwas ständig tun, Tag für Tag. Würden wir Gongyo und Daimoku nur machen, wenn wir Lust dazu haben, wäre der Nutzen nur gering. Wann ist aber das Chanten besonders effektiv? Wenn wir keine Lust dazu haben, und wenn es uns anfänglich Leiden verursacht, vor den Gohonzon zu gehen, weil es uns schlecht geht, und weil wir vor dem Gohonzon gezwungen sind, unser Leiden genauer zu betrachten. Aber in solchen Momenten können wir vieles verstehen und wir können höchst wichtige Dinge erkennen. Wenn wir nur praktizieren würden, wenn wir Lust dazu haben, würden wir nur einen Teil unseres Lebens betrachten können, den Rest jedoch nicht verstehen, all die Dinge nämlich, die sehr wichtig sind, auch wenn sie uns Leiden verursachen. Es ist entscheidend, diese Dinge zu verstehen, anzunehmen, die Augen zu öffnen, denn was wir nicht verstehen, können wir nicht bearbeiten und verändern. Gerade in dieser Hinsicht stellt eine Paarbeziehung eine extreme Herausforderung dar, da wir uns hier jeden Tag einbringen müssen und nicht zwischendurch sagen können, dass wir keine Lust haben. Wir müssen uns entschließen, uns selbst so zu entwickeln, dass wir an dieser Herausforderung wachsen können, indem wir dafür chanten, glauben zu können, dass in uns Buddhaschaft, ein Lebenszustand vollkommenen Glücks existiert, dass es möglich ist diesen Lebenszustand inmitten unserer gegenwärtigen Situation zu erfahren. Nichiren Daishonin lehrt nicht, dass die Buddhaschaft nur an bestimmten Orten oder unter bestimmten Bedingungen existieren kann; er erklärt vielmehr, dass die Buddhaschaft ein Aspekt des Lebens ist, der immer da ist. Wo Hölle existiert, existiert auch Buddhaschaft, ja man kann die Buddhaschaft sogar gerade aus dem Zustand der Hölle hervorholen. Unsere Herausforderung sollte es sein, die ganze kraft unseres Glaubens zu aktivieren, um uns ständig darin zu üben in jeder Situation die Buddhaschaft hervorzubringen. ,,Genau jetzt, unter diesen Bedingungen, in meiner gegenwärtigen Situation kann ich glücklich sein, weil Nichiren Daishonin es so gelehrt hat; bevor wir nicht mit diesem Geist chanten, werden wir nur weiter vor allem davonlaufen und nur schwerlich etwas bedeutendes erreichen. Die Buddhaschaft befindet sich unter unserem ,,Schlamm”, unseren Unreinheiten und unseren Illusionen. Wir können sie entdecken, wenn wir beginnen zu glauben: ,,Hier muss Buddhaschaft existieren, ganz sicher. Es sieht zwar nicht so aus, aber sie existiert hier und es besteht die Möglichkeit in diesem Moment vollkommen zufrieden zu sein.” Auch über den Geist des Mitgefühls, der ja der Geist des Bodhisattwas ist, müssen wir nachdenken und ihn praktizieren. Mitgefühl bedeutet, eine Person zu lieben und ihr deshalb etwas für ihr Glück zu geben. Wenn dies unser Streben und unser Ziel ist, können wir um so barmherziger sein, je schlechter sich ein Mensch verhält. Wenn wir diese Motivation aber nicht haben, ärgern wir uns nur um so mehr, je schlechter das Verhalten einer Person ist. Wenn wir hingegen in unserem Herzen den Schmerz und das Leiden dieses Menschen spüren können, können wir uns fragen, was wir tun können, um ihm zu helfen. Wir müssen unserer Tendenz zu fordern den Krieg erklären und so die Richtung unseres Lebens verändern. In unserer aktuellen Situation - was Beziehung, Arbeit usw. betrifft - wäre es falsch, auf eine Veränderung von außen zu hoffen. Nur wenn wir unsere Einstellung und unsere Kapazität verändern, ändern sich auch die Umstände. Wenn wir anfangen zu lieben, wenn wir lernen zu lieben, liebt die Umgebung uns; doch wenn wir fordern, fordert auch die Umgebung. Das funktioniert wie in der Mathematik. Wenn wir fordern, fordert die Umgebung von uns; wenn wir geben, gibt uns die Umgebung. Wenn wir fordernde Menschen treffen, so geschieht dies in Wirklichkeit, weil wir diesen Mechanismus in Gang setzen, weil wir diesen Mechanismus auf der einen Seite am Laufen halten. Es kommt normalerweise nie vor, dass auf der einen Seite eine Person ist, die nur fordert, während wir ausschließlich geben, ohne dafür etwas zu erwarten. Wenn dies wirklich so wäre, wäre den Forderungen der anderen Person die Grundlage entzogen. Die andere Person fordert etwas von uns und automatisch verlangen wir etwas von ihr und dadurch kommt der Mechanismus in Gang. Streitigkeiten zwischen Partnern entstehen niemals aus Liebe, sondern immer wegen Forderungen, die die Partner aneinander stellen bzw. aus Egoismus. Wir denken, dass wir dadurch glücklicher werden, dass wir Dinge oder Personen besitzen, aber in Wirklichkeit wird man dadurch glücklicher, dass man sich in der Kunst des Gebens übt. Auf diese Weise verändern wir unsere Umgebung und erhalten ganz natürlich Wohltaten, denn wir geben, und wenn man gibt, empfängt man auch. Wenn wir arbeiten, werden wir auch etwas dafür bekommen; nicht aber, wenn wir nur Geld fordern. Wenn wir arbeiten, ist es normal, dass wir in irgendeiner Form dafür entlohnt werden. Wie soll unsere Haltung vor dem Gohonzon sein, damit es uns gelingt zu geben? Ganz sicher sollten wir uns vor dem Gohonzon dazu entschließen, die Tendenz zu geben in unserem Leben zu verstärken. Wir sollten auch jedes Mal, wenn wir leiden, ,,Sange” (buddhistische Entschuldigung) machen, indem wir darüber nachdenken, inwieweit unser Leiden durch unsere fordernde Einstellung verursacht wird. Wenn ich mein Leben beim Chanten unter diesem Aspekt betrachte, stelle ich z.B. seit Jahren immer wieder fest, dass ich wieder fordere und nicht an ein Glück glauben kann, das größer ist, als das vorübergehende Glück, das dadurch entsteht, etwas zu haben, d.h. ich suche nicht das Glück der Buddhaschaft, und ich habe kein Vertrauen in die Tatsache, dass in genau diesem Moment die Buddhaschaft existieren kann. Ich entschuldige mich dafür und entschließe mich noch einmal dazu, zu geben und nicht zu fordern. Auf diese Weise können wir Schritt für Schritt unsere Tendenz verändern, bis es eines Tages normal wird, dass unsere Taten und Gedanken in die gewünschte Richtung gehen. Durch unsere Illusionen können wir nicht richtig funktionieren und werden so zum Spielball des Lebens, was die Verwirklichung unserer Wünsche und unseres Glückes angeht. Wir müssen unsere Bemühungen auf erleuchtete Weise lenken. Sehr oft bemühen wir uns wie verrückt etwas zu erhalten, aber wenn wir uns im gleichen Maße bemühen würden zu geben, würden wir hunderttausend Mal mehr erreichen, als wenn wir unsere Anstrengungen auf ein vorübergehendes Glück lenken, auf das wir keinen Einfluss haben. Wenn wir einmal die richtige Richtung eingeschlagen haben, müssen wir sie mit Freude immer wieder aufnehmen mit dem Gedanken: ,Endlich weiß ich, woran ich arbeiten muss, wie ich handeln muss, worüber ich nachdenken muss und worauf ich mein Gebet richten muss”. Der Gohonzon wird uns auf eine völlig andere Art antworten, wenn wir unseren Wunsch zu geben zur Basis machen und als Ursache das Geben und nicht das Verlangen setzen. In gewissem Sinn ist es, als verliefe unser Leben auf zwei Gleisen. Ein Gleis für die Wirkungen und ein Gleis für die Ursachen. In jedem Moment unseres Lebens erfahren wir eine Wirkung und setzen gleichzeitig eine Ursache. Wir sind allerdings gewohnt, uns auf die Wirkungen1 die wir erfahren, zu konzentrieren und nicht auf die Ursachen, die wir setzen. Die Wirkungen sind jedoch eigentlich nicht sehr lebendig, sie sind der Film, der aus dem entsteht, was wir in der Vergangenheit verursacht haben und damit eine Angelegenheit, die zwar schön sein kann, aber ohne Leben ist. Unsere Tendenz ist es nun tage-, monate- oder jahrelang die Wirkungen, den Film unseres Lebens passiv zu betrachten und uns dabei mit unserer ganzen kraft zu wünschen, dass es ein schöner Film sein möge. Aber selbst wenn dies so ist, empfinden wir dabei nur relatives Glück, das sich von der Freude unterscheidet, die man erfährt, wenn man sich auf die Ursachen, die man setzt, konzentriert. Wenn wir beginnen, gute Ursachen zu setzen, kann es allerdings sein, dass die Wirkungen anfänglich entmutigend sind, aber wenn wir dann die Kraft aufbringen, trotzdem weiter gute Ursachen zu setzen, werden wir eine enorme Zufriedenheit verspüren. Wir werden uns lebendig fühlen und den Moment ganz bewusst erleben, denn leben bedeutet, Ursachen zu setzen; d.h. den Film unseres Lebens nicht sehen, sondern ihn drehen. Dann erst werden wir zu Hauptdarstellern in unserem Leben, was ja sicher erstrebenswert ist. Normalerweise konzentrieren wir uns darauf, ob es uns gut oder schlecht geht, ob wir dieses oder jenes haben, anstatt uns zu fragen, was wir für unser Leben tun können. Sobald wir anfangen, letzteres zu tun, ändert sich wirklich vieles. Ganz neue Gefühle und Wege öffnen sich, und wir können ein anderes Leben erfahren, in dem wir uns viel authentischer fühlen und in dem alles beginnt, sich auf viel natürlichere Weise zu bewegen, ohne dass wir nach bestimmten Wirkungen suchen müssen. Wenn wir Tag für Tag gute Ursachen setzen, ernten wir natürlicherweise gute Wirkungen und sind in der Lage, genau durch diesen Mechanismus unser Karma und unseren Lebenszustand zu verändern. Wir bitten normalerweise aber eher den Gohonzon um gute Wirkungen, anstatt darum, gute Ursachen setzen zu können! Wir unterscheiden uns von Menschen, die den Buddhismus nicht ausüben nicht dadurch, dass wir in unserem Leben bessere Wirkungen zu verzeichnen hätten. Vor allem in den ersten zehn oder zwanzig Jahren buddhistischer Praxis kann man nur von relativen Ergebnissen sprechen. Es gibt sicher Personen, die auch ohne Ausübung des Buddhismus großartige Wirkungen erhalten, während andere, die Buddhismus praktizieren sich abmühen und sich trotzdem in schwierigsten Umständen befinden: ohne Arbeit, ohne Mann, ohne Frau, ohne Wohnung, krank, etc. Aber ohne buddhistische Praxis ist die Gefahr groß auf negative Wirkungen mit negativen Ursachen zu reagieren und damit weitere negative Wirkungen für die Zukunft vorzuprogrammieren. Dieser Mechanismus ist wie eine Kette des Karmas, der die Menschen im immer gleichen Kreislauf gefangen hält und Veränderungen verhindert. Wie können wir also durch unsere Ausübung des Glaubens diese Kette durchbrechen? Unser ,,System” funktioniert so, dass wir mit der Kraft, die wir aus der buddhistischen Praxis gewinnen, auf eine negative Wirkung eine Ursache folgen lassen, die dem Buddhazustand entspringt, d.h. die Ursache zu geben, und nur so werden die negativen Wirkungen weniger, um immer besseren Resultaten in unserem Leben Platz zu machen. Wenn wir in dem Moment, in dem wir eine schlechte Wirkung erleben eine gute Ursache setzen, können wir den Kreislauf des Leidens durchbrechen. Durch die Anwendung dieses Systems entsteht eine unendlich große Lebensfreude, wir können unseren Wert fühlen und zufrieden und dankbar sein, am Leben zu sein. Dann ist es nicht mehr wichtig, ob wir leiden oder ob es uns gut geht, es zählt vielmehr, dass wir uns entwickeln, dass wir leben. Das Leiden ist in gewisser Weise kein Leiden mehr, denn wir sehen es aus einer ganz anderen Perspektive. Dies wird uns ermöglichen, nicht mehr nur Zuschauer in dieser Welt zu sein und nicht mehr nur auf Sparflamme zu leben. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich fast sagen kann, dass ich mich um so mehr amüsiere, je mehr Chaos in meinem Leben herrscht, da ich dann stimuliert werde, gute Ursachen zu setzen und noch mehr Anreiz zu leben verspüre. Am Anfang war das natürlich anders: Je größer das Chaos, desto mehr schloss ich meine Augen davor und distanzierte mich vom Leben. Ich versuchte dem, was auf mich zukam, zu entkommen und hatte das Gefühl, nicht richtig zu leben und so nichts ändern zu können. ,,Ursachen” führen wirklich eine Veränderung herbei, und wenn wir die Ursache setzen alles zu geben, was wir im jeweiligen Moment geben können, wenn wir uns tatsächlich bemühen; auf diese Art zu leben, werden wir sehen, dass sich unsere Wirkungen und unser ganzes Leben nach und nach verändern. In Liebesangelegenheiten kann dies bedeuten, dass wir uns trennen und einen neuen Partner finden, oder unser bisheriger Partner verändert sich. Das ist jedoch im Grunde zweitrangig. Wenn wir hin und her gerissen sind, weil wir nicht wissen, ob wir mit unserem Partner zusammen bleiben sollen, dann deshalb, weil wir denken, dass das Glück außerhalb von uns liegt. Wir denken, dass das Glück davon abhängt, ob wir diese oder jene Möglichkeit wählen, ob wir diese oder jene Umgebung haben. So entsteht ein Dilemma, weil wir denken, dass die Umstände das Glück sind. Statt dessen müssen wir zu uns selbst zurückkehren und verstehen, dass unser Glück darin besteht, wie und mit welcher Einstellung wir die jetzige Situation erleben. Unsere Zukunft hängt allein von der Ursache ab, die wir jetzt setzen. Es kann zu einem Hindernis werden, wenn man eine ganz klare und bestimmte Vorstellung von seiner Zukunft hat. So ist es mir und auch anderen ergangen. Wenn man denkt: ,,In fünf Jahren werde ich meinen Wunsch verwirklicht haben, mit Sicherheit werde ich in zehn Jahren vollkommen glücklich sein, etc.”, kann es sein, dass man dadurch das Glück in die Zukunft verlagert und vergisst, dass man sich mit ganzer Kraft auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren muss. Auf diese Weise rückt die Zukunft mitsamt dem Leben immer weiter fort, und man kann sie niemals einholen. Ohne dass wir auch nur das Geringste über die Zukunft wissen, und obwohl wir im absoluten Chaos stecken und deshalb nicht sagen können, wie unser Leben wohl später aussehen wird: wenn wir unsere ganzen Kräfte einsetzen und uns 100%ig herausfordern, unsere jetzige Situation zu leben, werden wir ganz natürlich auf die bestmögliche Zukunft für uns zusteuern. Wir setzen gute Ursachen und werden dann gute Wirkungen erhalten, und der Weg zu unserem Glück ist so schon vorgezeichnet. Das Leben ist so komplex, und es spielen so viele verschiedene Faktoren eine Rolle, dass wir dies nicht mit dem Kopf nachvollziehen können, es ist also wirklich unmöglich zu wissen, wie genau unser Glück in 5 oder 10 Jahren aussehen soll. Was wissen wir schon darüber, was in zehn Jahren sein wird? Vielleicht werden wir einen Arm verlieren, vielleicht erleben wir einen Krieg, vielleicht wird ein Raumschiff auf der Erde landen und Dinge mitbringen, die die Welt revolutionieren'. Wir wissen es nicht und können es auch gar nicht wissen. Wir können davon träumen, etwas erahnen, das ist auch gut so, aber wir sollten diesen Träumen für die Zukunft nicht soviel Gewicht geben, sondern uns statt dessen bestmöglich auf den jetzigen Moment konzentrieren. Am wichtigsten ist es, die Fähigkeit zu entwickeln, in jedem Moment Freude und Glück zu empfinden, sich wohl zu fühlen und zwar unabhängig von der äußeren Situation. Die Welt und die äußeren Umstände mögen sich ändern, unsere Fähigkeit, glücklich zu sein und uns wohl zu fühlen bleibt. Ich habe eine Erfahrung gemacht, die mich voll und ganz darin bestätigt hat, dass ich über Jahre hinweg richtig praktiziert habe, d.h. dass ich richtig damit lag, mich nicht zu fragen ,,geht es mir gut oder geht es mir schlecht, ist diese Situation gut oder ganz miserabel, etc.”, sondern zu überlegen ,,hier bin ich, was kann ich tun, welche Ursache kann ich setzen, was kann ich zu dieser Situation oder zu meinem inneren Zustand in diesem Moment beitragen?” Tatsächlich bestand mein Training immer darin, mich auf diese Art zu leben zu konzentrieren. Zwei Tage nach dem Festival am 7. Juni 1994, eine Gelegenheit, zu der ich mich besonders herausgefordert habe, fuhr ich ans Meer, an einen Ort, an dem ich seit meiner Kindheit immer wieder war. Dort sprang ich ins Wasser und landete mit dem Kopf auf einer Klippe. Ohne ohnmächtig zu werden kam ich wieder aus dem Wasser (bis heute ist nicht ganz klar, wie das möglich war, und die Leute in der Notaufnahme waren überzeugt, dass Retter mich bewusstlos aus dem Wasser gezogen hatten). Als ich meine Hand an meinen Kopf führte, fühlte ich dort ein merkwürdiges Durcheinander, das mir verriet, dass ich mir wohl wirklich ernsthaft weh getan hatte. Ich wusste sehr wohl, was so ein Schlag auf den Kopf bedeuten kann, tatsächlich kann dabei alles passieren, wirklich alles. Ich legte mich auf einen Felsen, als die ersten Leute herbei kamen. In kurzer Zeit war ich blutüberströmt, und ein Teil meines Schädels lag offen an der Sonne. Ich suchte mir eine bequeme Stellung, beruhigte die Leute und bat sie, einen Krankenwagen zu rufen, mir frisches Wasser zu bringen und mir mit Handtüchern Schatten zu spenden. Ich war völlig klar und geistesgegenwärtig und hatte keine Schmerzen. Wenn man einen so starken Schlag auf den Kopf bekommen hat, fühlt man nichts, man ist ganz betäubt. So fühlte ich mich nur unangenehm, da ich merkte wie das Blut weiter von meinem Kopf strömte. Schon wiederholt hatte ich überprüft, ob noch alles an mir funktionierte, denn ich wusste ganz genau, dass ich jeden Moment die Kontrolle über meine Sprache, über ein Bein oder einen Arm verlieren konnte. Mir war nicht ganz klar, ob ich einen Schädelbruch hatte, aber auch in einem intakten Schädel kann sich ein Blutgerinnsel bilden, das sich vergrößert, und bestimmte Funktionsbereiche im Gehirn lahm legt. Mein Zustand war also äußerst kritisch, und ich hätte genauso gut sterben können. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich das wunderschöne ruhige Meer betrachtet habe und gedacht habe, dass ich es vielleicht zum letzten Mal sehe. Doch mein zweiter Gedanke war: ,,Jetzt bin ich hier, was kann ich in diesem Moment, in dieser Situation tun?” So kam es, dass ich nicht auch nur einen Moment lang Angst verspürte. Wenn ich hingegen angefangen hätte zu denken: ,,wer weiß, was mir in der nächsten Minute, in der nächsten halben Stunde oder Stunde passieren wird; wer weiß, ob ich leben oder sterben werde, ob ich gelähmt sein werde”, oder wenn ich angefangen hätte mich zu fragen, warum ich überhaupt ans Meer gefahren bin, wäre ich sicher in totale Panik geraten. Tatsache ist, dass ich keinen Moment lang Angstgefühle hatte. Als ich mit dem Krankenwagen weggebracht wurde, konnte ich mich noch bei den Menschen bedanken, die mir geholfen hatten, und ganz ehrlich, ich erinnere mich nicht daran Angst oder Panik gehabt zu haben. Dadurch, dass ich ruhig geblieben bin, konnte mein Herz einen gleichmäßigen Rhythmus beibehalten und so war auch der. Blutverlust geringer etc. Diese Erfahrung war für mich ein wunderbarer Beweis dessen, was ich Jahr für Jahr praktiziert habe. Es gibt Momente, in denen man sich nichts mehr vormachen kann, es kommt zum Vorschein wie man wirklich ist, und in jenem Moment kam mein ganzes Training zum Vorschein. Ich hätte genauso gut zwei Stunden totaler Angst erleben können, doch tatsächlich habe ich sogar eine schöne Erinnerung, ganz zu schweigen von der Freude die ich darüber empfand, dass alles an mir noch ganz war, und ich noch am Leben war. Am befriedigendsten war im Nachhinein die Tatsache, dass ich diese Einstellung selbst geschaffen habe, dass sie da war, und dass niemand mir sie wegnehmen konnte. Deshalb kann ich nur wieder betonen, wie wichtig es ist, sich in dieser Beziehung zu bemühen und zu trainieren, denn nur so lernt man wirklich zu leben. Man entwickelt einen Lebenszustand, in dem Leiden verschwindet. Es gibt dann nur noch schwierigere oder einfachere Situationen, aber man leidet nicht mehr unter ihnen. Das Leiden entsteht aus dem Gedanken, etwas nicht zu haben. Auch wenn ich zum Beispiel in meiner schwierigen Situation gedacht hätte: ,,Warum hatte ich nicht das Glück, diesen Unfall vermeiden zu können, warum habe ich keinen unversehrten Körper, warum habe ich nicht dieses oder jenes”, ich hätte enormes Leid verspüren können. Für mich hingegen war es eine Erfahrung voller Freude. Diese Episode ist ein Extremfall, doch die Theorie trifft wirklich auf alle Lebenslagen zu. In jedem Moment unseres Lebens können wir uns freuen, dass wir am Leben sind, anstatt vor Leid oder Wut darüber verrückt zu werden, was wir nicht sind oder haben. Tun wir letzteres, leiden wir nur und ändern nichts. Versuchen wir aber das Erstere, leiden wir in diesem Moment nicht und können uns so verändern und unser Leben weiterentwickeln, da wir in jedem Moment etwas geben. In jedem Augenblick können wir Schätze und Reichtümer in Form von guten Ursachen in unserem Leben ansammeln. Daher ist es wichtig, dass wir all unsere Umstände, seien es Partnerschaften, Freundschaften, unser Arbeitsplatz usw. nutzen, um uns tagtäglich und hundertprozentig in diesem Bewusstsein zu trainieren. Natürlich gehört es genauso dazu, dass wir uns hin und wieder eine Pause gönnen, und es ist auch schwierig die beschriebene Einstellung sofort umzusetzen. Manchmal kann man sich auch sagen: ,,Gut, hier ist meine Grenze, ich strenge mich an und tue, was ich kann, aber ich brauche auch mal eine Pause, über die ich niemand Rechenschaft ablegen muss”. Seine Grenzen zu kennen, heißt nicht, dass man sie, so wie sie' sind, beibehalten will. Wichtig ist nur, dass diese Pausen vorübergehend bleiben und nicht zu unserem Hauptansinnen werden. Es ist in Ordnung, sich Pausen zu gönnen und sein Bedürfnis nach Ruhe auszuleben, doch unser eigentliches Bestreben muss etwas anderem gelten. Präsident Ikeda zum Beispiel hält sich immer inmitten unter Menschen auf. Wir können uns wahrscheinlich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, soviel Verantwortung zu tragen. Es bedeutet kontinuierlich zu geben, weil man ständig um Rat oder nach einer Ermutigung gefragt wird. In diesem Moment muss ganz klar sein, dass es darum geht, sich im Geben zu trainieren, und dass man, auch wenn man gerade Schwierigkeiten hat, diese Herausforderung will und angenommen hat, denn sonst gibt man auf und denkt: ,,Mir reicht's, ich will nichts mehr von Verantwortung oder sonst irgendwas wissen.” Genau das ist vielen Praktizierenden passiert, weil sie sich im Grunde nicht darüber im klaren waren, dass unsere Aufgabe die Ausübung des Bodhisattwas ist. Dadurch entstehen unsere größten Herausforderungen, aber auch unsere größten Wohltaten. Schließlich entsteht aus der Ausübung des Bodhisattwas die größtmögliche Wohltat, die wir uns jetzt nicht einmal erträumen können. Wir können uns überhaupt noch nicht vorstellen, was wir in unserem Leben zu fühlen und zu erreichen in der Lage sind. Mit der Ausübung des Bodhisattwas und der Einstellung des Gebens sind eine Unzahl von Aspekten unseres Lebens verknüpft. Dadurch, dass wir fordern, verschließen wir uns ständig. Von dem Moment an, wo wir versuchen uns zu öffnen, erschließen wir eine Sensibilität für die gesamte Umgebung, die ganz neu ist. Wir fangen an, uns auf das ganze Universum hin zu bewegen, und ziehen so Glück an. Wir können dann viele Dinge überhaupt erst wahrnehmen und haben eine vortreffliche Intuition, weil wir offen sind und keinen Panzer mehr tragen. Weil wir uns nicht mehr beschränken, fühlen wir alles und können uns vom Leben selbst leiten lassen. Man kann den Unterschied damit vergleichen, dass man mit geschlossenen Augen auf der Straße geht, und sich darüber beklagt, dass man ständig gegen etwas stößt, (wobei nicht die Straße schwierig ist, sondern der Umstand, dass wir sie mit geschlossenen Augen betreten), statt die Augen zu öffnen und sich so am Weg zu erfreuen und sich nicht mehr weh zu tun. Dies trifft auf unseren Lebensweg zu. Mit ,,geschlossenen Augen” (fordernd) sind wir ständig auf Kollisionskurs, doch wenn wir ,,unsere Augen öffnen” (geben), öffnen wir uns und können in Harmonie mit allem leben. Vielen Dank (Übersetzung von Danny Aue, Carolina Baratta & Dolly Gangl, Berlin 1997)